Ostrakon Strasbourg H. 111

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Alternative Namen
O. Strasbourg BNU H. 111 oStrasbourg BNU H. 111 oStrasbourg H 111
Aufbewahrungsort
Europa » Frankreich » (Städte Q-Z) » Strasbourg » Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg

Inventarnummer: H. 111

Erwerbsgeschichte

Unbekannt. Im Inventarbuch der BNU steht nichts, was einen Hinweis auf Herkunft oder Ankaufsdatum liefert, aber ab Ostrakon Nr. 141 wurden die Ostraka in den Jahren 1910–1911 erworben (Koenig 1997, 19–21). Dies weist vielleicht auf einen Erwerbszeitpunkt vor 1910 hin. Die Buchstabe „H“ der Inventarnummer steht für „hieratisch“.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer

Der Herkunftsort ist unbekannt, aber fast alle Ostraka der BNU mit bekannter oder rekonstruierbarer Herkunft stammen aus Theben-West, u.a. aus dem Ramesseum, aus Dra-abu’l-Nag‘a, Gurna und Deir el-Medineh. Ein Teil der bei Koenig 1997 publizierten Objekte sind aus inhaltlichen Gründen in Deir el-Medineh zu verorten (s. Koenig 1997, 1), aber für die Topfscherbe Strasbourg BNU H. 111 gibt es keine solchen Indizien. Einige Textparallelen stammen allerdings aus Deir el-Medineh (Papyrus Deir el-Medineh 41, Papyrus Turin CGT 54051/Cat. 1993, Papyrus Turin CGT 54052/Cat. 2105, außerdem Ostrakon Deir el-Medineh 1687).

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Die Paläographie datiert das Ostrakon in die Ramessidenzeit (Spiegelberg 1922, 70).

Textsorte
Inhalt

Der Text kann in drei Strophen untergliedert werden. Die ersten beiden enthalten Angaben über die Wirkmächtigkeit des Horus: Zunächst werden vier Aussagen über die „Worte“ (mdw) dieses Gottes getroffen (= 1. Strophe), danach folgen vier Phrasen über die „Zaubersprüche“ (ḥkꜣ.ww) desselben (= 2. Strophe). Dabei steht der Schutz bzw. die Heilung von einem potentiellen Patienten im Vordergrund (vgl. Stegbauer 2015, 275–276). „Der Text selbst sieht aus wie eine Empfehlung (Reklame) von Zaubersprüchen des Horus“ (Spiegelberg 1922, 71).
In der letzten Strophe steht ein reaktiver Spruch gegen Gift, von dem allerdings nur noch die ersten beiden Zeilen(anfänge) erhalten sind (Stegbauer 2015, 275–276).

Textparallelen für Zl. 1–9 (= Strophen 1–2): pTurin Cat. 1993/131 = CGT 54051, Rto 2.1; pTurin Cat. 2105 = CGT 54052, Kol. 1.9–11; oDeM 1687 Vso; vor allem pBrooklyn 47.218.138, Kol. x+5.13–x+6.1 (Textsynopse bei Roccati 2011, 127–129, § 191–199; Goyon 2012, 154–156, § 17).
Textparallelen für Zl. 10–[14?] (= Strophe 3): mindestens 12 Textparallelen auf NR-Papyri und auf Horusstelen (Textsynopse bei Koenig 1982; Roccati 2011, 127–129, § 191–199; Goyon 2012, 157–163, § 18).

Material
Künstliche Materialien » Keramik
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Das Ostrakon ist eine Topfscherbe, die auf der Außenseite (konvexe Seite) der Scherbe beschriftet wurde, quer zur Achse des ursprünglichen Gefäßes. Die Scherbe hat heute noch eine Höhe von 25 cm und eine maximale Breite von 17 cm (Koenig 1997, 9). Insgesamt sind zwölf Zeilen erhalten, allerdings sind nur die ersten vier komplett (Spiegelberg 1922, 70). Danach ist jedes Mal das Zeilenende zunehmend verloren, weil die linke untere Ecke diagonal abgebrochen ist. Von der aktuell zwölften und letzten Zeile sind nur die oberen Enden der Zeichen erhalten, Textparallelen (Koenig 1982, 283–287) lassen vermuten, dass zwei oder drei Zeilen unten weggebrochen sind.
Oben rechts war schon vor der Beschriftung die Ecke schräg weggebrochen, was den (falschen?) Eindruck einer abgerundeten Oberseite erweckt. Mathieu 2000, 247 meint, dass die Form des Ostrakons an eine Miniaturstele erinnert: „sans doute cette configuration donnée à l’objet est-elle intentionelle“.

