Papyrus Edwin Smith

Metadaten

Alternative Namen
Book of Wounds Surgical Papyrus
Aufbewahrungsort
Nordamerika » U.S.A. » (Städte L-P) » New York City (NY) » The New York Academy of Medicine

Inventarnummer: 217

Erwerbsgeschichte

Nach dem Tod des Erstbesitzers E. Smith im Jahre 1906 schenkte dessen Tochter, Miss Leonora Smith, den Papyrus der New York Historical Society. Von 1938 bis 1948 befand sich der Papyrus im Brooklyn Museum in New York, bevor er 1948 an die New York Academy of Medicine übergeben wurde. Dort wird er in dem Malloch Rare Book Room mit der Inventarnummer 217 aufbewahrt (Breasted 1930 I, 20–25; Allen 2005, 70; Sanchez – Meltzer 2012, 1–2). Informationen zum Erstbesitzer E. Smith finden sich in Wilson 1964, 52–57, 230, Kilgour 1993, 292–297 (vor allem 292–293), Bierbrier 2012, 515 und Sanchez – Meltzer 2012, 16–18.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben

Der Papyrus wurde am 20. Januar 1862 von dem Amerikaner E. Smith (1822–1906), damals Einwohner von Luxor, Geldleiher, Antikenhändler und -fälscher sowie Freizeit-Ägyptologe, in Luxor von Mustapha Agha, Antikenhändler und Vize-Konsul von Großbritannien, Belgien und Russland, erworben. Am 17. März 1862 erwarb er vom selben M. Agha einen weiteren Papyrus. Dieser zweite Papyrus war jedoch eine moderne Fälschung, zusammengesetzt aus Fragmenten dreier unterschiedlicher alter Papyri, darunter die Bruchstücke der ersten Kolumne des Papyrus Edwin Smith (Breasted 1930 I, 21–22, 75–76).
Der ursprüngliche Fundort ist unbekannt, dürfte aber ein Grab in der thebanischen Nekropole gewesen sein, denn nur in diesem Kontext könnte ein Papyrus der 17. oder frühen 18. Dynastie so unbeschadet auf uns gekommen sein. Sollte er aus einem Grab stammen und zusammen mit dem Papyrus Ebers gefunden worden sein, sind die Fundumstände des Papyrus Ebers relevant. Beide Texte waren spätestens am 14. November 1864 in Luxor im Besitz oder in der Obhut von E. Smith (siehe dazu einen Brief von E. Smith an C. Goodwin: Dawson 1934, 110–121). Auch beim Papyrus Ebers ist der Fundort unbekannt, aber laut G. Ebers hat der ägyptische Verkäufer ihm mitgeteilt, dass sein Papyrus in einem Grab im Assasif in einem Sarg zwischen den Beinen einer Mumie gefunden worden sei (Breasted 1930 I, 25).

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Zweite Zwischenzeit » 17. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 18. Dynastie

Die Datierung in die spätere Zweite Zwischenzeit oder in das frühe Neue Reich, d. h. in die 17. oder den Anfang der 18. Dynastie, vielleicht in die Mitte des 16. Jh. v. Chr. (?), beruht auf der Paläographie und den vermuteten Fundumständen. Paläographisch ähnelt der Papyrus Edwin Smith dem Papyrus Ebers (enthält einen Kalender aus Jahr 9 Amenhoteps I.) und dem Papyrus Westcar (keine genaue Datierung) sowie dem mathematischen Papyrus Rhind (Jahr 33 des Hyksos-Königs Apophis) (Breasted 1930 I, 28–29, mit Vergleichstabelle auf 26–27). J. H. Breasted lässt die Verso-Texte in einer zweiten Hand außer Betracht und vermutet, dass sie etwas später niedergeschrieben wurden. Einige Zeichen weisen eine ältere Form als die im Papyrus Ebers verwendete auf, weshalb J. H. Breasted annimmt, dass der Papyrus Edwin Smith mindestens eine Generation früher als der Papyrus Ebers kopiert wurde, d.h. kurz vor dem Anfang des Neuen Reiches. Für ihn datiert der pEdwin Smith in die Hyksoszeit, die er mit dem 17. Jh. v. Chr. gleichsetzt (Breasted 1930 I, 28–29). Eine nachträgliche Untersuchung der Orthographie der Wörter von pEdwin Smith durch J. H. Breasted zeigt teils jüngere, teils ältere Wortformen als der Papyrus Ebers . J. H. Breasted tendiert mit der nötigen Vorsicht dazu, dieses Ergebnis als eine Bestätigung für eine frühere Datierung als Papyrus Ebers zu betrachten (Breasted 1930 I, 593–595). Heute wird die Hyksoszeit nicht länger mit dem 17. Jh. gleichgesetzt. Die mit den Hyksos zeitgenössischen südägyptischen 16.–17. Dynastien, die J. P. Allen als Zeit der Abschrift nennt (Allen 2005, 70), situiert er in die Periode 1650–1550 v. Chr. Sanchez und Meltzer folgen J. H. Breasted und J. P. Allen in der Datierung in die Hyksoszeit und thebanischer 17. Dynastie, möglicherweise etwas früher als Papyrus Ebers (Sanchez – Meltzer 2012, 12, 14). Die Datierungen von H. Grapow (Grapow 1955, 88–89) und W. Westendorf (Westendorf 1999, 16) nennen als Datum den Anfang des Neuen Reiches oder konkreter um 1550 v. Chr., wobei dies auf die Datierung des Papyrus Ebers zurückgeht, in dem ein Kalender aus dem 9. Jahr Amenhoteps I. nachträglich (!) auf die Rückseite geschrieben wurde. H. Grapow und W. Westendorf vermuten außerdem, dass Papyrus Edwin Smith und Papyrus Ebers zusammen gefunden wurden (Westendorf 1999, 22), so dass nicht nur die paläographischen Ähnlichkeiten, sondern auch die mutmaßlichen Fundumstände für eine zeitgleiche Datierung sprechen würden. H. Grapow hält es dabei für unerheblich, dass J. H. Breasted den Papyrus Edwin Smith etwa eine Generation früher als den Papyrus Ebers datieren möchte (Grapow 1955, 89).
Der ursprüngliche Text des sogenannten Wundenbuchs, auch genannt „chirurgisches Handbuch“, ist deutlich älter als die erhaltene Abschrift. Das Wundenbuch ist von der Grammatik und vom Wortschatz her gesehen ein Mischtext und kann inhaltlich in mehrere redaktionelle Stufen unterteilt werden. Folgende Redaktionsphasen sind denkbar: (1) Verfassung des ursprünglichen „chirurgischen Handbuchs“; (2) Erweiterung des Handbuchs durch Differenzialdiagnosen, alternative Behandlungen und einen Zauberspruch; (3) Hinzufügung von Zwischenüberschriften zu den Einzelfällen; (4) eine oder mehrere Glossierungsphasen unter Hinzuziehung mindestens zweier weiterer heilkundiger Trakate.
Sowohl der medizinische Haupttext als auch die Glossen weisen Spuren einer älteren Sprachstufe als die Hyksoszeit auf (Liste von Altägyptischen Merkmalen bei Breasted 1930 I, 73–75 und siehe dazu Westendorf 1962, 328 mit Anm. 2). Für J. H. Breasted stammen beide Texte aus dem Alten Reich, einer Zeit, die er (nach heutigem Wissen verfrüht) zwischen 3000 und 2500 v. Chr. ansetzt. Für ihn sind auch die Glossen früher als das Mittlere Reich, was eine Datierung des Haupttextes in „the early part of the Old Kingdom“ voraussetzt (Breasted 1930 I, 73–75).
J. H. Breasted spekuliert mit dem Architekten und später als Arzt vergöttlichten Imhotep als potentiellem Autor, was aber höchst unwahrscheinlich ist. W. Westendorf nimmt ebenfalls an, dass der Text im Alten Reich entstanden ist (Westendorf 1966, 10; ebenso Pommerening 2014, 38–40). E. S. Meltzer setzt für das ursprüngliche Dokument eine Zeit zwischen dem Ende des Alten Reiches und dem frühen Mittleren Reich an oder „very roughly ca. 2200–2000 BC“ (Sanchez – Meltzer 2012, 12). Abweichend von diesen frühen Datierungen schreibt J. P. Allen, dass sowohl die Sprache des Textes als auch die vom Kopist gemachten Fehler auf ein Original hinweisen, das etwa 200 bis 300 Jahre älter wäre als die Zeit der Abschrift, die er ca. 1650–1550 bzw. ca. 1600 v. Chr. ansetzt (Allen 2005, 70). Was die Glossierungsphase angeht, vermerkt H.-W. Fischer-Elfert, dass die beiden jry.w-Textsammlungen, die in drei Glossen erwähnt werden, „literarhistorisch mit der im religiösen Spruchgut erstmalig in der späten 13. Dyn. greifbaren Praxis der Glossierung von Totenbuchredaktionen in Zusammenhang gebracht werden“ sollten (Fischer-Elfert 2013, 26).

Textsorte
Inhalt

Der Papyrus Edwin Smith enthält auf dem Recto einen einheitlichen Text zum Thema Wunden und Verletzungen sowie deren Identifikation, Diagnose, Prognose und Behandlung. Auf der Rückseite sind Texte unterschiedlicher Art zusammengetragen, die unabhängig vom Thema Wunden und Verletzungen sind.
Der Text auf der Vorderseite ist ein Traktat zu Wunden und Verletzungen und wird mit den modernen Bezeichnungen „Wundenbuch“ und „Chirurgischer Papyrus“ umschrieben. Der antike Titel ist nicht erhalten. In einzelnen Abschnitten, die zudem in identisch konzipierte Untersegmente gegliedert sind (Titel, Untersuchung, Diagnose und Prognose, Behandlung, Erklärungen in Glossenform), werden insgesamt 49 Krankheitsfälle zu Wunden, Brüchen, Verrenkungen, Zerrungen, Geschwüren und Geschwülsten aufgelistet. Die 49. Diagnose ist unvollständig, da der Kopist mitten im Satz aufgehört hat seine Vorlage weiter abzuschreiben, obwohl die Papyrusrolle noch nicht voll war. Die einzelnen Fälle fangen beim Kopf an und hätten beim Fuß enden sollen, aber der Kopist hörte bereits beim Rückgrat mit seiner Schreibarbeit auf. Innerhalb der einzelnen Körperteilbereiche ist die Reihenfolge überwiegend von einer leichten Verletzung bis hin zu einem hoffnungslosen Fall. Fakultativ sind glossenartige Kommentare ans jeweilige Ende eines Falls angehängt worden, insgesamt 69 verschiedene. Meistens steht eine solche Glosse nur beim ersten Textvorkommen, manchmal wird sie in einem späteren Fall wiederholt. Der Text ist auffälligerweise weitestgehend frei von magischen Sprüchen, weil die Ursache der Beschwerden durch äußere Gewalteinwirkung klar erkennbar ist, während magische Sprüche vor allem dann zur Anwendung kommen, wenn die Ursache unbekannt ist.
Der gleiche Kopist, der auf der Vorderseite das sogenannte Wundenbuch abgeschrieben hat, hat auf der Rückseite zuerst acht magische Formeln (Zaubersprüche) gegen die „Seuchen des Jahres“ kopiert (Kol. 18–20.12; eine Gruppe von Problemen mit Ungeziefer sowie Infektionskrankheiten, die regelmäßig – u.a. zur Zeit der Nilüberschwemmung – auftraten). Er machte nach einem neuen Absatz weiter mit einem Rezept zu einer Menstruationsstörung und mit zwei Rezepten zur Hautpflege (Kol. 20.13–21.8). Ein anderer Kopist setzte die Kopierarbeit nach einem neuen Absatz mit einem Salbenrezept für eine Verjüngungskur (also auch ein Hautpflegemittel) fort (Kol. 21.9–22.10). Nach einem weiteren Absatz beendete der zweite Kopist seine Arbeit mit einem Rezept für eine Beschwerde am After (Kol. 22.11–14). Eine Fläche von etwa 12 Kolumnen Länge ist auf dem Verso leer geblieben.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Für wen der Text ursprünglich verfasst wurde und welchem Zweck er dienen sollte, ist unklar. War es ein Handbuch für die Ärzteausbildung, ein Referenzwerk in einer Tempelbibliothek oder gar ein praktisches Manual für den Arzt im Felde? Auch hinsichtlich des Verwendungskontextes der konkreten Textkopie, die wir Papyrus Edwin Smith nennen, können nur Mutmaßungen angestellt werden. J. H. Breasted hält es für möglich, dass der erste Besitzer gar nicht so sehr an dem Wundenbuch interessiert war, sondern den Kopisten beauftragte, mit seiner Kopierarbeit aufzuhören und stattdessen auf der Rückseite die Seuchenbeschwörungen einzutragen. Er nennt den letzten Besitzer einen „village quack“, der den durch häufiges Hantieren am Anfang beschädigten Papyrus mit ins Grab genommen hat (Breasted 1930 I, 19–20). Ein anderer ursprünglicher Aufbewahrungskontext könnte eine Tempelbibliothek gewesen sein (diese alternative Möglichkeit findet sich bei Allen 2005, 70). Aber es ist sehr unwahrscheinlich, dass ein einzelner Papyrus oder eine Tempelbibliothek der frühen 18. Dynastie außerhalb eines Grabes die Jahrtausende unbeschadet hätte überstehen können.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schriftrolle
Technische Daten

Die Papyrusrolle misst 4,68 m in der Länge und ist zwischen 32,5–33 cm hoch (Hochformat). Sie besteht aus 12 aneinander geklebten Blättern (à 40 cm Breite) mit 11 hervorragend gearbeiteten Klebungen. Das erste erhaltene Blatt am rechten Rand der Rolle ist teilweise zerstört. Es enthielt den Anfang des Wundenbuchs, von dem vermutlich (nur) eine Textkolumne vollständig verloren ist. Der Text des Wundenbuchs besteht heute noch aus 17 Textkolumnen. Auf dem Verso befinden sich fünf weitere Kolumnen mit anderen Texten. Jede Kolumne hat eine Höhe von 28–29 cm und eine Breite von 18–27 cm (die ersten Kolumnen sind generell breiter als die späteren). Jede Kolumne enthält zwischen 18 und 26 Textzeilen. Die letzten 39 cm des Recto bzw. die ersten 39 cm des Verso sind unbeschriftet (Breasted 1930, 25, 28). Nach der Auffindung wurde der Papyrus aus konservatorischen Gründen in acht Stücke zerteilt (Allen 2005, 70).

Schrift
Hieratisch

Die Schrift- und Leserichtung des Textes auf beiden Seiten des Papyrus verläuft von rechts nach links. Das Recto sowie die ersten 3,5 Textkolumnen des Verso sind von derselben Hand geschrieben. Der Rest der Texte ab der Mitte der dritten Kolumne wurde von einer anderen Schreiberhand in einem deutlich abweichenden Duktus verfasst. J. H. Breasted vermutet, dass diese zweite Hand möglicherweise etwas jünger ist (Breasted 1930 I, 28).
Die Handschrift des ersten Schreibers ist klar und von hoher Qualität, allerdings lässt die Klarheit der Handschrift des Öfteren nach, ist die Distanz zwischen den Zeilen etwas unregelmäßig und liegen stellenweise Fehler vor. Man könnte eine gewisse Unkonzentriertheit oder Ermüdung des Schreibers vermuten, der wahrscheinlich ein Berufsschreiber und kein Arzt war. In vielen Fällen bemerkte der Schreiber selbst seine Fehler und korrigierte sie über oder in der Zeile. Einmal hat er ein paar Worte vergessen, die er mit einem Verweiskreuz oberhalb der Kolumne ergänzt hat.
Der Schreiber verwendete schwarze und rote Tinte. Die rote Tinte kam entweder am Anfang eines neuen Absatzes zur Anwendung oder ganze Absätze wurden abwechselnd in schwarzer und roter Tinte geschrieben. Auch hier war der Schreiber des Öfteren inkonsequent. Bei den Rezepten auf dem Verso stehen die Mengenangaben in roter Tinte.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch
Bearbeitungsgeschichte

Im Jahre 1930 lieferte J. H. Breasted nach 10 Jahren philologischer Arbeit eine meisterhafte Edition des kompletten Papyrus Edwin Smith mit einer photographischen Reproduktion, hieroglyphischer Transkription des Hieratischen, einer Übersetzung sowie einem umfassenden Textkommentar. Diese Edition ist bis heute die Ausgangslage der Forschung. Ein Jahr später, im Jahr 1931, machte M. Meyerhof den Inhalt des Wundenbuchs mit Hilfe dieser Arbeit im deutschen Sprachraum bekannt, wobei er J. H. Breasteds Übersetzung der Fälle entweder ins Deutsche übersetzte oder sie paraphrasierte und einen kurzen medizinischen Kommentar dazu lieferte. B. Ebbell basierte seine deutsche Übersetzung des Wundenbuchs aus dem Jahr 1939 im Wesentlichen auf J. H. Breasteds Arbeit und fügte eine eigene medizinische Kommentierung hinzu. Eine unabhängige Neubearbeitung und Übersetzung ins Deutsche erfolgte im Rahmen des Projekts „Grundriss der Medizin der alten Ägypter“ (Band IV und V) mit einer Übersetzung und einer thematisch organisierten hieroglyphischen Umschreibung. Der Text wurde vollständig in den zugehörigen Wörterbüchern und in der Grammatik erfasst (von Deines – Grapow 1959; von Deines – Westendorf 1961 und von Deines – Westendorf 1962; Westendorf 1962, 328 mit Anm. 2). Im Jahre 1966 legte W. Westendorf eine weitere Übersetzung vor, die er 1999 aktualisierte. Im Rahmen einer Ausstellung des Metropolitan Museum of Art, New York, lieferte J. P. Allen im Jahre 2005 eine komplette farbliche Reproduktion und eine neue englische Übersetzung des gesamten Texts im zugehörigen Katalog. Die aktuellste Bearbeitung wurde 2012 von G. M. Sanchez und E. S. Meltzer veröffentlicht, mit einem kompletten Satz Farbfotos des Wundenbuchs, einer hieroglyphischen Transkription, einer englischen Übersetzung und einem philologischen sowie medizinischen Kommentar.

Editionen

- Allen 2005: J. P. Allen, The Art of Medicine in Ancient Egypt (New York/New Haven/London 2005), 70–115.

- Breasted 1930 I: J. H. Breasted, The Edwin Smith Surgical Papyrus. Published in Facsimile and Hieroglyphic Transliteration with Translation and Commentary in two Volumes. I. Hieroglyphic Transliteration, Translation and Commentary, Oriental Institute Publications 3 (Chicago 1930).

- Breasted 1930 II: J. H. Breasted, The Edwin Smith Surgical Papyrus. Published in Facsimile and Hieroglyphic Transliteration with Translation and Commentary in two Volumes. II. Facsimile Plates and Line for Line Hieroglyphic Transliteration, Oriental Institute Publications 4 (Chicago 1930).

- von Deines – Grapow – Westendorf 1958 I: H. von Deines – H. Grapow – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. IV,1. Übersetzung der medizinischen Texte (Berlin 1958), 126, 172–199, 266, 272, 302–303.

- von Deines – Grapow – Westendorf 1958 II: H. von Deines – H. Grapow – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. IV,2. Übersetzung der medizinischen Texte. Erläuterungen (Berlin 1958), 22–23, 140–155, 248.

- von Deines – Grapow 1959: H. von Deines – H. Grapow, Grundriss der Medizin der Alten Ägypter. VI. Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen (Berlin 1959).

- von Deines – Westendorf 1961: H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII,1. Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (r) (Berlin 1961).

- von Deines – Westendorf 1962: H. von Deines – W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VII,1. Wörterbuch der medizinischen Texte. Zweite Hälfte (h) (Berlin 1962).

- Ebbell 1939: B. Ebbell, Die alt-ägyptische Chirurgie. Die chirurgischen Abschnitte des Papyrus E. Smith und Papyrus Ebers, Skrifter utgitt av det norske Videnskaps-Akademi i Oslo. Historisk-Filosofisk klasse 2 (Oslo 1939), 7–72.

- Grapow 1958: H. Grapow, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. V. Die medizinischen Texte in hieroglyphischer Umschreibung autographiert (Berlin 1958), 299–348, 455–456, 466–467, 519–523.

- Kosack 2011: W. Kosack, Der medizinische Papyrus Edwin Smith. The New York Academy of Medicine, Inv. 217. Neu in Hieroglyphen übertragen, übersetzt und bearbeitet (Berlin 2011).

- Meyerhof 1931: M. Meyerhof, Über den "Papyrus Edwin Smith". Das älteste Chirurgiebuch der Welt, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 645–690.

- Sanchez – Meltzer 2012: G. M. Sanchez – E. S. Meltzer, The Edwin Smith Papyrus. Updated Translation of the Trauma Treatise and Modern Medical Commentaries (Atlanta 2012).

- Westendorf 1962: W. Westendorf, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. VIII. Grammatik der medizinischen Texte (Berlin 1962), 328 mit Anm. 2.

- Westendorf 1966: W. Westendorf, Papyrus Edwin Smith. Ein medizinisches Lehrbuch aus dem Alten Ägypten. Wund- und Unfallchirurgie. Zaubersprüche gegen Seuchen, verschiedene Rezepte. Aus dem Altägyptischen übersetzt, kommentiert und herausgegeben, Hubers Klassiker der Medizin und der Naturwissenschaften 9 (Bern 1966).

- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I 36,1 (Leiden/Boston/Köln 1999), 16–22.

Literatur zu den Metadaten

- Bierbrier 2012: M. L. Bierbrier (Hrsg.), Who was who in Egyptology, 4(London 2012), 515.

- Dawson 1934: W. R. Dawson, Charles Wycliffe Goodwin, 18171878. A Pioneer in Egyptology (London 1934), 110–121.

- Fischer-Elfert 2013: H.-W. Fischer-Elfert, Anfang eines iry.w-Traktats des wti-Umwicklers inclusive einer post-mortalen Thanatologie, in: Chronique d’Égypte 88 (175), 2013, 15–34, hier: 26.

- Grapow 1955: H. Grapow, Grundriss der Medizin der alten Ägypter. II. Von den medizinischen Texten. Art, Inhalt, Sprache und Stil der medizinischen Einzeltexte sowie Überlieferung, Bestand und Analyse der medizinischen Papyri (Berlin 1955), 88–90, 108–112.

- Kilgour 1993: F. G. Kilgour, Locating Information in an Egyptian Text of the 17th Century B.C., in: Journal of the Association for Information Science and Technology 44,5, 1993, 292–297.

- Pommerening 2014: T. Pommerening, Die šsꜣw-Lehrtexte der heilkundigen Literatur des Alten Ägypten. Traditionen und Textgeschichte, in: D. Bawanypeck – A. Imhausen (Hrsg.), Traditions of Written Knowledge in Ancient Egypt and Mesopotamia. Proceedings of Two Workshops Held at Goethe-University, Frankfurt/Main in December 2011 and May 2012, Alter Orient und Altes Testament 403 (Münster 2014), 7–46.

- Wilson 1964: J. A. Wilson, Signs & Wonders upon Pharaoh. A History of America Egyptology (Chicago 1964), 52–57, 230.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Peter Dils; Dr. Katharina Stegbauer

Übersetzung und Kommentar

Der aktuell vorhandene Text setzt mitten in der Diagnose einer Kopfverletzung ein. Der Erhaltungszustand des Anfangs des Papyrus sowie die Anordnung der Verletzungsfälle lassen vermuten, dass nur eine einzige Kolumne bzw. Seite des Textes fehlt und dass die erste erhaltene Kopfverletzung auch tatsächlich der erste beschriebene Fall ist. Falls diese Vermutungen stimmen sollten, fehlen nur die allgemeine Einleitung und der Anfang von Fall 1.

Fall 1: Kopfverletzung ohne klaffende Wunde

[1.1] (Titel:) [...]
(Untersuchung:) [...]
(Diagnose:) [Dann sagst du daraufhin über ihn (den Patienten):]
[„Einer mit einer Wunde1] an seinem Kopf2
– allerdings schmerzen/bleiben(?)3 die Ränder (wörtl. Lippen) seiner Wunde [... ... ...], ohne dass es eine Klaffung4 gibt,
und doch (?) [reicht] sie (?, d.h. die Wunde) [bis zum Knochen] seines [(Hirn-)Schädels(?)5]:
Eine Krankheit6, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du sie (d.h. die Wunde) folglich [am er]sten [Tag] über (oder: zusammen mit) [frischem] Fleisch verbinden.
Du sollst ⟨sie/ihn⟩
7 danach täglich mit Öl/Fett8, [Honig9] und Faserbausch10 versorgen/pflegen11, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.12

1 wbn.w: Ist ein gängiges Wort für „Wunde“ im pEdwin Smith. Abgeleitet von der Wurzel wbn: „aufgehen; aufgegangen sein > leuchten“, ist wbn.w meistens eine offene Wunde mit einer Verletzung der Haut, gelegentlich auch einer Verletzung der Knochen (Breasted, Surgical Papyrus, 81–84; MedWb I, 172–178; Grundriss III, 48–49). Das Determinativ des spuckenden Mundes (Gardiner Sign-List Nr. D26) weist auf den nässenden Aspekt der Wunde hin. Die Wundränder werden sp.tj: „Lippen“ genannt, die Wundöffnung heißt : „Mund“. Manchmal liegt jedoch keine sichtbare Verletzung vor, weshalb MedWb I, 178 in diesen Fällen lieber mit dem allgemeineren Begriff „Verwundung, Verletzung“ übersetzen möchte. Deshalb wählt Grundriss IV/2, 142, Anm. 3 für Fall 8, Kol. 4.6: „Verletzung“ (ebenso Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 1966, 45, Anm. 2); Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 1939, 28 hat die gleiche Stelle mit „Beschädigung“ übersetzt, statt wie sonst mit „Wunde“.
2 Dank des festen Formulars der Fälle kann der Anfang von Fall 1 in etwa rekonstruiert werden:

[(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde an seinem Kopf, die bis zum Knochen seines (Hirn-)Schädels heranreicht, ohne zu klaffen.]
[(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer Wunde an seinem Kopf untersuchst, die bis zum Knochen seines (Hirn-)Schädels heranreicht, ohne zu klaffen, dann musst du deine Hand auf sie (d.h. die Wunde) legen, (und) dann musst du seine Wunde (durch abtasten) erforschen.]
[Wenn du seinen (Hirn-)Schädel unversehrt(?) vorfindest, ohne dass es ... ... ... in ihm (dem Schädel) gibt,]
(Diagnose:) [Dann sagst du daraufhin über ihn (den Patienten):]
[„Einer mit einer Wunde] an seinem Kopf (...)

