Ostrakon British Museum EA 5639

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
TM 393227
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte K-N) » London » British Museum

Inventarnummer: BM EA 5639

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Das Ostrakon wurde im Jahr 1834 durch das British Museum vom britischem Buch- und Antiquitätenhändler Joseph Sams (17841860) angekauft.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer

Nichts ist über die Fundumstände bekannt, aber gut erhaltene Kalksteinostraka der Ramessidenzeit stammen im Prinzip aus dem Nekropolengebiet von Theben-West (wichtigste Ausnahme ist bislang Abydos: Haring 2020, 95). Zwei Ostraka mit einem sehr ähnlichen Text wurden wahrscheinlich in Deir el-Medina gefunden (Fischer-Elfert 2015, 373). Derselbe Text ist von drei Gräbern aus Theben bekannt, ein sehr ähnlicher Text von einem Grab in Saqqara.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Demarée datiert das Ostrakon ohne weitere Angaben in die 19.–20. Dynastie. Dieses basiert zweifellos auf der Paläographie. Der Text selbst ist schon auf Textträgern der 18. Dynastie (Papyrus und Grabwände) ab der Zeit Thutmosis III.-Amenhotep II. überliefert.

Textsorte
Rezitation(en) » Ritual/Liturgie
Inhalt

Der Text ist ein Spruch aus einer Liturgie zu den Opferritualen für den Verstorbenen, die dessen Verklärung zu einem Lichtwesen bewirken sollten (Überblick bei Assmann 2005, 144146). Auf dem Ostrakon hat es vermutlich niemals einen Spruchtitel gegeben, in weiteren Textkopien finden sich die Spruchtitel „Spruch der Erfrischung mit Brot“ (pBM EA 10819) und „Spruch des Umbindens eines Kranzes“ (TT 50 des Neferhotep). Ein Spruchtext mit teilweise sehr ähnlichen Formulierungen trägt die Überschrift „Spruch der Durchführung eines Umlaufopfers“ (oder „Spruch der Durchführung eines Opfers und des Umwendens des Opfers“) (TT 100 des Rechmire) bzw. „Spruch für Bier“ (Ostrakon Berlin P 15314). Dies erweckt den Eindruck, dass der Spruch in mehreren Kontexten eingesetzt werden konnte.

Zunächst wird Osiris bzw. der Verstorbene aufgefordert, verschiedene Pflanzen zu sich zu nehmen, und es wird gehofft, dass ihm bestimmte Felder zugewiesen werden. Anschließend geht der Text weiter mit „daraufhin“-Formulierungen. Daraufhin werde er am Flussufer sitzen können und Wasser trinken. Er werde Fleischstücke als Nahrung bekommen, wie alle Götter und Göttinnen. Und er werde das Haus der Herzen betreten können, „das Seinige“ nehmen und es an seinen Platz setzen. Der Text scheint mit kurzen Anweisungen für die Durchführung des Opferrituals (Brote, Wasserspende, Osiris aufwecken) an einem Osirisfest zu enden.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Man könnte mutmaßen, dass der Ostrakontext eine Gedächtnisstütze für einen Totenpriester war. Der Text ist mit roten Gliederungspunkten versehen, die auf einen Rezitationszweck hindeuten. Nirgendwo werden Titel oder Namen eines Verstorbenen genannt, so dass der Text nicht für ein spezifisches Individuum gedacht war. Die Anwesenheit von Gliederungspunkten spricht gegen die Vermutung von Fischer-Elfert 2015, 385, dass solche Auszüge aus dem Opferritual „als Vorschriften oder Kladden gedient haben, die in ihrer endgültigen hieroglyphischen Fassung dann auf die entsprechende Grabwand übertragen wurden.“

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Ostrakon BM EA 5639 ist 33 cm hoch und 13,7 cm breit. Am linken Rand wird es ab der Hälfte schmaler. Nur eine Seite ist beschriftet, mit 21 Textzeilen. Die oberste Zeile und die linke Hälfte der Zeilen 24 und 812 waren schon zur Zeit von Birch stark abgerieben.