Schrift
Hieratisch

Das Hieratisch ist eine „schöne Unziale der Ramessidenzeit“ (Spiegelberg 1922, 70). Nur schwarze Tinte wurde verwendet. Zudem sind rote Gliederungspunkte gesetzt, allerdings nicht immer an der richtigen Stelle. Der Schreiber hat sich bemüht, die ersten acht, litaneiartig formulierten Sätze jeweils auf eine Zeile zu bekommen (für den ersten Satz brauchte er zwei Zeilen).

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Der Text weist keine sprachlich jüngeren Konstruktionen auf.

Bearbeitungsgeschichte

Die Erstpublikation legte Spiegelberg 1922 vor, allerdings nur mit hieroglyphischer Transliteration, deutscher Übersetzung und sehr kurzem Kommentar. Eine englische Übersetzung folgte 1978 von J. F. Borghouts. Mehrere Textparallelen vom ganzen Text oder vom unteren Bereich auf zeitgenössischen Papyri und auf späteren Horusstelen wurden im Laufe der Zeit bekannt (Borghouts 1978, 123; Koenig 1982; Roccati 2011; Goyon 2012). Koenig legte 1997 die Erstedition mit wenigen Metadaten, Photographie, Faksimile und hieroglyphischer Transliteration vor, allerdings ohne Übersetzung oder Kommentar. Mathieu fertigte im Jahr 2000 eine französische Übersetzung an. Die jüngste Übersetzung (auf Deutsch) mit Berücksichtigung der Strophen- und Versstruktur und mit Kommentierung und Transkription stammt von Stegbauer 2015 (synoptisch zusammengefasst mit Papyrus Brooklyn 47.218.138).

Editionen

- Koenig 1997: Y. Koenig, Les ostraca hiératiques inédits de la Bibliothèque nationale et universitaire de Strasbourg, Institut francais d’archéologie orientale. Documents de fouilles de l’IFAO 33 (Le Caire 1997), Buchumschlag, 9, 18 und Taf. 42–43 und 115.

Literatur zu den Metadaten

- Borghouts 1978: J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts, Religious Texts Translation Series Nisaba 9 (Leiden 1978), 75 (Nr. 103).

- Goyon 2012: J.-C. Goyon, Le recueil de prophylaxie contre les agressions des animaux venimeux du Musée de Brooklyn. Papyrus Wilbour 47.218.138, Studien zur spätägyptischen Religion 5 (Wiesbaden 2012), 32–34 und 154–158.

- Koenig 1982: Y. Koenig, Deux amulettes de Deir el-Médineh, in: Bulletin de l’Institut français d’archéologie orientale 82, 1982, 283–293 und Taf. 48, hier: 283–291 und Taf. 48.A.

- Mathieu 2000: B. Mathieu, Hieratische Ostraca, in: Orientalistische Literaturzeitung 95, 2000, 246–255, hier: 247–248.

- Roccati 2011: A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56, Roma 2011, 126–129.

- Spiegelberg 1922: W. Spiegelberg, Horus als Arzt, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 57, 1922, 70–71.

- Stegbauer 2015: K. Stegbauer, Magie als Waffe gegen Schlangen in der ägyptischen Bronzezeit (Borsdorf 2015), 275–276 (Spruch 50) (https://doi.org/10.11588/propylaeum.529).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Katharina Stegbauer
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

oStrasbourg BNU H 111

[Übersetzung nach Stegbauer 2015, 275–276 (Spruch 50)]

1. Strophe

[1] Die Worte des Horus vertreiben den Tod1 und beleben den wieder, der eine enge Kehle hat.
Die Worte des Horus proklamieren das Leben und schreiben die Lebensjahre dessen fest, der zu ihm ruft.
Die Worte des Horus löschen das Feuer, seine Sprüche machen die gesund, die von der bṯt-Schlange gebissen wurden.2
[5] Die Worte des Horus retten diesen Mann, dessen Schicksal hinter [ihm] steht.