3 jsṯ mn sp.tj wbn.w=f: Das schwer lesbare Wort zwischen jsṯ und sp.tj kann dank Glosse B (Kol. 1.9) als mn: „leiden“ ergänzt werden. Breasted, Surgical Papyrus, 93 ergänzt zögernd die Negation nn(?): „while his wound does [not] have two lips“, was jedoch nicht zu den Spuren passt; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 32 ergänzen n-wn.t, was ebenfalls nicht zu den Spuren passt und außerdem nicht in die Lücke hineinpasst. Westendorf, Handbuch Medizin, 711, Anm. 1 (so schon Grundriss IV/2, 140, Anm. 8 zu Fall 1) liest mn, allerdings mit der Buchrolle am Ende und der Bedeutung „bleiben“: „und zwar bleiben die beiden Lippen seiner Wunde [eng beieinander ...], nicht ist ein Klaff vorhanden“. Grundriss und Westendorf emendieren mn: „leiden“ in Glosse B zu mn: „bleiben“; die Lesung des Determinativs von mn in Kol. 1.1 als Buchrolle ist jedoch nicht eindeutig. Laut MedWb I, 367 (II) kann ein Körperteil schmerzen, weshalb möglicherweise auch die Lippen (sp.tj), d.h. die Ränder, der Wunde schmerzen können.
4 kf.t: Die Wurzel kfi̯, mit dem Messer determiniert, kommt ausschließlich im pEdwin Smith vor, einerseits im Verb kfi̯ (Wb 5, 120.2–3; MedWb II, 904) und andererseits im Substantiv kf.t (Wb 5, 120.1; MedWb II, 904–905), das etymologisch möglicherweise aus dem Infinitiv des genannten Verbs kfi̯ hervorgeht (Med Wb. II, 904, Anm. 1). Die Wörter beziehen sich auf Wunden mit offenstehenden Wundrändern (ägyptisch: „Lippen“). Breasted, Surgical Papyrus, 90–92 entscheidet sich für die Bedeutung „klaffen“ („to gape“) bzw. „klaffende Wunde, Schnittwunde“ („a gash, cut“) und er nimmt an, dass das Substantiv kf.t (mit Messerdeterminativ) (ursprünglich) ein Infinitiv ist, abgeleitet vom bekannten Verb kfi̯, kfꜣ: „entblössen, enthüllen“ (mit Stoffdeterminativ). In MedWb II, 904–905 wird das Substantiv mit „der Klaff“ übersetzt, das im heutigen Hochdeutsch kaum belegt ist (altertümlich und dialektal); vielleicht ist „die Klaffung“ vorzuziehen. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 42 erwähnen in der Anmerkung das Substantiv kf: „Obsidian/Silex“, ohne dies genauer zu kontextualisieren. Sie meinen wohl das Substantiv k(ꜣ)f, das in einem Abusir-Papyrus des Alten Reiches mit dem Messer determiniert ist und das Material bezeichnet aus dem das Peseschkaf-Messer hergestellt ist (Harris, Lexicographical Studies, 228–229; Posener-Kriéger, Les archives du temple funéraire de Néferirkarê-Kakai, BdE 65/1, Le Caire 1976, 164, Nr. A6).
5 qs n.j ḏnn.t=f: Die Lesung ḏnn.t ist unsicher, weil ein Ideogrammstrich hinter dem Kopf steht und ḏnn.t normalerweise ohne den Ideogrammstrich geschrieben wird. Ein Beispiel für ḏnn.t=f mit Ideogrammstrich steht in Fall 5 (Kol. 2.12 und 2.17). Dagegen hat tp fast immer einen Ideogrammstrich, nur in Kol. 1.1 und 4.17 ([wbn.w] m tp=f bzw. tp n.j ꜣmꜥ.t) fehlt er.
6 mr/m(ḥ)r: Wird mit Breasted, Surgical Papyrus, 95 meistens mit „(schmerzende) Krankheit“ übersetzt. MedWb I, 381 erwägt die Möglichkeit, dass nicht bloß „Krankheit“ vorliegt, sondern dass in der Formel mr ꜥḥꜣ=j ḥnꜥ der Krankheits-Dämon, d.h. der Krankheitserreger gemeint ist. Die Vermutung von Grapow, Grundriss II, 33, Anm. 2, dass in den drei Verdiktsformeln ein Substantiv (oder Partizip?) „Kranker“ vorliegt, wird in MedWb I, 376–382 nicht übernommen und findet sich auch nicht in Wb 2. Lediglich Edel, in: ZÄS 84, 1959, 20, Anm. 2 folgt Grapow. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus übersetzen mr in der Formel mr jri̯.y=j/ꜥḥꜣ=j ḥnꜥ/n jri̯.w nj in den Fällen 1–2 mit „injury“, danach mit „a medical condition“.
7 srwḫ=k: Das Objekt fehlt. Es ist wie im vorherigen Satz (sw) wohl die Wunde, die mit Öl/Fett, Honig und Faserbausch versorgt wird, obwohl im Nebensatz (r nḏm=f) anschließend der Mann/Patient gemeint ist. Der gleiche Satz kommt noch in zahlreichen weiteren Fällen vor, fast immer mit dem Pronomen sw (Fall 10, 11, 17, 26, 27, 28, 32, 34, 35, 36, 37, Fall 38, 39, 40, 42, 43, 46, 47). Das Pronomen sw wurde in Fall 12 (Kol. 5.20) vom antiken Schreiber nachgetragen. Es fehlt ebenfalls in Fall 18 (Kol. 7.11), Fall 19 (Kol. 7.19) und Fall 30 (Kol. 10.11).
8 mrḥ.t: Kann sowohl Fett tierischer Herkunft als auch Öl pflanzlicher Herkunft sein. Sanchez (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 38) vermutet, dass in pEdwin Smith mrḥ.t vielleicht pflanzliches Öl ist, weil im Papyrus auch ꜥḏ erwähnt wird und letzteres ist tierisches Fett. Laut Sanchez hält Öl den Verband weich und verhindert, dass der Verband an der Wunde klebt. Er verweist auf die moderne Forschung, die heilende oder antiseptische Wirkung bei Dattelkernöl, Palmöl und Palmkernöl festgestellt hat.
9 bj.t: Honig wirkt antiseptisch (d.h. desinfizierend, verhindert eine Infektion der offenen Wunden) und antibiotisch (d.h. bekämpft erfolgreich bereits erfolgte Infektionen): siehe Majno, The Healing Hand, 115–120; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 38; T. Hofmann, Honig als „Specificum“: pEdwin Smith und die moderne Medizin, in: ZÄS 135, 2008, 40–49.
10 ftt: Die Übersetzung von Wb 1, 581.10–14: „Etwas Pflanzliches(?), das in feuchtem oder trockenem Zustand als Verband u. dgl. benutzt wird“ ist noch sehr vage. Breasted, Surgical Papyrus, 101–102 präzisiert, dass es den Verwendungskontexten nach ein „absorbent lint“, d.h. ein saugfähiger (Verband)mull, sein muss. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 10 übersetzt ftt versuchsmäßig mit „Samenhaar“, d.h. der flaumige Blütenstand von gewissen Pflanzen wie Baumwolle, und er sagt, dass es von den Ägyptern in ähnlicher Weise wie heute Baumwollwatte verwendet wurde. Laut DrogWb, 210–211 ist ftt ein pflanzlicher Faserstoff von der unbekannten Pflanze dbj.t, der als Droge und vor allem wie Charpie oder Mull in Suppositorien und Wundverbänden verwendet wird. Diese Umschreibung wird in MedWb I, 308 zu „Faserbausch“ zusammengefasst. In französischen Übersetzungen findet man „un tampon de tissu végétal“ (Lefebvre, Bardinet) und in englischen „dressing“ als Verbandsstoff (Allen, Art of Medicine; Sanchez & Meltzer, Edwin Smith Papyrus). Solange die dbj.t-Pflanze (s. Germer, Handbuch der altägyptischen Heilpflanzen, Philippika 21, Wiesbaden 2008, 162) nicht identifiziert ist, lässt sich nicht entscheiden, ob der Wattebausch/Faserbausch aus dem Blütenstand (Hypothese Ebbell) oder aus anderen Fasern gewonnen wurde. Als sehr unsichere Identifikationshypothesen für die dbj.t-Pflanze liegen u.a. Epilobium (Ebbell, mit Fragezeichen!) und ein Wachstumsstadium von Lein/Flachs (R. Germer, Untersuchungen über Arzneimittelpflanzen im Alten Ägypten, Hamburg 1979, 60–62) vor. Letzteres beruht auf der Hypothese, dass ftt ähnlich wie Charpie aus gewebtem Stoff gewonnen wurde bzw. dass nur Flachs bislang als pflanzliche Faser für Gewebe nachgewiesen ist. Da Stoffe aus Lein/Flachs hergestellt wurden, könnte dbj.t in dem Falle die Bezeichnung für den Flachsfaden oder die Bezeichnung für die Flachspflanze in einem gewissen Wachstumsstadium sein. Germer vermerkt, dass die grüne Flachspflanze eine weiche Faser liefert, die gelbe eine kräftige Faser für gute Leinenstoffe und die ganz reife Pflanze eine Faser für Seile.
11 srwḫ=k sw: Die Übersetzungen unterscheiden sich darin, ob mit sw der Patient oder die Wunde gemeint ist. Der Patient wird „gepflegt“, die Wunde wird „behandelt“ oder „versorgt“. Falls man sw auf die Wunde bezieht, kann das Folgen für die Identifizierung des Subjekts des folgenden r nḏm=f haben. Obwohl r nḏm=f überwiegend auf den Patienten bezogen wird, gibt es Übersetzungen, die von einem Angenehm-sein/werden der Wunde ausgehen (Bardinet; beide Möglichkeiten bei Brawanski, 2006, 47 mit Anm. 8, sowie bei Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 105 [für Fall 10, während sie für Fall 7 vom Patienten ausgehen]). Laut MedWb II, 777, Anm. 7 wird sich sw überwiegend auf die Wunde beziehen und nur in wenigen Fällen möglicherweise auf den Patienten. Die Konstruktion srwḫ=f pw ḥmsi̯.t wäre ein Hinweis dafür, dass in allen Fällen der Patient gemeint ist.
srwḫ (Wb 4, 193–194) bedeutet sowohl in den medizinischen als auch in anderen Texten ganz allgemein „(einen Kranken, ein Körperteil) behandeln, pflegen, versorgen“, es ist jedoch manchmal mit sdwḫ/swdḫ „balsamieren“ (Wb 4, 368.6–7) zusammengefallen (vgl. Breasted Surgical Papyrus, 60–61, 99–100). Laut MedWb II, 775–778 wird das Verb vor allem in der (externen) Wundbehandlung, dann auch für die Behandlung/Versorgung innerer Organe verwendet. In MedWb wird srwḫ nur als Verb aufgelistet. Für die Bedeutung von srwḫ als „balsamieren“ führt Hannig, Ägyptisches Wörterbuch I bzw. II schon Belege aus den Pyramidentexten bzw. den Sargtexten an.
12 nḏm: Das Verb nḏm bedeutet „süß, angenehm sein“ (Wb 2, 378) und als finites Verb auf Personen bezogen: „sich wohl befinden, es gut haben“, speziell auch im Sinne von „gesund o.ä. sein“ und „besser gehen“ (Wb 2, 380.4–6; MedWb I, 498). Laut Breasted, Surgical Papyrus, 96 und 102 kann man jedoch nicht aus der Verwendung von r nḏm=f schließen, dass eine vollständige Erholung („complete recovery“) des Patienten vorliegt. Tatsächlich unterscheiden die Übersetzungen sich darin, ob eine (vollständige) Erholung (Breasted: „until he recovers“; Allen: „until he gets well“; Sanchez/Meltzer: „until he is well“; Lefebvre: „jusqu’à ce qu’il aille bien“) oder nur eine Verbesserung des Zustands vorliegt (Grundriss IV/1 und Westendorf: „so daß / bis es ihm besser geht“).
Einige Übersetzungen erwägen, das Subjekt von nḏm=f nicht auf den Patienten (eventuell Subjektswechsel), sondern auf die Wunde zu beziehen: „so dass / bis sie angenehm/süß wird“. Sinngemäß muss jedoch der Patient gemeint sein, genauso wie in der parallelen Formulierung r snb=f: „so dass / bis er gesund wird“. Außerdem kann eine Wunde auf Dauer möglicherweise „erträglich“ werden, sie wird jedoch niemals „angenehm“ sein. Laut Wb 2, 378–380 und MedWb I, 498–499 können Menschen/Patienten, Körperteile und pharmazeutische Drogen „angenehm“ sein, es werden dort keine Belege für „angenehme“ Wunden, Verletzungen oder Krankheiten aufgelistet.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „du untersuchst (etymol.: vermisst) einen Mann“ angeht:
[das bedeutet,] eine Person NN zu taxieren (wörtl.: zählen, berechnen)
13.
[... ist wie das Zäh]len/Berechnen einer Sache mit dem Oipe-Getreidemaß.
(Eine Person NN) zu untersuchen [ist, wie] wenn irgendeine beliebige Sache mit dem Oipe-Maß [gezählt/berechnet] wird.
Irgendetwas mit den Fingern14 zu zählen/berechnen ⟨geschieht(?)⟩, um [1.5] [zu kennen ...]
[De]nn (?), wenn eine Sache mit dem Oipe-Maß vermessen wird, [dann (?) ist das dasselbe wie(?),] wenn ein Leiden damit gezählt/berechnet(?) wird und ebenso (wie) wenn das Leiden eines Mannes vermessen/untersucht wird, um [den Rhythmus (wörtl.: Gang)] des Herzens [kennenzulernen]. (?)
Es15 gibt mt-Gefäße16 in/aus ihm (d.h. in dem Patienten oder aus dem Herzen) für [jedes] Glied/Körperteil.
[Was] diese (d.h. Glieder/Körperteile) angeht, (auf die) die Sachmetpriester (oder) jeder (andere) swn.w-Arzt seine beiden Hände, (d.h.) seine Finger legt,
– [auf den Kopf, auf den Hinterkopf], auf die beiden Hände, auf die Stelle des jb-Herzens17, auf die beiden Beine:
dem ḥꜣ.tj-Herz gilt sein Messen/Untersuchen (wörtl.: es ist für das Herz / wegen des Herzens, dass er misst/untersucht).
Denn es ist der Fall, dass seine (d.h. des ḥꜣ.tj-Herzens?) mt-Gefäße hinten (?; wörtl.: an der Hinterseite)18 sind, (und zwar?) an/in der Stelle des jb-Herzens;
(Und) es ist der Fall, dass [es (d.h. das Herz) vorn19 in] jedem mt-Gefäß eines jeden Glieds/Körperteils [spricht].
Er (d.h. der Arzt oder ein zuvor genanntes Handbuch) sagt20 „Untersuchen/Messen“ zum / über das [Legen] seiner [Hände/Finger] auf die mt-Gefäß[e] seines Kopfes, seines Hinterkopfes (und) seiner beiden Beine21.22
[Man/Er misst die mt-Gefäße(?)]23 seines ḥꜣ.tj-Herzens, um die šsꜣ.w-Hinweise/Informationen24, die sich dort manifestieren (oder: das šsꜣ.w-Erfahrungswissen, das daraus entsteht), kennenzulernen.
[Er (d.h. der Arzt)] sagt, [dass] es/sie [untersucht/gemessen wird], um das, was dort sichtbar wird (oder: geschehen ist), kennenzulernen.

13 jp: Bedeutet „zählen, rechnen“ und erweitert „registrieren; (steuerlich) veranlagen“ usw. Breasted, 105–106 vermutet, dass „zählen“ sich auf das Messen des Pulses beziehen wird (ähnlich Grundriß IV/2, Anm. 3 zu Fall 1; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 32, Anm. 7), weil im Text im Anschluß vom Zählen mit den Fingern die Rede ist. Bardinet, Papyrus médicaux, 86–87 lehnt diese Interpretation ab, weil das eine moderne Untersuchungsmethode ist. Für ihn bedeutet jp: „faire le bilan“, d.h. wenn der ägyptische Arzt den Patienten vermisst (ḫꜣi̯), stellt er eine Bilanz von allen Unregelmäßigkeiten auf und das Messen des Pulses ist nur eine davon. Allen (Art of Medicine, 72: „taking account of someone“) und Meltzer (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 33: „evaluating someone“) umschreiben jp ähnlich wie Bardinet.
14 ḏbꜥ bedeutet zu allen Zeiten „Finger“ und lebt weiter in demotisch tbꜥ und koptisch ⲧⲏⲏⲃⲉ. Dieselbe Wurzel existiert mit derselben Bedeutung in vielen semitischen Sprachen (Lacau, Noms des parties du corps, 119, § 317; Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte, 210). Spätestens in der Dritten Zwischenzeit kann ḏbꜥ auch für „Zeh“ stehen. In einigen Oracular Amuletic Decrees (u.a. Papyrus BM 10083, Verso 9–10) steht pꜣ 10 n ḏbꜥ n rd.wj=s: „Die fünf ‚Finger’ ihrer beiden Füße“ (Edwards, HPBM 4, 9, Anm. 7), was bezeugt, dass ḏbꜥ in der 21./22. Dyn. nicht nur die Extremitäten der Hand, sondern auch die Extremitäten des Fußes bedeuten kann. Deshalb setzt Weeks, Anatomical Knowledge, 51 „digit“, d.h. „digitus“, und nicht „finger“ als erste Bedeutung an. Einige Autoren erkennen ḏbꜥ auch die Bedeutung „Daumen“ zu. Dafür gibt es zwei Argumente, zum einen die Form der verwendeten Hieroglyphe, zum anderen der Gebrauch von ḏbꜥ und ꜥn.t in Papyrus Edwin Smith Fall 25 (Kol. 9.3). ꜥn.t bedeutet „Fingernagel, Kralle“ und spätestens im Demotischen auch „Daumen“; diese Bedeutung „Daumen“ wird schon für die Pyramidentexte (Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 47, § 53) und die Sargtexte (Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II/1, 505) angeführt, aber nicht von allen Wissenschaftlern gefolgt. Borchardt, in: ZÄS 73, 1937, 119–120 führt einige Argumente dafür an, dass die Fingerhieroglyphe (ḏbꜥ) eigentlich ein Daumen ist und in einigen Fällen auch ursprünglich für das Wort „Daumen“ stand. Dies wird von Schäfer, in: MDAIK 9, 1940, 146–151 Argument für Argument zurückgewiesen: ḏbꜥ bedeutet nur „Finger“, nicht „Daumen“. Der wichtigste Grund, der angeführt wird, um ḏbꜥ trotzdem als „Daumen“ und ꜥn.t als „(Fläche der vier) Finger“ zu übersetzen, ist die Behandlungsmethode in Fall 25 von Papyrus Edwin Smith (Kol. 9.3–4: Luxation oder Subluxation des Kiefers). An dieser Stelle wird davon ausgegangen, dass die alten Ägypter dieselbe Repositionierungsmethode des Unterkiefers angewandt haben wie in der Antike und heute noch: Der Arzt steht hinter dem Patienten, hält seine beiden Daumen auf dem hinteren Bereich des Unterkiefers im Mund und den Handflächen unter dem Kinn und übt mit den Daumen Druck nach unten und nach hinten aus, bis der Kiefergelenkkopf wieder in die Gelenkpfanne hineinrutscht („Handgriff nach Hippokrates“ bzw. „manoeuvre de Nélaton“: Abb. z.B. bei Breasted, Surgical Papyrus, Taf. 6; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 174, Fig. 25). In Fall 25 befindet sich der ḏbꜥ-Finger im Mund auf dem Ende des Kiefers, die beiden ꜥn.t-Finger unter dem Kinn, aber es steht nichts dazu, dass der Arzt sich hinter dem Patienten befunden hat, so dass eine Gleichsetzung von ḏbꜥ = „Daumen“ und ꜥn.t = „Finger, Handfläche“ nicht zwingend ist (so jedoch Breasted, Surgical Papyrus, 291 und 304; Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 47; Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 185; Allen, Art of Medicine, 89; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 175). Die Auslegung von Fall 25 gemäß Breasted führt zu der Annahme der Bedeutung „Daumen“ für ḏbꜥ bei Faulkner, CDME, 321; Weeks, Anatomical Knowledge, 51–52 und Walker, Anatomical Terminology, 279. Die Bedeutung „Daumen“ wird nicht angesetzt von Wb 5, 562–565; Grapow, Anatomie, 53–54; MedWb II 1001–1003; Westendorf, Handbuch Medizin, 174; Hannig, HWB, 1079; ebenso nicht explizit von Lefebvre, Tableau des parties du corps, 46–47, § 53 („pouce“ nur als Hieroglyphe); Lacau, Noms des parties du corps, 118–120, § 315–318 („pouce“ nur als Hieroglyphe).
15 Ab hier bis zum Anfang von Zl. 1.8 entspricht der Text dem Gefäßbuch des Papyrus Ebers (Eb 854a, Kol. 99.2–5). Dadurch können die Lücken ergänzt werden.
16 mt: Ist ein wichtiger Begriff der ägyptischen Anatomie, der sowohl Hohlgefäße (Blutgefäße, Lymphgefäße) als auch Stränge (Muskeln, Sehnen) bezeichnet (MedWb I, 400–408). Es gibt keinen entsprechenden Begriff im Deutschen („Gefäßstrang“?).
17 s.t jb oder s.t-jb: „Stelle des jb-Herzens“ wird teilweise als ein (lexikalisiertes) Kompositum, teilweise als eine normale Genitivverbindung aufgefasst. Da es inmitten von anderen Körperteilen erwähnt wird, erwartet man, dass es auch eine Körperteilbezeichnung ist. Die Stelle/Stätte des jb-Herzens (als Genitiv) ist der Ort, wo sich das Herz befindet, weshalb Ritner, in: JNES 65, 2006, 102 mit „chest“ übersetzt. Für Walker (Anatomical Terminology, 147, 158, 176–177) mit seiner Interpretation von jb als „mind, person, self“, ist s.t-jb wohl eine Bezeichnung für das physische Herz. Breasted versteht s.t-jb als ein Kompositum mit dem Bildungselement s.t für Aktivitäten, weshalb er mit „pulse“ übersetzt (ebenso Allen, Art of Medicine, 73). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 16 hat „Stelle des Magens“, weil er jb fälschlicherweise als „Magen“ identifiziert (zur Identifikation siehe Ebbell, in: Acta Orientalia 15, 1937, 293–296). MedWb II, 701 trägt es als Genitiv-Verbindung unter s.t ein.
18 m ḥꜣ: Die Lesung (m ḥꜣ oder mḥꜣ) und Interpretation sind umstritten. Das Wort ḥꜣ bedeutet „Hinterkopf“ (Wb 3, 8.5–9) und mehr allgemein „Hinterseite, Rückseite“ (Wb 3, 8.10–11). Auch das Wort mḥꜣ bedeutet „Hinterkopf“ und wird in jüngeren Texten mkḥꜣ geschrieben. Breasted übersetzt die Textstelle mit „in the back of his head and in the pulse“. Dazu geht er von einer Haplographie aus: m ḥꜣ für ⟨m⟩ mḥꜣ (Breasted, Surgical Papyrus, 104 Anm. (c), 113; er nimmt überflüssigerweise einen zusätzlichen Fehler von mḥꜣ für mkḥꜣ an; gleiche Übersetzung bei Ebbell, Allen). Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 33) hat: „It is a fact that / the case that his vessels of the back of the head and nape are out of the seat of the heart“ (wegen des Suffixpronomens erwartet man vielleicht eher eine indirekte Genitivkonstruktion *mt.w=f n.w mḥꜣ.). Für (m) mḥꜣ spricht, dass im nächsten Satz eindeutig mḥꜣ als Substantiv vorliegt.
Einen anderen Weg gehen die Autoren des Grundrisses der Medizin. Die gegensätzliche Präposition ḫnt: „vorn in“ im nächsten Satz könnte für eine Präpositionalkonstruktion m ḥꜣ: „an der Hinterseite; hinten“ sprechen (so MedWb I, 575 mit Anm. 1). Damit fällt eine Erwähnung des Hinterkopfes weg (so Grundriss IV/1, 172; ebenso Westendorf, Bardinet, Brawanski). Ist m s.t-jb dann eine Präzisierung von m ḥꜣ: „hinten, (und zwar) an der Stelle des Herzens“ (vgl. die Übersetzung von Ritner, in: JNES 65, 2006, 102: „that is, its vessels are (extending from) behind, in the chest“)? Denn ansonsten würde man eine zusammengesetzte Präposition wie m-ḥꜣ-n.j erwarten. Sollte man die Stelle so verstehen, dass die mt-Gefäße „hinten“, d.h. am Anfang, gleich am Herzen sind, und sich nach „vorn“, zu den Gliedmaßen, ausdehnen, wo man das „Sprechen/Klopfen“ des Herzens, d.h. den Puls, am vorderen Ende der Gefäße feststellen kann? Für die Interpretation von m-ḥꜣ und ḫnt als hinten/innen bzw. vorn/außen vgl. auch Westendorf, Handbuch Medizin, 711: „Denn es ist der Fall, daß seine (des Herzens) Gefäße hinten (innen) an der Stelle des Herzens (jb) sind; (und) es ist der Fall, [daß es (das Herz) vorn (außen) spricht in] jedem Gefäß einer jeden Körperstelle.“
19 ḫnt: Die meisten Übersetzungen gehen von der Bedeutung „vorn, an der Spitze“ ⟩ „in“ aus, wobei „in“ in der Zielsprache teilweise zu „aus heraus“ abgeändert wird: „[it speaks from out of] every vessel“ (z.B. Ritner, in: JNES 65, 2006, 102). Die Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 73 weicht ab: „[it speaks] to every vessel“. Hier ist mt nb nicht länger das Medium in dem oder durch das das Herz spricht, sondern es ist der Adressat.
20 ḏd=f: An einigen späteren Stellen in den Glossen von pEdwin Smith wird aus gewissen Traktaten zitiert. Da im vorherigen Satz eine identische Passage mit dem sog. Gefäßbuch im Papyrus Ebers vorliegt, ist ein Zitat aus einer gemeinsamen Quelle denkbar, die vielleicht im fehlenden Anfang des Textes gestanden haben kann. Ansonsten könnte mit „er“ der prototypische Arzt gemeint sein. Allen, Art of Medicine, 73 lässt das Herz aus dem vorherigen Satz weiterreden mit einem Umstandssatz: „revealing the measurement of his [...]“, d.h. „indem es nennt/offenlegt die Messung seines [...]“.
21 rd.wj: Wird in Papyrus Edwin Smith fast immer ideographisch geschrieben. Breasted, Surgical Papyrus, 547 liest an allen Stellen rd bzw. rd.wj. Auch MedWb, 535–537 liest fast alle ideographischen Schreibungen als rd bzw. rd.wj. Nur in Fall 48 (Kol. 17.16) liest MedWb wꜥr.tj, weil das Wort anschließend mit dem femininen Objektspronomen sj wiederaufgenommen wird. Sanchez/Meltzer lesen hingegen alle ideographischen Schreibungen als wꜥr.tj (Kol. 1.7, 10.13, 10.16, 10.17, 11.12, 11.13, 17.16). In Fall 1 wird rd.wj zuerst ideographisch geschrieben (Kol. 1.7), anschließend im selben Zusammenhang phonetisch komplementiert (Kol. 1.8). Die hieratischen Zeichen für das Bein sind in beiden Fällen identisch und es erscheint logisch, auch die ideographische Schreibung als rd.wj zu lesen (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 32 lesen wꜥr.tj in Kol. 1.7 und rd.wj in Kol. 1.8). In Fall 32 (Kol. 11.8) liegt ein ideographisch geschriebener Singular vor und in diesem Fall lesen auch Sanchez/Meltzer rd (S. 208). Die Kombination von ꜥ.wj und rd.wj ist laut der Beleglage im TLA nicht unüblich, wohingegen die Kombination von ꜥ.wj und wꜥr.tj unerwartet wäre.
Die genaue anatomische Eingrenzung von rd im unteren Beinbereich ist umstritten. Wb 2, 461–462 gibt als Bedeutung von rd (nur) „Fuß“ an, der Unterschenkel wird dort nicht erwähnt (ebenso Faulkner, CDME, 154). Laut Grapow, Anatomie und Physiologie, 93 ist rd der „Fuß (...), wenn es auch oft zweifelhaft ist, ob mit diesem Wort das Bein als solches oder nur der Fuß im Besonderen gemeint ist.“ An anderer Stelle (S. 92) schreibt Grapow: „rd, das im Dual rd.wj gewiss oft genug einfach ‚die beiden Beine‘ schlechthin meint, hat auch die ganz gesicherte Bedeutung ‚Fuß‘.“ Für Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 48–49, § 55 war rd ursprünglich der Unterschenkel (tibia und fibula/perneus), durch Bedeutungserweiterung auch das ganze Bein und durch Bedeutungsverengung schließlich der Fuß (vgl. Lacau, Noms des parties du corps, 129–132, § 341–348). Laut MedWb I, 535–537 ist rd der „Fuß“, der auch den Unterschenkel mit einschließen kann (vgl. Hannig, HWB, 512: „Fuß (oft Unterschenkel mit eingeschlossen)“). Weeks, Anatomical Knowledge, 59 hält es für wahrscheinlich, dass rd „was the most consistently general term for the human leg, and it might best be translated as ‚lower limb‘.“ Er schreibt weiter (S. 60) „in some contexts, it referred only to that portion of the lower limb between the ankle and the knee (although in other contexts it included the foot as well)“. Für Walker, Anatomical Terminology, 271 ist ṯb.t das spezifische Wort für „Fuß“, während rd (1.) der Unterschenkel mit dem Fuß ist, dann auch (2.) der Fuß allein. Walker identifiziert rd als das gesamte Unterbein („knee + calf + foot“) (S. 79–80), aber er akzeptiert, dass in Übersetzungen in modernen Sprachen für unser Sprachgefühl der Terminus „Fuß“ manchmal in der Zielsprache mehr angebracht ist, obwohl es für die Ägypter anatomisch das Unterbein ist (S. 85–86). Spätestens der koptische Nachfahre von rd, ⲣⲁⲧ⸗, bedeutet eindeutig „Fuß“. Nyord, Breathing Flesh, 280–285, vor allem Anm. 2915: In den Sargtexten bedeutet es „Unterbein (lower leg)“ einschließlich „foot“ und manchmal spezifisch „Fuß“.
22 rd.wj=f: Breasted, Surgical Papyrus, 103, Anm. (p) nimmt an, dass aller Wahrscheinlichkeit nach am Ende der Zeile nichts fehlt, vermutlich weil die Beine auch in Zl. 7 die letzten aufgelisteten Körperteile sind. In Anbetracht der Länge der übrigen Zeilen, könnten jedoch 1 bis 2 Quadrate am Zeilenende fehlen, vermutlich mit dem Anfang des nächsten Satzes.
23 Ergänzung der Lücke nach einem Vorschlag von Grundriss IV/1, 172: „[Man mißt die Gefäße] seines Herzens (ḥꜣ.tj)“ (gefolgt von Westendorf, Brawanski, beide mit „er mißt“, d.h. der Arzt misst, statt „man mißt“).
24 šsꜣ.w ist ein Kernwort für das Wissen in der medizinischen Literatur. Es kommt von der Wurzel šsꜣ: „kundig sein, erfahren sein“ und ist ein auf Erfahrung basierendes Wissen, das weitertradiert wird und „kundig macht“. Für Breasted, Surgical Papyrus, 79–80 sind es ursprünglich vielleicht „(objektive) Hinweise, Anzeichen, Symptome“ („indications“), die man beobachten kann, später die darauf basierenden „Anweisungen, Richtlinien, Vorschriften“ („instructions“). Für Westendorf (Handbuch Medizin, 82–83; Papyrus Edwin Smith, 19) impliziert das Wort sowohl das gesammelte und gespeicherte Wissen in Form einer „Kunde“ wie Heilkunde (⟨ „kundig sein“) als auch die Absicht dieses Wissen als Information („Bekundung“ < „kundig machen, künden“) weiterzugeben. Zur Textsorte šsꜣw siehe Tanja Pommerening, Die šsꜣw-Lehrtexte der heilkundigen Literatur des Alten Ägypten. Traditionen und Textgeschichte, in: D. Bawanypeck und A. Imhausen (Hgg.), Traditions of Written Knowledge in Ancient Egypt and Mesopotamia. Proceedings of Two Workshops Held at Goethe-University, Frankfurt/Main in December 2011 and May 2012 (AOAT 403), Münster 2014, 7–46. Moderne Übersetzungen lauten „instructions“ (Breasted), „Heilkunde“ (Grundriß IV/1), „Information“ (Westendorf, Papyrus Edwin Smith), „medical prescription“ (Faulkner, CDME, 271), „descriptif (médical)“ (Bardinet), „Heilkunde, Krankheitslehre, Diagnostik; Bekundung“ (Hannig, HWB, 902), „Anweisung“ (Brawanski), „practices“ but meaning more precisely „knowledge gained from practical experience“ (Allen, Art of Medicine, 70), „necessary knowledge and skills“ (Sanchez/Meltzer, 33–34), „Lehrtext“ (Pommerening). Radestock, Prinzipien der altägyptischen Medizin, 129 schlägt „Lehrtexte mit kasuistischen Merkmalen“ vor, möchte dass aber „dezidiert nicht als konkretes Übersetzungsangebot oder gar exakt zielsprachliches Pendant“ verstanden wissen, sondern „das Augenmerk vielmehr auf besondere Inhaltsbestandteile der Textsorte richten“.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „allerdings schmerzen [die Ränder] [1.10] seiner Wunde“ angeht:
das bedeutet, dass (man) sagt: „Seine Wunde ist klein, [ohne weit zu sein] und ohne dass die beiden (Wundränder) auseinander klaffen (wörtl.: ohne dass es ein Klaffen durch einen (Wundrand) (weg) von seinem zweiten gibt).