Schrift
Hieratisch

Neuhieratische Buchschrift in schwarzer Tinte, weitestgehend ohne Ligaturen geschrieben. Durchgehend mit roten Gliederungspunkten. Aus unklaren Gründen hat Birch 1868 das Ende von Z. 12 und die zweite Hälfte von Z. 13 als Rubrum markiert, was in Wirklichkeit nicht der Fall ist.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Die frühesten Vertreter des Textes stammen aus der Zeit von Thutmosis III. und es gibt nirgendwo Spuren neuägyptischer Einflüsse. Das absolut verwendete pꜣy=k findet sich schon im Papyrus Westcar.

Bearbeitungsgeschichte

S. Birch hat das Ostrakon im Jahr 1868 in Faksimile ediert. Er hat erkannt, dass der Textinhalt religiöser Natur ist. Wegen der Lücken infolge starkem Abrieb wurde es seitdem kaum beachtet. J. Černý hat eine unvollständige hieroglyphische Umschrift in seinen Notizbüchern angefertigt, die unpubliziert blieb. Demarée definiert den Text als zum Corpus der „Glorifications“, d.h. „Verklärungen“ gehörig. H.-W. Fischer-Elfert publizierte im Jahr 2015 zwei hieratische Ostraka in Berlin (Inv. P 14860+14856 und P 15314) ebenso mit Teilparallelen und fügt Ostrakon BM EA 5639 in seiner Textsynopse ein.

Editionen

- Birch 1868: S. Birch, Inscriptions in the Hieratic and Demotic Character, from the Collections of the British Museum (London 1868), 7 und Taf. XVII.

- Demarée 2002: R. J. Demarée, Ramesside Ostraca (London 2002), 19 und Taf. 34.

Literatur zu den Metadaten

- Assmann 2005: J. Assmann, Altaegyptische Totenliturgien 2. Totenliturgien und Totensprüche in Grabinschriften des Neuen Reiches (Heidelberg 2005), 128 und 145146.

- J. J. Černy, Notebook 22, 4 (unpubliziert, unvollständig). (erwähnt in https://archive.griffith.ox.ac.uk/index.php/cerny-17-22) (13.12.2022)

- Fischer-Elfert 2015: H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin, 2 (Berlin/München/Boston 2015), 373384.

- Haring 2020: B. Haring, The Survival of Pharaonic Ostraca: Coincidence or Meaningful Patterns?, in: C. Caputo – J. Lougovaya (Hrsg.), Using Ostraca in the Ancient World: New Discoveries and Methodologies, Materiale Textkulturen 32 (Berlin 2020), 89108.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Opferspruch aus einer Totenliturgie

[1] [Ein Fortgehender geht fort mit] seinem [Ka. Ein Dritter/Vierter (?) (geht fort) mit] seinem ⸢Ka⸣.1
Du mögest/sollst [deinen Mund zur] [zꜣ]r.t-Pflanze hin öffnen! (oder: Öffne ⸢dir⸣ [deinen Mund zur [zꜣ]r.t-Pflanze hin!)
Sperre [ihn] dir auf [zur ḫzꜣy.t]-Pflanze!
Öffne dir deinen Mund zur/zum [Zwiebel/Knoblauch, der] aus dem Garten[beet kommt]2, zur šzp.t-Melone, die [Ptah hat wa]chsen lassen3, [zur šmšm.t-Pflanze], [5] wegen der Re das Frühstück (oder: den Mundgeruch) gemacht hat.
Man möge dir zuteilen [Gär]ten mit šꜣw.t-Pflanzen (Koriander?) mit einem Anteil (?) (oder: am Damm?) der šmšm.t-Pflanze.4
Daraufhin wird man für dich zwei Hölzer aus der Erde (? oder: zwei Bäume des Landes?)5 auf dem Gipfel der Elysischen [Felder]6 herbeieilen lassen (?).
Daraufhin wirst [du] am Ufer des [Flusses sitzen].
Dein jb-Herz wird mit dem Wasser zufrieden sein,[dein jb-Herz wird] mit [der Reinigung (?)] zufrieden sein.8