2. Strophe

Die Zaubersprüche des Horus wehren die Bögen ab durch das Verfehlen lassen der Pfeil[e im Gefecht].
Die Zauberkräfte des Horus vertreiben die, die wütend im Herzen sind, und beruhigen [die Störung und den Krieg von gestern]3.
Die Zaubersprüche des Horus lassen seine (?) Kranken gesunden [und besänftigen die Atmung des Zitternden].4
Die Zaubersprüche des Horus besänftigen das Feuer5 und entfern[en die Entzündung.]

3. Strophe

[10] Spei aus, o Gift, sieben Mal!6 Beschworen [hat dich Horus.]
[Spei] aus, Blutige7, [du] kannst [dich] nicht erheben [...]8

1 Anstelle von mwt: "Tod" ist evtl. auch mwt: "Untoter" lesbar.
2 Bei bṯt.w muss es sich um eine Nisbe zu bṯt "Giftschlange" handeln. R. Hannig, Die Sprache der Pharaonen. Großes Handwörterbuch Ägyptisch – Deutsch (2800–950 v. Chr.), Kulturgeschichte der antiken Welt 64 (Mainz 2009), 282–283 {10243} führt das Wort als eigenes Lemma bṯtj: "der an einer unheilbaren Krankheit Leidende" auf, allerdings geht die Stelle offensichtlich auf den vorliegenden Text zurück (Konstruktion ssnb bṯtj). Spiegelberg 1922 übersetzt "Fiebernder (?)", Mathieu 2000, 248 "les morsures". Papyrus Brooklyn 47.218.138, Rto x+5.15 schreibt ẖr.j bṯt: "der an der bṯt „Giftschlange“ leidet".
3 Vgl. Mathieu 2000, S. 248. Ergänzung nach Papyrus Brooklyn 47.218.138, Rto x+5.19 (Textsynopse Goyon 2012, 155).
4 Für die Ergänzung vgl. die Version des pBrooklyn 47.218.138. Zur Lesung s. Goyon 2012, 34, Anm. 6.
5 Wsr.t ist hier durch das Determinativ definitiv als Bezeichnung des Feuers ausgewiesen, dennoch liegt m.E. eine Anspielung auf die Göttin vor. Ergänzung von tꜣw nach Papyrus Brooklyn 47.218.138, Rto x+6.1 (Textsynopse Goyon 2012, 156), die aber vermutlich im Licht von oDeM 1687 und pTurin Cat 1993 = CGT 51054, Rto, Kol. 2.1 zu korrigeren ist.
6 Textparallelen für Zl. 10–[14?] (= Strophe 3): mindestens 12 Textparallelen auf NR-Papyri und auf Horusstelen (Textsynopse bei Koenig 1982; Roccati 2011, 127–129, § 191–199; Goyon 2012, 157–163, § 18).
7 znf.tj: Ich folge in der Deutung von snf.tj Mathieu 2000, 248: "Sanguinaire", d.h. als Ableitung von znf "Blut" oder znf: "bluten".
8 Ob hier gnn.t nn nḫt=t ẖs.yt [nn ꜥḥꜣ=t]: "du Schwache, du wirst nicht stark sein; du Elende, du wirst nicht kämpfen" stehen könnte? Die erste erhaltene Zeichenspur wäre der obere "Schwanz" des schlechten Vogels von gnn, die zweite Spur der Punkt der negativen Arme nn. Von nḫt wäre nur eine Spur des Determinativs des schlagenden Mannes erhalten. Nach dem Verspunkt könnte eine Spur von erhalten sein. Siehe die verschiedenen Textsynopsen bei Koenig 1982, 285; Roccati 2011, 129–130 und Goyon 2012, 159–160.