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „(eine Wunde,) die bis zum [Knochen des (Hirn-)Schädels reicht, ohne zu klaffen]“ angeht:
das bedeutet, dass (man) sagt: „(Es) gibt ein Klaffen (wörtl.: es wird geklafft) seitens des Fleisches (d.h. der Haut);
allerdings ist diese [Wunde(?) beendet(?)] auf/über dem Knochen seines Schädels,
ohne dass die beiden (Wundränder) auseinander klaffen (wörtl.: ohne dass es ein Klaffen durch einen (Wundrand) (weg) von seinem zweiten gibt), (mit dem Ergebnis, dass die Wunde) klein ist, ohne weit zu sein.“

Fall 2: Kopfverletzung mit klaffender Wunde

(Titel:) Erfahrungswissen über eine [klaffende] Wunde1 [an seinem Kopf], die bis zum Knochen reicht.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer [klaffenden] Wunde [an] seinem [Kopf], die bis zum Knochen reicht, untersuchst2,
dann musst du folglich deine Hand auf sie (d.h. auf die Wunde, wohl nicht auf den Mann) legen,
(und) [dann musst du] seine [Wunde (durch Abtasten)] erfor[schen/absuchen]3.
Wenn du seinen (Hirn-)Schädel4 [unversehrt(?)] vorfindest, (ohne dass) [es einen Spal]t(?) (oder) ein Loch / eine Durchbohrung in ihm (dem Schädel) gibt,
(Diagnose:) dann sagst du daraufhin über ihn (den Patienten):
„Einer mit [einer klaffenden Wunde] an seinem Kopf:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann mu[sst du sie (d.h. die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) [1.15] frischem Fleisch] verbinden.
[Dann musst du folglich einen ꜣ.wj-Doppelverband/Kreuzverband(?) aus Leinenstoff auflegen.]5
[Du sollst ihn/sie danach] täglich [mit Öl/Fett, Honig und Faserbausch] versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 wbn.w n.j kf.t/kfi̯.t: Die Genitivverbindung wbn.w n.j kf.t/kfi̯.t wird von Breasted, Surgical Papyrus, 82–83 und 91 als „wound of a gash“, d.h. „a gashed wound, a gash-wound“ verstanden; er übersetzt meistens mit „a gaping wound“ (ebenso Allen, Art of Medicine; Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie und Bardinet, Papyrus médicaux übernehmen dies als „eine klaffende Wunde“ bzw. „une plaie béante“). Die Autoren des Grundrißes der Medizin (z.B. MedWb, 174 s.v. wbnw und 904 s.v. kf.t) arbeiten mit einer deutschen Neubildung: „Klaff-Wunde“. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 42 übersetzen systematisch mit „a slash wound“. In Wb 5, 120.3 wird wbn.w n.j kfi̯.t beim Verb kfi̯ untergebracht (ein Infinitiv; das Substantiv kf.t ist ebenfalls im Wörterbuch verzeichnet: Wb 5, 120.2: „klaffende Wunde“), Breasted und MedWb, 904–905 betrachten kf.t in diesem Zusammenhang als ein Substantiv; im Genitiv muss kf.t/kfi̯.t jedenfalls den Wert eines Substantivs (oder substantivierten Infinitivs) haben. Die „Wunde des Klaffens“ (wbn.w n.j kfi̯.t) bzw. „Die Wunde des Klaffs / der Klaffung“ (wbn.w n.j kf.t) ist eine schlimmere Verletzung als die einfache Wunde (wbn.w) (vgl. auch die „umgekehrte“ Nisbe: „eine Wunde, zu der eine Klaffung gehört“; vgl. für n.j als „umgekehrte“ Nisbe Jansen-Winkeln, in: ZÄS 127, 2000, 36). Für die verschiedenen Arten von Wunden in pEdwin Smith siehe Breasted, Surgical Papyrus, 82–83. Die Wundart wbn.w n.j kf.t hat zwei Wundränder (äg. sp.tj: „Lippen“) und kann mit einer Naht (jdr) zusammengefasst (nḏri̯) werden. Diese Beschreibung passt auf Schnittwunden/Schnittverletzungen, aber je nach Fall auch auf Stichwunden (z.B. Fall 3 und 29, bei denen wbn.w n.j kf.t mit einer thm-Durchbohrung kombiniert wird). Deshalb ist eine Übersetzung als „slash wound“ oder „Schnittwunde“ schon zu spezifisch, denn sie entspricht einer modernen Wundenklassifikation.
2 ḫꜣi̯: Meistens abgekürzt mit dem schlagenden Arm D40 geschrieben; Gardiner, EG, 455 (Signlist D40, Anm. 2) vergleicht pEbers 37.2 mit pEbers 36.4 für die Auflösung der Abkürzung. Das Verb mit dem schlagenden Arm als Determinativ bzw. als Logogramm wird in Wb 3, 223.2–3: „untersuchen, in Behandlung nehmen“ separat vom Verb ḫꜣi̯: „messen, wägen“ (Wb 3, 223.4–16, mit dem Getreidemaß U9 als Determinativ) aufgelistet, obwohl erwogen wird, ob es damit identisch ist. Das scheint trotz der unterschiedlichen Determinative ziemlich sicher zu sein, denn das Verb mit D40 wird in Glosse A zu Fall 1 (Kol. 1.3–4) mit dem Verb jp: „zählen“ erklärt (vgl. Breasted, Surgical Papyrus, 104–105). In Kol. 9.7 (Fall 26) und Kol. 10.4–5 (Fall 29) steht ḫꜣi̯ an einer Stelle, wo sonst immer das Verb ḏꜥr steht, was vermuten lässt, dass beide Verben eine ähnliche Semantik haben. ḏꜥr ist koptisch noch als ϫⲱⲣ „erkunden, untersuchen, erforschen“ erhalten und bedeutet „suchen, durchsuchen, untersuchen“. Deshalb wird auch für ḫꜣi̯ die Bedeutung „(einen Mann, eine Krankheit) untersuchen“ angesetzt. In MedWb II, 644–645 sind die zwei Bedeutungen „messen; untersuchen“ aufgelistet (auch Hannig, HWB, 623 hat beide Kontexte zusammengelegt: „messen; untersuchen“). Für Allen, Art of Medicine, scheint ḫꜣi̯ in medizinischem Sinne mehr als „messen“ oder „untersuchen“ zu sein, denn er übersetzt jr ḫꜣi̯=k z systematisch mit „if you treat a man“, d.h. „behandeln, ärztlich beistehen“ (vgl. schon die alternative Bedeutung in Wb 3, 223.2–3; Breasted, Surgical Papyrus, 553: im Index gibt er drei Bedeutungen „measure, examine, treat“). Die Übersetzung „to treat“ ist trotz der Bearbeitung von Allen in keinem Zusammenhang erforderlich, sondern ḫꜣi̯ scheint sich immer auf die Phase der Untersuchung, nicht auf die Phasen der Diagnose oder Therapie zu beziehen. Auch in den Fällen 41 (14.7–8), 45 (15.15–16) und 47 (17.5–6) kann ḫꜣi̯ als „untersuchen“ verstanden werden (dagegen Breasted: „to treat“), wobei „untersuchen“ dann als Pars pro toto für die ganze ärztliche Behandlung steht. In Fall 7, Kol. 3.3–4 steht jr ḫꜣi̯=k jš=f: „wenn du seinen Speichel untersuchst“, was Breasted, Surgical Papyrus, 177 jedoch ohne weitere Begründung als „if thou observe his spittle ...“ übersetzt (nachgefolgt in den Übersetzungen von Chapman 1992; Bardinet, Papyrus médicaux; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus; vgl. „If you notice“ bei Allen, Art of Medicine). Abgesehen von der Tatsache, dass „to observe“ eine Aktivität mit den Augen ist und die Übersetzung ḫꜣi̯ fast als ein Synonym von gmi̯ oder mꜣꜣ aussehen lässt, kann die Übersetzung „untersuchen“ mit Westendorf beibehalten bleiben.
3 ḏꜥr: Ist koptisch noch als ϫⲱⲣ „erkunden, untersuchen, erforschen“ erhalten und bedeutet „suchen, durchsuchen, untersuchen“ (Wb 5, 539.8–540.14). In den medizinischen Texten geht es um das Untersuchen mit den Fingern (pEbers 106.18–19: jr ḏꜥr ḏbꜥ=k; pEdwin Smith 2.4 und 2.13: ḏꜥr.ḫr=k wbnw=f / gmm=k ḫ.t ... ẖr ḏbꜥ.w=k; vgl. pEdwin Smith 2.21 und 4.11), weshalb hier die spezifische Bedeutung „abtasten, befühlen, palpieren“ angesetzt wird (Breasted, Surgical Papyrus, 92–93; MedWb II, 998–999), die im Wb noch fehlt. Laut Burridge, in: JSSEA 27, 1997, 23, Anm. 21 war Palpieren (in Fall 6) erforderlich, weil starke Blutung die Sicht auf die Wunde einschränken konnte, weshalb die Ausdehnung der Verletzung mit den Fingern ertastet werden musste.
4 ḏnn.t: Bezeichnet vor allem den knöchernen Schädel oder mehr spezifisch den Hirnschädel (wohl nicht nur das Schädeldach), denn es kann durchstoßen/durchbohrt (thm), gespalten (pšn) und zersplittert/zerbrochen (sḏ) werden und bei Verletzungen wird der Knochen (qs) des ḏnn.t erreicht oder es entstehen Schalen/Scherben (pꜣq.t) und Knochen(fragmente) (qs), die zum Innern einsinken können. Brüche im Gesichtsbereich werden nicht mit ḏnn.t in Zusammenhang gebracht, weshalb der Gesichtsschädel wahrscheinlich nicht gemeint ist bzw. ausgeschlossen werden kann. Außerdem bezeichnet ḏnn.t nicht ausschließlich den knöchernen Hirnschädel, sondern in manchen Fällen auch den Schädelinhalt (das Gehirn ꜣjs n.j ḏnn.t und die lederartige tpꜣ.w zwischen den pꜣq.t des ḏnn.t). Die allgemeine Bezeichnung „(knöcherner) Schädel“ findet man im Wb 5, 576.13–14 („Schädel“ und „insbesondere der (knöcherne) Schädel, in dem das Gehirn liegt“), bei Breasted, Surgical Papyrus, 86–87 („skull“) und im MedWb II, 1005 („Schädel“) (z.B. auch bei Nunn, Egyptian Medicine, 49; Karenberg und Leitz, in: Cephalalgia 21, 2001, 913: „skull as a whole“). Die lateinische Entsprechung für den knöchernen Schädel, einschließlich des Unterkiefers, lautet cranium. Die Bedeutung „Schädel“ wird teilweise weiter eingegrenzt, entweder nur in spezifischen Zusammenhängen oder generell, entweder auf „Hirnschädel“ (neurocranium = Hirnschale/Gehirnschale = braincase) oder auf „(knöchernes) Schädeldach“ (calvarium/calvaria = Schädelkalotte = skull cap). Grapow, Anatomie und Physiologie, 26 sagt, dass es „der knöcherne Schädel, in dem das Gehirn liegt“ ist (d.h. das neurocranium). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 22 hat seinerseits schon mit „Gehirnschale“ übersetzt, bei Grapow findet man ḏnn.t unter dem ungebräuchlichen, mittlerweile veralteten Begriff „Schädelkapsel“ als Teil/Bereich des Hirnschädels eingeordnet (das Lemma „Schädelkapsel“ steht nicht in den gängigen Wörterbüchern wie Grimmsches Wörterbuch, Meyers Großes Konversationslexikon, Duden oder Wahrig). Auch wenn das französische „crâne“ dem deutschen „Schädel“ entspricht, schränkt G. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 10 die Bedeutung von ḏnn.t in ähnlicher Weise ein: „le crâne, qui constitue la partie supérieure et postérieure de la tête“ (also der Hirnschädel). Weeks, Anatomical Knowledge, 18–19 versteht ḏnn.t als „cranium“, d.h. „the bones of the head and not the head as a whole“, wobei für ihn die Mundöffnung nicht dazugehört. Somit ist der Terminus cranium schlecht gewählt; neurocranium wäre besser gewesen (oder wird in der älteren anglo-amerikanischen medizinischen Terminologie cranium anders definiert als in der deutschen?). Einmal (S. 18) übersetzt Weeks ḏnn.t allerdings mit „calvarium“, was eine Beschränkung auf den (oberen) Teil des Schädels implizieren würde, der das Gehirn enthält, aber ohne die Schädelbasis. Walker, Anatomical Terminology, 279 übersetzt mit „braincase, cranium“ (sic!) und er vermerkt, dass ḏnn.t „denotes only that part of the skull enclosing the brain“ und „does not include the bones of the face“. Die Übersetzung „braincase“ wird ebenfalls durch Sanchez/Meltzer verwendet. Auch Singer, My Skull Has Not Been Crushed, versteht ḏnn.t als den knöchernen Schädel ohne den Gesichtsbereich, was er fälschlicherweise das calvarium nennt (in seiner Abb. 1 auf S. 10 scheint die Schädelbasis mit eingeschlossen zu sein). Für calvaria entscheidet sich Breasted, Surgical Papyrus, 86, der nicht vom Hirnschädel spricht. In Anbetracht der Art der Knochenverletzungen verwendet der Autor von pEdwin Smith nach Meinung von Breasted das Wort ḏnn.t in technischem Sinne für die calvaria, d.h. das knöcherne Schädeldach (wahrscheinlich weil es typische Verletzungen für platte Knochen sind). Das Schädeldach (die Schädelkalotte) mit dem darunterliegenden Gehirn gehören eindeutig zum ḏnn.t, aber ḏnn.t ist wahrscheinlich mehr als nur das Schädeldach und schließt den ganzen Hirnschädel mit ein (sofern die Ägypter eine ähnliche Klassifikation wie heute vorgenommen haben!). ḏnn.t kann manchmal mit ḏꜣḏꜣ abwechseln, das eine allgemeine Bezeichnung für „Kopf“ ist, sich in diesen Fällen dann aber konkret auf den knöchernen Kopf, d.h. den Schädel bezieht.
5 Alle Ergänzungen nach Breasted, Surgical Papyrus, 121, der einige Wörter weglassen bzw. verkürzt schreiben möchte, um die Ergänzungen entsprechend der mutmaßlichen Länge der Lücke einpassen zu können. Am Ende der Lücke ist noch das Determinativ von ftt: „Faserbausch“ erhalten, zweifellos in der gängigen Kombination von Öl/Fett, Honig und Faserbausch. Am Anfang wird die tiefe Fleischwunde möglicherweise mit frischem Fleisch am ersten Tag bandagiert (wt). Beide Elemente kommen schon in der Behandlung von Fall 1 (und auch in späteren Fällen) gemeinsam vor. Aber laut Glosse B sollten auch die Stoffstreifen ꜣ.wj/ꜣr.wj n.j ḥbs ergänzt werden, die in Kol. 2.23, 5.9 und 9.16 aufgelegt (wdi̯/rḏi̯), nicht bandagiert (wt) werden.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine [klaffende] Wunde [an seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht]“ angeht:
[das bedeutet ... ... ...] seine Wunde.6

6 Die Gesamtlücke in Zl. 16 beträgt ca. 15–16 Quadrate. Nur Westendorf, Handbuch Medizin, 712 schlägt eine Ergänzung für die erklärende Glosse vor (gefolgt von Brawanski, in: SAK 29, 2001, 13): „Was anbetrifft: Eine [Klaff-]Wunde [an seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht. – Das bedeutet: Geöffnet (?) sind die beiden Lippen seiner Wunde, so daß ein Klaff entstanden ist] in seiner Wunde.“ Westendorf, Handbuch Medizin, 712, Anm. 5 vermutet, dass die Zeichenspur vor wbn.w=f kein =f: „er; ihn; sein“, sondern ein m für die Präposition „in“ oder eventuell ein w ist.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „der ꜣ.wj-Doppelverband/Kreuzverband(?)7 aus Leinenstoff“ angeht:
[das ist] ein Paar sšd-Binden [aus Leinenstoff,
das man auf die beiden Ränder der klaffenden Wunde legt, um dafür zu sorgen, dass der eine (Rand)] den anderen [berührt].8

7 ꜣ.wj: Wird auch ꜣj.wj, ꜣjr.wj und jr.wj geschrieben und ist ein Dual, der mit zwei Schnüren (Gardiner Sign-List V1 und V6) determiniert ist. Es wird in Wb 1, 2.8 als ꜣj transliteriert, was Gardiner, in: JEA 34, 1948, 16 zu ꜣj.wj ändern möchte, weil eine Singular-Schreibung ꜣj nicht belegt ist. Als ꜣj.wj ist es in MedWb I, 1–2 aufgenommen, als ꜣjr.wj bei Hannig, HWB, 2. In zwei Glossen (Fall 2, Kol. 1.16; Fall 10, Kol. 5.9) wird ꜣj.wj mit sšd.wj: „zwei Binden“ erklärt. Dabei ist ꜣj.wj vielleicht eine besondere Art von Binde oder ein Terminus technicus, denn sšd ist eindeutig häufiger belegt, kommt aber auch schon in den Pyramidentexten vor. In Wb 1, 2.8 wird ꜣ.wj als „Binden (o.ä.) zum Zusammenhalten einer klaffenden Wunde“ übersetzt bzw. umschrieben, aber die Dualform spricht spezifisch für „two strips“ (Breasted, Surgical Papyrus, 121–123) oder „Binden-Paar‘“ (MedWb I, 1). Das Binden-Paar oder die Doppelbinde ist aus Leinenstoff (ḥbs), d.h. aus Flachs, hergestellt, wie aus der Glosse zu Fall 10 hervorgeht (Kol. 5.9: ꜣ.wj n.j ḥbs.w; ebenfalls in Kol. 1.16 und 17.4). Es wird auf die Wunde gelegt (wdi̯; rḏi̯) und fasst die auseinander klaffenden Ränder zusammen (nḏri̯). Wegen der Applikationsart der Doppelbinde mit dem Verb wdi̯ meint Breasted, Surgical Papyrus, 122, dass ꜣj.wj nichts mit Nähen zu tun haben kann. Da sie aber die Wundränder zusammenhalten, müssen die ꜣj.wj für ihn „strips of linen plaster, a kind of adhesive tape“ sein. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 10 folgt dem (ebenso Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 186 und 180: „une sorte d’albuplast ou de sparadrap“), aber er vermerkt, dass es unklar ist, ob das „Heftpflaster“ schon mit Klebstoff versehen vorlag oder ob die Binden erst bei der Anwendung mit Klebstoff bestrichen wurden. Als Klebstoff kommen Gummi arabicum und andere Harze in Betracht (so z.B. Grapow, Grundriss III, 127; Nunn, Egyptian Medicine, 173; Majno, The Healing Hand, 94; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 44 und 106). Viele Textbearbeiter glauben an die Verwendung von Klebstoff (z.B. Bardinet, Papyrus médicaux, 501: „deux bandes (aouy) (adhésives)“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 106: „the cloth bands probably had adhesive properties, functioning as our current ‚steri-strips,‘ ‚butterfly strips,‘ and other variants of sutureless wound closure materials and techniques.“). Brawanski, in: SAK 35, 2006, 48–49 weist jedoch darauf hin, dass die Kunst des Verbindens eine große Rolle in der antiken Medizin (und nicht nur bei der Mumifizierung) spielte, so dass eine Klebung nicht unbedingt erforderlich war. Breasted, Surgical Papyrus, 122 schreibt, dass „two pieces are ‚applied‘ transversely across the gaping wound“, aber Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 10 meint, dass die Dualform für eine kreuzweise statt einer transversalen Anbringung des Bindenpaares sprechen könnte. Deshalb wird in jüngeren Publikationen von einer Art „Kreuzverband“ gesprochen (Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 49, Anm. 2; Hannig, HWB, 2: „*Kreuzverband“). Für die Verwendung von Verband siehe Bardinet, Papyrus médicaux, 235–236 mit Verweis auf einen Brief, in dem um alte Kleidung (ḥbs.w jz) zur Herstellung von Leinenbinden zum Bandagieren (pry r wt) gebeten wird (LRL Nr. 20 = pParis BN 197.V = Wente, Letters, 1990, 182, Nr. 300).
8 Die Glosse kann nach Fall 10 (Kol. 5.9) ergänzt werden, der die gleiche Glosse enthält.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „Es gibt keinen Spalt und kein Loch [in ihm (d.h. dem Schädel)]8n“ angeht:
[das bedeutet ... ... ...]9

8 pšn thm [jm=s]: Breasted ergänzt [sḏ jm=s] wegen der Parallele in Kol. 7.9: n-wn.t pšn thm sḏ jm=f, aber es gibt keinen Hinweis darauf, dass auch die sḏ-Verletzungsart in Fall 2 (in Zl. 1.14) erwähnt wird. Trotzdem folgen Brawanski sowie Sanchez/Meltzer der Ergänzung von Breasted.
9 Die Länge der Lücke mit der erklärenden Glosse beträgt ca. 12–13 Quadrate. Nur Westendorf, Handbuch Medizin, 712 erwägt eine Ergänzung: „Was anbetrifft: Nicht ist ein Spalt (oder) ein Loch [an ihm. – Das bedeutet: Sein Schädel ist unversehrt, nicht ist er gespalten (oder) durchlöchert].“

Fall 3: Schädelverletzung mit Lochbruch

(Titel:) [Erfahrungswissen über eine] klaffende [Wun]de an seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht – sein [(Hirn-)Schädel ist] durchbohrt/durchstoßen.
(Untersuchung:) [Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an] seinem [Kopf untersuchst], die bis zum Knochen reicht
– sein (Hirn-)Schädel ist durchbohrt/durchstoßen –,
dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Du findest [1.20] ihn vor, indem er nicht in der Lage ist, auf seine Schultern und seine Brust1 zu blicken,
und (indem) er an Steifheit/Steifigkeit (wörtl.: Aufrichtung)2 in seinem Nacken3 leidet.
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit [einer klaffenden Wunde an seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht]
– sein (Hirn-)Schädel [ist durchbohrt/durchstoßen] –,
(indem) er an Steifheit/Steifigkeit (wörtl.: Aufrichtung) in seinem Nacken leidet:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) So[bald du also jenen Mann / jene Durchbohrung vorfindest,]
[darfst du] am ersten Tag [kein] frisches [Fleisch] auf seine Wunde [legen] (?).
(oder: Nach[dem du ihn genäht hast,
da musst du folglich] am ersten Tag frisches [Fleisch] auf seine Wunde [legen] (?).)4
Du darfst ihn/sie (den Patienten oder die Wunde) nicht verbinden.
(Er) werde auf den Boden [auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?)] gelegt, [so dass / bis der Höhepunkt / die kritische Phase seines jh-Leidens vorübergeht.]
Du mögest ihn [an]schließend täglich mit Öl/Fett, Honig und Faserbausch [versor]gen/pflegen, bis es ihm besser geht (oder: so dass er sich (wieder) wohl fühlt).

1 qꜣb.t ist ein häufig genannter Körperteil im Papyrus Edwin Smith. Laut Breasted, Surgical Papyrus, 372–373 wird es in 3 Zusammenhängen verwendet: (1) für die Brust des Menschen im Allgemeinen („the breast in general“, d.h. die Vorderseite des Rumpfes), (2) für die fleischigen Teile über dem Brustkorb („the soft tissues overlying the bony structure“) und (3) für das Brustbein (Sternum). Wb 5, 11.2–8 nennt nur die Brust des Menschen als Ganzes (vgl. Grapow, Anatomie, 59: „anatomisches Wort für ‚Brust‘“; Gardiner, AEO, II, 241*: „breast“; Faulkner, CDME, 276: „breast“) und des Rindes, daneben selten auch die weibliche Brust. Laut Lefebvre, Tableau des parties du corps, 24, § 24 ist „sternum“ die ursprüngliche Bedeutung und wird qꜣb.t durch Bedeutungserweiterung zu „poitrine, au sens large“ (daher Lacau, Noms des parties du corps, 76–77, § 193–195: „sternum, poitrine“). Walker, Anatomical Terminology, 276 hat ebenfalls „breastbone, sternum“. Für Weeks, Anatomical Knowledge, 44–45 ist qꜣb.t nicht das Sternum selbst, sondern der Bereich darüber: „the area over the sternum between the pectoral muscles, i.e., the area from the jugular notch caudally along the midsternal line perhaps to the area of the xiphoid process (the epigastric region)“. MedWb II, 877–879 meint, dass qꜣb.t in den medizinischen Texten nicht der konkrete Knochen des Brustbeins (Sternum) ist (das ist laut MedWb II, 611 ḥntꜣ, was von Breasted als „Manubrium“ gedeutet wird), sondern der „knöcherne Brustkorb“ als Ganzes und in seltenen Fällen auch die fleischlichen Teile darüber. Ähnlich steht bei Westendorf, Handbuch Medizin, 176: „Brust, Brustkorb“ (Westendorf präzisiert: in medizinischem Sinne vor allem der knöcherne Teil der Brust, daneben auch die äußeren, fleischigen Teile des Brustkorbs). Im Laufe der Zeit überwiegt vermutlich diese Bedeutung der äußeren, fleischigen Teile des Brustkorbs, insbesondere des weiblichen Busens (vgl. Wb 5, 11.5–6), denn der koptische Nachfahre ⲉⲕⲓⲃⲉ bedeutet „weibliche Brust“ und „Brustwarze“ (Crum, CD, 54a). Hannig, HWB, 917 listet die Bedeutungen: „(1) Brust, (knöchernder) Brustkorb; (2) Ausschnitt, Busen, Dekolleté (von der Kleidung nicht bedeckter Teil der Brust)“.
2 ṯz.w: Ist ein Substantiv, das vom Verb ṯzi̯: „(sich) aufrichten“ abgeleitet ist. Eine „Aufrichtung“ (MedWb II, 970) oder „(steife) Ausgestrecktheit“ (s. Grapow, Anatomie und Physiologie, 46) im Nacken als Symptom bei verschiedenen Verletzungen folgt in Kol. 1.20 und 1.25–26 (Fall 3) unmittelbar auf das Symptom, dass der Patient nicht auf seine Schultern oder seine Brust blicken kann; in den Fällen 4, 5 und 7 (Kol. 2.5; 2.14–15; 3.4 und 6) ist die Reihenfolge der Symptome umgekehrt. Häufig wird auch das Symptom des Blutens aus den Nasenlöchern und den Ohren im gleichen Zusammenhang erwähnt (Fälle 4–8, 20 und 22). Die „Aufrichtung“, wenn sie im Nacken auftritt, wird als eine Versteifung oder Steifigkeit im Nacken verstanden (siehe Breasted, Surgical Papyrus, 129–131; MedWb II, 970; Pommerening: „Steilstellung des Nackens“ durch nicht gewollte Muskelverspannung). Als Grund für die Nackensteifigkeit oder Nackensteife wird eine Reizung der Meningen angenommen, die durch eine Blutung (eine Subarachnoidalblutung infolge des Schlages auf dem Kopf) oder Infektion verursacht werden kann (Brawanski, in: SAK 29, 2001, 15–16; Nunn, Egyptian Medicine, 174; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 50). Die von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 19 vorgeschlagene mögliche Ursache: ein reflektorisches Anspannen der Muskeln wegen der Schmerzen, die durch eine Stauchung der Gelenke der Halswirbelsäule als Folge des Schlages auf dem Kopf verursacht werden, ist laut Brawanski 2001, 16 klinisch eher unwahrscheinlich.
3 nḥb.t: Das Wort ist bis ins Koptische als ⲛⲁϩⲃ, ⲛⲁϩⲃⲉ belegt und bedeutet dann einerseits „Schulter, Rücken“ und andererseits „Nacken, Hals“ (Crum 243a–b). Im älteren Ägyptischen sind nur die Bedeutungen „Nacken, Hals“ belegt (Wb 2, 292.9–16), wobei in den medizinischen Texten ausschließlich die Bedeutung „Nacken“ (eng.: back of the neck, posterior neck) vorliegt (Grapow, Anatomie und Physiologie, 45–46; MedWb I, 472–474; Walker, Anatomical Terminology, 28 und 271). In den frühesten Belegen wird die nḥb.t einer Schlange mit einer Reihe von Wirbeln determiniert, d.h. das Wort scheint zuerst „Halswirbelsäule“ bedeutet zu haben (Pyr. 438 und 511; Grapow, Anatomie, 45).
4 Zwei verschiedene Ergänzungen liegen für diese Passage vor. Eine ist von Breasted (Surgical Papyrus, 132–133 und Taf. 1c) nach den Fällen 10 und 26: jr [m-ḫt jdr=k sw / wdi̯.ḫr=k jwf] wꜣḏ .... Westendorf, in: GM 153, 1996, 107–110 (und schon vorher in: Grundriß IV/2, 140, Anm. 1 zu Smith Fall 3; Grundriß IX, 79 [Nachträge], und in: Papyrus Edwin Smith, 33–34) lehnt diese Ergänzung jedoch ab, weil das Vernähen der Wunde in den Fällen 10 und 26 schon bei der Untersuchung stattfindet und nicht erst nach der Diagnose. Westendorf ergänzt deshalb jr [ḏr gmm=k z pf thm ḏnn.t=f]: „Wenn du also jenen Mann findest, dessen Schädel durchlöchert ist“ oder, weil der Platz dafür wohl nicht ausreicht, kürzer jr [ḏr gmm=k z pf]: „Wenn [du also jenen Mann findest]“ oder eventuell jr [ḏr gmm=k thm pf]: „Wenn [du also jenes Loch findest]“.
[wdi̯.ḫr=k jwf] wꜣḏ ist die Ergänzung von Breasted. In Grundriß IV/2, 140, Anm. 2 zu Sm Fall 3 wird auch die Ergänzung von rḏi̯ statt wdi̯ für möglich gehalten. Aber in jüngeren Beiträgen argumentiert Westendorf für eine Konstruktion mit einer Negation (Westendorf, Handbuch, 713 = Westendorf, in: GM 153, 1996, 107–110): [jmi̯=k wdi̯/rḏi̯ jwf] wꜣḏ.

(Glosse A:) [Was (die Textstelle) “... ... ... ...]5 sein Hirnschädel [ist ... (Bewegungsverb)]6n“ [angeht],
⟨das ist⟩ ein kleiner sḏ-Bruch7 (Splitterbruch),
weil8 er (der Mann oder sein Kopf) sich einen sḏ-Bruch ähnlich wie die nꜥš-Durchbohrung(?)9 eines ḥnw-Topfes zugezogen hat.
(oder:
[Was (die Textstelle) „sein Hirnschädel ist durchbohrt“ angeht:
das ist ein sḏ-Bruch(?), der] seinen Hirnschädel [... (Bewegungsverb) hat].
Der sḏ-Bruch (Splitterbruch) erweist sich als klein,
weil er sich einen sḏ-Bruch ähnlich wie die nꜥš-Durchbohrung(?) eines ḥnw-Topfes zugezogen hat.)
[1.25] [... ... ... ..., den] er sich [zugezo]gen hat(?).

5 Die Ergänzung des Anfangs der Glosse hängt mit dem erhaltenen Rubrum ḏnn.t=f und der Interpretation des anschließenden sḏ nḏs in schwarzer Tinte zusammen. Entweder ist ḏnn.t=f das letzte Wort des Zitats, das glossiert wird (so Allen), oder es ist das letzte Wort des ersten Satzes (ein pw-Satz) der Erklärung (so die meisten Übersetzer). Da die Glossen das, was in früheren Glossen stand, im Prinzip nicht wieder aufnehmen, nehmen Breasted und die meisten Bearbeiter an, dass nur thm ḏnn.t=f erklärt ist. In Anbetracht der Länge der Lücke, müsste das erhaltene ḏnn.t dann, trotz des Rubrums, zur Erklärung gehören. Falls es zum ersten Satz der Erklärung gehört, müsste hier ebenfallst sḏ ergänzt werden, denn ansonsten lässt sich die Anwesenheit von sḏ in den nächsten Sätzen nicht erklären. Unerwartet ist jedenfalls, dass der letzte Satz der Behandlung und der erste Satz der Glosse nicht durch die Verwendung von unterschiedlicher Tinte differenziert zu sein scheinen.
6 ḏnn.t=f: Unmittelbar davor sind die Beinchen (Gardiner Sign-List D54) erhalten, die als Determinativ zu Verben der Bewegung stehen. Aber gerade wegen dieses Determinativs lehnt Breasted, 136, Anm. a die Ergänzung thm ab, das im pEdwin Smith mit dem (angewinkelten) Bein (Gardiner Sign-List D56) determiniert wird. Trotzdem übersetzt Allen mit „violated“ (d.h. thm) und auch Meltzer hat „penetrated(?)“. Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 47–48) erwägt außer thm noch die Ergänzung folgender Verben: ḏfy: „penetrate“, ḫmꜥ: „penetrate“ und ꜥq: „enter“. Westendorf (Handbuch Medizin, 713) erwägt die Ergänzung des Verbs pḥ: „erreichen“. In den Übersetzungen liegen folgende Ergänzungen vor:
- „Das bedeutet, es ist ein Loch/Bruch in seinem Kopf], erreichend (pḥ?) seinen Schädel.“ (Westendorf, Handbuch Medizin, 713) (etwa [thm/sd? pw m tp=f pḥ] ḏnn.t=f);
- „Das bedeutet, es ist ein Loch/Bruch in] seinem (Hirn-)Schädel.“ (Westendorf, in: GM 153, 1996, 107) (etwa [thm/sd? pw m] ḏnn.t=f);
- „das bedeutet, ein Lochbruch ist in seinem Kopf, reichend bis zum Knochen seines Schädels“ (Brawanski, in: SAK 29, 2001, 15: ohne die Lücke anzugeben; Ergänzung eindeutig nach Westendorf);
- „[As for ‚a gaping wound in his head, which has penetrated to the bone and violated] his skull‘, it is a small fracture“ (Allen, Art of Medicine, 73) (etwa [jr wbn n.j kf.t m tp=f (j)ꜥr r qs thm] ḏnn.t=f / sḏ nḏs ⟨pw⟩).
7 sḏ: „zerbrechen, zersplittern“: Ist in pEdwin Smith eine von drei Arten/Ursachen von Schädelverletzungen, neben thm: „durchbohren, durchstoßen“ und pšn: „spalten“. Bei der Durchbohrung entsteht ein Lochbruch, beim Spalten ein Spaltbruch (Fissur). Das Verb sḏ bedeutet wahrscheinlich ursprünglich „einen Topf zerbrechen (in zahlreiche Scherben)“, denn das Verb wird in Pyr. 954a (Spruch 476, Version M300) mit einer Topfscherbe determiniert. Bei der sḏ-Verletzung des Schädels entstehen „Knochen“ (qs.w) bzw. „zahlreiche Reste“ (zp.w ꜥšꜣ.w) in der Wunde (siehe pEdwin Smith, Fall 5, Glosse A, Kol. 2.17), d.h. es ist ein Splitterbruch mit ausgedehnten Frakturen und Fissuren, was im Bereich des Schädels auch als Berstungsfraktur bezeichnet wird. Moderne Klassifikationen unterscheiden des Weiteren nach der Anzahl der Fragmente zwischen einer Stückfraktur (weniger als 7 Fragmente) und einer Trümmerfraktur (mehr als 7 Fragmente), englisch „comminuted fracture“. Übersetzungen für sḏ sind daher „zersplittern, zertrümmern, zerbrechen“, engl. „to smash, to crush“, franz. „éclater“. Das Verb sd/sḏ wird vor allem für die Schädelknochen verwendet, selten für die übrigen Knochen, für die in Papyrus Edwin Smith das Verb ḥsb verwendet wird. Brawanski, in: SAK 29, 2001, 15 fragt sich, ob der thm-Bruch eine Unterform des sḏ-Bruches ist (das könnte aus Glosse A von Fall 3 des Papyrus Edwin Smith herauszulesen sein). sḏ kann auch von Fleisch, Geschwülsten und Krankheitserscheinungen (aufbrechen, zerbrechen, aufplatzen, zerplatzen) gesagt werden, ḥsb nicht. In pEdwin Smith findet sich keine Glosse mit einer Definition des ḥsb-Bruchs. Der ḥsb-Bruch wird von der Forschung bestimmt als das, was ein sḏ-Bruch nicht ist: es wird ein einfacher, glatter Bruch sein und das Verb ḥsb wird für „(in nur 2 Stücke) zerbrechen“ stehen.
8 n ꜥpr=f sḏ: Das erste Wort wird von fast allen Bearbeitern als die Präposition/Konjunktion n mit der kausalen Bedeutung „weil“ verstanden (z.B. MedWb I, 420, Nr. G): „weil er (der Mann z oder sein Kopf tp) mit einem Bruch versehen ist“ o.ä. Nur Westendorf, Handbuch Medizin, 713 übersetzt n als eine Negation: „nicht hat er (der Mann) sich einen Bruch ... zugezogen.“
9 nꜥš: Ist ein Hapax legomenon, dessen Bedeutung als „puncture“ durch Breasted, Surgical Papyrus, 137 aus der Bedeutung von thm abgeleitet wurde. Dieselbe Bedeutung bei Wb 2, 210.1: „Sprung oder Riss eines Topfes (mit dem ein Bruch im Schädel verglichen wird)“; MedWb I, 448: „Durchlöcherung (eines Topfes)“; Hannig, HWB, 418: „Durchlöcherung (e. Topfes)“. Möglicherweise ist nꜥš: „brüchig(?)“ (so Westendorf, Handbuch Medizin, 713, Anm. 7), das von der Stimme eines Neugeborenen in Eb 839 gesagt wird, von derselben Wurzel abgeleitet (anders MedWb I, 448). Pommerening übersetzt mit „Brüchigkeit“.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „er ist nicht in der Lage, auf seine Schultern und [seine Br]ust zu blicken“ angeht:
[das bedeutet, dass es für ihn nicht angenehm ist, dass er auf] seine Schultern10 [blickt],
(indem) es für ihn (ebenfalls) nicht angenehm ist, dass er auf seine Brust blickt.

