Papyrus Boulaq 6

Metadaten

Wissensbereiche
Schlagwörter
Alternative Namen
CG 58039A-G JE (?) 18047 Trismegistos TM 755014
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Kairo » Egyptian Museum

Inventarnummern:
CG 58039A-G
JE (?) 18047

Erwerbsgeschichte

Der Papyrus wurde in 6 Teile zerschnitten und auf Pappe aufgeklebt (Koenig 1981, 1), die irgendwann nach dem Umzug vom Museum von Boulaq ins Ägyptische Museum die Nummern CG 58039A bis 58039F bekamen. Eine siebente Papptafel CG 58039G enthält 30 Fragmente vom Anfang des Textes, darunter viele sehr kleine Schnipsel, die bislang nicht in eine Reihenfolge gebracht sind. Laut Koenig (1981, 2) ist auf den Papptafeln eine weitere Nummer 18047 geschrieben, deren Bedeutung nicht erläutert wird.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Scheich Abd-el-Gurna » Asasif

Laut Mariette (1871, 10; vgl. 7) wurde der Papyrus im Assassif (vor Deir el-Bahari) unter dem Kopf einer Mumie gefunden, während ein weiterer Papyrus von 2,5 m Länge, aber gänzlich unbeschriftet, neben dem ersten lag. Mariette schreibt, dass die Mumie keinen Namen hatte. Anscheinend war die Mumie also nicht in einem beschrifteten Sarg oder einer beschrifteten Kartonnage bestattet. Aus der Beschreibung von Mariette geht nicht eindeutig hervor, ob der Fund bei regulären Grabungen getätigt wurde oder nicht.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 21. Dynastie

Der Text datiert paläographisch in die 21. Dynastie (Koenig 1981, 5). Einige im Text verwendeten Orthographien und grammatische Formen sprechen ebenfalls für diese Zeit.

