Kapelle des Thoth-Ibis in Dendara

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Dendara » Hathorbezirk

Heute noch in situ in der nordöstlichen Ecke der Umfassungsmauer des Hathortempels: Eine Türlaibung wurde in situ stabilisiert, die zweite wurde daneben auf einer Bankette aus gebrannten Lehmziegeln abgelegt.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » zwischen Abydos und Theben » westliches Ufer » Dendara

Zu einem unbekannten Zeitpunkt (vielleicht 1910–1920) bei Sebach-Arbeiten in der nordöstlichen Ecke der großen Umfassungsmauer des Hathorkomplexes in situ gefunden. Nur die beiden Türlaibungen haben sich erhalten, nicht der Türsturz. Vom Lehmziegelgebäude, in das die Laibungen eingefasst waren, ist nur noch ein minimaler Mauerrest vorhanden, der die südliche Laibung stützt.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Griechisch-Römische Zeit » Hellenistische Zeit » Ptolemäerzeit » Ptolemaios I. Soter I.

Die Kartuschen der Ritualszenen sind auf den Namen von Ptolemaios I. und Berenike I. datiert. Die Kapelle wurde von einem Tempelbeamten oder Priester namens Hor als Restaurierungsarbeit gestiftet.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Zusätzlich zu den gängigen Ritualszenentypen auf der Fassade der Türlaibungen findet sich ein kurzer magischer Text im Durchgang. Dieser Text fängt mit dem Titel eines Spruchs zur Abwehr des Bösen Blicks an. Der Spruch selber ist eine direkte Rede der Göttin Isis. Sie beschreibt ihre Augen als mit grüner und schwarzer Augenschminke versehen (d.h. sie sind geschützt und wirkmächtig). Sie sei aus dem Himmel gekommen, um den Bösen Blick von diesem „Haus“ abzuwehren. Der Schutz (?) gelte zu jedem Zeitpunkt von Tag und Nacht und der (in der Kapelle wohnende?) lebende Ibis sei siegreich gegen allen Feinde. Der Spruch sei vier Mal zu wiederholen (d.h. in allen vier Windrichtungen). Laut Cauville (1989, 54–55) bezieht sich die Beschreibung der Augen nicht auf Isis, sondern auf Horus, und ist es nicht Isis, die aus dem Himmel gekommen ist, sondern Thoth. Aber in dieser Interpretation würde Isis sich nur als „Ich bin Isis, die Große, die Gottesmutter, von allen Göttern geliebt“ zu erkennen geben, während mit den weiteren Pronomina der 1. Pers. Sg. uneingeleitet Horus und dann Thoth sprechen würden. Das erscheint unwahrscheinlich.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Die Kapelle steht ca. 70 m östlich der Tempelachse des heutigen Hathortempels (gebaut ab Ptolemaios XII.) in Höhe des Vorhofgeländes und ist zur Tempelachse hin orientiert (zur Position siehe die Lagepläne bei Zignani 2010, 32; Marouard 2016, 11, Nr. 14). Allerdings steht sie in einem Gebiet, das durch eine hohe Lehmziegelmauer vom Vorhof des Hathortempels abgetrennt ist. Sicherlich war die ursprüngliche Lage in etwa die gleiche zur Zeit des Vorgängerbaus des Hathortempels, für den Nektanebos I. ein Geburtshaus errichten ließ, denn die Lehmziegelmauer ist aus dem frühen Mittleren Reich und wurde in der 25. Dynastie komplett restauriert (Zignani 2010, 68 und 73; Marouard 2016, 11–13; Marouard 2017, 174 Fig. 12), während die heutige große Umfassungsmauer des Hathorkomplexes aus der Zeit Nektanebos’ I. (Marouard 2015, 8, 13) bzw. die Nordmauer frührömisch (Zignani 2010, 75–76) ist. Zur Zeit Ptolemaios’ I. lag die Kapelle also schon innerhalb der großen Umfassungsmauer, jedoch etwas mehr als 40 m außerhalb des Hathorkomplexes. Das Gebiet ist noch nicht genauer untersucht und wegen der Sebach-Arbeiten sind viele Mauern und Fundamente verloren, aber man könnte hier gerade wegen der Kapelle einen Tierkultbereich vermuten. Die Kapelle war wahrscheinlich Harsomtus und/oder Thoth gewidmet und spielte eine Rolle im Tierkult der heiligen Ibisse. Der magische Spruch gegen den Bösen Blick musste vielleicht den Zugang zur Kapelle auf magische Weise schützen. Cauville (1989, 66) vermutet, dass sich in der Kapelle eine Ibisstatue befunden hat, die für magische oder mantische Zwecke genutzt wurde.