10 qꜥḥ: Das Wort ist von der Wurzel qꜥḥ: „beugen, anwinkeln“ abgeleitet und hängt mit dem Substantiv qꜥḥ: „Winkel, Ecke“ zusammen. Es ist außerdem zusammen mit der Bezeichnung rmn zu betrachten. Breasted, Surgical Papyrus, 567 übersetzt qꜥḥ immer mit „Schulter“ und äußert sich nicht zu rmn, das nicht im pEdwin Smith vorkommt. Als Körperteil des Menschen bedeutet qꜥḥ laut Wb 5, 19.6–13 „Oberarm, Schulter“ und selten auch „Arm allgemein“. Wb 2, 418 gibt für rmn ebenfalls die Bedeutung „Oberarm, Schulter“ an, genau wie bei qꜥḥ. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 28, § 30 präzisiert, dass qꜥḥ die technische Bezeichnung für „Schulter“ ist, während rmn die außerhalb der medizinischen Texte gängige Bezeichnung ist. Sowohl qꜥḥ als auch rmn haben laut Lefebvre eine Bedeutungserweiterung zu „Arm (humerus)“ erfahren. Im Wörterbuch der medizinischen Texte wird zwischen qꜥḥ und rmn differenziert: qꜥḥ bedeutet laut MedWb II, 880–882 die „Schulter (als Ecke des Körpers)“, während rmn der „Oberarm“ ist (MedWb I, 527) (ebenso Grapow, Anatomie und Physiologie, 50–52). Lacau, Noms des parties du corps, dreht die beiden Bedeutungen genau um: für ihn ist qꜥḥ „le bras“ und rmn „l’épaule“ (S. 20, § 41 und für rmn auch 104–105, § 272–275). Er präzisiert (108–110, § 284–289), dass qꜥḥ „le bras (de l’épaule au coude), puis le bras entier“ bzw. dass qꜥḥ der Humerus aber auch der gesamte Arm ist. Weeks, Anatomical Knowledge, 47–48 und 50 hält rmn für den allgemeinen Begriff für die „Schulter“ und er beschränkt qꜥḥ auf einen Teil der Schulter: „the deltoid area proper, i.e., the prominent muscle lying at the tip of the shoulder and partially covering the acromion.“ Walker, Anatomical Terminology, 277 gibt als Bedeutungen für qꜥḥ „1. angle of shoulder, shoulder joint“ (so auch Sanchez/Meltzer an den entsprechenden Stellen in Papyrus Edwin Smith) und „2. whole arm from shoulder joint downwards“. Für rmn vermerkt er (S. 271): „shoulder, trapezius muscle / The horizontal region between the angle of the shoulder (i.e. the qꜥḥ) and the neck. Equivalent to a horizontal arm of a balance. During processions the bark of a god is carried on the rmn of the priests.“ Während rmn als Körperteilbezeichnung im Koptischen ausgestorben ist, lebt qꜥḥ weiter im Wort ⲕⲉⲗⲉⲛⲕⲉϩ: „Ellenbogen“. Dieses geht zurück auf *qꜣr.t n(.t) qꜥḥ: „Riegel(balken) des Oberarms / der Schulter“, wobei ⲕⲉⲗ, der Nachfahre von qꜣr.t, zusätzlich zu „Riegel“ auch die Bedeutungen „Knie“ und „Gelenk“ bekommen hat. Faulkner, Concise Dictionary, 276 listet für qꜥḥ drei Bedeutungen auf: „Ellenbogen“, „Arm“, und „Schulter“, für rmn hat er u.a. „Schulter“ und „Arm“ (S. 149). Wir folgen hier dem MedWb, dass mit qꜥḥ die Schulter gemeint ist.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „er leidet an Steifheit/Steifigkeit [2.1] in seinem Nacken“ angeht:
das bedeutet ein Aufgerichtet-sein/Steilstehen11 wegen seines jh-Leidens;
dieses ist abgewandert (oder: hat sich verirrt) in seinen Nacken.
Und dann muss folglich sein Nacken darunter/infolgedessen leiden.

11 ṯsi̯.t: Ist der Infinitiv von ṯzi̯: „aufrichten; erheben“. Laut Brawanski, in: SAK 29, 2001, 16 würde die Übersetzung „Steilstellung“ einen klinischen Sinn ergeben.

(Glosse D:) Was (die Textstelle) „(Er) werde auf den Boden auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?)12 gelegt“13 angeht:
das bedeutet, ihn auf sein jmj.t-Bettzeug(?)
14 zu setzen;15
(Man) sei Zeuge/anwesend (oder: (er) werde bezeugt/überprüft)16, ohne für ihn ein Heilmittel zuzubereiten.

12 mnj.w: Das Wort wird ausschließlich logographisch geschrieben mit einem senkrechten Zeichen, das dem Finger (Gardiner Sign-list D50) oder dem Wurfholz (Gardiner Sign-list T14) ähnelt, was für Leseschwierigkeiten sorgt. Im Wörterbuch wurde es als ḏbꜥ und nicht als mnj.w gelesen. Der Ausdruck wird im Wörterbuch deshalb als wdi̯/ḏi̯ (r tꜣ) ḥr ḏbꜥ.w=f in Wb 1, 387.19–20 (s.v. wdi̯) und Wb 5, 564.23 (s.v. ḏbꜥ) eingetragen: „(den Kranken) auf seine gewohnte Diät setzen“. Breasted, Surgical Papyrus, 134 lehnt die Lesung ḏbꜥ.w ab, weil der Finger in pEdwin Smith im Hieratischen eine andere Form hat. Laut Breasted ist das Wurfholz (Gardiner Sign-list T14) zu lesen, das durch die Ähnlichkeit im Hieratischen für den Landepflock (Gardiner Sign-list P11) steht. Breasted liest hier also eine abgekürzte Schreibung des femininen Substantivs mnj.t (im Plural): „mooring stakes“, d.h. „Landepflöcke“ (gefolgt von Ebbell; Lefebvre, Essai sur la médecine, 181). Mit „Pfähle“ wird noch in Grundriß IV/1, 174 übersetzt, aber laut MedWb I, 372 liegt ein männliches Wort mnj.w mit der Bedeutung „Ruhebett“ vor (Korrektur von Grundriß der Medizin IV in Grundriss IX, 66). Dazu verweist MedWb auf das Substantiv mn: „Ruhebett“ (mit der bibliographischen Angabe Wb 2, 63.3–4, d.h. MedWb verweist eigentlich auf das Lemma mn-bj.t), das jedoch nur in mn-bj.t: „Ruhebett (des u.äg. Königs?)“ belegt ist und nicht mit Wurfholz, Landepflock oder Finger geschrieben wird. Laut MedWb I, 372 ist mnj.w eine Ableitung der Wurzel mn: „bleiben, dauern“, während Breasted vom Verb mjnj: „anlanden“ ausgeht. Für die Graphie mit dem hieratischen Zeichen des Wurfholzes verweist MedWb 372 auf Wb 2, 75.15–16, wo eine Art Räumlichkeit (ein Schrein, vielleicht ein Hirtenzelt) mit einem nicht identifizierten Sonderzeichen (Hannig, Handwörterbuch: HSZ 303: Troddel(?) (Variante zu Aa20?)) geschrieben ist, auf das das Wurfholz vielleicht zurückgeht. In den jüngeren Übersetzungen bleibt nur Bardinet, Papyrus médicaux, 495 bei „pieu d’amarrage“ (im Singular), während die übrigen „Bett, Ruhebett“ übernehmen. Hannig, HWB, 357 trägt das Lemma mnj.w: „Ruhebett, Lagerstatt“ nach der Wurzel m(j)nj: „landen“ und der Wurzel m(j)nj: „weiden“ ein, nicht im Bereich der Wurzel mn: „bleiben“. Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 48) folgt der Lesung mnj.w und der Übersetzung „Bett“, aber auch er sieht einen starken etymologischen Zusammenhang mit dem Verb mjnj: „anlanden“: „this has the meaning of holding the patient in as stable a situation as possible, as a moored boat stabilized by the mooring post is prevented from drifting away or moving to precipitously.“ Brawanski, in: SAK 32, 2004, 64 fragt sich, ob mnj.w vielleicht eine Art Hängematte zwischen zwei Pflöcken sein könnte, wie ein Schiff zwischen zwei Landepflöcken. Wir scheinen es beim Ausdruck wdi̯ r tꜣ ḥr mnj.w=f jedenfalls mit einer nautischen Metapher zu tun zu haben. Eine andere Auflösung dieses Bildes durch J.A. Wilson, in: Bulletin of the History of Medicine, 36, 1962, 118 lautet: „In Egypt, with the Nile the great artery of movement, the idling of a boat at its moorings was a very clear picture.“ gefolgt von Majno, The Healing Hand, 96: „the bedridden patient ... is being compared with a boat idling at its moorings, while traffic keeps moving up and down the Nile.“). Gemeint ist laut Brawanski, in: SAK 29, 2001, 19, dass der Patient auf sein Ruhebett gelegt und abwartend beobachtet wird. Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 47 und öfter) übersetzt entsprechend interpretierend: „lay (him) down to the ground upon his bed under observation and support“ („under observation and support“ steht nicht im ägyptischen Text, aber wäre in der Redewendung impliziert). Iversen, in: ZÄS 126, 1999, 77 findet eine ganz andere Lesung und Interpretation. Er bezieht sich auf die Lesung von Breasted als das feminine mnj.wt und lehnt dies ab, weil der Schreiber von pEdwin Smith auch bei logographischen Schreibungen die Femininendung t notiert; außerdem ist wdi̯ r tꜣ: „auf die Erde legen“ seiner Meinung nach im Widerspruch mit mjnj: „an einen Landepflock anlanden/vertäuen“ (wobei das Boot im Wasser bleibt). Iversen geht auf die Suche nach einem anderen Wort, dass mit dem Wurfholz (T14) geschrieben wird und findet dies in der Wurzel ḏꜥr, die als Verb ḏꜥr: „to examine, to probe“ häufig im Papyrus steht. Er setzt ein neues (!) Substantiv ḏꜥr an, hier im Plural, mit der Bedeutung „probations“ (⟨ „to probe“). Für Iversen bedeutet wdi̯ r tꜣ ḥr ḏꜥr.w=f: „He shall be left on his probations“. Solange kein ausgeschriebener Beleg für den Ausdruck vorliegt, ist die Lesung ḏꜥr wenig vertrauenserweckend. Der Ausdruck (w)di̯ r tꜣ ḥr mnj.w=f wird in Fall 3, Glosse D (2.1–2) erklärt als rḏi̯.t=f pw ḥr ⸮jmj.t?=f: „Das bedeutet, ihn auf sein ...?... zu geben.“ Leider wirft das Wort jmj.t(?) ebenfalls Probleme auf.
13 wdi̯ r tꜣ ḥr mnj.w=f und verkürzt wdi̯ ḥr mnj.w=f. Der vollständige Ausdruck steht in Fall 3, Glosse D (Kol. 2.1–2 und vgl. Kol. 1.22–23 für den Haupttext): ḏi̯/(w)di̯ r tꜣ ḥr mnj.w=f. Er kommt ausschließlich in pEdwin Smith vor und das Wort mnj.w wird immer abgekürzt geschrieben. Neben der Redewendung wdi̯ r tꜣ (Wb 1, 387.15–18: „auf die Erde legen; landen“) gibt es auch die Redewendung rḏi̯ r tꜣ (Wb 2, 467.19–21: „auf den Boden legen; auf den Boden speien (ein Medikament); vernachlässigen, nicht beachten, beseitigen“). In der medizinischen Redewendung wdi̯ (r tꜣ) ḥr mnj.w=f ist wdi̯ das erforderliche Verb (so Faulkner, in: JEA 45, 1959, 103), aber es gibt auch Belege mit dem Verb rḏi̯ (darunter Fall 4, Kol. 2.7).
14 jmj.t: Breasted, Surgical Papyrus, 524 las dieses Wort als wnm.t, mit dem ovalen Brot (Gardiner Sign-list X4/N18) als Determinativ und mit der Übersetzung: „diet“ (d.h. „Diät, Ernährung“), was in Kombination mit mtj/mtr zu der Bedeutung „customary diet“ bzw. „gewohntes Essen, übliche Nahrung“ führt (daher die Deutung von wdi̯ r tꜣ ḥr mnj.w=f in Wb 1, 387.19 s.v. wdi̯ und Wb 5, 564.23 s.v. ḏbꜥ: „(den Kranken) auf seine gewohnte Diät setzen“). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, Chirurgie, 12 lehnt die Übersetzung „üblich“ für mtj zugunsten von „recht, richtig“ ab. wnm.t mtj.t wird dann bei Ebbell zu dem „richtigen Essen“, was eine ziemlich strenge Diät für den Kranken implizieren würde. Die Lesung wnm.t von Breasted wird wiederum durch Grundriss IV/1, 174 und IV/2, 141 (Anm. 8 zu Sm Fall 3) abgelehnt, zugunsten von jmj.t mtr.t/mtj.t: „das gewohnte Bett“. In MedWb I, 50 stehen bei jmj.t die Bedeutungen „Bett; Lagerstatt“ (jmj.t mt(r).t: „die gewohnte Lagerstatt“; vgl. MedWb I, 372: „Lager, Bettzeug“) und es wird dort angenommen, dass das Determinativ nicht ein ovales Brot (Gardiner, Sign-list X4), sondern ein Stoffzeichen ist (wird in MedWb als Gardiner, Sign-list N18 identifiziert, was jedoch eine Insel ist; das Zeichen ähnelt noch dem hieratischen qꜣb-Zeichen (Gardiner, Sing-list F46)). Zur Untermauerung der Existenz eines Wortes jmj.t: „Bett, Lagerstatt“ wird in MedWb auf die Stoffbezeichnung jm.w/jmj.w (Grab des Seni: Jéquier, Tombeaux de particuliers, Fouilles à Saqqara, Le Caire 1929, 39, Fig. 43; K. Scheele, Die Stofflisten des Alten Reiches: Lexikographie, Entwicklung und Gebrauch (Menes 2), Wiesbaden 2005, 89 und Abb. 29: jm.w 414 bei einer Kiste mit Stoffballen; Lemma nicht in Wb) und auf den Gegenstand jm.jt-rʾ (Jéquier, Frises d’objets, MIFAO 47, Le Caire 1921, 244 = Wb 1, 74.14) verwiesen. Das Wort jm.jt-rʾ, von Jéquier mit Bettlaken oder Bettdecken verbunden, taucht in Gräbern der 6. Dynastie auf, aber die Identität dieses „Gerätes“ (so Wb 1, 74.14) ist umstritten (s. Willems, Coffin of Heqata, OLA 70, 452, Anm. 468; Fischer-Elfert, in: GM 127, 1992, 40–41: eine Art Stab als Würdezeichen). Die Bedeutung „Bett; Lagerstatt“ für jmj.t in MedWb, 50 geht wohl auf die für mnj.w erschlossene Bedeutung „Ruhebett“ zurück. Die Bedeutung von jm.jt=f in pEdwin Smith 2.2, das nur hier vorkommt, kann also nicht als gesichert gelten. Und es kommt hinzu, dass mtj/mtr nicht zu jmj.t gehört, sondern das erste Wort eines neuen Satzes ist.
15 jr wdi̯ r tꜣ: Breasted hat auf Taf. 2A vergessen, dies zu rubrizieren. Auf Farbphotos ist dieser Satzanfang eindeutig ebenfalls in roter Tinte geschrieben.
16 mtj/mtr: Breasted hat mtj/mtr mit dem vorhergehenden Wort verbunden (so auch Ebbell, Lefebvre, Grundriss, Westendorf, Bardinet, Brawanski), ohne zu berücksichtigen, dass mit mtj von roter auf schwarzer Tinte umgeschaltet wurde, was auf einen neuen Satz oder Satzteil hinweisen kann (nicht notwendigerweise: siehe die (verspätete) Veränderung der Tinte von jr wdi̯ r tꜣ zu ḥr mnj.w=f ... im selben Satz beim Zeilenwechsel). Erst Allen, Art of Medicine, 74 hat mit mtj einen neuen Satz angefangen (gefolgt von Sanchez/Meltzer). Dann liegt nicht mtj: „richtig, aufrichtig; genau, zuverlässig; maßvoll sein“ vor, sondern mtr: „zugegen sein, bezeugen; unterweisen“. Allen übersetzt mtr mit „to check“ (im Infinitiv, parallel zu rḏi̯.t), Meltzer „to monitor“ (im Imperativ, Anfang eines neuen Satzes). Wahrscheinlich liegt, wie oft in den medizinischen Texten, ein unpersönliches Passiv vor.

Fall 4: Schädelverletzung mit Spaltbruch

(Titel:) Erfahrungswissen über eine klaffende Wunde an seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht – sein (Hirn-)Schädel ist gespalten1.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an seinem Kopf untersuchst, die bis zum Knochen reicht
– sein (Hirn-)Schädel ist gespalten –
dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Du findest dort etwas, das uneben ist (oder: Sachen, die uneben sind)2 unter deinen Fingern;
(Er) wird wirklich sehr zittern (?); (oder: (Es) wird wirklich sehr wackeln/nachgeben (?))3;
Die tḫb-Schwellung4, die auf ihr (d.h. der Wunde oder dem Spaltbruch) ist, schwillt auf / erhebt sich5;
(indem) er aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen6 und seinen Ohren7 blutet (wörtl.: er gibt Blut)8,
(indem) er an Steifheit/Steifigkeit (wörtl.: Aufrichtung) in seinem Nacken leidet,
(und indem) er nicht in der Lage ist (wörtl.: nicht (eine Möglichkeit) findet), [2.5] auf seine Schultern und seine Brust zu blicken.
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn (d.h. den Patienten):
„Einer mit einer klaffenden Wunde in seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht
– sein (Hirn-)Schädel ist gespalten –,
(wobei) er aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen und seinen Ohren blutet (wörtl.: Blut gibt),
(und wobei) er an Steifheit/Steifigkeit (wörtl.: Aufrichtung) in seinem Nacken leidet:
eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde.“

(Behandlung:) Sobald (oder: weil) du (also) jenen Mann (d.h. Patienten) vorfindest, dessen (Hirn-)Schädel gespalten ist (wörtl.: sein Schädel ist gespalten),
dann sollst du ihn nicht verbinden;
(Er) werde auf den Boden auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) gelegt, so dass / bis der Höhepunkt / die kritische Phase9 seines jh-Leidens vorübergeht.
Seine Behandlung besteht aus Sitzen10,
(nachdem) zwei Stützbauten/Stützen(?)11 aus Lehmziegeln für ihn angefertigt worden sind,
so dass / bis du erkennst, dass er die (entscheidende) Sache erreicht (hat) (d.h. es schaffen wird?)12.
Dann musst du folglich Öl/Fett auf/an seinen Kopf geben;
Sein Nacken und seine beiden Schultern werden damit entspannt (wörtl.: weichgemacht, d.h. die Steifheit/Steifigkeit im Nacken wird gelöst)13.
An jedem Mann, bei dem du feststellst, dass sein (Hirn-)Schädel gespalten ist, handelst du ebenso.

