Ostrakon Petrie 7 = Ostrakon London UC 39610

Metadaten

Alternative Namen
oUC 39610; H.O. 3.2
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte K-N) » London » Petrie Museum of Egyptian Archaeology

Inventarnummer: 39610

Erwerbsgeschichte

Über die genauen Fund- und Erwerbsumstände des Ostrakons ist nichts publiziert. Gardiner schreibt lediglich, dass Petrie um 1907 herum eine große Anzahl an Ostraka („extensive series“) für die Edwards Library des University College angekauft hatte. Da sich Gardiner selbst ab 1907 für Ostraka interessierte, lud Petrie ihn ein, sich mit den Ostraka der Edwards Library zu beschäftigen. Nach Gardiners Rückkehr aus Berlin nach London im Jahr 1911 lagerte er Petries Ostraka zusammen mit seiner Privatsammlung in seinem Haus für weitere Studien. Während des Zweiten Weltkriegs sandte sie Gardiner an das University College zurück (Černý – Gardiner 1957, v-vii).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Gardiner schreibt, dass bis auf eine Ausnahme alle Ostraka, die er 1957 gemeinsam mit Černý publiziert, eine thebanische Herkunft haben (Černý – Gardiner 1957, v).

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Gardiner schreibt, dass alle Ostraka, die er 1957 gemeinsam mit Černý publiziert hat, zwischen der 18. und 20. Dynastie datieren (Černý – Gardiner 1957, v). Westendorf gibt für den Haupttext der Geschichte von Isis und Re auf pTurin CGT 54051 eine Zeit der Niederschrift in der 19. Dynastie, um 1290-1200 v. Chr. an (Westendorf 1999, 72). Dagegen schlägt Roccati 2011, 252–253 eher die zweite Hälfte der 20. Dynastie vor.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Der Text ist eine Parallele zum Beginn der Erzählung von Isis und Re (s. dazu pTurin CGT 54051). Erhalten sind nur noch die ersten Sätze; für eine Überschrift oder Einleitung war kein Platz vorhanden. Der Text handelt in der Langfassung von einer mythischen Erzählung, in der Isis den alternden Sonnengott heimlich vergiftet, um so an seinen geheimen Namen zu gelangen – unter dem Vorwand, ihn mit dessen Hilfe heilen zu können. Diese mythische Erzählung wird aber nicht um ihrer selbst willen erzählt, sondern dient als mythischer Präzedenzfall, als sogenannte Historiola. Die Nachschrift des Turiner Papyrus zeigt, dass der Spruch, in den die Historiola eingebettet ist, der Heilung eines von einem Skorpion Gestochenen diente: „Das bewirkt die Vernichtung des Giftes, wirklich vorzüglich, millionenfach erprobt!“

Obwohl denkbar ist, dass das Ostrakon Petrie 7 noch weitere Zeilen enthielt, kann es unmöglich den gesamten Text enthalten haben.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Die parallele Langfassung auf pTurin CGT 54051 ist als magischer Text konzipiert, der über einer Zeichnung von vier Gottheiten gesprochen werden soll, um sie magisch aufzuladen. Die Zeichnung wiederum soll dann einem vom Skorpion Gestochenen an den Hals gegeben werden, d.h. soll als Amulett dienen. Außerdem soll ein heilendes „Skorpionkraut“ in Bier oder Wein zerkleinert und diese Mischung getrunken werden. Der Spruch ist also von kurativer statt präventiver Natur.

Wie die kurze Version von oPetrie 7 in diesen Kontext passt, ist unsicher, zumal es nur ein paar Sätze der Einleitung enthielt. Daher könnte das Ostrakon ein reiner Übungstext sein, dessen Inhalt wegen seines literarischen Charakters ausgewählt wurde (dafür sprechen bspw. die Verspunkte). Es könnte aber vielleicht auch als Gedächtnisstütze für einen Magier gedient haben.

Material
Künstliche Materialien » Keramik
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Das Ostrakon ist 14 cm breit und 11,2 cm hoch und aus roter Nilschlammkeramik. Es enthält auf seiner konvexen Seite (Recto) sechs unvollständige Zeilen eines in schwarzer Tinte geschriebenen hieratischen Textes; das Verso ist nicht beschriftet. In den ersten drei Zeilen fehlen am Anfang etwa zwei Schreibquadrate; ab der vierten Zeile fehlt auf beiden Seiten ein längeres Stück. Der Text hörte vermutlich nicht mit der sechsten und letzten erhaltenen Zeile auf.

Schrift
Hieratisch

Neuhieratische Buchschrift ohne Rubra, aber mit Verspunkten.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Im erhaltenen Textstück sind nur Wortschreibungen und Konstruktionen erkennbar, die als Mittelägyptisch einzustufen sind. Orthographisch oder grammatische neuägyptische Besonderheiten liegen nicht vor.