Textsorte
Sammelhandschrift
Inhalt

Der Papyrus ist eine Sammelhandschrift mit mehreren Sprüchen zu unterschiedlichen Themen. An drei Stellen sind die Wörter „ein anderer Spruch“ (Fragm. 6.C.1 (?), Kol. 2.1, Kol. 3.8) vorhanden, d.h. es ist von mindestens vier Sprüchen auszugehen (der erste mit einem nicht erhaltenen Spruchtitel), wahrscheinlich jedoch eher von sechs, wobei die letzten zwei Sprüche (ab Kol. 5.1 und 8.1) nicht mit einer Spruchmarkierung, aber jeweils auf einer neuen Seite anfangen und auch durch abweichende Inhalte und Schreibertraditionen abgetrennt werden können. Der Anfang mit dem Buchtitel ist nicht erhalten. Dieser wird hier als Spruch 1 (oder eher x+1) bezeichnet, obwohl vermutlich mehr als ein Spruch (siehe Fragm. 6.C.1) vorliegt. Er betrifft Isis und Horus, aber der Inhalt lässt sich kaum genauer bestimmen.
Kolumne 2 fängt mit den Worten „ein anderer (Spruch)“ an, d.h. Spruch 2 (oder eher x+2: Kol. 2.1–3.8) handelt vom gleichen Thema wie Spruch 1. Horus ruft seine Mutter Isis zur Hilfe, die um ihren Ehemann trauert. Horus ist „beengt“ und kann nicht sprechen. Es ist von Feuer die Rede. Ein Stück weiter im Text, nach einem Absatzwechsel (Kol. 2.5), ist der Patient „in Bedrängnis“. Dies erinnert an Lähmungserscheinungen infolge eines Schlangenbisses oder Skorpionstiches. Aber zugleich wünscht er „vor den Mauern“ (d.h. dem Gefängnis?) gerettet zu werden und nicht vor Gericht zu stehen. Laut Quack verhält der Sprecher sich wie ein korrekter Verwalter, der sich einer Anschuldigung bezüglich seiner Amtsführung ausgesetzt sieht. Inhaltlich wird zunächst eine kosmische Katastrophe ausgemalt, während der Zauberer später eine Götterbedrohung ausspricht, falls Isis den Patienten nicht rettet.
Spruch 3 (Kol. 3.8–4.7) stammt aus einem Buch gegen Kopfschmerzen. Der Zauberer identifiziert sich mit der Stirnschlange des Re, die mit ihrem Zauber den Kopfschmerzdämon aus dem Kopf des Patienten vertreibt.
Spruch 4 (Kol. 5.1–7.8, ohne Spruchtitel) fängt auf einer neuen Seite an und hat zunächst eine durch rote Punkte markierte Gliederung. Das Thema ist Gift: Horus wurde von einer Schlange gebissen oder von einem Skorpion gestochen. Isis stößt einen Schrei der Verzweiflung aus, die eine kosmische Erschütterung verursacht, als sie den Gebissenen vorfindet und ihn zu retten versucht. Anschließend erkennt man an die Formulierung „andere Lesart“, dass der Spruch aus verschiedenen Handschriften mit unterschiedlichen Traditionen zusammengesetzt wurde, denn nach der varianten Handschrift ist Horus allein in die Wüste gezogen, als er gebissen wurde. Wie Isis ihn findet, ist unklar, aber sie identifiziert das Gift als die Göttin Bastet, das bzw. die den Leib eines Zwerges befallen hat. Der Zwerg ist der jugendliche Sonnengott, zugleich der Patient und „(Herr) NN, den (Frau) NN geboren hat“. Isis befiehlt dem Gift Bastet, das Herz bzw. die Glieder des Re zu verlassen. Für den Fall, dass das Gift nicht gehorchen sollte, droht Isis mit einer Götterbedrohung.
Spruch 5 (Kol. 8.1 bis Vso 1, ohne Spruchtitel) ist ein langer Spruch zum Erlangen von „Gunst“ und „Beliebtheit“. Dabei spielt Amun, der in Nubien war, eine positive Rolle. Ab Kol. 10.2 verändert sich der Ton und der Spruch besteht ab jetzt aus Droh- und Abwehrformeln gegen jemanden, der gegen den Begünstigten vorgehen möchte. Der Zauberer droht dabei mit kosmischen Katastrophen und er droht, geheime Sachen und Namen auszusprechen.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Der Text ist eine Spruchsammlung zu verschiedenen Themen, der von verschiedenen Schreibern zusammengetragen wurde. Das niedrige Format und die mäßige Qualität passen nicht zu einer Handschrift einer Tempelbibliothek. Man könnte mutmaßen, dass sie in einer privaten Bibliothek eines Magiers aufbewahrt, vervollständigt und weitertradiert wurde. Koenig (1981, 1) fragt sich mit dem nötigen Zweifel, ob der Fundort unter dem Kopf einer Mumie mit dem Spruch gegen Kopfschmerzen (Spruch 3) zusammenhängen könnte, was doch eher unwahrscheinlich ist. Spruch 4 (?) gegen Gift stammt aus einem Vorlagenhandbuch zugunsten von „(Herrn) NN, den (Frau) NN geboren hat“. Der lange letzte Spruch zum Thema Gunst und Beliebtheit erlaubt die Vermutung, dass der Text spätestens zu diesem Zeitpunkt im Umfeld eines Mitglieds der Elite genutzt wurde, der sich die Gunst des Königs sichern wollte und sich Sorgen machte, dass Rivalen Intrigen gegen ihn schmieden könnten.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schriftrolle
Technische Daten

Die Papyrusrolle ist 11,1 cm hoch, was vermutlich als Viertelformat einer 47 bis 48 cm hohen vollformatigen Rolle (so Koenig 1981, 4) zu verstehen ist. Die totale Länge der Einzelblätter beträgt heute noch 199,5 cm. Die Rolle war schon einmal beschriftet gewesen und wurde wiederverwendet. Koenig (1981, 4) nennt Spuren von Wiederverwendung in den Kol. 4 und 8, aber das wäre für den ganzen Text anzusetzen, denn ansonsten hätte man es mit einem aus Einzelteilen zur Zeit der zweiten Beschriftung neu zusammengeklebten Papyrus zu tun. Die Einzelseiten sind zwischen 17,5 und 20,6 cm breit (Koenig 1981, 4; ob mit oder ohne Klebestreifen?). Die Breite der Textkolumnen entspricht der der Einzelseiten. Die Textzeilen gehen normalerweise nicht über die Klebung hinweg. Oberhalb des Textes ist ein leerer Streifen von 7 bis 17 mm, unterhalb von im Schnitt 20 mm. Die 30 Fragmente von Tafel G gehören von der Schreiberhand und vom Inhalt zu schließen zum Anfang des Textes (Koenig 1981, 13).