1 pšn: In pEdwin Smith werden drei Arten von Knochenverletzungen beschrieben: thm, pšn und sḏ. Das Verb pšn hat die Bedeutung „spalten“ (Breasted, 140–141: „to split“; Wb 1, 560.3–7: „spalten; sich spalten, gespalten sein“; MedWb I, 300: „(sich) spalten“; Hannig, HWB, 315: „spalten; trennen; sich spalten, gespalten sein; getrennt sein“). Es wird u.a. verwendet bei Holz, das gespalten wird. Für die Festlegung der Bedeutung als „spalten“ ist das Determinativ in Pyr. 305a (Spruch 257, Version T254) wichtig: eine Axt über einem Holzzeichen. Altägyptische Waffen, die Spaltverletzungen am Kopf verursachen können, sind Axt und Sichelschwert. Die Verletzungsart erscheint auch am Oberarm in Fall 38. Was ein pšn-Spalt(bruch) am Oberarm genau ist, wird unterschiedlich gedeutet. Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 673 spricht von einer Fissur. Für Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 59 ist es ein einfacher Querbruch ohne Verschiebung der Bruchenden (was eigentlich für ḥsb-Brüche verwendet wird). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 239–241 sprechen von einer „closed displaced fracture“, ein „split or segmental fracture“. Stephan, Altägyptische Medizin, 137 fragt sich, ob eine Stichverletzung gemeint ist.
2 nḥꜣ: Wird in Wb 2, 290. 5–14 als „wild, schrecklich, gefährlich u.ä.“ übersetzt, in medizinischen Texten als „uneben; unruhig“ (MedWb I, 471). Das Adjektivverb wurde ausführlich von Lloyd, in: JEA 61, 1975, 59–66 untersucht, der ebenfalls zur Bedeutung „rough“ kommt, wobei Inschrift Wadi Hammamat Nr. 191 eine wichtige Rolle spielt. Davon abweichend übersetzt Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 54) nḥꜣ mit „shaking“ (Pseudopartizip/Stativ) unter Bezugnahme auf dieselbe Inschrift. Ebenfalls abzulehnen sind ältere Übersetzungen von Breasted („disturbing“) oder Lefebvre („inquiétant“).
3 nri̯ bedeutet „erschrecken, schaudern“ (Wb 2, 277.4–8) und in den medizinischen Texten mehr spezifisch „schaudern, zucken“ (MedWb I, 466–467). Es stellt sich die Frage, was das Subjekt des Satzes ist: Ist es der Patient, ist es die Wunde oder ist es „etwas grobes/unebenes“ (jḫ.t nḥꜣ) in der Wunde? Außerdem ist die Frage, ob es einen (kausalen) Zusammenhang zwischen dem Abtasten der Wunde, dem Vorfinden von etwas Grobem/Unebenem und dem Schaudern/Zucken gibt oder nicht. Letzters hängt wiederum mit der Interpretation von r=f zusammen. Laut einer Interpretation ist es der Patient (=f), der schaudert. Falls richtig, dann kann dies eigentlich kein allgemeines Symptom sein (so vielleicht doch Breasted, Surgical Papyrus, 141; Bardinet, Papyrus médicaux, 496; Lefebvre, Grammaire, § 351 hat das Beispiel ḏꜥr.ḫr=k wbnw=f j:nri̯.y rf wrt nach Fall 7 (Kol. 3.2–3): „tu palperas sa blessure, même si (ou: quoiqu’il) tremble beaucoup)“, denn das passt nicht in der Beschreibung der Wunde. Es müsste also mit der Untersuchung zusammenhängen. Aber laut Brawanski, 18 löst in Fall 4 eine Untersuchung der Schädelverletzung bzw. ein Berühren der Unebenheit in der Wunde kein Erzittern beim Patienten aus (so jedoch z.B. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 180, Anm. 6; MedWb I, 467). Da im vorherigen und im nächsten Satz die Wunde bzw. die Unebenheit(en) in der Wunde das Hauptthema sind, gehen Lloyd, Ralston, Brawanski und Meltzer von der Wunde bzw. der Unebenheit in der Wunde als Subjekt oder Bezugswort von nri̯ aus. Für Brawanski, 18 ist es die Unebenheit bzw. sind es die unebenen Knochenstücke in der Wunde, die zittern, d.h. „wackeln“ (vgl. schon Ralston, in: JEA 63, 1977, 119–120 und ähnlich in der Übersetzung von Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 53). Für Lloyd (in: JEA 61, 1975, 60 mit Anm. 30) bedeutet das Zittern der Unebenheiten in der Wunde, dass Knochenstücke hör- und fühlbar aneinanderreiben (Krepitation), was von Brawanski, 18 für Schädelknochen (anders als für Röhrenknochen) als klinisch unmöglich abgelehnt wird (auch schon Ralston, in: JEA 63, 1977, 119–120; siehe trotzdem die Übersetzung von Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 73 für Fall 7).
Manche Autoren übersetzen nri̯ nicht mit „schaudern, zucken“, sondern interpretieren als „unter starken Schmerzen leiden“ o.ä. (z.B. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 20: „indem es sehr schmerzhaft für ihn ist“; Chapman, in: JARCE 29, 1992, 36 „it being very frightening for him“; Allen, Art of Medicine, 74: „should he be very much in pain at it“).
Pommerening leitet von der Hauptbedeutung „erschrecken“ die Ableitung „zurückweichen“ ab (weil „zurückweichen“ als logische Reaktion aus „erschrecken“ erfolgt, d.h. „dem Vorgang des Erschreckens unmittelbar angehört“) und verbindet dies als attributives Partizip mit wbn.w: die „Wunde, die diesbezüglich sehr erschrecken/zurückweichen wird“, d.h. nachgeben wird.
4 tḫb: Ist ein Substantiv, das wahrscheinlich mit dem Verb tḫb: „benetzen; eintauchen“ zusammenhängt. In Glosse B zu Fall 4 von Papyrus Edwin Smith (Kol. 2.10) wird tḫb mit dem Terminus šfw.t erklärt, dem üblichen Wort für „Schwellung“ in pEbers, pHearst und pBerlin (MedWb II, 848–850). Deshalb ist tḫb für Breasted, Surgical Papyrus, 145–147 „a swelling“, d.h. eine „Schwellung“. In der Glosse wird die Wortkombination šww tḫb außerdem so erklärt, dass die šfw.t-Schwellung groß (wr) und nach oben aufgehoben/erhoben ist (fꜣi̯ r ḥr.w). Vermutlich ist „groß sein“ kein Grundmerkmal von tḫb, sondern hängt es mit šwj: „sich erheben“ zusammen. Die tḫb-Schwellung kann laut pEdwin Smith 15.21–16.1 außerdem eine ölige Flüssigkeit absondern. Der Unterschied zwischen tḫb und šfw.t liegt laut Breasted, Surgical Papyrus, 147 vermutlich darin, dass tḫb ein altes Wort war, dessen Benennungsmotiv die in der Schwellung vorhandenen Flüssigkeit bildet und schon so selten oder unvertraut geworden war, dass es durch šfw.t erklärt werden musste. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 13 sucht einen direkteren Zusammenhang mit dem Verb tḫb: „benetzen, befeuchten; eintauchen“ und lehnt Breasteds „swelling“ ab. Für ihn muss die Bedeutung „Durchfeuchtung, Aussickern/Aussickerung, Suffusion o.ä.“ sein, denn tḫb kommt vor allem im Zusammenhang mit einem Knochenbruch vor und nach einem Knochenbruch wird seiner Meinung nach immer ein Blutaustritt eintreten und werden die Weichteile mit Blut durchsetzt und durchfeuchtet werden, wie die Felder bei einer Überschwemmung bewässert werden (paraphrasiert nach Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 13). In MedWb II, 960–961 wird der Feuchtigkeitsaspekt ebenfalls in den Übersetzungswörtern akzentuiert: „Aufschwemmung; Flüssigkeitsabsonderung“ (Mit „Aussickerung“ und „Flüssigkeitsabsonderung“ ist eine Absonderung ins Gewebe gemeint, nicht eine Absonderung nach außen.). Die Stelle pEdwin Smith 4.6 wird von Grundriss IV/1, 178 mit „Aufschwemmung“, von Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 43 mit „Anschwellung“ und von Westendorf, Handbuch Medizin, 285 und 718 mit „Geschwulstblase“ übersetzt. Dieses letzte Wort findet sich nicht in den Wörterbüchern von Grimm, Duden oder Wahrig, aber es wird ebenfalls in Wb 5, 326.12 als Übersetzung angeboten. „Geschwulstblase“ ist insofern etwas problematisch, als „Geschwulst“ heute mit „Tumor“ (im engeren Sinne) verbunden wird, und ein Tumor liegt gleich nach einem Knochenbruch nicht vor (es sei denn, man versteht Tumor in dem allgemeinst möglichen Sinn als eine Zunahme des Gewebes). Brawanski 2001, 20 meint, dass šfw.t das allgemeine Wort für „Schwellung“ ist, während tḫb hier am ehesten als „Beule“ zu übersetzen ist, denn es ist eine Schwellung, die mit Flüssigkeit zu tun hat, verschiedene Farben annehmen und durch das Ausziehen der Flüssigkeit behandelt werden kann. Im konkreten Fall nimmt Brawanski an, dass eine Beule am Kopf, ein subgaleales Hämatom vorliegt.
5 šwi̯: Wird mit der Pustel mit Eiterausfluss determiniert (Gardiner Sign-List Aa3). Es kommt laut MedWb II, 841–842 in den medizinischen Papyri ausschließlich in Kombination mit der tḫb-Schwellung vor. Breasted, Surgical Papyrus, 144–145 führt das Verb auf die Wurzel jšw zurück, deren Grundbedeutung etwa „to exude“, d.h. „ausströmen“, sein könnte und in jšš: „ausspeien, ausspucken; Speichel, Ausgespienes“ vorliegt. Da in der Glosse B zu Fall 4 (Kol. 2.10) šw.w tḫb mit wr šfw.t ... fꜣi̯ r ḥr.w: „groß ist die šfw.t-Schwellung ... erheben/anheben nach oben“ erklärt wird, setzt Breasted jedoch nicht die Bedeutung „to exude“, sondern die Bedeutung „to protrude, to project“ an. Die Glosse erweckt tatsächlich den Eindruck, dass ein Zustandsverb und nicht ein Bewegungsverb vorliegt. In Wb 1 gibt es keine Wurzel jšw, d.h. Breasteds Herleitung auf die Wurzel jšw wurde nicht gefolgt. In Wb 4, 431.17 werden die Belege von pEdwin Smith unter šww als eigenes Lemma „emporsteigend, aufschwellend“ (d.h. ein Partizip o.ä.) aufgenommen und es wird auf das Verb šwi̯: „erheben, sich erheben“ (Wb 4, 431.14–16) verwiesen. MedWb II, 841–842 trägt die Belege direkt unter šwi̯ als III-Inf. Verb „emporsteigen; aufschwellen“ ein. Die Form j:šw.w ist in Kol. 4.6 und 12.22 ein Pseudopartizip/Stativ (Westendorf, Grammatik, 16, § 27.cc und 116, § 163.cc und 118, § 164.bb), ebenso die Form j:šw.y in Kol. 6.15 (Fall 15), Kol. 8.6 (Fall 21) und Kol. 15.21 (Fall 46), während in Kol. 2.4 (Fall 4), 2.13 (Fall 5) und 5.10 (Fall 11) die Form j:šww ein aktives sḏm=f ist (Westendorf, Grammatik, 15, § 27.2.aa; 139, § 195.cc.4; 148, § 212.2.a). Dieses aktive sḏm=f von Kol. 2.4 wird in der Glosse als šww (Kol. 2.10) wiederaufgenommen und Schenkel, Tübinger Einführung, 2012, 306 emendiert die abstrakt-relativische Form AR-sprachlich zu j:šw{w} und MR-sprachlich zu {j:}šww. In Fall 43 (Kol. 15) und 16 (Kol. 6.19) steht in einem vergleichbaren syntaktischen Kontext wie dem aktiven sḏm=f (j:šww) die Form jw šwi̯.y. Für Westendorf, Grammatik, 15, § 27.aa; 18, § 29 und 139, § 195.4 ist es eine Graphie des Verbs šwi̯ im prospektivischen sḏm=f mit j-Prostheticum (jw als Graphie des j-Präfixes), im gleichzeitigen Umstandssatz verwendet (also j:šwi̯.y=f).
6 msꜣḏ.tj: Wird in pEdwin Smith meistens abgekürzt/logographisch mit zwei Nasen geschrieben (ausgeschriebene Formen msd.tj gibt es nur zweimal in Fall 11: Kol. 14–15 und 15) und deshalb von Breasted (1930, 241 und 253) als šr.tj aufgelöst. MedWb I, 393–394 (s.v. msd.tj) und vor allem II, 864–865, § 1 (s.v. šr.t) führt jedoch Argumente dafür an, dass eher msꜣḏ.tj/msd.tj und im Singular msꜣḏ.t/msd.t zu lesen ist. Edel, in: ZÄS 79, 1954, 88 liefert für msd.t eine Etymologie: es bedeutet „Frischmacher“, aus *m-s(w)ꜣḏ: „Körperteil, das frisch macht“ (vgl. Edel, Altägyptische Grammatik, § 256: „die frisch erhaltenden“: Partizipienbildung, aktivisch, mit m-Präfix), was zu einer Transliteration msꜣḏ.tj führt (z.B. Schenkel, Tübinger Einführung, 2012, 306).
Als Bedeutung des Duals msd.tj/msꜣḏ.tj findet man in Wb 2, 153.5–6 die „Nasenmuscheln“ sowie in gr.-röm. Texten auch die „Nasenlöcher (durch die man riecht)“. Für Breasted, 242 und 244 sind die msd.tj in pEdwin Smith die „nostrils“, d.h. die Nasenlöcher. Grapow, Anatomie, 36–37 übersetzt msd.tj ausschließlich mit „Nasenmuscheln“ (wohl unter Auslassung der nicht-medizinischen Belege der gr.-röm. Zeit). In MedWb I, 393–394 werden die beiden Bedeutungen „Nasenmuscheln“ und „Nasenlöcher“ schon für die klassischen medizinischen Texten aufgeführt, während Faulkner, Concise Dictionary, 117 nur „nostril“ auflistet (d.h. „Nasenloch“). Hannig, HWB, 384 führt bei msꜣḏ.t ausschließlich die Bedeutung „Nasenloch“ auf, aber er verweist auf msd.t (S. 387), wo sowohl „Nasenmuschel“ als auch „Nasenloch“ stehen. Die Bedeutung „Nasenloch“ ergibt sich aus der Tatsache, dass man (aus moderner Sicht?) bei Nasenbluten aus dem Nasenloch blutet (explizit Brawanski, in: SAK 35, 2006, 54). Die msꜣḏ.tj haben ein Inneres (ẖnw), in das man Tupfer stecken kann (Fall 11, Kol. 5.12: wdi̯.ḫr=k sšm.wj ... m ẖnw msꜣḏ.tj=fj) und eine Mitte oder ein Zentrum (ḥr.j-jb msꜣḏ.tj=fj) (Fall 11, Kol. 5.14: msꜣḏ.tj ist ausgeschrieben). Deshalb passt die Bedeutung „Nasenmuschel“ nicht, denn damit sind in der medizinischen Fachsprache die zweimal drei Verdickungen/Leisten in der Nasenseitenwand gemeint, die in die Nasenhaupthöhle hineinragen und sich in der inneren Nase befinden. Es ist aber die Frage, ob die Autoren von Wb 2, 153 und MedWb 393–394 das Wort „Nasenmuschel“ in der medizinischen Bedeutung verwendet haben. In MedWb I, 393–394 scheinen die Nasenmuscheln und Nasenlöcher zumindest teilweise als Synonyme betrachtet zu werden, denn es gibt „Blutgerinnsel im Innern der Nasenmuscheln“ (Dual in Fall 12, Kol. 5.19, 6.2 und 6.3) und „Blutgerinnsel im Innern des einen Nasenloches“ (Singular in Fall 14, Kol. 6.11). In Grundriß IX (Ergänzungen), 68 werden die „Nasenmuscheln“ in der Übersetzung von Glossen A und B von Fall 11 in „Nasenflügel“ verbessert. Versteht man „Nasenloch“ ausschließlich als die Öffnung, die in das Innere der Nase hineinführt, dann kann msꜣḏ.t nicht „Nasenloch“ bedeuten, denn dieses hat keinen Innenraum (ẖnw). Laut pEbers 99.5–6 (Eb 854b) befinden sich vier mt-Gefäße in den beiden msd.t (ausgeschrieben!), die Schleim (nšw.t) und Blut führen. Auch dies passt nicht zur Bedeutung „Nasenloch“, aber es führt Lefebvre, Tableau des parties du corps, 19, § 19 zur folgenden Vermutung: „il est possible que msdty soit le terme technique désignant les fosses nasales, tout au moins l’étage inférieur de celles-ci.“ Meint Lefebvre mit der unteren Etage der Nasenhöhle den meatus nasi inferior, der der größte Durchgang ist, oder meint er den unteren/vorderen Bereich der Nasenhöhle, d.h. den Nasenvorhof, zu dem das Nasenloch führt? In der Übersetzung von Sanchez/Meltzer findet man „nostrils/nasal cavities“, d.h. einerseits „Nasenloch“ (d.h. der vordere Eingang oder vorderste Bereich der Nasenhöhle) und andererseits „Nasenhöhlen“ (der komplette Innenbereich der Nase). Westendorf, Handbuch Medizin, I, 161 hat die Bedeutungen „Nasenloch, Nasenflügel“ und erwähnt das Wort „Nasenmuschel“ nicht. Bei Walker, Anatomical Terminology, 270 steht „side of the nose, nostril“, d.h. „Nasenflügel, Nasenloch“. Die Übersetzung „Nasenflügel“ geht auf Glosse B zu Fall 11 (Kol. 5.15) zurück, in der steht, dass die msꜣḏ.tj die beiden Seitenwände/Flanken (ḏr.wj) der Nase sind. Allerdings scheint die Glosse eher einen Bereich zu definieren, die die Seitenwände, d.h. die Nasenflügel, oder die Seitenräume(?) bis zur Wange und bis zum inneren (?) Ende der Nase umfasst und nicht nur die Nasenflügel. Alles in Allem scheint msꜣḏ.t am ehesten die beiden Hälften der äußeren Nasenhöhle, d.h. die beiden Nasenvorhöfe zu bedeuten, einschließlich der beiden Öffnungen, aus denen Blut herausfließen kann. Für die äußeren Zugänge zu den Nasenhöhlen, d.h. für die Nasenlöcher, hat das Ägyptische vermutlich ein separates Wort: den Dual šr.tj (vgl für šr.t/šr.tj auch Smith & Smith, in: ZÄS 103, 1976, 63, Anm. p; Nyord, Breathing Flesh, 204–205). Weeks, Anatomical Knowledge, 34–35 versteht šr.t als „nostrils, nares, anterior nasal passages“ und die beiden msꜣḏ.t als „the two lateral halves of the nose“.
Im Singular bedeutet šr.t „Nase“ und steht in Konkurrenz mit fnḏ, das ebenfalls die Nase bezeichnet. Laut Grapow, Anatomie und Physiologie, 36 ist fnḏ vermutlich die Nase im Allgemeinen, während šr.t vielleicht die Nase als Organ des Atmens und Riechens ist. Für Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 1952, 18, § 19 bedeutet šr.t eigentlich/ursprünglich „Nasenloch“, eine Bedeutung, die sich im Dual erhalten hat (ebenso Lacau, Noms des parties du corps, 1970, 49, § 109); Lefebvre empfindet fnḏ außerdem als prosaischer als šr.t/šr.tj. Während fnḏ im Laufe der Sprachgeschichte ausstirbt, ist šr.t noch im Koptischen als ϣⲁ: „Nase“ erhalten. Im Dual bedeutet šr.tj nicht „die beiden Nasen“, sondern „die beiden Nasenlöcher“. Für „Nasenloch“ im Singular ist koptisch ⲥⲉⲃϣⲁ, ϫⲉϥϣⲁ überliefert, das auf das ältere gꜣb.t n(.t) šr.t zurückgeht, das in einem magischen Text des NR belegt ist (DZA 30.630.900: pLeiden I 343 + 345, Vso 5.4–5; Massart, The Leiden Magical Papyrus I 343 + I 345 [OMRO Suppl. 34], Leiden 1954, 36 und 105: „two sides of the nose“). Auch die Bedeutung von gꜣb.t n.t šr.t ist umstritten. Laut Wb 5, 154.6: ist es „Nasenloch“, aber Breasted, 1930, 253 übersetzt den Dual gꜣb.tj n šr.t=f mit „the two sides of his nose“ (ebenso Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 19, § 19: „les ailes du nez“; Lacau, Noms des parties du corps, 1970, 49, § 111: „les deux ailes (feuilles) du nez“). Bei Hannig, HWB, 964 findet man beides: „*Nasenloch; *Nasenflügel“. gꜣb.t (mit Fleischdeterminativ) gehört etymologisch wohl zu gꜣb.t: „Blatt (der Pflanzen)“ (mit Pflanzendeterminativ) und bedeutet daher wohl „Blatt“ der Nase, d.h. „Nasenflügel“ und nicht „Nasenloch“. Aber der koptische Nachfahr ϭⲃϣⲁ, der vor allem im Plural verwendet wird, entspricht griech. ῥίς: „Nase, Schnauze“ und ῥώθων: „Nase“ (Crum, Coptic Dictionary, 544a). Im Plural bedeuten beide griechische Wörter „nostrils“, aber der Plural wird, genau wie lateinisch nares (als Plural von naris), auch nur für die Nase verwendet (siehe Liddell & Scott & Jones, Greek-English Lexicon, s.v. ῥίς).
Die Sachlage wird dadurch verkompliziert, dass bei logographischer Schreibung nicht zwischen msꜣḏ.tj und šr.tj unterschieden werden kann. In pEdwin Smith ist keine einzige ausführliche Schreibung von šr.t oder šr.tj überliefert, so dass es fraglich ist, ob dieses Wort überhaupt in pEdwin Smith vorkommt. Brawanski, in: SAK 35, 2006, 54–55 sowie Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 305–309 gehen jedoch davon aus, dass beide Wörter msꜣḏ.t und šr.t in pEdwin Smith vorhanden sind. In ihrer Analyse der Verwendung von msꜣḏ.t/msꜣḏ.tj und šr.t/šr.tj in pEdwin Smith kommen sie zu folgendem Schluss: Für Brawanski ist šr.t: „Nasenflügel/Nasenmuschel“ und msꜣḏ.t: „Nasenloch“; für Sanchez/Meltzer ist šr.t: „nasal walls“ (mit einem Plural übersetzt!) und msꜣḏ.tj: „nasal cavities/nostrils“. Für beide sind msꜣḏ.tj also die Nasenlöcher, d.h. die äußeren Nasenöffnungen, und/oder die sich dahinter befindlichen Höhlen, aus denen bei Nasenbluten das Blut strömt. Für šr.t meinen sie ähnliche, aber laut Sanchez/Meltzer nicht überlappende Bereiche der Nasenseitenwand. Brawanski und Sanchez/Meltzer sind sich jedoch nicht einig, an welchen Stellen in pEdwin Smith šr.t vorliegt. Sanchez/Meltzer nehmen mit fast allen Bearbeitern (einschließlich Brawanski) an, dass beim Symptom des Blutens aus den beiden Nasenbereichen und den beiden Ohren das Wort msꜣḏ.tj vorliegt. Es wäre logisch, beim Bluten aus einem Nasenbereich und einem Ohr den Singular anzunehmen (so MedWb und Brawanski), aber gerade diese Fälle (Kol. 6.5, 7.3, 7.4, 8.7 und 8.8) werden von Sanchez/Meltzer als šr.t gelesen, ebenso der Fall des Blutgerinnsels in einer Nasenhälfte (Kol. 6.11). Sobald man annimmt, dass msꜣḏ.t nicht bzw. ein viel größerer Bereich als nur das Nasenloch ist, gibt es keinen Grund mehr, in pEdwin Smith die Anwesenheit des Wortes šr.t zu postulieren.
7 msḏr: Ist die einzige Bezeichnung für das „Ohr“, die in den medizinischen Texten verwendet wird (Grapow, Grundriss I, 31; MedWb I, 395–397; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 21, § 21; vgl. weitere Wörter in anderen Texten: ꜥnḫ.wj und das daraus entstandene ḥḥ.wj). Etymologisch bedeutet m-sḏr: „Ort, auf dem man liegt/schläft“, was unserer Körperteilbezeichnung „Schläfe“ entspricht, auch wenn damit nicht das Ohr gemeint ist. Die Hieroglyphe des Ohres hat den Lautwert jdn und diese Wurzel bedeutet in einigen semitischen Sprachen „Ohr“; Lacau, Les noms des parties du corps, 1970, 51–52, § 115–122 vermutet, dass in einem früheren Stadium des Ägyptischen ein nicht erhaltenes Wort jdn für „Ohr“ durch die jüngere Bildung m-sḏr ersetzt wurde (spätestens in den Pyramidentexten).
8 rḏi̯ snf: Die Existenz eines Verbs „bluten“ im Ägyptischen ist unsicher (siehe MedWb II, 765 und 767, § 7). Normalerweise wird das Substantiv „Blut“ mit einem Verb als dessen Objekt oder dessen Subjekt verbunden: rḏi̯ snf: „Blut geben“, pri̯ snf: „Blut kommt heraus“, hꜣi̯ snf: „Blut läuft hinunter“.
9 ꜣ.t jh=f: Der Zeitbegriff ꜣ.t bedeutet den Augenblick, Zeitpunkt u.ä. der größten Machtentfaltung, d.h. den „Höhepunkt“ u.ä. (Ogden, in: GM 164, 1998, 79–83). Dieser „Augenblick“ kann zwar etwas länger dauern (s. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 2012, 58–59: „the (critical) period of his injury“), aber ꜣ.t impliziert an sich nicht die Zeitdauer. Deshalb ist „Zeit des Leidens“ (oder „period of injury“ [Breasted, Allen], „la période douloureuse“ [Bardinet]) als Übersetzung ungenau. Für T. Hofmann, in: ZÄS 135, 2008, 45 handelt es sich bei swꜣi̯ ꜣ.t jh=f „wohl zweifellos um einen Sterbenden, dessen letzte Minuten in uns sehr nahe stehender Weise mit ‚Leidenszeit‘ beschrieben werden.“
10 ḥmsi̯: „sitzen“ gilt als eine abwartende/beobachtende Behandlung/Therapie, die sich auf die Beobachtung des Krankheitsverlaufs konzentriert.
11 mkꜣ.t: Wird einmal mkꜣ.t (pEdwin Smith 2.7: mit zwei pr-Zeichen), einmal mk.t/mꜥk.t (pEdwin Smith 3.15: mit zwei Hochrechtecken) geschrieben. Breasted, Surgical Papyrus, 150–151 vergleicht mkꜣ.t mit dem jüngeren mk.t/mꜥk.t (Wb 2, 161.8–12: „Stelle, Platz; richtige Stelle“) und erschließt die Bedeutung „support“ aus dem Zusammenhang. Wb 2, 162.13 hat in ähnlicher Weise „stützender Unterbau“ und vergleicht ebenfalls mit mk.t. In Urk. I, 184.17 (5. Dyn.) ist von einem Sphinx in seiner schönen Stätte der Ewigkeit (s.t nfr.t n.t ḏ.t) auf einer mkꜣ.t, einem Sockel, von 5 Ellen die Rede (E. Schott, in: J. Assmann, E. Feucht, R. Grieshammer [Hgg.], Fragen an die altägyptische Literatur, Gs Otto, Wiesbaden 1977, 448; A. Roccati, La littérature historique sous l’Ancien Empire égyptien, LAPO, Paris 1982, 120, § 90 [Nr. 24]; N. Kloth, Die (auto-)biographischen Inschriften des ägyptischen Alten Reiches, SAK Beiheft 8, Hamburg 2002, 188; N. Strudwick, Texts from the Pyramid Age, SBL, Leiden/Boston 2005, 284 [Nr. 212]). Die Belege für mkꜣ.t in den medizinischen Texten werden in MedWb I, 399 als „Unterlage (auf der das Herz sich abstößt)“ und „Stütze“ gedeutet. Hannig, HWB, 393 hat „(stützender) Unterbau (z.B. zwei Ziegel), Sockel, Podium; Totenbahre“ und verweist nicht auf mk.t.
12 spr r jḫ.t: Bedeutet wörtlich „eine Sache erreichen, zu einer Sache gelangen“. In pEdwin Smith, Fall 4 wird es in Glosse C (Kol. 2.10–11) erklärt mit (rḫ=k) mwt=f r ꜥnḫ.t=f „er stirbt, bis er überlebt haben wird“. Das ganz allgemeine/neutrale „eine Sache, etwas“ wird deshalb von Breasted, Surgical Papyrus, 155 mit „a decisive point“ übersetzt (vgl. Bardinet: „le point décisif“; Allen und Sanchez/Meltzer: „turning point“). Laut Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 36, Anm. 3 ist „etwas“ ein Euphemismus für die Krise/Krisis (als medizinischer Begriff) (vgl. MedWb II, 744), d.h. den Wendepunkt, den Punkt an dem eine plötzliche Veränderung des Gesundheitszustands zum Guten oder zum Schlechten einsetzt. Allerdings meinen sowohl Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 21 als auch Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 36, Anm. 3, dass die Heilungschancen laut Glosse C eher gering sind, weshalb Ebbell den Ausdruck als Euphemismus für „moribundus ist (sic für: est)“ versteht und Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 35 mit „zu etwas (Endgültigem) gelangen“ übersetzt. Es erscheint uns jedoch fraglich, ob ḫ.t wirklich ein Euphemismus für ein schlechtes Ende ist bzw. den Punkt bezeichnen kann, von dem an es zum Ende geht (der medizinische Terminus „Krisis“ mit negativem Ausgang). Denn wenn die Veränderung nicht zum Guten geschieht, ist es gar nicht nötig, anschließend mit der Behandlung anzufangen, wie es die Texte beschreiben. Und den Wendepunkt würde man „sehen“, nicht „kennen, wissen“ (höchstens: „erkennen“). Deshalb scheint uns spr=f r ḫ.t eher ein Ausdruck zu sein für „(bis du weißt,) dass er es packt / schafft / dass er die Kurve kriegt“ (vgl. „zur Sache kommen“ als eine deutsche Wendung mit der gleichen wörtlichen Bedeutung wie spr r ḫ.t: „zu einer Sache gelangen“, aber mit einer anderen übertragenen Bedeutung). Der Ausdruck kommt auch im sog. Deltapapyrus vor (Kol. 10.3 und 11.4): Meeks, Mythes et légendes du Delta, 107, Anm. 315: „atteindre le moment critique“.
13 sgnn: Von der Wurzel gnn: „schwach, schlaff, kraftlos sein; weich sein“ wird ein Kausativverb „erweichen, weich machen“ gebildet. Beide Lemmata werden mit dem müden Mann mit herabängenden Armen (Gardiner Sign-List A7) oder dem „schlechten Vogel“ determiniert. Daneben gibt es ein Substantiv sgnn: „Öl; Salbe“ und ein zugehöriges Verb sgnn: „salben“, das mit einem Gefäß bzw. einem Gefäß und einem „schlagenden Mann“ (Gardiner Sign-List A24) determiniert wird. In MedWb II, 809–811 werden „erweichen“ und „salben“ unter demselben Lemma abgelegt, weshalb Brawanski, in: SAK 29, 2001, 18 sowie Westendorf, Handbuch Medizin, 714 die Textstelle pEdwin Smith 2.8 mit „salben“ übersetzen, vermutlich weil jm: „damit“ sich nur auf mrḥ.t: „Öl/Fett“ beziehen kann (weichmachen mittels Öl/Fett, d.h. durch salben). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 53 übersetzen sgnn in Fall 4 mit „(to) soften/massage“, d.h. das Öl/Fett wäre nur eine Hilfe bei der mechanischen Behandlung des Massierens und nicht das schmerzlindernde oder erweichende Mittel an sich (Meltzer übersieht jm: „damit“ in seiner Übersetzung. In Fall 20, Kol. 8.5 übersetzt er sgnn tp=f m mrḥ.t mit „Soothe his head with ointment“, ohne den Aspekt „Massage“ zu erwähnen.).

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „sein Hirnschädel ist gespalten“ angeht:
das bedeutet, dass eine Scherbe/Schale14 seines Schädels von einer (anderen) Scherbe/Schale getrennt worden ist,
(mit dem Ergebnis, dass) Stücke/Reste im Hautgewebe seines Kopfes verbleiben,
ohne dass (sie) zu Boden fallen (können).

14 pꜣq.t: Das Wort pꜣq.t hängt mit der Wurzel pꜣqi̯: „dünn sein“ zusammen und bedeutet ursprünglich eine Scherbe eines (Ton-)Topfes, was dann auf die Schale einer Schildkröte und auf die platten Knochen des Schädels übertragen wurde. In Tb. 154 (pNu, Kol. 19; DZA 23.123.430) ist pꜣq.t (im Singular) ein Körperteil im Kopfbereich (genannt zwischen Auge und Ohr), der nicht zertreten (? hꜣb/hb) ist. Laut Wb 1, 500.2 ist pꜣq.t in übertragenem Sinne u.a. eine „Bezeichnung der Hirnschale des Menschen“ und laut MedWb 258 ist pꜣq.t eine „Schale (des Schädels)“. Für Walker, Anatomical Terminology, 269 ist pꜣq.t: „shell of the skull, thin plate of bone, the thin bone of the vault of the head“. Aus pEdwin Smith Kol. 2.9 (Fall 4) und 3.16 (Fall 7) geht hervor, dass der ḏnn.t-Schädel aus mindestens zwei pꜣq.t besteht. Für Breasted, Surgical Papyrus, 152–153 sind mit den Scherben oder Schalen des Schädels die squamae gemeint. Dabei ist zu berücksichtigen, dass Breasted unter squamae die platten Schädelknochen und insbesondere das Stirnbein (os frontale) versteht (vgl. S. 218 zu Fall 9: pꜣq.t n.t ḏnn.t = frontal bone = squama frontalis), die durch die Schädelnähte (sutura) begrenzt sind („the shell-like segments of the skull ...; ... may designate the os frontale, and if so is likely to have been limited by the sutures“), und nicht der modernen, eingeschränkten Bedeutung von „Schuppen“ (squama) als einem gewissen Teil des Stirnbeins, des Schläfenbeins usw. folgt (vgl. ebenso Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 11: „désigne les segments en forme d’écailles (squamae) constituant les os du crâne“). Laut Fall 7 befindet sich etwas Lederartiges (dḥr) zwischen zwei pꜣq.t. Deshalb können mit den zwei pꜣq.t nicht die obere bzw. untere Knochenschicht des Schädelknochens (Tabula interna/vitrea und Tabula externa) gemeint sein (vgl. jedoch Chapman, in: JARCE 29, 1992, 40 mit Anm. 31 in seiner Interpretation von Fall 7 und tpꜣ.w für den sinus frontalis zwischen vorderer und hinterer Stirnhöhlenwand (pꜣq.t)). In ähnlicher Weise findet man bei Grapow, Anatomie und Physiologie, 27, dass pꜣq.t der anatomische Name der großen Schädelknochen wie Stirnbein und der beiden Scheitelbeine ist (Grapow benutzt den Terminus squama nicht). Für Nunn, Egyptian Medicine, 49 sind die pꜣq.yt die doppelt vorkommenden Scheitelbeine (os parietale), die gemeinsam die „vault of the skull“ (Schädeldach, Kalotte) bilden, und in einem Fall auch das Stirnbein. Singer, My Skull Has Not Been Crushed, 50–58 beschließt seine Analyse des Wortes pꜣq.t damit, dass es ein Knochen ist, der einer Topfscherbe ähnelt und „should be understood as a ‚squama‘ of the skull“. Er lässt offen, ob nur die Parietal- und Frontalknochen (Scheitelbeine und Stirnbein) oder auch der obere Bereich der Okkipital- und Temporalknochen (Hinterhauptbein und Schläfenbeine) gemeint sein können. Da letztere weniger einer Topfscherbe ähneln, tendiert er schließlich doch zu „the squama of calvarium“. Weeks, Anatomical Knowledge, 19–21 stellt zuerst die Deutung von pꜣq.t als squamae in Frage („separate portions of several bones“) und entscheidet sich anschließend gegen eine Deutung als os parietale (Scheitelbein) (wegen des Zusammenhangs mit tpꜣ.w, das für Weeks das falx cerebri ist). Er hält schließlich „calotte“ (d.h. das Schädeldach als oberster Teil des Hirnschädels) für die befriedigendste Übersetzung (für Weeks ist ḏꜣḏꜣ „the skull“ (cranium mit Unterkiefer – d.h. Neurocranium + Viscerocranium) und ḏnn.t das „cranium“ (d.h. nur Neurocranium)). Für Brawanski, in: SAK 29, 2001, 19 bedeutet pꜣq.t „allgemein der Schädelknochen“ und nicht einen spezifischen, topographisch zuordnungsbaren Bereich. In pEdwin Smith Fall 9 (Kol. 4.19) wird bezüglich einer Verletzung an der Stirn (ḥꜣ.t-ḥr) gesagt, dass das pꜣq.t des ḏnn.t-Schädels zerbrochen ist. Sanchez (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 98) meint, dass hier eindeutig die „outer table of the frontal bone“ gemeint ist (also: tabula externa des os frontale).

(Glosse B:) [2.10] Was (die Textstelle) „die tḫb-Schwellung, die auf ihm/ihr ist, erhebt sich“ angeht:
das bedeutet, dass die šfw.t-Schwellung, die auf diesem Spaltbruch ist, groß ist, (indem) sie nach oben hin angehoben ist.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „du weißt/erkennst, dass er die (entscheidende) Sache erreicht (hat)“ angeht:
das bedeutet, dass (man) sagt: „du weißt, dass er (zuerst weiter) stirbt, bis er überlebt haben wird“,
denn er ist (ein Kranker vom Typus): „eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde“

Fall 5: Schädelverletzung mit Splitterbruch

(Titel:) Erfahrungswissen über eine klaffende Wunde in seinem Kopf, ⟨die bis zum Knochen reicht⟩1
– sein (Hirn-)Schädel ist zerbrochen/zertrümmert.

(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an seinem Kopf untersuchst,
die bis zum Knochen reicht
– sein (Hirn-)Schädel ist zerbrochen/zertrümmert –,
dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Du findest jenen Trümmer-/Splitterbruch, der in seinem (Hirn-)Schädel ist, tief und eingesunken unter deinen Fingern.
Die tḫb-Schwellung, die auf ihm (d.h. dem Bruch oder eventuell der Wunde) ist, schwillt auf / erhebt sich,
(indem/wobei) er (d.h. der Patient) aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen und seinen Ohren blutet (wörtl.: er gibt Blut),
(indem/wobei) er an Steifheit/Steifigkeit (wörtl.: Aufrichtung) in seinem Nacken leidet,
(und indem/wobei) er nicht in der Lage ist, auf seine Schultern und seine Brust zu blicken.
(Diagnose:)2 Dann sagst du daraufhin über ihn (d.h. den Patienten):
„Einer mit einer klaffenden Wunde in seinem Kopf, die bis zum
[2.15] Knochen reicht
– sein (Hirn-)Schädel ist zersplittert/zertrümmert –,
⟨wobei er aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen und seinen Ohren blutet,⟩
(wobei) er an Steifheit/Steifigkeit (wörtl.: Aufrichtung) in seinem Nacken leidet,
⟨(und wobei) er nicht in der Lage ist, auf seine Schultern und seine Brust zu blicken⟩:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“
Du sollst ihn nicht verbinden.
(Er) werde auf den Boden auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) gelegt, so dass / bis der Höhepunkt / die kritische Phase seines jh-Leidens vorübergeht.

1 ⟨(j)ꜥr n qs⟩: fehlt in der Überschrift, wird aber gleich im Anschluß in der Diagnose genannt.
2 Die Symptome des Nasen- und Ohrenblutens sowie die Unmöglichkeit, auf Schultern und Brust zu blicken, werden in der Diagnose nicht wiederholt.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „sein (Hirn-)Schädel ist zersplittert/zertrümmert“ angeht:
das bedeutet, dass sein (Hirn-)Schädel zersplittert/zertrümmert wurde;
Knochen(splitter), die bei/aus jenem Splitterbruch entstanden sind, sind (im Ergebnis) im Innern seines (Hirn-)Schädels eingesunken. (oder: Knochen(splitter) sind entstanden bei/aus jenem Splitterbruch, (wobei dieser Bruch im Ergebnis) in das Innere seines (Hirn-)Schädels eingesunken ist.)
Die Sammelschrift (über) „Die-Angelegenheiten-der-Wunden“3 hat da⟨zu⟩ gesagt:
„Es ist ein Zerbrechen/Zersplittern seitens seines (Hirn-)Schädels in zahlreichen Stücken/Resten, die (im Ergebnis) im Innern seines (Hirn-)Schädels eingesunken sind.“

3 jr.j ist eine substantivierte Nisbe „zugehörig zu, was betrifft“ und erscheint im Titel zweier in pEdwin Smith zitierten Bücher: die Sammelhandschriften (ṯꜣw) jr.j n.j wbn.w: „Das, was die Wunde betrifft“ (Fall 5, Kol. 2.17; Fall 41, Kol. 14.10) und jr.j n.j wt: „Das, was den Bandagierer betrifft“ (Fall 19, Kol. 7.20–21). Allen, Art of Medicine, 75 und 85 übersetzt das eine Werk mit „The Nature of Wounds“, das andere mit „Skill of the Embalmer“. Ein Buch mit dem Titel jr.jw n.j wt erscheint in pUCL 32781 verso: Fischer-Elfert, in: CdE 88/175, 2013, 15–34. Dort ist jr.jw mit einem ausführlichen Determinativ für Schriftstücke versehen (Gardiner Y1+Z2+V12+Z1). Fischer-Elfert erkennt einen Zusammenhang zwischen jr.j in den beiden in pEdwin Smith erwähnten Sammelhandschriften jr.j n.j wbn.w: „Was zur Wunde gehört“ und jr.j n.j wt: „Was zum Verbinder gehört“ und dem jr.jw-Schriftstück oder jr.jw-Traktat. Er versteht die Textbezeichnung jr.jw als ein „Glossenverzeichnis“ oder „Glossar“ (eine Sammlung von jr-Glossen) (Fischer-Elfert, in: CdE 88/175, 2013, 19–20 und 26–30 sowie Fischer-Elfert, in: WdO 43/1, 2013, 110–113). Pommerening liest die Gruppe jr + Buchrolle (Gardiner Y1) nicht als jr.j, sondern als jr.j-mḏꜣ.t: „Archivar, Hüter des Buches“ und übersetzt ṯꜣw n.j jr.j-mḏꜣ.t n.j wbnw als „Textsammlung des Wundenbuchhüters“ (Tanja Pommerening, Die šsꜣw-Lehrtexte der heilkundigen Literatur des Alten Ägypten. Traditionen und Textgeschichte, in: D. Bawanypeck und A. Imhausen (Hgg.), Traditions of Written Knowledge in Ancient Egypt and Mesopotamia. Proceedings of Two Workshops Held at Goethe-University, Frankfurt/Main in December 2011 and May 2012 (AOAT 403), Münster 2014, 24, Anm. 42).