1 Eine vollständige Rekonstruktion des Textanfangs ist nicht möglich. Die Textparallelen sind nicht einheitlich. Der Text geht auf PT Spruch 25 (K. Sethe, Die altaegyptischen Pyramidentexte nach den Papierabdrücken und Photographien des Berliner Museums neu herausgegeben und erläutert. Erster Band. Text, erste Hälfte. Spruch 1–468 (Pyr. 1–905) (Leipzig 1908), 17a-c) zurück: „Ein Gehender ist mit seinem Ka gegangen. Horus ist mit seinem Ka gegangen. (...). Auch du bist mit deinem Ka gegangen.“ Mit „in der Gesellschaft von“ statt „zusammen mit“ finden sich dieselben Phrasen in PT Spruch 447 (Sethe 1908, 826a–b) und in Sargtextspruch 821 (CT VII, 22.f–h). In jüngeren Versionen ist „Gegangen ist ‚Zweimal‘ [=der Gehende/Gegangene] zu seinem Ka“ geschrieben (z.B. N. de Garis Davies, The Tomb of Rekh-mi-Rēꜥ at Thebes, Publications of the Metropolitan Museum of Art. Egyptian Expedition 10–11 (New York 1943), Vol. 2, Taf. 78, Kol. 6). Danach folgen eine dritte und vierte Wiederholung (N. de Garis Davies, Tomb of Ḳen-Amūn at Thebes, Publications of the Metropolitan Museum of Art. Egyptian Expedition (New York 1930), Taf. 55.B). Im Grab des Amenemhab ist die Stelle sehr beschädigt (unzuverlässig bei P. Virey, Sept tombeaux thébains de la XVIIIe Dynastie, Mémoires publiés par les membres de la Mission archéologique française au Caire 5 (Paris 1889), 283; vgl. Kollationierung Sethe in DZA 50.112.430). Im Grab des Neferhotep ist sie laut älteren Abschriften als „Gegangen ist ‚Zweimal‘ zu seinem Ka, seine Vierte zu seinem Ka“ zu lesen (DZA 50.137.490 nach Abklatsch Leipzig; R. Hari, La tombe thébaine du père divin Neferhotep (TT 50) (Genève 1985), Taf. 34, Z. 126–127 und Synopse S. 48). Bei Rechmire ist diese Textpassage in einen Libations- und Räucherungsspruch eingebunden (de Garis Davies 1943, Taf. 78, Z. 1; siehe Assmann 2005, 89, 93-95 und 144), bei Neferhotep in einen Spruch zum Umbinden eines Kranzes (Hari 1985, Taf. 34, Z. 125), bei Qenamun ist der Opferkontext unklar (de Garis Davies 1943, 55: Southwest Pillar, North Side). Der Text steht ebenfalls auf Papyrus British Museum EA 10819, Frame 2, Kol. 1.4 am Anfang eines Erfrischungsspruchs mit Brot.

2 Ergänzt nach den Versionen von Papyrus British Museum EA 10819, Amenemhab und Qenamun, sowie nach Neferhotep.

3 Ergänzt nach den Versionen von Papyrus British Museum EA 10819, Qenamun und Neferhotep.

4 Auf Papyrus British Museum EA 10819, Frame 2, Kol. 1.6 steht: „Mögen dir Gärten und šꜣw.t-Pflanzen des Dammes (?) und šmšm.t-Pflanzen gerichtlich zugeteilt werden.“ Im Grab des Amenemhab steht gemäß der Kollationierung von Sethe (DZA 22.287.460) „Gärten mit [...] mit šmšm.t-Pflanzen und Schilf“, so auch im Grab des Qenamun. Im Grab des Neferhotep weicht DZA 50.137.500 „Möge dir zugewiesen werden ein Feld mit šꜣw.t-Pflanzen ... Mögest du abschneiden Schilf (...)“ von der Abschrift von Hoskins ( in Hari 1985) und von der Rekonstruktion von Hari 1985 ab.

5 Im Grab des Qenamun steht „Hölzer der Erde / des Landes“, ebenso im Grab des Amenemhab gemäß der Kollationierung von Sethe (DZA 22.287.460). Was hiermit gemeint ist, ist unklar, vielleicht Pfosten auf dem höchsten Punkt des Feldes?

6 Ergänzt nach der Version im Grab des Amenemhat gemäß der Kollationierung von Sethe (DZA 22.287.460). Im Grab des Qenamun steht nur „Gipfel von Iaru“. Auf Papyrus British Museum EA 10819, Frame 2, Kol. 1.7 steht „Dir werden zugewiesen zwei Körper (?) des Landes auf dem Gipfel der Elysischen Felder.“ Vgl. bei Neferhotep laut DZA 50.137.500 „Mögest du abschneiden Schilf, zwei Körper (?), für (?) die Erde auf dem Gipfel der Elysischen Felder.“

