Projekt
Am 1. Januar 2013 konnten die Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften und die Sächsische Akademie der Wissenschaften gemeinsam ein neues Projekt starten, das von Bund und Ländern im Rahmen des Akademienprogramms finanziert wird: „Strukturen und Transformationen des Wortschatzes der Ägyptischen Sprache. Text- und Wissenskultur im Alten Ägypten“. Während das am 31. Dezember 2012 abgelaufene Projekt: „Altägyptisches Wörterbuch“ an die große Wörterbuchtradition von Adolf Erman und Hermann Grapow anknüpfte und in diesem Rahmen das damals neuartige Format der digitalen und annotierten Textdatenbank als Vorarbeit zu einem (digitalen) Wörterbuch wählte, tritt diesmal der Wortschatz selbst mit in den Vordergrund. Dabei konzentriert sich das Leipziger Teilprojekt auf das Corpus der Wissenstexte und die zugehörigen Fachwortschätze für die Wortschatzstrukturierung. Damit soll die Infrastruktur dafür geschaffen werden, zwei Forschungsfragen nachgehen zu können. Die erste Frage lautet: Wie sind die altägyptischen Wörter beschaffen und welche Verbindungen gehen sie miteinander auf der Ebene der Bedeutung ein? Oder anders formuliert: Was sind die Strukturen des Wortschatzes der ägyptischen Sprache? Die zweite Frage ist: Welche Veränderungen treten im Laufe der Zeit im Wortschatz des Ägyptischen auf? Oder: Welche Transformationen macht der Wortschatz? Das primäre Ziel ist dabei, eine Tür zum altägyptischen Wissen und Denken zu öffnen. Der Mensch benennt seine Wahrnehmungen, indem er verschiedene Gegenstände, Phänomene und Aktivitäten in Wörtern und Umschreibungen ausdrückt. Wenn eine Sprache für ein bestimmtes Phänomen keinen Ausdruck findet, dann hat es die Sprechergemeinschaft nicht als eine selbständige Entität eingestuft.
hieroglyphisch |
demotisch |
koptisch |
Begriffserweiterung: | ||
ṯz: „Wirbel“ |
⇒ ṯse(.t): „Rückenknochen; Rücken“ |
⇒ ϫⲓⲥⲉ: „Rücken, Rückgrat" (vgl. ⲕⲁⲥ ⲛⲧϫⲓⲥⲉ: „Knochen vom Rückgrat, Wirbel“) |
Begriffseinengung: |
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wg.t: „Unterkiefer“ | ⇒ (?) | ⇒ ⲕⲉⲗⲟⲩⲟⲛϫϥ: „Verbindung des Unterkiefers“ = „Kinnbacken, Unterkiefer“ |
Bedeutungsverschiebung: |
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mḥꜣ: „Hinterkopf“ mkḥꜣ: „Hinterkopf, Genick“ |
⇒ mqḥ: „Hinterkopf, Nacken, Hals“ | ⇒ ⲙⲁⲕϩ: „Nacken, Hals“ |
Wortverlust: |
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ꜥ: „Unterarm + Hand“ ⇒ „Arm, Hand“ | ⇒ nur noch im Dual: ꜥ.wy: „die beiden Arme“ |
Ø |
Wortneuschöpfung durch Übernahme eines Fremdwortes: |
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Ø | Ø | (griech. ἰσχίον ⇒) ⲡⲉⲥⲭⲓⲟⲛ: „Hüfte“ |
Wortneuschöpfung durch Zusammensetzung: |
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Ø | ⇒ qrqḥ: „Ellbogen; Hüftgelenk (???)“ |
⇒ ⲕⲉⲗⲉⲛⲕⲉϩ: „Ellbogen“ |
Wortneuschöpfung durch Bedeutungsverschiebung: | ||
(swḥ.t: „Ei“) | ⇒ ⲥⲟⲟⲩϩⲉ: (u.a.) „Schädeldecke“ |
Abb. 1: Veränderungen im Fachwortschatz, hieroglyphisch, demotisch, koptisch.
Die Betrachtung der An- oder Abwesenheit von Wörtern im Ägyptischen im Vergleich zum Deutschen ist also eine Möglichkeit, beide Sprachkulturen einander gegenüberzustellen. Dazu muss der ägyptische Wortschatz zuerst nach unterschiedlichen Parametern klassifiziert und strukturiert werden, damit ersichtlich wird, ob und wo sich Lücken (in der Überlieferung) oder Leerstellen im System (im Vergleich zum Deutschen) bemerken lassen. Dieses System ist dabei jedoch nicht statisch und unterliegt sowohl innerhalb der gleichen Zeitstufe als auch durch die Jahrhunderte hindurch verschiedenen Transformationen. Die Veränderungen im Wortbestand (alte Wörter sterben aus, neue werden gebildet, Fremdwörter werden importiert) und in der Wortbedeutung sind schließlich Hinweise darauf, dass nicht nur die Sprache, sondern auch die altägyptische Sprechergemeinschaft und ihre Kultur sich veränderten.
Die Reihenfolge, in der die einzelnen Wissensbereiche und zugehörigen Fachwortschätze im Rahmen des Leipziger Projektes behandelt werden, orientiert sich am folgenden Leitfaden, der beim altägyptischen Menschen und seinem Körper als Referenzobjekt anfängt und in die Welt hinausgeht: Das erste Modul (altägyptische Medizin) bearbeitet die ausschließlich auf den menschlichen Körper als Mikrokosmos angewandten Diagnostiken und Therapien. Das zweite Modul (altägyptische Magie) erfasst den Körper auch in seiner numinos-psychologischen bzw. dämonologischen Dimension. Danach wird der Blick nochmals erweitert auf die makrokosmische und astronomische Einbindung des Körpers, seine Beeinflussung durch z.B. stellare Entitäten (drittes Modul: altägyptische Mantik und Divination mit den dafür erforderlichen Teilbereichen Traumdeutung, Astronomie und Astrologie, Kalendarik und Mathematik). Schließlich erfasst das vierte Modul das geographische Umfeld des Menschen sowie die naturwissenschaftlichen Quellen abseits des Menschen als Referenzobjekt (Chemie/Alchemie, Botanik, Zoologie). Dieses ganze Wissen in Bezug auf seine Umwelt hat der Alte Ägypter schon früh auch philologisch, genauer gesagt lexikographisch aufbereitet, d.h. exzerpiert, strukturiert und gebündelt, zuerst in Wortlisten (den sogenannten Onomastika) und später in Priesterhandbüchern oder Priesterenzyklopädien. Diese philologischen Texte bilden den Abschluss der Leipziger Arbeitsmaterialien.