Fall 6: Schädelverletzung mit Splitterbruch und sichtbarer Hirnmasse

(Titel:) Erfahrungswissen über eine klaffende Wunde in seinem Kopf, die bis an den Knochen heranreicht
– sein (Hirn-)Schädel ist zerbrochen/zertrümmert
(und) das Gekröse/Gedärm1 seines (Hirn-)Schädels (d.h. das Gehirn) ist aufgerissen/hervorgebrochen (d.h. freigelegt oder hervorgequollen)2.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an seinem Kopf untersuchst,
die bis an den Knochen heranreicht
– sein (Hirn-)Schädel ist zerbrochen/zertrümmert
(und) das Gekröse/Gedärm seines (Hirn-)Schädels (d.h. das Gehirn) ist aufgerissen/hervorgebrochen –,
dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Du3 findest [2.20] jenen (besagten) Splitterbruch, der in seinem (Hirn-)Schädel ist, vor,
(und zwar) ⟨wie⟩4 diese (wohlbekannten) wrm-Rillen/Blasen/Klumpen/(Metall-)Schlacken(?)5, die im Kupfer des ꜥḏn.t-Schmelztiegels/-ofens(?)6 entstehen,
(wobei) dort (d.h. im Splitterbruch) etwas ist, das pocht/zittert7 und flattert8 unter deinen Fingern,
wie die schwache Stelle9 des whnn-Scheitelbereichs10 eines Kindes, (indem/wenn) er/es (d.h. der Scheitelbereich oder das Kind) nicht ausgeheilt/intakt (d.h. verwachsen) ist;
– jenes Pochen/Zittern und Flattern entsteht unter deinen Fingern, (und zwar) sobald/weil also das Gekröse/Gedärm seines (Hirn-)Schädels (d.h. sein Gehirn) hervorbricht/aufgerissen ist –,
(wobei) er (d.h. der Patient) aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen blutet,11
(und wobei) er an Steifheit/Steifigkeit im Nacken leidet.
(Diagnose:) ⟨Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer klaffenden Wunde in seinem Kopf, die bis an den Knochen heranreicht – sein (Hirn-)schädel ist zerbrochen/zertrümmert, ... ... ...⟩:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“
(Behandlung:) Dann musst du folglich jene seine Wunde mit Öl/Fett beträufeln(?)12.
Du sollst sie (d.h. die Wunde) nicht verbinden.
Du sollst keinen ꜣjw-Doppelverband/Kreuzverband (?) auf sie legen, so dass / bis du erkennst, dass er (d.h. der Patient) die (entscheidende) Sache erreicht (d.h. es schaffen wird?).

1 ꜣjs: Kommt in anderen Texten auch als ꜣs und js vor, was wohl jüngere Wortformentwicklungen des ursprünglichen ꜣjs sind (J.J. Clère, Les chauves d’Hathor, OLA 63, 19; in Wb 1, 2.10.11 bzw. 20.10–11 sind ꜣjs und ꜣs/js separat abgelegt und Grapow, Anatomie, 28, Anm. 4 bezweifelt, dass ꜣjs und ꜣs/js identisch sind.). Der frühest bekannt gewordene Beleg in pEbers 65, 13–14 konnte anfänglich entweder nicht gedeutet werden oder wurde als „Eingeweide; viscera“ übersetzt. Breasted, Surgical Papyrus, 166–167 meint auf der Grundlage von pEdwin Smith, dass es „organic substances of a viscous or semifluid consistency like marrow“ bedeuten kann (vgl. das Determinativ der Pustel mit Eiterausfluss [Gardiner Sign-List Aa3] oder des spuckenden Mundes in Eb 455 [pEbers 65, 13–14]). Durch die Zugabe von n.j ḏnn.t wird es dann für Breasted „marrow of the skull“ oder mehr konkret „brain“, d.h. „Gehirn“, eine Bedeutung, die in pEdwin Smith auch dann eindeutig zutrifft, wenn n.j ḏnn.t fehlt. Das Lemma ꜣjs wird daher in Wb 1, 2.10–11 mit „Gehirn“ übersetzt (ebenso Grapow, Anatomie, 27). Iversen, in: JEA 33, 1947, 48–51 meint, dass die Bedeutung „Gehirn“ zwar richtig ist, aber nur wenn n.j ḏnn.t hinzugefügt oder intendiert ist. Ansonsten und in den Belegen mit der Graphie ꜣs und js (siehe s.v. ꜣs in Wb 1 20.10–11: „Körperteil des Rindes und des Schweins in offizineller Verwendung (ob identisch mit ꜣjs Gehirn?“) ist laut Iversen eine allgemeinere Bedeutung erforderlich und da passt „viscera“, d.h. „Eingeweide“ am besten (Iversen geht nicht auf das „Mark“ von Breasted ein; daher auch Faulkner, CDME, 1: „viscera“). In einer Besprechung von Seiten 1–2 des Wb verweist Gardiner, in: JEA 34, 1948, 16 auf Iversen für die Bedeutung „marrow“ („Mark“) statt „brain“ („Gehirn“), obwohl Iversen eigentlich von „viscera“ spricht. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 12–13, § 11 und 31, § 35 versteht ꜣjs ebenfalls als die Eingeweide von Schädel, Brustkorb und Bauch, wobei er auf Iversen verweist. Weeks, Anatomical Knowledge, 28 folgt der Argumentation von Iversen und übersetzt mit „cerebro-spinal viscera“. Walker, Anatomical Terminology, 265: „internal organs, viscera“ beruft sich implizit auf Lefebvre. Bardinet übersetzt mit „la moelle du crâne“ (d.h. „das Mark des Schädels“), wobei er sich der Bedeutung von Breasted anschließt. In MedWb 2 wird ꜣjs mit „Gehirn“ übersetzt, in DrogWb 1–2 wird es als ein allgemeines Wort für „Gekröse“ (in Anführungszeichen!) beschrieben. Hannig, HWB, 2 bietet die Übersetzungen „Gehirn“ und „Gekröse“ an, beide in einfachen Anführungszeichen, was eine gebräuchliche deutsche Übersetzung und ein eigentlich erforderliches „sogenannt“ impliziert (S. xxxiv). Gekröse geht zurück auf die Wurzel „kraus“, was „in unregelmäßigen, gedrehten, welligen Linien oder Falten“ bedeutet. Mit „Gekröse“ ist das (Fett-)Gewebe um die Därme gemeint, dann auch die Eingeweide, die essbaren Innereien und schließlich die gekräuselte(n) Bauchfellfalte(n) (omentum). Die Bedeutung „*Mark“ (d.h. mit der Markierung unsicher) trägt Hannig, HWB, 14 unter dem Lemma ꜣs ein (mit Verweis auf die abweichende Übersetzung bei ꜣjs); es betrifft pChester Beatty VII, Vso, Kol. 4.9, einen magischen Text mit einer Körperteilliste (Reschef ist Herr von ꜣs; Gardiner, HTBM, 64, Anm. 3 hat als „marrow(?)“ übersetzt), und pGeneve MAH 15274, Rto, Kol. II.3, ebenfalls einen magischen Text mit einer Körperteilliste (Massart, Pap. Geneva, in: MDAIK 15, 1957, 175 mit Anm.1 versteht ꜣs als eine Schreibung von ꜣjs: „Eingeweide“). Walker, Anatomical Terminology, 265 nimmt an, dass dieses ꜣs es ein Wort für „Hoden“ ist, verwandt mit js.wj (es wird zwischen Hinterbacken pḥ.wj, Phallus ḥnn und Schenkel mn.tj aufgelistet).
2 ngi̯.y/ngꜣ.y: Das Verb ngi̯/ngꜣ bedeutet „zerbrechen, aufbrechen“ (Wb 2, 348.6–12; MedWb 487). Es wird transitiv von Statuen gesagt, die zerbrochen werden, von Toren, die aufgebrochen werden, von Quelllöchern, die geöffnet werden. Intransitiv (laut Wb 2, 348.13–14 erst griechisch belegt) ist es „hervorbrechen, sich öffnen“, z.B. vom Nil, der hervorbricht. ngi̯ wird in Fall 6 kontextuell auch mit „to rend open“ (Breasted, Surgical Papyrus, 166), „to expose“ (Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer) übersetzt. Eventuell ist auch die intransitive Bedeutung anzusetzen: Für Westendorf, Grammatik, 187, § 258 ist ngi̯ in ḏr ngg ꜣjs n.j ḏnn.t=f (Kol. 2.22 und 4.11) wahrscheinlich ein intransitives sḏm=f und nicht ein passivisches sḏm=f. Hannig, HWB, 463 listet spezifisch für den Gebrauch in medizinischem Zusammenhang die (intransitive/passive) Bedeutung „aufgebrochen sein“ separat auf. Es wird in Glosse A von Fall 6 (Kol. 2.24–25) so erklärt, dass die Membrane, die das Gehirn umschließt, offen/geöffnet (wbꜣ) ist. In Fall 30 (Kol. 10.12) ergibt laut Brawanski, in: SAK 32, 2004, 66, Komm. 2 die intransitive Bedeutung „auseinanderweichen“ die medizinisch sinnvollste Übersetzung, aber diese Übersetzung bringt den aggressiven Charakter der Aktion nicht zum Ausdruck.
3 Textparallele in Fall 8 (Kol. 4.10–12).
4 ⟨mj⟩ wrm.w: Ergänzt durch Breasted, Surgical Papyrus, 165, Anm. (a) nach der Parallele in Fall 8, Kol. 4.10. Diese Ergänzung wird von fast allen Bearbeitern vorgenommen und ist erforderlich. Nur Brawanski kommt ohne Ergänzung aus, indem er wrm jpn auf der gleichen Höhe wie sḏ pf und später jḫ.t jm stellt, aber dann wird nur gesagt, dass der Splitterbruch gefunden wird, was nicht viel besagt. Wichtiger ist doch, wie der Splitterbruch vorgefunden wird. Die Ergänzung von Burridge, in: JSSEA 27, 1997, 13 ist grammatisch problematisch: „If you should find ⟨in⟩ that fracture which is in his skull, those convolutions ...“, weil im Ägyptischen zuerst das direkte Objekt und erst danach die adverbielle Erweiterung steht.
5 wrm: Die genaue Bedeutung von wrm ist unklar. Es kommt in Fall 6 des pEdwin Smith im Haupttext und weiter unten in der Glosse B von Fall 6 (Kol. 2.25–3.1) vor und im gleichen Satz in Fall 8 (Kol. 4.10). Das Wort ist mit dem Mineral-Determinativ versehen und hängt dem Kontext nach mit dem Wort bjꜣ/ḥmt: „Kupfer“ zusammen und im erweiterten Sinne ebenfalls mit ry.t: „Eiter“. Es beschreibt ein Material oder eine Oberfläche, das/die beim Gießen von Kupfer entsteht und wird mit der Beschaffenheit / dem Aussehen des Splitterbruchs verglichen. Wb 2, 333.5–6 bietet keine Übersetzung an; MedWb I, 197: „Windungen (von faltiger Oberfläche)“; Hannig, HWB, 220: „Windungen (von faltiger, welliger oder schrumpeliger Oberfläche; auch als Sachschaden), *harte Bläschen“. Diese Übersetzungen gehen auf Breasted, Surgical Papyrus, 167: „corrugations“ [= „Furche, Welle, Riffel; Wellung; Riefen“] zurück, der das Wort mit dem Substantiv wrm.t vergleicht, das eine Art gewölbte Laube oder ein Gewölbe bzw. gewölbtes Dach ist (Wb 1, 333.2–3), jedenfalls eine Architektur mit wellenförmiger Struktur. Breasted erkennt in der „convolution“ [d.h. „Biegung, Windung, Faltung“] eine Umschreibung für die Gehirnwindungen, die mit der Oberflächenstruktur der Metallschlacken verglichen werden, welche sich auf dem geschmolzenen Metall bilden. (Vgl. Allen, Art of Medicine, 75 mit Anm. 4: „ripples“ und dort Mininberg: Beschreibung der sulci cerebris). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 23 und 24, Anm. 1 lehnt die Interpretation von Breasted als Gehirnwindungen ab, weil der Splitterbruch (sḏ) und nicht das Gehirn (ꜣjs) mit dem Metallbestandteil verglichen wird. Deshalb übersetzt er diese Stelle gleich mit „Schlacken“, die Stelle in der Glosse B (Kol. 3.1) mit „Schorf von Eiter“. Für von Deines (in: MIO 2, 1954, 16) sind es „Schlieren, die sich beim Erstarren von geschmolzenem Kupfer bilden“. Auch Bardinet weicht mit „concrétions“, d.h. „Sinter“ von Breasteds Deutung ab. Für Brawanski, in: SAK 29, 2001, 23, Anm. 3 können hier nicht die Gehirnwindungen beschrieben sein, „denn kontusioniertes Gehirn zeigt keine Windungen, sondern präsentiert sich als weißlich-rötliche zähe Substanz, die aus der Wunde herausragt und gut zu dem Vergleich mit Eiternpusteln paßt.“ Seiner Meinung nach wird man in der Wunde Wundfragmente, Knochenteile und Gehirnbrei finden. Während Grundriss der Medizin (Grundriss IV/1, 176; MedWb I, 197) wrm.w noch mit „Windungen“ übersetzt, ersetzt Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 37 dies mit dem altertümlichen Wort „Schrumpel“ [d.h. „Falte, Runzel“], das von Brawanski übernommen wird, aber im Grunde ebenfalls eine Struktur mit Windungen und Wellen beschreibt. Lloyd, in: JEA 61, 1975, 61 verwendet die Termini „lump, boil, blister“, d.h. „Klumpen, Brocken, Beule, Propfen, Blase“. In der Beschreibung eines Kastens mit dšr.t-Gefäßen übersetzt Meeks, ALex 77.0979, wrm(.w) als „rugosité, aspérité“, d.h. „Rauheit, Unebenheit“ (nach P. Posener-Kriéger, Les archives du temple funéraire de Néferirkarê-Kaka°, BdE 65/1, Le Caire 1976, Bd. I, 206 (Nr. D 20). In Kol. 3.1 geht es um die wrm.w von Eiter (ry.t). Die für Metalle vermutete Bedeutung von „Rillen/Blasen/Klumpen/(Kupfer-)Schlacken(?)“ auf Eiter (ry.t) übertragen, verlangt dann eine Bedeutung wie „Propfen“, „Blase, Pustel“ oder „Kruste“ (vgl. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 23: „Schorf“).
6 ꜥḏn.t: Ist mit dem nicht identifizierten Determinativ Sign-List Aa8 (Bewässerungskanäle?) versehen. Das Wort beschreibt einen Zustand des Kupfers oder einen Zusammenhang mit Kupfer. Breasted, Surgical Papyrus, 167–168 verweist auf ein Wort ꜥḏn.t, das auf Mittleren-Reichs-Särgen einen Armreif oder ein Halsband bezeichnet, aber er fragt sich, ob das dortige Determinativ (es ähnelt Gardiner, Sign-list W10) mit dem Determinativ des Schmelztiegels vertauscht werden könnte und er mutmaßt wegen des Zusammenhangs mit flüssigem Kupfer (Zl. 2.25) eine Bedeutung „Schmelztiegel“. ḥmt n.j ꜥḏn.t wäre dann nach Meinung von Breasted vielleicht „crucible copper“, d.h. „molten copper“. Lloyd, in: JEA 61, 1975, 61 schließt sich dieser Meinung mit Fragezeichen an, wobei er als Hypothese aufstellt, dass der betreffende Typ von Schmelzofen vielleicht nach der runden Einfassung (Steinmauer oder rundes Band; vgl. ꜥḏn.t: „Armreif/Halsband“) benannt wurde, die um einen frühen Typ von Schmelzöfen gebaut wurde. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 19 fragt sich, ob das koptische ⲁϭⲛⲓ, ⲁϫⲛⲓ (B): „Fleck, Makel, Fehler“ mit unserem Wort ꜥḏn.t zusammenhängt (Er gibt keine Übersetzung für ꜥḏn.t, aber schreibt in der Fußnote, dass „von welliger und blasiger Oberfläche geschmolzenen Metalls die Rede“ ist.). Das Wort bleibt unübersetzt in Wb 1, 242.3 („Art Beschaffenheit des Kupfers“) und MedWb I, 159–160. Faulkner, CD, 51: „crucible(?)“ und Hannig, HWB, 180: „*Schmelzofen; Schmelztiegel“ übernehmen die Hypothese von Breasted und Lloyd.
7 nhdhd: Kommt nur in Papyrus Edwin Smith vor, genauso wie das anschließende npꜣpꜣ. Das erste Verb hat den Mann mit der Hand am Mund als Determinativ, das zweite Verb ist ohne Determinativ. Breasted, Surgical Papyrus, 168–169 leitet die Bedeutung aus der Wortbildung, der daraus zu erschließenden Wurzel und aus dem Zusammenhang ab. Nachdem er npꜣpꜣ als „flattern“ aufgefasst hat (von der Wurzel pꜣi̯: „fliegen“), eine Bedeutung, die auf die von den Fingern verspürten Gehirnbewegungen übertragen wird, analysiert er nhdhd als abgeleit von der Wurzel hd „to thrust“ (u.a. von Stieren) (vgl. Wb 2, 504–505: „entgegentreten; angreifen, bekämpfen; abweisen; (Steine) brechen; (Ackergrenzen) verletzen; (Kühe) treiben“ [verteilt über zwei Lemmata]). Aus der reduplizierten Bildung mit seiner intensivierenden und wiederholenden Semantik erschließt Breasted die Bedeutung „to thrust repeatedly“, daher „to throb“, d.h. „pochen, klopfen, schlagen, pulsieren“. Das Verb hd wird mit dem schlagenden Arm determiniert und Breasted erläutert nicht, warum bei nhdhd der Mann mit Hand am Mund als Determinativ vorliegt. Breasted, Surgical Papyrus, 168, Anm. 1 meint, dass es keinen Zusammenhang zwischen nhdhd einerseits und nhd/ꜣht: „weakness, feebleness, faintness“ andererseits zu geben scheint, obwohl gerade dieses nhd mit dem Mann mit Hand am Mund determiniert ist. Dagegen führt Westendorf, Grammatik, 317, § 461 nhdhd aber auf eben dieses nhd (Verb und Subst.): „schwach sein; zittern; Schwäche“ bzw. auf die Wurzel hd: „Schwäche“ zurück. Für nhdhd wird in Wb 2, 288.8 die Bedeutung „zittern o.ä. (vom pulsierenden Gehirn)“ vorgeschlagen, ebenso in MedWb I, 471. Dies beruht einerseits auf dem Textzusammenhang (ein Flattern an der Fontanelle), andererseits auf der zumindest im MedWb angegebenen Vermutung eines etymologischen Zusammenhangs mit nhd („zittern“ als Äußerung von „Schwäche“?). Faulkner, CD, 136 übernimmt die Bedeutung „to throb“ von Breasted. Hannig, HWB, 444 kombiniert die Vorschläge von Breasted und Wb/MedWb: „zittern, pochen; pulsieren (des durch Verletzung freiliegenden Gehirns)“. Sofern npꜣpꜣ ein (schwaches) Flattern bedeutet, impliziert die Übersetzung „pulsieren“ vielleicht eine zu starke, intensive Semantik für nhdhd.
8 npꜣpꜣ: Kommt nur in Papyrus Edwin Smith vor, genauso wie das vorangehende nhdhd. Letzteres Verb hat den Mann mit der Hand am Mund als Determinativ, npꜣpꜣ ist ohne Determinativ. Breasted, Surgical Papyrus, 168–169 leitet die Bedeutung aus der Wortbildung, der daraus zu erschließenden Wurzel und aus dem Zusammenhang ab. In der Reduplizierung der Wurzel liegen Intensivierung und Wiederholung als semantische Merkmale vor. Laut M. Derchain-Urtel, Das n-Präfix im Ägyptischen, in: GM 6, 1973, 39–54, hier: 52 bewirkt das n-Präfix bei reduplizierten Verben der Bewegung Ziellosigkeit. Breasted führt npꜣpꜣ auf pꜣi̯: „fliegen“ zurück, weshalb npꜣpꜣ etwa „to flutter“, d.h. „flattern“ bedeuten wird. Derchain-Urtel übersetzt „unbestimmtes, zielloses Herumflattern“. Wb 2, 248.3 ist vorsichtiger: „fliegen? (im Sinne von zittern)“. In MedWb I, 457 steht „flattern“ (ohne Fragezeichen), ebenso bei Faulkner, CD, 130 und Hannig, HWB, 430: „flattern (zur Beschreibung des durch Verletzung freigelegten Gehirns)“. Die Bedeutung „flattern“ wird dann im übertragenen Sinne auf Gehirnbewegungen angewandt. Es gibt auch ein Verb npꜣ, das eine Tätigkeit oder Zustand des Herzens beschreibt (MedWb I, 456) und das möglicherweise mit pꜣi̯ und npꜣpꜣ zusammenhängt.
9 hd/ꜣht/ꜣhd: Das Substantiv kommt im Papyrus Edwin Smith in den Fällen 6, 7, 8 und 19 vor, wobei es sich in den Fällen 6 und 8 um dieselbe Formulierung handelt (ꜣht/hd whnn; Graphie ꜣht oder ꜣh.t in Fall 6, Zl. 2.21 und Graphie hd in Fall 8, Zl. 4.11). Die Schreibung ꜣhd in Fall 19 (Zl. 7.21–22) spricht gegen eine Lesung als Femininum ꜣh.t. Außerdem steht in Fall 7 ꜣht zweimal in der Glosse J (Zl. 4.4, das zweite Mal korrigiert aus hꜣt), während im Haupttext nhd (Zl. 3.14) geschrieben ist. Westendorf, Grammatik, 317, § 461 nimmt hd als Wurzel an, mit nhd als eine Wurzelerweiterung und ꜣhd/ꜣht als Nebenformen von nhd. Auch Ward, in: JEA 59, 1973, 230 geht von einer Wurzel hd: „tremble, be weak“ aus, die seiner Meinung nach auch in hddw.t in den Pyramidentexten (Pyr. 1876) erhalten ist (wird in Wb 2, 506.10 mit „Hungersnot o.ä.“ übersetzt; bedeutet laut Ward aufgrund des Kontexts jedoch eher „weakness (from lack of food)“; daher Hannig, HWB, 532: „*Schwäche (aufgrund des Hungers)“). Ward listet nhd: „be weak, tremble“ sowie nhdhd: „throb“ als Ableitungen mit n-Präfix auf, und ꜣhd: „tremble, quiver“ (als Verb) bzw. „weakness“ (als Subst.) als Ableitung mit -Augment. Ein Wort hd: „Schwäche“ steht nicht in Wb 2 (DZA 21.185.160: fragt sich, ob es (mj) jhd zu lesen ist) und Breasted, Surgical Papyrus, 169 versteht hd in Zl. 4.11 als Fehler für nhd. In MedWb II, 574 ist hd jedoch als separates Lemma aufgenommen. Laut MedWb I, 9, Anm. 6 ist ꜣht möglicherweise eine jüngere Graphie von ꜣhd (mit Lautverschiebung dt). Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 569 listet das koptische ϩⲧⲉ-, ϩⲧⲁ=: „matt werden“ als Nachfahre von ꜣhd und hd auf (nach J. Osing, Der spätägyptische Papyrus BM 10808, ÄgAbh 33, Wiesbaden 1976, 247).
Den wichtigsten Hinweis für die Bedeutung von ꜣht liefert Glosse J von Fall 7 (Zl. 4.4): dort muss laut Breasted, Surgical Papyrus, 169 eine Bedeutung wie „weakness, feebleness, exhaustion“ vorliegen, weil der Patient weiß/bleich/blass geworden ist (sḥḏ), nachdem er (sich) zuvor schon eine ꜣht hingegeben (wdi̯) hat (oder: nachdem er zuvor schon eine ꜣht hingelegt (wdi̯) hat); man soll ihn angesichts der ꜣht nicht im Stich lassen (ꜥq ⟨r=f⟩ / m bṯ.w ⟨sw⟩) oder er ist bleich geworden, weil er ein unheilbar Kranker (ꜥq m bṯw) infolge der ꜣht ist. Breasted leitet auf S. 169 aus Glosse J von Fall 7 die Bedeutung „weakness“ ab und erklärt dies als Grundlage für den Bedeutungsansatz „weak place“ in ꜣht whnn für die Fontanelle, während er auf S. 200 die Bedeutung „weakness“ gerade aus der Bedeutung „weak place“ für die Fontanelle herleitet (Zirkelschluss). Die Bedeutung „exhaustion“ (Breasted, Surgical Papyrus, 200) leitet sich aus der Grundbedeutung „weakness“ ab. In Wb 1, 12.9 findet sich bei ꜣhd die Bedeutung „schwach (von Körper), ohnmächtig“ (keine substantivische Verwendung eingetragen); für nhd steht in Wb 2, 288.2–3: „grimmig o.ä.; auch von Schmerzen“.
In ꜣht/hd whnn und vielleicht in Fall 19 (pḥ.wj ꜣhd=s: Zl. 7.21–22) (letzteres in MedWb I, 10 s.v. ꜣhd) ist „Schwäche“ im Sinne von „schwache Stelle, Schwachstelle“ zu verstehen (gleiches Determinativ des Mannes mit Hand am Mund). Walker, Anatomical Terminology, 271 übersetzt hd direkt als „fontanelle, bregma“ (ꜣhd/ꜣht und nhd fehlen in seiner Liste), was jedoch nur in der Kombination hd/ꜣht whnn erlaubt ist, denn hd/ꜣht an sich hat nicht diese Bedeutung. Die Identifikation als „fontanelle“ bei Walker geht vielleicht auf W. A. Ward, in: JEA 59, 1973, 230 und Anm. 3 zurück, oder auf Meeks, ALex 77.2532, der seinerseits auf Ward verweist, aber man findet es schon bei Breasted, Surgical Papyrus, 169 und MedWb I, 9 (s.v. ꜣht); MedWb II, 574, Anm. 6 (s.v. hd). Jedenfalls wird die Fontanelle gemeint sein für den hd/ꜣht des whnn-Scheitels eines Kindes, als dieser noch nicht „heil/intakt“ (ꜥḏ) bzw. „verknotet“ (ṯꜣz), d.h. verwachsen ist und man dort ein Pochen/Zittern (nhdhd) und Flattern (npꜣpꜣ) spürt. Bardinet, Papyrus médicaux, 497 übersetzt ꜣht whnn mit „la partie déprimée du sommet du crâne“. Er erläutert nicht, ob die Bedeutung „déprimén“ aus der Etymologie von ꜣht herrührt oder eine moderne Umschreibung für die Stelle am Kopf ist (vgl. auch die Wurzel ꜣhi̯: „traurig sein, elend fühlen, schmerzen“).
10 whnn: Die zwei fast identischen Textstellen, in denen whnn im Papyrus Edwin Smith verwendet werden, erlauben eine ziemlich genaue Situierung dieses Wortes am Kopf: Bei einer Wunde spürt man unter den Fingern ein Pochen (nhdhd) und Flattern (npꜣpꜣ) wie bei der schwachen Stelle (ꜣht/ꜣhd/hd) des whnn-Kopfteils eines Kindes (Fall 6, Kol. 2.22; Fall 8, Kol. 4.11). Da mit der „schwachen Stelle“ zweifellos die große Fontanelle (Stirnfontanelle, fonticulus anterior) gemeint ist, ist whnn der Bereich um die Fontanelle, d.h. „the crown of the head“ (Breasted, Surgical Papyrus, 169) oder „der Scheitel des Kopfes“ (Wb 1, 346.1–2). Weeks, Anatomical Knowledge, 24–25 würde whnn hingegen als eine Bezeichnung für das Stirnbein halten, weil das os frontale („frontal bone“) (bzw. dessen obere Ende) der Bereich ist, wo die große Fontanelle („bregmatic fontanelle“) und die zugehörige „metopic suture“ (sutura frontalis) am Besten erkennbar sind („whnn as ‚frontal bone‘, the area where that fontanelle and the accompanying metopic suture are most noticeable.“). Für Grapow, Anatomie und Physiologie, 26 ist whnn der anatomische Terminus für den Scheitel, während ansonsten wp.t verwendet wird. Beide Begriffe sind bei Grapow dem Stichwort „Hirnschädel“ untergeordnet. In MedWb I, 203 wird für whnn neben „Scheitel“ auch „Schädeldecke“ als Übersetzung aufgelistet, was einen Bereich des knöchernen Schädels implizieren würde. Walker, Anatomical Terminology, 268 nennt whnn sowohl „crown of the head“ als auch mehr spezifisch „bregma“, was aber gerade der Punkt ist, an dem die Kranznaht (Sutura coronalis) und die Pfeilnaht (Sutura sagittalis) zusammentreffen, d.h. der Ort der ehemaligen großen Fontanelle (vgl. für (ꜣ)hd auch Weeks, Anatomical Knowledge, 24–25 und 26; Walker, Anatomical Terminology, 271 s.v. hd: „fontanelle, bregma“). Es wird vermutet, dass ein etymologischer Zusammenhang zwischen whnn und hn (n tp): „dem Kasten des Kopfes“ (der Schädelhöhle?) in der Mitte des Scheitelbereichs (m ḥr.j-jb n wp.t) existiert. Ob der Unterschied zwischen whnn und wp.t tatsächlich ein Unterschied zwischen medizinischer und allgemeiner Terminologie ist, bleibt eine Hypothese. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass whnn sich spezifisch auf einen Bereich des knöchernen Schädels bezieht, was die Übersetzungen „Schädeldecke“ (MedWb), „Schädeldach“ oder „Kalotte“ unsicher macht. Wie groß genau der Bereich um die große Fontanelle herum ist, lässt sich nicht ermitteln. Deshalb ist die Übersetzung „Scheitel“ als der „mittlere obere Teil des Kopfes“ zu verstehen, nicht als der „Scheitelpunkt“ oder die „Scheitellinie“.
11 m msꜣḏ.tj=fj: In Fall 8 (Kol. 4.12) mit demselben Text steht zusätzlich m msḏr.wj=fj. Das Fehlen des Blutens aus den Ohren – sofern es kein Versehen des Kopisten ist – könnte bedeuten, dass nur die vordere Schädelbasis verletzt wurde (siehe Brawanski, in: SAK 29, 2001, 22; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 68).
12 nsr: Ist ein Hapax. Dem Zusammenhang nach ist nsr ein Verb, das eine Art der Behandlung einer Wunde mit Öl/Fett bezeichnet, wobei die Wunde jedoch nicht verbunden wird. Breasted, Surgical Papyrus, 171 errät aus diesem Zusammenhang die Bedeutung „to anoint“ (daher Bardinet, Papyrus médicaux, 497: „enduire“); Wb 2, 335.3 hat „betupfen o.ä.“; Med. Wb. I, 481–482: „betupfen, beträufeln o.ä.“; Hannig, HWB, 457: „*betupfen, beträufeln“; Allen, Art of Medicine, 75 übersetzt englisch mit „sprinkle“ und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 67 variieren mit „to daub, apply gently“. Nur Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 23 und 24 denkt an ein anderes Verb: „brennen“, auch wenn das Flammendeterminativ fehlt. Er vermutet, das warmes Öl über die Wunde gegossen werden sollte und er vermerkt: „dies ist ja auch bis in die neuere Zeit sehr viel bei bösartigen Wunden benutzt worden.“

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „sein (Hirn-)Schädel ist zerbrochen/zertrümmert;
(und) das Gekröse/Gedärm seines (Hirn-)Schädels (d.h. das Gehirn) ist aufgerissen/hervorgebrochen“ angeht:
⟨das ist⟩ ein großer Splitterbruch, (mit dem Ergebnis, dass er) zum Innern seines (Hirn-)Schädels (und zur / d.h. zur) Membrane/Haut13, die sein Gekröse/Gedärm (d.h. Gehirn) umschließt (d.h. die Hirnhäute), offen/geöffnet14 ist.
Dann/Folglich muss es (d.h. das Gehirn) zerbrochen/zertrümmert sein,15 (indem/wobei) es [2.25] aus dem Innern seines Kopfes/Schädels hervorquillt16.