7 Vgl. Neferhotep, Z. 132–-133 und DZA 50.137.500: „Dann wird dein Herz mit dem verjüngenden Wasser zufrieden sein.“ Im Grab des Rechmire (de Garis Davis 1943, Taf. 86, Z. 9) steht stattdessen „Dein Herz möge sich mit dem erneuernden Wasser waschen.“

8 Vgl. Neferhotep, Z. 133 und DZA 50.137.500: „Möge dein Herz mit der Reinigung zufrieden sein“ (zerstört bei Amenemhab und bei Qenamun). Auf Papyrus British Museum EA 10819 steht „Möge dein Herz mit der Erfrischung/Libation zufrieden sein.“


[10] Die Überschwemmung möge ins [Innere deines Bauches] fließen.
Dann/Daraufhin wird [dein] Durst gelöscht werden.
Der Rindervorderschenkel [werde abgeschlagen/abgeschnitten] als deine Nahrung (Var: für deinen Ka)1 und ḥꜣtj-Herz[en für deine Mumie/edle Gestalt], so wie das, [15] was für jeden Gott und jede Göttin getan wird. [Sie] sind [rein]2 als (?) deine Speisen (oder: für deinen Ka).
Daraufhin wirst du in das Haus der jb-Herzen eintreten, (und) in die Gebäude, die mit den ḥꜣtj-Herzen gefüllt sind.3
Mögest du das Deinige nehmen und mögest du es an seinen Platz stellen, ohne dass Du vor ihm zurückweichst (oder: ihm verloren gehst).4
Vier bj.t-Brote (?)5, die Nahrung6 des Re am frühen Morgen; Wasser gießen (?).
[20] Osiris, den Herrn der Beiden Länder, aufwecken.7
Worte zu sprechen [am (?)] Festtag (?).8

1 Ist hier mit dem Brotdeterminativ geschrieben, als ob man „als deine Nahrung“ lesen muss. Bei Rechmire und Neferhotep steht einfach „für deinen Ka“.

2 Vgl. Neferhotep, Z. 137 und DZA 50.137.500. Die Lesung „rufen“ bei Demarée passt nicht zu den Spuren und das Determinativ würde fehlen.

3 Textparallele im Grab des Neferhotep (Hari 1985, Taf. 34, Z. 137–139 und DZA 22.802.980). Siehe auch Totenbuch des Qenna (J. van Dijk, Entering the House of Hearts: An Addition to Chapter 151 in the Book of the Dead of Qenna, in: Oudheidkundige Mededelingen vit het Rijksmuseum van Oudheden 75, 1995, 8–9) sowie das Grab des Baki (TT 298) (B. Bruyère, Rapport sur les fouilles de Deir el Médineh (1927), Fouilles de l'Institut français d'archéologie orientale 5/2, Le Caire 1928, 88–89, 92–93: hier 92–93 mit Abb. 61 („bande ouest“) = KRI I, 370.16–371.1). Im Grab des Meryneith in Saqqara ist nur das letzte Wort des Satzes erhalten.

4 Textparallele im Grab des Neferhotep (DZA 50.137.510), im Totenbuch des Qenna, im Grab des Baki (TT 298) und im Grab des Meryneith, Z. 13 (Variation).

5 Assmann 2005, 135 und DZA 50.137.510 übersetzen die Stelle bei Neferhotep als „Du gehst deiner bj.t-Brote nicht verlustig.“

6 Eine Parallele für die letzten Zeilen des Ostrakons gibt es nur noch auf Papyrus British Museum EA 10819, allerdings findet sich dort nicht das Substantiv „Nahrung“, sondern das Verb „eintreten“.

7 Die ganze Stelle lautet auf Papyrus British Museum EA 10819, Frame 2, Kol. 1.11–12 ein wenig anders: „Mögest du es an seinen Platz stellen, ohne dass du von den vier bj.t-Broten zurückweichst, nachdem Re am frühen Morgen eingetreten ist. Mit Wasser begießen. Den Osiris NN aufwecken.“

8 Es ist eigentlich kein Platz da, um einen Personennamen in der Lücke am Ende von Z. 20 zu ergänzen. Im Grab des Neferhotep (Z. 125) wird vor dem Spruchtitel das Festdatum des IV. ꜣḫ.t 25 erwähnt, d.h. das osirianische Fest des 25. Choiak. Die am Anfang des Spruchs genannten Pflanzen spielen eine Rolle beim Sokarfest.