 

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Architektur » Gebäude & Konstruktionen » Kapellen
Objektteil
Tür
Technische Daten

Die beiden Türlaibungen bilden eine Fassade von 1,85 m Breite für eine Kapelle mit einer Ost-West Achse und einer zum Westen hin orientierten Fassade. Die Laibungen sind je 2,10 m hoch und 50 cm breit, darüber sind ein Türsturz und eine Hohlkehle zu rekonstruieren. Ein Türdurchgang von 85 cm Breite führte in das Innere der Kapelle. Abarbeitungsspuren an der Innenseite der südlichen Laibung lassen einen Innenraum von ca. 1,10 m Breite vermuten. Cauville nimmt an, dass er etwa 1 m tief war. Die Seitenwände und die Rückwand der Kapelle waren aus Lehmziegeln, ein kleiner erhaltener Mauerrest ist 60 cm dick. Verschlossen wurde die kleine Kapelle durch eine halbhohe Tür (Türangellager an der linken/nördlichen Laibung aus Besucherperspektive). Im Durchgangsbereich sind die oberen 80 cm der Laibungen dekoriert, die Tür kann daher nicht höher als 1,30 m gewesen sein. Die Fassaden sind jeweils mit einem Soubassementdekor und drei Ritualszenen versehen, im Durchgang finden sich eine biographische Inschrift (nördliche Laibung, oberhalb der Türangel) und ein Spruch gegen den Bösen Blick (südliche Laibung, oberhalb des Türriegellochs).

Schrift
Hieroglyphen

Eingeschnittene Hieroglyphen, teilweise stark verwittert.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » traditionelles Mittelägyptisch

Das Fehlen einer Endung im Pseudopartizip 3. Sg. Fem. und die Verwendung des Definitartikels in der Orthographie p statt pꜣ sprechen für eine Redaktion des Textes im 1. Jt. v. Chr.

Bearbeitungsgeschichte

Die beiden Türlaibungen wurden von S. Cauville im Jahr 1989 mit hieroglyphischen Abschriften, Übersetzungen und Kommentaren publiziert. Der Spruch gegen den Bösen Blick wurde von Fischer-Elfert 2014 transkribiert und neu übersetzt.

Editionen

- Cauville 1989: S. Cauville, La chapelle de Thot-Ibis à Dendera édifiée sous Ptolémée Ier par Hor, scribe d’Amon-Rê, in: Le Bulletin de l’Institut français d’archéologie orientale 89, 1989, 43–66 und Taf. II–VII.

Literatur zu den Metadaten

- Coulon 2012: L. Coulon, le temple de Karnak: Lieu de guérison. À propos d’une chapelle d’époque kouchite dédiée à Osiris Sauveur, in: Egypte, Afrique & Orient 67, 2012, 49–58, hier: 55.

- Fischer-Elfert 2014: H.-W. Fischer-Elfert, Ein Spruch gegen den Bösen Blick in Meroe: Anmerkungen zur Bronzeschale Boston MFA 24.900 aus Grab S 155 der Südnekropole, in: Orientalia 83/1, 2014 (= E. M. Ciampini – F. Contardi – G. Rosati (Hrsg.), Ex amicitia... Egyptological Studies offered to Alessandro Roccati by some of his colleagues), 31–49, hier: 34, Nr. 2.2.

- Marouard 2016: G. Marouard, Excavating in the Shadow of Hathor, Mistress of Dendara. Overview of the Site and Preliminary Results of the 2015 Oriental Institut Mission, in: The Oriental Institute. News & Notes 229, 2016, 4–16.

- Marouard 2017: G. Marouard, Dendara at Its Origins, in: Near Eastern Archaeology 80/3, 2017, 166–175.

- Zignani 2010: P. Zignani, Le temple d’Hathor à Dendara. Relevés et étude architecturale, Bibliothèque d’étude 14 (Le Caire 2010).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Abwehr des Bösen Blicks

Spruch zur (wörtl.: der) Abwehr des Bösen Blicks. Worte zu sprechen:
Ich bin Isis, die Große, die Gottesmutter, von jedem Gott geliebt.
Mein rechtes Auge ist gefüllt mit grüner Augenschminke.
Mein linkes Auge [ist gefüllt mit schwarzer Augenschminke1. Ein ...] aus Papyrus/Grünstein (?) verbleibt/liegt auf meinem Kopf.
Ich bin aus dem Himmel gekommen und ich bin am Horizont hervorgekommen, um den Bösen Blick von diesem Haus/Tempelareal abzuwehren.
Der [... ... ...] in der Nacht, am Tage, zu jedem Zeitpunkt eines jeden Tages.
Der lebende Ibis ist siegreich (wörtl.: in Rechtfertigung) gegen alle Feinde.
Vier Mal (zu wiederholen).

1 Ergänzt gemäß Cauville 1989, 55. Cauville hat die Parallele in Papyrus Turin Cat. 1995 = CGT 54050, Rto Kol. 2.45 = Roccati, Magica Hieratica, 23 und 9495 § 2728 schon identifiziert.