13 ntnt oder ntn.t: Die Belege dieses Wortes sind im Wörterbuch je nach Determinativ unter zwei Lemmata abgelegt: ntnt in Wb 2, 356.11 mit Fleischdeterminativ: „Körperteil des Menschen (zwischen Brust und Bauch genannt)“ (Beleg: pBerlin P.3027: N. Yamazaki, Zaubersprüche für Mutter und Kind. Papyrus Berlin 3027, Achet B2, Berlin 2003, 18, 20) und ntnt in Wb 2, 356.12 mit Tierfelldeterminativ: „Haut (vgl. ntt)“ (Beleg: pEdwin Smith). Es wird im Wörterbuch als ein Maskulinum eingetragen, aber das Partizip Feminin ꜥrf.t spricht für ein Femininum (so MedWb I, 490; ebenso Hannig, HWB, 466). Trotzdem möchte Westendorf, Grammatik, 81, § 123 nicht ausschließen, dass ntnt eine ABAB-Wortbildung ist und dass ꜥrf.t zu Unrecht mit einer Femininendung am Partizip versehen wurde, weil das stammhafte t fälschlicherweise als Femininendung eingestuft wurde (also entweder ntnt ꜥrf{.t} ꜣjs=f oder ntn.t ꜥrf.t ꜣjs=f). Die Bedeutung von ntnt/ntn.t mit dem Tierfell- oder Lederdeterminativ erschließt sich aus dem Kontext, da es das Gehirn wie einen Beutel umschließt/einpackt (ꜥrf). Es muss eine (lederartige) „Haut“ oder eine „Membran“ sein (Wb 2, 356.12; MedWb I, 490), die in diesem Fall das Gehirn umschließt, also entweder die drei Hirnhäute (Meningen) zusammen (so Breasted, Surgical Papyrus, 172; Brawanski, in: SAK 29, 2001, 23, Anm. 2) oder nur die (straffe) äußerste Hirnhaut (Dura mater) (so Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 304; Lefebvre, Tableau des Parties du corps, 13, § 11; Weeks, Anatomical Knowledge, 28). Walker, Anatomical Terminology, 271 spezifiziert sogar einen Bereich der Dura mater: „intracranial diaphragm i.e. falx cerebri, falx cerebelli“, ohne eine Begründung zu geben. Die Bedeutung „Haut, Membrane“ passt auch für das Wort mit dem Fleischdeterminativ in pBerlin P.3027 (Kol. IV.5), den Zaubersprüchen für Mutter und Kind, als Körperteil zwischen Brust und Bauch, wo das Zwerchfell (Diaphragma) gemeint sein wird (Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 304–305; Lefebvre, Parties du corps, 27, § 29).
14 wbꜣ: Das Verb bedeutet ursprünglich „bohren“ und die Bedeutung wird dann erweitert zu „öffnen“ (transitiv) und „geöffnet sein, sich öffnen“ (intransitiv, reflexiv). Falls hier die Glossenerklärung mit pw zu ergänzen ist, wird wbꜣ ein Pseudopartizip/Stativ zum Substantiv sḏ sein, eventuell ein Partizip aktiv. Abweichend davon übersetzen Brawanski und Sanchez & Meltzer mit einer pseudoverbalen Konstruktion mit sḏ wr als Subjekt und dem Pseudopartizip wbꜣ als Prädikat: „ein großer Splitterbruch ist offen“.
15 sḏ.ḫr=f: Das Subjekt von sḏ wird unterschiedlich gehandhabt. Es ist entweder der (große) Splitterbruch (sḏ) (so Breasted, Ebbell, Bardinet), das Gehirn (ꜣjs) (so Grundriß IV/1; Westendorf, Papyrus Edwin Smith; Westendorf, Handbuch Medizin; Brawanski; wahrscheinlich auch Allen) oder die Membran (ntnt/ntn.t) (so Sanchez/Meltzer; dann muss ntnt ein Maskulinum sein). Mit dem Gehirn oder der Membran als Subjekt muss sd/sḏ die intransitive/passive Bedeutung: „zer-, aufbrechen, aufgebrochen sein“ haben (siehe Westendorf, Grammatik, 187, § 258).
16 nẖ und : sind unterschiedliche phonetische Realisierungen derselben Wurzel und werden beide mit dem spuckenden Mund bzw. mit einem Strahl von Tropfen determiniert. Sie kommen sowohl als Verb als auch als Substantiv vor. Die Graphie nẖ für das Verb steht in pEdwin Smith 2.24–25 (Fall 6), die Graphie steht in pEdwin Smith 13.19, 14.15 und 14.16 (alle drei Fall 41). Logographisch geschrieben steht das Verb außerdem in Fall 47 (Kol. 17.9) in einer identischen Situation wie in Kol. 13.19. Schließlich ist nšw noch als Graphie eines zugehörigen Substantivs in pEdwin Smith 10.20 (Fall 31) belegt. Die Wurzel nẖ wird in Wb 2, 318.14–15 mit „ausspeien; das Ausgespieene, der Speichel“ (Verb; Substantiv) übersetzt. Dieselbe Wurzel liegt in der Graphie in Fall 41 vor, wo es auch in Glosse E (Kol. 14. 15–16) erklärt wird mit dem Verb pri̯: „herauskommen“ (in Wb 2, 337.8 ist aus Fall 41, Kol. 13.19 sowie Fall 47 als Substantiv „Speichel o.ä.“ aufgenommen). Breasted, Surgical Papyrus, 172 erkennt außerdem einen Zusammenhang mit dem transitiven Bewegungsverb : „verdrängen, vertreiben“. Die Erklärung mit pri̯, der mutmaßliche Zusammenhang mit dem Bewegungsverb und das Determinativ führen Breasted, Surgical Papyrus, 172 und 390 zur Übersetzung des Verbs mit „(to) issue, stream forth, flow out“ und des Substantivs mit „fluid“.
Breasted, Surgical Papyrus, 172 versteht nẖ in Fall 6 als ein Substantiv und als Objekt des Verbs sḏ: „it breaks open his fluid“ (ebenso Ebbell, Bardinet, vgl. Burridge). Für ihn bricht (sḏ) die Zersplitterung (ebenfalls sḏ!) die Flüssigkeit auf (von Bardinet, Papyrus médicaux, 497 wird das Verb sḏ umschrieben als: „il (l’éclatement) ouvre une brèche au fluide“), wobei er vermutet, dass mit nẖ „the soft or viscous consistency of the brain itself“ gemeint ist (Deshalb übersetzt er wohl mit „his fluid“, d.h. die Flüssigkeit des Patienten, und nicht mit „its fluid“, d.h. die Flüssigkeit des Gehirns.). Breasted zitiert aber auch seinen medizinischen Gewährsmann Dr. Luckhardt, dass nẖ sich auf die cerebrospinale Flüssigkeit (liquor cerebrospinalis), von der das Gehirn umgeben ist, bezieht. Das hält Brawanski, in: SAK 29, 2001, 23, Anm. 2 für unwahrscheinlich, weil diese Flüssigkeit bei einer Kopfverletzung nicht leicht heraustropft. Dass der Splitterbruch (oder die Zersplitterung) die Flüssigkeit (oder die zähflüssige Masse) zersplittern/aufbrechen sollte, ist zumindest stilistisch unwahrscheinlich. Deshalb wird wohl eher ꜣjs: „das Gehirn“ (oder ntnt) das Subjekt des Verbs sḏ sein, das dann intransitiv sein wird („zerbrochen, zertrümmert sein“). Dementsprechend kann nẖ in Fall 6 kein Substantiv mehr sein (trotzdem als Substantiv, aber mit einer anderen Satzabtrennung Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 67), sondern ist auch als Verb zu verstehen (so Grundriss, Westendorf, Brawanski, Allen). Als Übersetzungen für nẖ (m) mit „Gehirn“ als Subjekt werden dann angesetzt: „herausquillen“ (Grundriss IV/1; Westendorf), „sich ergießen, herausquellen“ (MedWb I, 479), „wölben (aus)“ (Brawanski), „to gush (from)“ (Allen).
In Fall 41 ist das Abstraktum „eine Ballung von Hitze“ das Subjekt des Verbs . Es wird in diesem Zusammenhang als „to issue“ (Breasted, Surgical Papyrus, 375), „ausströmen“ (Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 62; Grundriß IV/1, 194; MedWb I, 483: „ausströmen, ausfließen“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 78; Westendorf, Handbuch Medizin, 736), „s’exhaler“ (Bardiner, Papyrus médicaux, 513), „to spew“ (Allen, Art of Medicine, 97) und „flow out“ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 252) übersetzt.
Um die Intensität des Herausströmens (vgl. Allen: „to gush“) zu bestimmen, müssten die verschiedenen Wurzeln mit der Bedeutung „herausquellen, hervorsprudeln, herausströmen“ genauer vergleichend untersucht werden.

(Glosse B:) Was (die Textstelle): „diese wrm-Rillen/Blasen/Klumpen/(Metall-)Schlacken(?), die am/beim Kupfer des ꜥḏn.t-Schmelztiegels/-ofens(?) entstehen“ angeht:
das ist Kupfer, das der (Kupfer)schmied (ab/weg?)gießt (oder: (in eine Form) gegossen hat)17,
[3.1] wenn es (d.h. das Kupfer) noch nicht mit einem Stein(hammer) (?)18 zu einer Sache breitgeklopft19 ist (oder: das ist Kupfer, das der (Kupfer)schmied (in eine Form) gegossen hat, bevor er (d.h. der Schmied) (es) mit einem Stein(hammer) zu einer Sache breitgeklopft hat).
Seine Oberfläche (wörtl.: Gesicht; d.h. die des Kupfers oder der Sache) ist (im Ergebnis) roh/uneben wie ...?...20
Das bedeutet, dass (man) sagt: „(Es) ist wie wrm-Propfen/Blasen/Pusteln/Krusten(?)21 von Eiter.“

17 wdḥ: Das Verb bedeutet „schütten, gießen“ (Wb 1, 393.6–13), was aus dem koptischen Nachfahr ⲟⲩⲱⲧϩ hervorgeht (Crum, Coptic Dictionary, 498b: „pour (liquid), cast (in mould), draw (water)“). Bezogen auf Metall übersetzt das Wörterbuch sowohl „Kupfer schmelzen“ (Wb 1, 393.11) als auch „(kupferne) Türflügel u.ä. giessen“ (Wb 1, 393.12). Auch im Koptischen wird ⲟⲩⲱⲧϩ im Zusammenhang mit Metall schmelzen verwendet (siehe Crum, 498b–499a). Breasted, Surgical Papyrus, 173 hat für wdḥ die ursprüngliche Bedeutung „gießen“ im Sinne von „weggießen“ angenommen („pour off (reject)“) (ebenso Bardinet, Sanchez/Meltzer). Er übersetzt wdḥ wie eine Relativform Präsens: „copper which the coppersmith pours off (rejects)“. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 23 hingegen nimmt einerseits die Bedeutung „schmelzen“ an und übersetzt wdḥ andererseits als attributives Partizip Passiv zu ḥmt mit dem logischen Subjekt im Genitiv angebunden: „das vom Kupferschmied geschmolzene Kupfer“. Grundriß (IV/1, 176; MedWb 236–237) und Westendorf bleiben bei „(Metall) gießen“ (also nicht „weggießen“), was impliziert, dass das Kupfer in eine Form gegossen wird. Lloyd, in: JEA 61, 1975, 61 möchte eher mit „to smelt“, d.h. „(Metall) schmelzen“ übersetzen, weil der Kontext seiner Meinung nach nicht zu „to cast“, d.h. „in eine Form (ab)gießen“ passt. Für ihn gehören die wrm.w zum Schmelzvorgang und nicht zum Gießvorgang. Hannig, HWB, 244 gibt für wdḥ in Zusammenhang mit Metall beide Bedeutungen als fraglich an: „*ausgießen (und vorher schmelzen), *schmelzen (Metall, Kupfer in Gusstechnik)“.
18 ꜥꜣ.t: ist im Papyrus Edwin Smith (Kol. 3.1) mit einem Abkürzungsstrich determiniert, was die Identifikation des Gegenstands erschwert. Breasted, Surgical Papyrus, 174 hat schon erkannt, dass ꜥꜣ.t ein Gegenstand ist, mit Hilfe dessen (m: „mit“) die Aktivität pds getan wird oder in (m: „in“) dem die Aktivität getan wird. Er meint, dass mit ꜥꜣ.t das Wort „Stein“ gemeint ist und mehr konkret ein steinernes Gefäß (vgl. Wb 1, 166.1–2), das er als eine Steinmodel oder eine Gußform aus Stein versteht. Für Breasted ist pds m ꜥꜣ.t: „pouring into‘ or ‚forcing into the mould‘“ (ebenso Ebbell, Grundriss IV/1, Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer). MedWb 129 mit Anm. 1 verweist jedoch auf Metallverarbeitungsszenen im Alten Reich, bei denen „das erstarrte Metall auf einen großen Stein gelegt und mit Steinen breit geklopft (wird)“ (Siehe für diese Metallarbeiten L. Klebs, Die Reliefs des alten Reiches, Heidelberg 1915, 85 (Nr. 4); B. Scheel, Egyptian Metalworking and Tools (Shire Egyptology), Princes Risborough 1989, 27–30.). Deshalb wird ꜥꜣ.t in MedWb mit „Stein“ übersetzt. Auch Lloyd, in: JEA 61, 1975, 62 erkennt das Wort „(kostbarer) Stein“ im Sinne einer Art Handhammer aus einem Steinklumpen.
19 pds: Das Verb pdz als Var. von pds wird sonst mit dem Bein und/oder dem schlagenden Mann/Arm als Determinativ geschrieben, an unserer Stelle wurde ein unklares Determinativ in roter Tinte vor dem schlagenden Arm nachgetragen (ein Messer?). Es handelt sich um eine Tätigkeit des Metallschmieds. Wb 1, 566.12 trennt pdz als Verb der Kupferverarbeitung vom Verb pds: „breitdrücken, zertreten, zerstören“ (Wb 1, 566.16–19), aber es wird das gleiche Verb sein (so Breasted, Surgical Papyrus, 173; MedWb 301–302: „breitdrücken“, mit der Erklärung „vom Breitschlagen erstarrten Metalls“). Welche Aktivität gemeint ist, hängt mit der Interpretation von ꜥꜣ.t zusammen. Breasted denkt an eine steinerne Gußform und versteht pds als „hineinpressen“; Westendorf (MedWb 129 und Westendorf, Papyrus Edwin Smith) denkt an einen Steinhammer und übersetzt pds mit „breitschlagen“. Grammatisch ist n pds.t=f ein negiertes sḏm.t=f, aber es wird teils aktiv (Ebbell, Bardinet, Allen), teils passiv (Breasted, Grundriss, Westendorf, Brawanski, Sanchez/Meltzer; Westendorf, Grammatik, 195, § 268; Zonhoven, Studies sḏm.t=f, Kap. IV, § 6) übersetzt. Im ersten Fall ist der Kupferschmied (ḥmt.j) das Subjekt und fehlt das direkte Objekt, im zweiten Fall ist das Kupfer (ḥmt) Subjekt. Da im nächsten Satz die Oberfläche des Kupfers Subjekt ist, wird auch hier wohl eher das Kupfer Subjekt des sḏm.t=f sein.
20 pjw: Die Bedeutung dieses Substantivs ist unbekannt, ebenso wie die von pj.t in Eb 197a, das ebenfalls im Zusammenhang mit dem Wort nḥꜣ: „grob, uneben“ vorkommt. Wb 1, 502.5 und MedWb I, 260 sowie Hannig, HWB, 290 liefern keine Übersetzung. Laut Breasted, Surgical Papyrus, 143 spricht der Zusammenhang für eine Bedeutung wie „wrinkles(?)“ (gefolgt von Allen, Sanchez/Meltzer). Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 38 hat „Blasen“ (ebenso Westendorf, Handbuch Medizin, 716; gefolgt von Brawanski); Bardinet, 497 übersetzt mit: „pustules“, d.h. „Warze, Pickel, Pustel, Eiterbläschen“.
21 ry.t: Die Bedeutung „Eiter“ (Eng. & Franz. „pus“) wird allgemein akzeptiert (Wb 2, 399.13–15; MedWb I, 521–522; Bardinet, Papyrus médicaux, 137–138; Meeks, ALex 78.2369: „suppuration“; Westendorf, Handbuch Medizin, 350 mit Anm. 535; Hannig, HWB, 489: „Eiter; Ausscheidung“). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 67 und 69 sind weniger spezifisch: „discharge“. In älteren Bearbeitungen des pEbers wird ty.t statt ry.t gelesen (siehe dazu Breasted, Surgical Papyrus, 174). Die Übersetzung „blood clot(?)“ von Burridge, in: JSSEA 27, 1997, 14 mit Anm. 34 beruht auf einem Fehlverständnis der Erklärung von Wb 2, 399,13–14: „Eiter o.ä. als Inhalt der Geschwüre (13) u.a.m. Gern neben ‚Blut‘ (14).“

Fall 7: Schädelverletzung mit Durchbohrung der Tepau-Region (Nebenhöhlenbereiche?)

(Titel:) Erfahrungswissen über eine klaffende Wunde in seinem Kopf, die bis zum Knochen reicht
– die tpꜣ-Regionen/Bereiche (Stirn-/Nebenhöhlenbereiche?)1 seines (Hirn-)Schädels sind durchbohrt/durchstoßen.
(Untersuchung:) ⟨Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an seinem Kopf untersuchst, die bis zum Knochen reicht
– die tpꜣ.w-Regionen/Bereiche (Stirn-/Nebenhöhlenbereiche?) seines (Hirn-)Schädels sind durchbohrt/durchstoßen –,⟩
dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
(Er) wird wirklich sehr zittern (?). (oder: (Es) wird wirklich sehr wackeln/nachgeben (?).)
Daraufhin veranlasst du, dass er sein Gesicht anhebt.2
Es fällt ihm schwer, seinen Mund zu öffnen;
sein Herz ist (zu) müde/erschöpft, um zu reden.3
Wenn du seinen Speichel4 untersuchst5, der auf seine Lippen tritt / getreten (wörtl.: gefallen) ist6 – (dieser) kann nicht zu Boden fallen –,
(indem) er aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen und seinen Ohren blutet (wörtl.: Blut gibt),
(indem) er an Steifheit/Steifigkeit in seinem Nacken leidet,
(indem) er nicht in der Lage ist, [3.5] auf seine Schultern und seine Brust zu blicken:
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn (den Patienten):
„Einer mit einer klaffenden Wunde an seinem Kopf, die bis an den Knochen heranreicht
– die tpꜣ.w-Regionen/Bereiche (Stirn-/Nebenhöhlenbereiche?) seines (Hirn-)Schädels sind durchbohrt/durchstoßen
(und) das wꜣ.t-Band
7 seines Unterkiefers ist zusammengebunden/festgezurrt8,
(indem) er aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen und seinen Ohren blutet,
(indem) er an Steifheit/Steifigkeit in seinem Nacken leidet:
eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde.“
(Behandlung:) Sobald (oder: weil) du (also) jenen Mann vorfindest, indem das wꜣ.t-Band seiner Unterkiefer(hälften) zusammengebunden/festgezurrt worden ist,
dann musst du folglich veranlassen, dass für ihn etwas Warmes/Heißes gemacht wird,
bis / so dass es ihm besser geht.
Dann muss sein Mund sich (zwangsläufig/folglich) öffnen.
Dann musst du ihn folglich mit Fett/Öl, Honig und Faserbausch verbinden,
bis / so dass du erkennst, dass er die/eine (entscheidende) Sache erreicht (d.h. es schaffen wird?).

1 tpꜣ: Wird mit einem kleinen Kreis determiniert, der verwendet wird für Mineralien, Körner, aber auch für ein kleines Loch. Das Wort wird in Glosse A von Fall 7 des pEdwin Smith (Kol. 3.15–16) erklärt als etwas, das sich zwischen einer Schale (pꜣq.t, d.h. scherbenförmigem Schädelknochen) und einer zweiten Schale befindet und lederartig oder hautartig (dḥr) ist. Die Orthographie von tpꜣ.w und die Genitiv-Partikel n.w weisen auf einen Plural hin (Singular wäre dann tpꜣ), aber eine im Kopfbereich situierte Krankheit tpꜣ/tpꜣ.w wird gleich geschrieben. Die Identifikation der betreffenden Körperteile bzw. der betreffenden Körperregionen ist nach wie vor umstritten. Eine gute Zusammenfassung der unterschiedlichen Meinungen zu diesem Wort steht bei Brawanski, in: SAK 29, 2001, 26–28. Erman/Grapow übersetzen es in der Wortverbindung tpꜣ.w n.w ḏnn.t als „die Kopfhaut, Kopf-‚schwarte‘“ (Wb 5, 295.5–6). Brawanski, 26 gibt für die „Kopfhaut, Kopfschwarte“ als entsprechenden lateinischen Begriff Galea [aponeurotica] an, die unmittelbar unter der eigentlichen Kopfhaut liegt und fest mit ihr verbunden ist. Die Identifikation passt für den lederartigen Charakter, aber nicht für die Positionierung zwischen Knochenschalen. Breasted, Surgical Papyrus, 185–186 betrachtet tpꜣ.w als die Suturen (lat.: Sutura), d.h. die Nahtstellen zwischen zwei Schädelknochen (daher Hannig, HWB, 1001: „Kopfnähte, Knochennähte“), wobei die lederartige Textur sich laut Breasted auf das Bindegewebe der Nähte vor dessen Verknöcherung bezieht (gefolgt von Bardinet, Dents et mâchoires, 171; Allen, Art of Medicine, 77). Grapow, Anatomie, 27 lehnt die Meinungen von Breasted und von Wb 5, 295 ab, ohne einen alternativen Vorschlag zu machen. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 26 und MedWb II, 948 widersprechen der Meinung von Breasted und vermuten, dass „Tentorium cerebelli“ (Kleinhirnzelt) bzw. „wahrscheinlich die Hirnsichel (falx cerebri)“ gemeint ist. Das Erste ist eine Membran, die die Schädelhöhle am Hinterkopf in einem größeren oberen (Großhirn) und einem kleineren unteren Bereich (Kleinhirn; cerebellum = Kleinhirn) verteilt, das Zweite ist eine Membran, die das Gehirn in einer linken und einer rechten Hälfte verteilt. Weeks, Anatomical Knowledge, 28–29: lehnt die Übersetzung „suture“ ebenfalls ab und folgt dem Vorschlag von von Deines/Westendorf (MedWb), dass tpꜣ.w „falx cerebri“ ist (Weeks äußert sich nicht zum Tentorium cerebelli). Ein philologisches Problem bei den Interpretationen von Ebbell und MedWb ist, dass tpꜣ.w ein grammatischer Plural ist. Die Auffassungen von Ebbel und MedWb werden von Chapman und Brawanski zurückgewiesen, weil diese Membrane bei offenen Kopfverletzungen sehr selten sichtbar werden und Verletzungen in diesen Bereichen unweigerlich zum Tode führen würden, was laut Fall 7 nicht notwendigerweise der Fall sein muss. P.H. Chapman, in: JARCE 29, 1992, 35–42 situiert die Verletzung auf der Grundlage der allgemeinen Anordnung der Verletzungen im Papyrus Edwin Smith im Stirnbereich (vgl. die Verortungsskizze der Verletzungen bei Chapman, 39, Fig. 1 mit der Skizze in Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 21, Visual Index I, wo gerade für die Fälle 7–9 teilweise unterschiedliche Meinungen herrschen). Kombiniert mit der Tatsache, dass die Verletzung nicht tödlich sein muss und zugleich relativ häufig auftreten sollte (sonst würde sie nicht in pEdwin Smith stehen), entscheidet Chapman sich bei der in Fall 7 vorliegenden Verletzung für eine Verletzung der Stirnhöhlen (Sinus frontalis), welche mit einer dünnen Schleimhaut versehen sind und von den Deckplatten (Tabula externa und interna) eingefasst sind, mit denen dann die beiden „Schalen“ oder „Scherben“ (pꜣq.t) gemeint sind. Da die tpꜣ.w aus dḥr sind, sind sie für Champan daher die dünnen Schleimhäute der Stirnhöhlen. Falls dies zutrifft, hat dḥr hier also nicht die konkrete Bedeutung „Leder“, sondern ist eine allgemeinere Bezeichnung für „Haut“ oder „Fell“ oder „Membrane“. Walker, Anatomical Terminology, 278 folgt der Interpretation von Chapman für tpꜣ.w mit der Umschreibung „membranes lining sinus cavities“, obwohl er S. 61–62 dessen Deutung von hn n.j tp ablehnt. Andere Autoren möchten tpꜣ.w nicht auf die Membrane in den Sinushöhlen beschränken, sondern die Höhlen selbst mit einbeziehen (z.B. Bardinet, Papyrus médicaux, 237, der 497–499 mit „les poches du crâne“ übersetzt, weil sowohl Sinus/Stirnhöhle als auch Schleimhaut nicht der ägyptischen Begrifflichkeit entsprechen; ähnlich Westendorf, Handbuch Medizin, 717: „Höhlungen“). Nun wird bei der Verletzung der tpꜣ.w der Geruch des „Kopfkastens“ (hn n.j tp) als Symptom angesprochen und dieser „Kopfkasten“ wird in Glosse H in der Mitte des Scheitelbereichs (wp.t) des Schädels verortet. Brawanski, in: SAK 29, 2001, 28 möchte deshalb den Verletzungsbereich bei einer tpꜣ.w-Verletzung ausweiten auf Stirnhöhle, Siebbeinzellen (Cellulae ethmoidales) und den frontalen Bereich der Schädelhöhle, die bis zum Scheitel hinauf reicht. Die lederartige Struktur der tpꜣ.w ist für ihn eine Kombination von Stirnhöhlenschleimhaut, Siebbeinzellenschleimhaut und harter Hirnhaut (Dura mater) im Bereich der vorderen Schädelbasis (Frontobasis). Für Brawanski ist tpꜣ.w nicht nur eine haut- oder lederartige Struktur, sondern auch ein Bereich: der Stirnhöhlenbereich, den er beschreibt als die Region zwischen den Augenbrauen und deren Umgebung nach oben hin; er benutzt dafür den lateinischen Terminus Glabella. Sanchez & Meltzer scheinen auch an eine Kombination von Struktur und Bereich/Region zu denken, die auf der Studie von Chapman basiert (sie erwähnen Brawanski an dieser Stelle nicht), denn sie übersetzen tpꜣ.w als „membranous lined sinus cavities“. Wie sich diese Interpretation von tpꜣ.w als Teil des Kopfes mit der tpꜣ.w-Kopfkrankheit und der tpꜣ.wt als Pflanzenbestandteil vereinbart, bleibt zu klären. Auch ist der Zusammenhang mit dḥr-Leder/Haut und mit hn n.j tp: „Kasten des Kopfes“ sowie ḥr.j-jb n.j wp.t: „Innerer/mittlerer Bereich des Scheitels“ (in der erklärenden Glosse) nicht ganz überzeugend. Sofern ḏnn.t der Hirnschädel im Unterschied zum Gesichtsschädel sein sollte, ist die Interpretation von tpꜣ.w als Stirnhöhle unsicher.
Siehe jetzt Pommerening: „alle von Membranen und Schalen umschlossenen Nebenhöhlen samt ihres schleimzellartigen Inhalts, also ‚Nebenhöhlenbereiche‘“.
2 fꜣi̯ ḥr: „das Gesicht anheben“. Brawanski, in: SAK 29, 2001, 24 vermutet, dass der Patient aufgefordert wird, das Gesicht anzuheben, um dessen Bewußtseinszustand, d.h. Wachheitsgrad zu prüfen (ebenso Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 78), nicht um die Nackensteifheit zu prüfen. Er meint (S. 25), dass eine Bewußtseinstrübung (herabhängender Kopf) gegen eine Diagnose von Tetanuserkrankung sprechen würde, weil „der Patient bei der Tetatusinfektion immer wach ist und keine Bewußtseinstrübung zeigt“. Für Bardinet, Dents et mâchoires, 169 ist die Aufforderung, das Gesicht anzuheben, ein Zeichen von hochgradiger Erschöpfung („prostation“). Steht hier „Gesicht“ stellvertretend für den „Kopf“ oder soll man „Gesicht“ metaphorisch als „Aufmerksamkeit“ übersetzen („das Gesicht anheben“ ~ „sich fokussieren, sich konzentrieren“)?
3 wrḏ jb=f r mdwi̯.t: Wurde früher als Umschreibung für einen schwachen Puls verstanden, weil in Fall 1 (Kol. 1.8; ergänzt nach Eb 854a = pEbers Kol. 99.5) das Klopfen des Herzens bzw. das Spüren des Pulses mit dem Reden (mdwi̯) des Herzens umschrieben wird (Breasted, Surgical Papyrus, 178; Grundriß IV/2, 141, Anm. 2; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 42, Anm. 2; Westendorf, Erwachen, 1992, 132; Nunn, Egyptian Medicine, 181; Westendorf, Handbuch Medizin, 716; vgl. schon Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 182, Anm. 2 als Alternativerklärung). In neueren Interpretationen wird „Herz“ im Sinne von „Geist“ verstanden: der Patient ist zu erschöpft, um zu reden (Chapman, in: JARCE 29, 1992, 36, Anm. 10; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 78; so schon Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 25).
4 jš=f: Die Anordnung der Zeichen ergibt ein Wort jšf, das in Wb 1, 135.1 als „Speichel, Schaum auf den Lippen“ aufgenommen wurde, aber zweifellos ist jš=f: „sein Speichel“ zu lesen (so Breasted, Surgical Papyrus, 178; MedWb I, 107).
5 ḫꜣi̯: Bedeutet „vermessen“ und davon abgeleitet in medizinischen Texten „(durch vermessen) untersuchen“. Breasted, Surgical Papyrus, 177 übersetzt diese Stelle jedoch mit „to observe“, als ob es ein Synonym von gmi̯: „finden“ oder mꜣꜣ: „sehen“ ist (gefolgt von Ebbell, Lefebvre, Chapman, Bardinet, Nunn, Allen, Sanchez/Meltzer). Die Übersetzung von ḫꜣi̯ mit „untersuchen“ (so Grundriss, Westendorf, Brawanski) impliziert, dass n ḫr.nj r tꜣ eigentlich das Ergebnis der Untersuchung ist. Deshalb wird in der Übersetzung von Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 39; Westendorf, Erwachen der Heilkunst, 132; Westendorf, Handbuch Medizin, 716 (gefolgt von Brawanski, in: SAK 29, 2001, 23) davon ausgegangen, dass ein Stück Text ausgefallen ist, z.B. gmm=k sw: „Wenn du seinen Speichel untersuchst, der auf seine Lippen getreten (wörtlich: gefallen) ist, (so stellst du fest:) er kann nicht zu Boden fallen.“ (für gmm=k vgl. Kol. 12.15–16, 12.22, 13.3–4, 14.22–23, 15.6–7, 15.10–11 und 15.20–21; andere Fortsetzungen in 11.2, 13.19 und 14.17–18).
6 ḫr r sp.tj=f: „auf seine Lippen fallen“. Die Phrase wird in Nachfolge von Breasted auch häufig umschrieben mit „von/an seinen Lippen (herunter)hängen“ (Breasted, Lefebvre, Chapman, Bardinet, Sanchez/Meltzer), was zwar vielleicht der medizinischen Realität entspricht, aber nicht dem ägyptischen Wortlaut. Übersetzungen wie „fallen from his lip but not falling to the ground“ (Allen; ähnlich Nunn) würde eine unterschiedliche Bedeutung der Präposition r im ersten ḫr r und im zweiten ḫr r implizieren, was unwahrscheinlich ist. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 25 übersetzt mit „dass sein Speichel nach den Lippen rinnt“, was bedeutet, dass ḫr ein Partizip Aktiv Präsens ist (ebenso impliziert in den Übersetzungen von Breasted, Lefebvre, Chapman, Bardinet, Nunn, Sanchez/Meltzer); aber ein Partizip Perfekt oder ein Stativ/Pseudopartizip sind ebenfalls denkbar (so Grundriss IV/1, Westendorf, Brawanski, Allen; explizit als Pseudopartizip in einer Zustandsbeschreibung nach dem Verb ḫꜣi̯ identifiziert: Malaise & Winand, Grammaire raisonnée, 488, Beisp. 1272).
7 wꜣ.t: Bedeutet eine Art von Schnur, Seil oder Band (Wb 1, 244.4–5: „Schnur, Band“; MedWb I, 160: „Band (am Kiefergelenk); Hannig, HWB, 181: „Schnur, Schlepptrosse; Band“). Das Wort wird für die Schnur oder den Strick verwendet, der eine Grundfläche bei der Gründungszeremonie eingrenzt (neben wꜣwꜣ.t, dessen Symplex es ist), ist vielleicht auch eine Schlepptrosse vom Schiff (vgl. Dürring, Materialien zum Schiffbau im Alten Ägypten, Berlin 1995, 75: wꜣt(.t) und wꜣr.t: „Zugseil(?)“) und ist eine Umschreibung für die Muskelfasern und Sehnen am Kiefergelenk (Belege für alle drei Kontexte bei Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II, Teil 1, 585). Laut Glosse C ist wꜣ.t der mt-Muskelstrang, der das Ende des Unterkiefers zubindet.
8 ḥtr: Das Verb ḥtr mit einer Schnur als Determinativ bedeutet etwa „zusammenbinden; (gefangene Vögel) zusammenfassen“ (Wb 3, 202.3–4; MedWb II, 640: „binden; gebunden sein“; Faulkner, CDME, 181: „bind together; be contracted“; Hannig, HWB, 615: „binden, zusammenbinden; gebunden sein“; van der Molen, Hieroglyphic Dictionary of CT, 366: „bind together“). Es hat wahrscheinlich eine etymologische Verwandtschaft mit ḥtr: „steuerlich verpflichten“, mit ḥtr: „Gespann“ und ḥtr: „Zwilling“ (s. Osing, Nominalbildung, II, 772–773, Anm. 946 mit Nachtrag S. 889). Der kopt. Nachfahr ϩⲱⲧⲣ/ϩⲱⲧⲉⲣ (S) bedeutet „verbinden, vereinigen, zu einem Paar machen; übereinstimmen, harmonieren; (sich) verdingen; mieten, pachten“ (Westendorf, KHWB, 400). Das Zusammenbinden oder Festzurren des wꜣ.t-Bandes wird in Glosse B (Kol. 3.16–18) erklärt als ein Steifsein (nḫt) der Muskelstränge des Unterkiefers. Der Kaumuskelkrampf wird als ein Hauptindikator für Tetanus erkannt, kann laut Brawanski, in: SAK 29, 2001, 25 jedoch auch durch andere Krankheiten ausgelöst werden.