Schrift
Hieratisch

Mindestens drei verschiedene Schreiberhände. Der Text datiert paläographisch in die 21. Dynastie, wobei die Hände teilweise ziemlich kursiv und nicht einfach zu lesen sind. Einige Zeichenformen ähneln die Schreiberhand des Totenbuchs der Königin Nedjemet (frühe 21. Dynastie), andere die der Oracular Amuletic Decrees (21.–22. Dynastie). In den Kol. 1 (nur Fragmente erhalten) bis 3 (Z. 8) sind ganze Textpassagen in roter Tinte geschrieben, allerdings ein wenig inkonsistent. Soweit erkennbar sind in Kol. 1 die Sätze am Anfang und am Ende in roter Tinte. Die wenigen identifizierbaren Wörter lassen allerdings keinen inhaltlichen Unterschied zwischen den roten und schwarzen Sätzen erkennen. Kol. 2 mit einem neuen Spruch fängt ebenfalls gleich mit dem Rubrum für den Spruchtitel an, und auch die daran anschließende Beschreibung der bedrohlichen Situation ist noch rot. Die nächste Passage, die mit einem Hilferuf einsetzt, ist wieder schwarz. Später im Text ist erneut eine kosmische Bedrohung in roter Tinte gesetzt, aber auch der anschließende Hilferuf und die imperativischen Aufforderungen, zu helfen, sind weiterhin rot. Als Kontrast ist dann wieder die kurze Zusammenfassung, dass es Horus nicht gut geht, schwarz, während die letzten Sätze mit der bedrohlichen Situation erneut in roter Tinte enden. An einer Stelle hat der Schreiber einen Abschnittswechsel (ein Pausenzeichen) in roter Tinte eingefügt. Ob der nächste Spruch ab Kol. 3.8 vom gleichen Schreiber oder von einem anderen Schreiber geschrieben wurde, ist noch nicht ganz klar, jedenfalls wird ab jetzt fast gänzlich auf Rubren verzichtet. Kol. 4, 6, 8, 9–10 und die Rückseite haben nur schwarzer Tinte. Mit Kol. 5 fängt ein neuer Spruch gegen Gift an und auch die Schreiberhand ist eindeutig eine andere. Diese Kol. 5 ist die einzige Kolumne, in der rote Gliederungspunkte verwendet werden (in Z. 1–7), wobei der Schreiber jedoch in der vorletzten Zeile wieder damit aufgehört hat, bevor der Abschnitt zu Ende ist. Kol. 7 endet mit einer magischen Zeichnung (keine figürliche Darstellung, eher ein Schema auf einer Basislinie) in rot. In Kol. 11 ist ein Satz mit einer Drohformel in roter Tinte geschrieben, allerdings ist der Schreiber vor dem Satzende wieder zur schwarzen Tinte gewechselt.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Mischung aus Neuägyptisch der 19. Dynastie und jüngeren Formen der 21. Dynastie, die manchmal schon in Richtung eines frühen Demotisch tendieren. Quack vermutet, dass der Text als Ganzes oder die verschiedenen Einzelsprüche ursprünglich in der 19. Dynastie verfasst worden ist bzw. sind und anschließend als „lebender“ Text mit jüngeren, zeitgenössischen Sprachformen und inhaltlichen Themen angereichert wurde.

Bearbeitungsgeschichte

Die Erstpublikation ist von A. Mariette, der den Inhalt als medizinisch-magische Formel für NN, Sohn von NN beschrieb. Er lieferte eine farbige Facsimile-Edition auf 3 Tafeln. Eine Publikation im Catalogue Général war vorgesehen, ist jedoch nicht erschienen (W. Golenischeff publizierte nur den ersten Band mit hieratischen Papyri bis CG 58036 im Jahr 1927). Eine hieroglyphische Umschrift durch J. Černý (erwähnt von Koenig 1981, VII) blieb unpubliziert und findet sich in dessen Notebook 145.51–8. Eine ebenfalls unpublizierte hieroglyphische Umschrift von Gardiner findet sich in dessen Notebook 30.13–43. Erst Yvan Koenig 1981 veröffentlichte den Papyrus in schwarzweiß Photographien, einer hieroglyphischen Umschrift, einer Übersetzung und einer Kommentierung. J.-F. Quack wird eine Neubearbeitung in einer geplanten Monographie zum Thema Gunst und Beliebtheit vorlegen.

Autoren
Prof. Dr. Joachim Friedrich Quack
Autoren (Metadaten)
Prof. Dr. Joachim Friedrich Quack
Mitwirkende (Metadaten)
Dr. Peter Dils