Bearbeitungsgeschichte

Das Ostrakon wurde im Rahmen der Textaufnahme des Berliner Wörterbuchs aufgenommen (DZA 31.877.550), und spätestens bei der Ausarbeitung des Wörterbuchs wurde der Text als eine Parallele von pTurin CGT 54051 erkannt. Erst Černý und Gardiner publizieren 1957 ein Faksimile und eine hieroglyphische Umschrift. Übersetzungen des magisch-mythologischen Textes finden sich im Rahmen der Gesamtbearbeitung der Geschichte von Isis und Re. Eine Textsynopse der verschiedenen Textkopien dieser Geschichte lieferte Roccati 2011.

Editionen

- Černý, J. – Gardiner, A. H., Hieratic Ostraca I (Oxford 1957), 1 und Taf. 3-3a (Nr. 2)

Literatur zu den Metadaten

- Černý – Gardiner 1957: A. H., Hieratic Ostraca I (Oxford 1957).
- Roccati 2011: A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011).
- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999).

Autoren
Dr. Lutz Popko
Autoren (Metadaten)
Dr. Lutz Popko

Übersetzung und Kommentar

Recto

[1]1[Ein Spruch des göttlichsten Gottes, der aus sich selbst entstand, des Schöpfers von Himmel und Erde, [von Wasser und Atem] des Lebensfeuers, von Göttern und Menschen, Klein- und Großvieh (oder: von Wild- und Haustieren?), von Gewürm, Geflügel [und Fischen.] Die Herrschaft über Götter und Menschen war [5][eine Einheit für einen Zeitraum] von vielen Jahren. [Man kannte] nun2 [seinen Namen nicht]. Er konnte [viele] Formen annehmen.3 [---]

1 Oberhalb der Zeile ist genügend Freiraum erhalten, um feststellen zu können, dass die erste erhaltene Zeile auch die ursprünglich erste des Ostrakons war. Für die einleitende Überschrift der Parallele ist kein Platz.
Da die Zeilen sowohl links wie auch rechts abgebrochen sind, erfolgt die Angabe des Zeilenumbruchs nur ungefähr. Doch zumindest am Ende von Zeile 2 verläuft die Bruchkante des Ostrakons so nach schräg links weg, dass man wohl noch einen Rest des komplementierenden n erwarten dürfte, wenn der Anfang von mnmn.t noch dort gestanden hätte. Daher dürfte der Zeilenwechsel vor mnmn.t als relativ sicher gelten. Das deckt sich auch mit der Länge der Lücke am Beginn von Zeile 1.
Da am Ende von Zeile 3 das letzte Wort sogar noch etwas weiter links aufhört als dasjenige von Zeile 2, wird man vielleicht annehmen dürfen, dass die linke Bruchkante auf Höhe der ersten drei Zeilen die originale war und damit bei ihnen bis vielleicht auf eine kleine Abplatzung in Zeile 1 die Zeilenenden komplett sind.

„nun“: Im Original stehen die beiden Partikel jsk gr; vgl. zu ihrer Kombination die kurzen Bemerkungen bei E. Oréal, Les particules en égyptien ancien. De l’ancien égyptien à l’égyptien classique, Bibliothèque d’étude 152 (Le Caire 2011), 229-231 und 244-245. Ein Rückbezug auf Vorheriges, wie sie ihn im älteren Gebrauch der Partikel feststellt, ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar. Vielmehr dürfte hiermit der eigentliche Beginn der Historiola bzw. ihre Ausgangslage geschildert worden sein, nachdem die vorherigen Sätze nur das generelle Setting umschreiben. Damit wäre diese Variante konsequenter als die vollständigere Version des pTurin CGT 54051, die diesen und die folgenden Sätze auslässt und dadurch erst mit jstw Ꜣs.t einen stilistischen Einschnitt markiert.
Zur Ergänzung s. den Kommentar zum folgenden Satz.

3 Die Wortfolge jri̯=f ḫpr.w findet eine Parallele in der Version von oIFAO 1263, s. A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 136.224-225; darauf basiert auch die zusätzliche Ergänzung von ꜥšꜣ.wt. (Dieser Satz fehlt in der Version von pTurin CGT 54051.) Die betreffende Passage von oIFAO 1263 lautet vollständig: nn rḫ=tw rn=f jw=f jri̯=f ḫpr.w ꜥšꜣ.w: „Man kannte seinen Namen nicht. Er konnte viele Formen annehmen.“ Es ist etwas unsicher, ob diese Sätze so auch auf oLondon UC39610 gestanden haben, nur eben erweitert um jsk gr. Der Platz würde ungefähr ausreichen, aber ob die Partikel jsk gr an dieser syntaktischen Stelle stehen kann, bliebe zu verifizieren.
Es ist nicht eindeutig, ob sich das Pronomen „er“ auf den Gott oder dessen Namen bezieht.