(2. Untersuchung:) Aber wenn du jenen Mann vorfinden wirst, indem sein Körper (oder: sein Hautgewebe) Hitze/Fieber entwickelt (wörtl.: ergriffen) hat infolge jener Wunde, die in den tpꜣ.w-Regionen seines (Hirn-)Schädels ist
– jener Mann, er hat außerdem tjꜣ-Leiden (Kaumuskelkrampf?)9 entwickelt (wörtl.: ergriffen) infolge jener Wunde –,
dann hast du daraufhin [3.10] deine Hand auf ihn (oder: ⟨auf⟩ sein Gesicht)10 gelegt.
Feucht11 vor Schweiß wirst du seine mḫnt-Stirn (oder: sein mḫnt-Antlitz)12 vorfinden;
Die mt-Stränge seines Nackens sind angespannt13;
sein Gesicht ist gerötet14;
seine Eckzähne15 ⟨...⟩ und sein Rücken ⟨...⟩16.
Der Geruch des „Kastens seines Kopfes“17 ist wie (der Geruch) der bkn-Exkremente (Köttelchen?)18 von Kleinvieh.
Sein Mund ist (wie) zugebunden.
Seine beiden Augenbraue sind hochgezogen/verzogen(?)19.
Sein Gesicht ist in der Art, wie wenn es weint / weinen wird / geweint hat20.
(2. Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer klaffenden Wunde an seinem Kopf, die bis an den Knochen heranreicht
– die tpꜣ.w-Regionen/Bereiche (Stirn-/Nebenhöhlenbereiche?) seines (Hirn-)Schädels sind durchbohrt/durchstoßen –,
wobei er ein tjꜣ-Leiden (Kaumuskelkrampf?) entwickelt (wörtl.: ergriffen) hat, so dass sein Mund (wie) zugebunden ist,
und wobei er an Steifheit/Steifigkeit im Nacken leidet:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“
(Differentialdiagnose:) Aber wenn du jenen Mann vorfinden wirst,
indem er blass/bleich (wörtl.: weiß) geworden ist,
nachdem er zuvor eine Schwäche gezeigt (wörtl.: hingelegt) hat,21
dann musst du folglich veranlassen, dass ein Meißel/Zapfen (?)22 aus Holz für ihn gemacht wird, der mit Stoff bekleidet ist.
(Er, d.h. der Meißel) werde auf/an seinen Mund gegeben.
Dann musst du folglich veranlassen, dass ein „Schlürftrank“ (eine Brühe?)23 [3.15] von Erdmandeln24 für ihn gemacht wird.
Seine Behandlung besteht aus Sitzen, wobei er zwischen zwei Stützbauten/Stützen(?) aus Lehmziegeln gesetzt ist,
so dass / bis du erkennst, dass er die/eine (entscheidende) Sache erreicht (d.h. es schaffen wird?).

9 tjꜣ: Das Wort ist mit dem Zahn determiniert. Breasted, Surgical Papyrus, 181–182 liefert keine Übersetzung, er erwähnt bloß einen fragenden Vorschlag von Dr. Luckhardt: „convulsions (?); delirium (?)“. Auch Wb 5, 241.4 lässt dieses Wort unübersetzt, liefert für das fast identische tjꜣ.w jedoch die Interpretation „Schmerzen an den Zähnen“ (Wb 5, 241.5), wohl wegen des Determinativs und weil es im Zusammenhang mit den Zähnen und/oder dem Mund vorkommt. Außerdem erwähnt Wb 5, 241.6 das zugehörige Verb tjꜣ: „vor Zahnschmerzen stöhnen, schreien o.ä.“ Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 27 nimmt an, dass tjꜣ: „gewiß ‚Zähneknirschen‘ bedeuten muss, d.h. Trismus.“ (Die Etymologie von Trismus oder tonischer Kaumuskelkrampf ist das griech. τρίζω: „knirschen“.) MedWb II, 937–938 legt tjꜣ und tjꜣ.w zusammen mit der Bedeutung „Zahnschmerzen“ bzw. „Zahnschmerzen haben“ (daher Nunn, Egyptian Medicine, 181 und Allen, Art of Medicine, 77: „toothache“). Chapman, in: JARCE 29, 1992, 37, Anm. 11 möchte das Leiden nicht auf die Zähne beschränken und übersetzt mit „jaw pain“: der Zusammenhang in Fall 7 „suggests pain in the lower face or jaw rather than an affliction related to the teeth per se“. Das Symptom „Zahnschmerzen“ passt tatsächlich nicht gut im Rahmen einer Schädelverletzung. Bardinet, Dents et mâchoires, 169 und 179–185 nimmt den Vorschlag von Ebbell wieder auf und fasst tjꜣw als „trismus“ auf, während das Verb tjꜣ: „serrer les mâchoires, contracter les mâchoires, serrer les dents“ bedeutet (Bardinet, Papyrus médicaux, 498: „crispation des mâchoires“, d.h. „Kieferkrampf, Kieferklemme“). Die Interpretation „Kaumuskelverkrampfung“ (Hannig, HWB, 988) oder „Kaumuskelkrampf“ (Westendorf, Handbuch Medizin, 716; Brawanski, in: SAK 29, 2001, 24) wird auch von Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 79–82 übernommen, nur dass tjꜣ für sie mehr als nur das Symptom „Kaumuskelkrampf“ ist und in Fall 7 stellvertretend für das Krankheitsbild Tetanus steht (wie im Eng. „lockjaw“). Für Pommerening ist tjꜣ kein Einzelsymptom im Zahnbereich, sondern ein komplexes Geschehen, das sie unübersetzt lässt.
10 wdi̯ ꜥ=k ḥr=f: Meistens wird „deine Hand auf ihn legen“ übersetzt. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 42, Anm. 6 erwähnt als Alternative „auf sein Gesicht legen“, was die Ergänzung der Präposition ḥr erforderlich macht. Westendorf, Handbuch Medizin, 716 hat sich in seiner Übersetzung für diese letztere Lösung entschieden. Das passt jedenfalls gut mit dem Substantiv mḫnt: „Stirn; Gesicht“ im nächsten Satz.
11 bꜣi̯ oder bꜣj kommt als (Adjektiv-)Verb nur im Papyrus Edwin Smith vor. Das Determinativ und der Kontext legen eine Bedeutung „feucht sein“ o.ä. nahe (Wb 1, 417.11–12; MedWb I, 239–240; Hannig, HWB, 255; Faulkner, CDME, 77: „damp“; Breasted, Surgical Papyrus, 181 und 192: „clammy“), aber die Intensität der Feuchtigkeit ist in den Übersetzungen teilweise unterschiedlich (Chapman, in: JARCE 29, 1992, 37: „moist“; Nunn, Egyptian Medicine, 181: „wet“; Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 182: „moite de“; Bardinet, Papyrus médicaux, 498: „enduit de (sueur)“).
12 mḫnt: Ist ein seltenes Wort, gebildet aus dem Lokalpräfix m und der Wurzel ḫnt. Es wird in Wb 2, 132.5 mit „Antlitz (eig. Vorderseite?)“ übersetzt. Grapow, Anatomie, 30 gibt für unsere Textstelle im Papyrus Edwin Smith, Kol. 3.10: „Gesicht“. In MedWb I, 387 findet man „Stirn“. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 13–14, § 12 listet nur ḫnt auf, was er beschreibt als „désignant à la fois ‚visage‘ et ‚front‘, autrement dit la partie antérieure de la tête“. In der Glosse D (Kol. 3.18–19) steht ḫnt statt mḫnt, aber es gibt an dieser Stelle keinen Grund, hinter gmm=k die Präposition m + Substantiv ḫnt zu lesen.
13 dwn: Bedeutet „ausstrecken; sich ausstrecken“. Ein Bogen, der ausgestreckt wird, wird „gespannt“, ein Maßband wird ausgelegt und „angespannt“ (s. Wb 5, 431.1–2). Das Verb wird im Papyrus Edwin Smith (Kol. 3.10) und im Glossenzitat (Glosse E, Kol. 3.20) mit dem Seil determiniert, in der Glossenerklärung (Kol. 3.20) mit den Beinchen; eine Bedeutungsdifferenzierung nach Determinativ ist schwer zu bestimmen. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 42, Anm. 7 (und Westendorf, Erwachen der Heilkunst, 133) nimmt an, dass der Kopf vornüberhängt, weshalb es zuvor die Aufforderung von Seiten des Arztes gegeben hat, das Gesicht anzuheben. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 27 meint hingegen, dass mit dem Strecken der Nackenmuskeln gemeint ist, dass der Nacken nach hinten gebeugt wird und er denkt dabei an Opisthotonus (krampfartige Rückwärtsbeugung des Nackens und Überstreckung des Rückens) (ebenso Brawanski, in: SAK 29, 2001, 25; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 82–83).
14 ṯms: Ist eine Farbbezeichnung im roten Spektrum. Teilweise wird mit „bläulichrot“ übersetzt (Ebbell, 25; Harris, Minerals, 226–227).
15 nḥḏ.t: Wird meistens nur mit „Zahn“ übersetzt und kommt neben einem anderen Wort für Zahn: jbḥ vor. MedWb I, 44 fragt sich deshalb, ob jbḥ die vorderen (Schneide-) und nḥḏ.t die hinteren (Mahl-)Zähne sein können. Laut Bardinet, Dents et mâchoires, 47–48 bedeutet nḥḏ.t: „la dent offensive des animaux, soit leurs crocs, défenses, canines“ (d.h. Fangzahn, Stoßzahn, Eckzahn/Reißzahn), während jbḥ das generische Wort für „Zahn“ ist und ṯs.t das Kollektiv „denture“ (Gebiss) bedeutet.
16 psḏ=f: Ein Verb, das beschreibt in welchem Zustand die Zähne und der Rücken sind, fehlt. Bardinet, Dents et mâchoires, 169–171 emendiert psḏ=f zum Verb psḏ: „leuchten“ im Stativ psḏ.tj: „ses crocs sont luisants, brillants, se découvrent, se dévoilent“. Die Zähne sind gefletscht infolge der Kontraktion der Gesichtsmuskulatur (vgl. sardonisches Lächeln beim Tetanus?). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 74, 76 und 81, Anm. 81, folgen Bardinet was den Sinn des Satzes angeht, aber sie erkennen eine andere Satzkonstruktion, nämlich Subjekt + sḏm=f: „seine Zähne, indem sie leuchten“ (Sie vermerken nicht, dass man das Determinativ anpassen muss und dass nḥḏ.wt dann als feminines Kollektiv zu verstehen ist, das durch ein maskulines Pronomen wiederaufgenommen zu sein scheint.). Die meisten Bearbeiter behalten das Wort Rücken. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 40 ergänzt: „seine Zähne (und) sein Rücken ⟨schmerzen (?)⟩“. Brawanski, 24–25 hat „daß sein Gebiß und sein Rücken ⟨verkrampft sind⟩“ (Er übersetzt nḥḏ.wt mit dem Kollektiv „Gebiß“.). Pommerening versteht das Anfangs-n bei nḥḏ.wt nicht als phonetisches Komplement, sondern als n.j: „gehörig zu“, in einer Konstruktion des Besitzverhältnisses, die vor allem in Personennamen des Alten Reiches bekannt ist: n.j nḥḏ.wt=f psḏ=f: „gehörig zu seinem Rücken sind seine Eckzähne“ > „seine Eckzähne gehören zu seinem Rückgrat (?)“.
17 hn n.j tp: Kann wörtlich als „der Kasten / die Truhe des Kopfes“ übersetzt werden, wobei das hieratische Determinativ jedoch nicht eindeutig als Kasten/Truhe identifizierbar ist. In der Glosse H von Fall 7 (Kol. 4.1–2) steht, dass er einem Kasten / einer Truhe (hn) ähnelt und sich in der Mitte seines Gehörns/Scheitelbereichs (wp.t) in der Nähe (hꜣw) der Innereien (ꜣjs) befindet. Gemeint sind die Innereien des Kopfes, d.h. das Gehirn. Durch die in Fall 7 beschriebene Verletzung verbreitet der „Kasten des Kopfes“ einen Geruch wie die Exkremente von Ziegen und Schafen. Für Breasted, Surgical Papyrus, 197 wird hn n tp als Bezeichnung für „the dome of the skull“ verwendet, wobei das Wort hn: „Kasten“ eine Parallele im deutschen „Gehirnkasten“ findet. Laut Wb 2, 492.4 ist hn n tp: „als Bez. der Schädelkapsel, in der das Gehirn ruht“; Grapow, Anatomie, 24 und 26: „Gehirnkasten“, als Ort des Gehirns; MedWb II, 565: „Schädelkasten“; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 12 (§ 10): „le coffre de la tête“ ist „une expression imagée“ für „le sommet de la tête“. Weeks, Anatomical Knowledge, 19 identifiziert es als calvarium: „The use of hn in non-medical contexts to mean ‚chest‘, ‚box‘, or ‚container‘ leaves little doubt that hn n tp refers to the braincase. (...) It seems certain that hn refers, therefore, to that portion of the cranium housing the brain, i.e., the calvarium, and excludes the bones of the face.“ Chapman, in: JARCE 29, 1992, 42 hat versucht, den „Kasten des Kopfes“ als eine Umschreibung für die Stirnhöhle (sinus frontalis) zu deuten. Das wurde von Walker, Anatomical Terminology, 62 abgelehnt, weil in der Glosse H (Kol. 4.1) der „Kasten des Kopfes“ als ḥr.j-jb n.j wp.t: „die Mitte des Scheitelbereichs“ umschrieben wird. Chapman hat wp.t zwar als „brow“, d.h. „Stirn“ übersetzt, aber allgemein wird davon ausgegangen, dass mit wp.t der „Scheitelbereich“ gemeint ist (Wb 1, 297–298; MedWb I, 181–182; Walker, Anatomical Terminology, 57–63, 69). Es sei erwähnt, dass wp.t auch „Gehörn“ bedeutet, und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 77 weisen darauf hin, dass die Hörner von Rindern mit den Stirnhöhlen verbunden sind. Laut Walker, Anatomical Terminology, 57–69 ist wp.t ein größerer Bereich als nur der eigentliche Scheitel (vertex: d.h. die oberste Stelle des Kopfes), der auch den Parietalbereich mit einschließt. Walker, Anatomical Terminology, 271 kehrt dann für hn n tp zurück zu der Bedeutung: „the cavity of the cranium, otherwise known as the vault or dome of the skull“ und „casket of the head, calvarium“, wobei er bildsprachliche Entsprechungen im englischen „brain-case“ und deutschen „Gehirnkasten“ erkennt (S. 61–62 und 271). Die Interpretation von Singer, My Skull Has Not Been Crushed, 17 und 42–48: „inner table of the skull“ (d.h. tabula interna/vitrea) erscheint sehr zweifelhaft. Singer vermutet, dass es die innere Knochenschicht des Schädeldaches im Parietalbereich ist: „the inner layer of the skull in the parietal region“ (er folgt Weeks, Anatomical Knowledge, 26–28 darin, dass tbn die Diploe-Schicht zwischen den beiden dichten Knochenschichten des Schädeldaches sein sollte.). Der „Kasten des Kopfes“ wird der Hohlraum für das Gehirn in der Mitte von bzw. zwischen den Hörnern (wp.t) sein (d.h. die Schädelhöhle, eng. cranial vault, cranial cavity) oder die den Hohlraum umgebende Hülle. Falls es die Hülle ist, kann es das Schädelgewölbe ohne Boden (d.h. calvaria) oder, wie bei einem Kasten (hn), das Schädelgewölbe mit Boden (d.h. neurocranium) sein. Es gibt keinen Grund zur Annahme, dass hn n tp in pEdwin Smith den gesamten Kopf bedeuten kann (so jedoch A. Karenberg und C. Leitz, Headache in magical and medical papyri of Ancient Egypt, in: Cephalalgia 21, 2001, 911–916, hier: 913 mit einem Schema des Kopfes mit den Bezeichnungen; hn n.j tp = „head as a whole“]), auch wenn in Texten der griechisch-römischer Zeit ein Wort hn mit der Bedeutung „Kopf“ belegt ist, wahrscheinlich eine Reduktion von hn n tp mit einer Bedeutungserweiterung.
18 bkn: Wb 1, 482.6: „Mist o.ä. (von Ziegen)“; MedWb I, 254: „Exkremente (von Kleinvieh)“; Hannig, HWB, 280: „Mist; Exkremente (von Ziegen)“. Das Wort kommt nur in Fall 7 von pEdwin Smith vor (Kol. 3.11 und 3.21). Es verbreitet einen Geruch (sṯj) und ist, dem Determinativ nach zu urteilen, eine feste Substanz. In der Glosse G (Kol. 3.21–4.1) wird es mit dem wzš.t von Kleinvieh (d.h. Ziegen und Schafen) verglichen. Das Verb wzš wird mit dem Phallus determiniert und bedeutet „ausscheiden, harnen“ (Wb 1, 357.16–20) und das Substantiv wzš.t ist eine Bezeichnung für „Ausscheidung, Urin, Harn“ (Wb 1, 358.1–3), wobei allerdings auch das Ausscheiden von Kot impliziert ist (MedWb 220–221, § 1). Da bkn eine feste Substanz zu sein scheint, kann es nicht ausschließlich „Urin“ bedeuten (so die Übersetzung von Breasted, gefolgt von Ebbell, Lefebvre, Allen), sondern es wird eher eine Art von Exkrementen, Dung oder Mist (sicherlich nicht im Sinne von Stallmist) sein.
19 sd: Das Determinativ dieses Verbs ist einmal der Mann mit Hand am Mund, einmal der liegende Schakal (wegen eines Schakalgottes sd mit der gleichen Konsonantenfolge). In Wb 4, 365.11 wird keine Übersetzung vorgeschlagen, sondern der Kontext umschrieben als: „Zustand der Augenbrauen bei einer Wunde am Kopf“. Breasted, Surgical Papyrus, 181 und vor allem 198 leitet die Bedeutung „distorted, drawn“ aus dem Zusammenhang von Glosse I (Kol. 4.2–4) ab (daher Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 26: „verzogen(?)“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 40: „krampfartig verzogen“; Westendorf, Handbuch Medizin, 717: „entstellt“). MedWb II, 824 gibt ebenfalls keine Übersetzung („[krankhafte Tätigkeit der Augenbrauen]“), aber fragt sich, ob ein Zusammenhang von sd und sdꜣ: „zittern, zucken“ denkbar ist, wofür die Glossenerklärung mit einer Auf- und Abbewegung sprechen würde (daher Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 74: „his eyebrows quivering“). Allen, Art of Medicine, 77 übersetzt „his eyebrows knit“, d.h. „seine Stirn runzeln“ oder „seine Augenbrauen zusammenziehen“.
20 mj jḫ.t rmi̯=f: Es ist die Frage, ob rmi̯=f als Präsens, Perfekt oder Futur zu verstehen ist, d.h. ist das Gesicht des Patienten wie das von jemandem, der geweint hat, am Weinen ist oder weinen möchte? Grundriss IV/2, 142, Anm. 6 zu S. 178 fragt sich, ob es sich um die Beschreibung eines Schweißausbruchs handelt, den der Autor des Papyrus mit Weinen vergleicht.
21 wdi̯ nhd: Bedeutet wörtlich „eine Schwäche setzen/stellen/legen bzw. stoßen“, wie aus dem Synonym verwendeten ꜣht/ꜣhd in Glosse J (Kol. 4.4) hervorgeht. Für Breasted, Surgical Papyrus, 183 und 200 ist wahrscheinlich „to show exhaustion“ gemeint. Auch Grundriss IV/1, 177 geht von einem Schwächeanfall aus (ebenso Westendorf, Nunn, Brawanski, Allen: „exhibit weakness“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus: „lie down weak“; Hannig, HWB, 241: wdi̯ nhd/ꜣhd: „einen Schwächeanfall erleiden“). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 25 möchte dagegen eher mit „Weichheit darbieten“ übersetzen und dieses so verstehen, dass eine „Muskelerschlaffung, im Gegensatz zu der früheren Steifheit“ vorliegt. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 183, Anm. 2 denkt ähnlich wie Ebbell: „qu’il a déjà donné des signes de détente“ (nhd oder ꜣht ist laut Lefebvre hier nicht so sehr „faiblesse, épuisement“ als viel mehr „détente“). Bardinet, Papyrus médicaux, 499 übersetzt mit „après avoir vaincu sa faiblesse“ (d.h. wdi̯ nhd ist für ihn „seine Schwäche hinlegen, abgeben, abstoßen“).
22 mḏꜣ.t: Der Gegenstand ist mit dem Holzdeterminativ versehen aber zugleich wird gesagt, dass es aus Holz ist (n.t ḫt). Breasted, Surgical Papyrus, 184 übersetzt mit „a brace“ und fragt sich, ob es mit mḏꜣ.t: „Meißel“ (Wb 2, 188.5; vgl. 188.6–10) identisch ist. Er erwähnt einen Vorschlag von Grapow, dass es ein Rohr („a tube“) sein könnte. Es wird in Wb separat vom Wort für „Meißel“ aufgeführt mit der Bedeutung: „ein hölzernes Saugrohr‘ o.ä. (um einem Patienten flüssige Nahrung einzuführen)“ (Wb 2, 187.3; gefolgt von Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 183). MedWb I, 415 bietet für unser Beispiel die Bedeutung: „Meißel“. Ein identisch geschriebenes Wort in den Sargtexten bedeutet „Gestänge (des Netzes)“ und „Holzdübel, Holzzapfen“ (Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II, Teil 1, 1171; van der Molen, Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, 194).
23 sẖb: Die Wurzel sẖb bedeutet „schlürfen, einschlürfen, aufsaugen“ (Wb 4, 268; MedWb II, 793). Das davon abgeleitete Substantiv sẖb.w wird entsprechend als „Schürftrank“ (MedWb II, 793–794) übersetzt (in Wb 4, 269.6 noch „Trankmittel“, daher bei Hannig, HWB, 822: „Trankmittel, Schlürftrank“). Andere Übersetzungen sind „a draught“ [d.h. ein Schluck, ein Zug, eine medizinische Portion] (Breasted, Surgical Papyrus, 184), „soup“ [Suppe] (Allen, Art of Medicine, 77), „broth“ [Brühe, Bouillon] (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 75), auch mehr allgemein „breuvage“ (Bardinet, Papyrus médicaux, 499) und „drink“ (Nunn, Egyptian Medicine, 182).
24 wꜥḥ: Wb 1, 289.1–9: „eine Körnerfrucht“; DrogWb 132–135 und MedWb I, 171: „[Hülsenfrucht]“. Sind als „Erdmandeln“ zu identifizieren, weil auf dem Qubbet el-Hawa Töpfe mit wꜥḥ als Aufschrift und Erdmandeln als Inhalt gefunden wurden (Germer, Handbuch Heilpflanzen, 53–54). Ältere Interpretationen wie die von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 27–28 „Manna-Wasser“ (er meint eine Art Zuckerwasser, vielleicht von der Pflanze Alhagi manniferum(?)) oder von Loret (in: RecTrav 15, 1893, 122–124) als die getrocknete Schote des Johannisbrotbaumes (daher Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 183 „caroubes“ und Allen, Art of Medicine, 77 „carob beans“) sind damit hinfällig.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „die tpꜣ.w-Regionen/Bereiche (Stirn-/Nebenhöhlenbereiche?) ⟨seines (Hirn-)Schädels⟩ sind durchbohrt/durchstoßen“ angeht:
das ist das, was in/zwischen einer (Schädel-)Platte/Scherbe bis zur (anderen) (Schädel-)Platte/Scherbe ist.
Aus Leder (d.h. mit einer lederartigen Textur)25 sind die tpꜣ-Regionen/Bereiche.

25 n dḥr: Breasted, Surgical Papyrus, 539 listet alle vier n, die in Kol. 3.16 vorkommen beim Genitiv-n auf: „the sutures are (composed) of hide“. Ähnlich hält es Grundriß IV/1, 177: „Die tpꜣ.w sind von Leder.“ Dagegen listet MedWb I, 420.D n dḥr bei der Präposition n, nicht beim Genitiv auf: „zur Angabe der Zugehörigkeit und des Besitzes“. Trotzdem wird ähnlich übersetzt. Westendorf, Handbuch Medizin, 717 hat: „Die Höhlungen sind aus (wörtlich: gehören zum) Leder.“ So verstehen es auch die meisten übrigen Bearbeiter. Dagegen meint Pommerening, dass „zum Leder gehören“ bedeutet, dass die tpꜣ.w nicht aus Leder sind, sondern sich im Leder befinden, d.h. „hier: dura mater = Hirnhaut“. Pommerening beschließt: „Prinzipiell werden die tpꜣ.w somit als Auswüchse der lederartigen Haut gesehen, was bei einer Deutung als Nebenhöhlen durchaus möglich ist.“

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „die wꜣ.t-Bänder seines Unterkiefers sind zusammengebunden/festgezurrt“ angeht:
das bedeutet ein Steifsein (wörtl.: ein Kraft-Ausüben)
26 von Seiten der mt-Stränge (hier konkret: die Kaumuskeln) vom Ende seines ꜣmꜥ.t-Knochens27 (hier: der Unterkieferast)28 dadurch (d.h. durch die Verletzung?)29,
(mit dem Ergebnis, dass) er (der Unterkieferast) in/an seinem gmꜣ-Jochbein-Schläfenbereich
30 verbleibt31
– das ist das Ende seiner Kinnlade
32 –,
ohne sich hin- und herzubewegen / auf- und abzugehen (wörtl.: ohne wegzunehmen und ohne zurückzubringen).
Seinen Mund zu öffnen ist nicht angenehm für ihn infolge/aufgrund seines jh-Leidens.

26 nḫt: Bedeutet zuerst „stark, mächtig, siegreich sein“, wird aber auch für die Beschreibung des erigierten Penis und für verdreckte Kleidung verwendet, daher die Bedeutung „steif sein“ (Wb 2, 314.6–10; MedWb I, 477–479; eine Bedeutung „hart sein“ passt eher nicht).
27 ꜣmꜥ.t/ꜣmꜥw./ꜥmꜥ.t: Dies ist eine Art Knochen, der sowohl im Unterkiefer als auch in der Schulter vorkommt und ein gabeliges Ende aufweist (vgl. Grapow, Anatomie und Physiologie, 42–43). In Fall 22 (Kol. 8.15) wird der ꜣmꜥ.t-Knochen mit der Kralle (ꜥn.t) des ꜣmꜥ-Vogels (Identifikation = ?) verglichen. Deshalb übersetzt das MedWb I, 7–8 das Wort als „Krallenknochen“. Pommerening wählt für Fall 7 die Übersetzung „Gelenkknochen“. Aus dem Zusammenhang der Belege bezüglich des Knochens im Unterkiefer geht hervor, dass dort der ramus mandibulae oder Unterkieferast gemeint ist, d.h. der schräg aufsteigende Teil des Unterkiefers, der am Ende gabelt. Letzteres erinnert wohl an die Kralle des ꜣmꜥ-Vogels. Breasted, Surgical Papyrus, 293–294 spricht von einem „forked bone“ und im Falle des Knochens der Schulter (S. 205) von „shoulder-fork“. Der Knochen in der Schulter wird einmal als Genitiv formuliert: „der ꜣmꜥ.t-Knochen der Schulter“, einmal mit der Präposition m: „der ꜣmꜥ.t-Knochen in der Schulter“; die Präposition kann deshalb nicht zum Verb sfḫ gehören. Mit dem gegabelten Ende im Bereich der Schulter (qꜥḥ) sind laut Grapow, Anatomie und Physiologie, 50 der Rabenschnabelfortsatz (processus coracoideus) und die Schulterhöhe (acromion, Ende der spina scapulae) des Schulterblattes (scapula, äg. mẖꜥq.t/mšꜥq.t) gemeint. Breasted, Surgical Papyrus, 215 erwähnt ebenfalls diese beiden Knochenenden, aber er verbindet das die Schulter betreffende Krankheitssymptom mit dem nachfolgenden Symptom der Beeinträchtigung der Hand und er sucht einen gegabelten Knochen im Bereich des Armes statt der Schulter (obwohl er qꜥḥ immer mit „Schulter“ übersetzt). Er vermutet deshalb, dass der Kopf des Ellenknochens (ulna) gemeint ist, der als Gabelung den Hakenfortsatz (olecranon) und den kronenförmigen Vorsprung (processus coronoideus ulnae) besitzt. Das führt dazu, dass bei Hannig, HWB, 920 für qꜥḥ die Bedeutung „*Ellenbeuge, Armbeuge“ (mit Fragezeichen) auftaucht, für ꜣmꜥ.t (n.t) qꜥḥ die Bedeutung „Olecranon der Ellenbeuge, ‚Krallenknochen‘ der Ellenbeuge“ (ohne Fragezeichen) und für tp n ꜣmꜥ.t m/n.t qꜥḥ: „Kopf des Krallenknochens in der Ellenbeuge“ (ohne Fragezeichen). Breasteds medizinischer Gewährsmann, Dr. Luckhardt, hat aus medizinischen Gründen jedoch kein Problem damit, das Krankheitssymptom auf das Schultergelenk zu beziehen (S. 216: „The upper arm is adducted (at the shoulder). This the scribe characterizes as ‚one who does not release the head of his shoulder-fork.‘“). Wir gehen davon aus, dass mit qꜥḥ die Schulter gemeint ist und dass deshalb ein Knochen im Bereich des Schultergelenks vorliegt. Die meisten Studien äußern sich nicht dazu, was mit dem „Kopf“ (tp) des ꜣmꜥ.t-Knochens gemeint ist. Laut MedWb I, 7, Anm. 4 ist der „Kopf“ wohl kein Teil des Knochens, sondern von Deines/Westendorf vermuten, dass es der vom ꜣmꜥ.t-Knochen umfasste Teil des Oberarms ist.
28 mt.w pḥ.wj ꜣmꜥ.wt: „die Stränge am Ende des Gabelknochens (des Kiefers)“. Laut Breasted, Surgical Papyrus, 188 ist damit der musculus temporalis gemeint, aber Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 27 nennt es den musculus masseter, der weiter unten liegt und den Unterkieferast bedeckt. Ob die Ägypter innerhalb der Kaumuskulatur differenzierten, ist unbekannt.
29 nj: Das Präpositionaladverb scheint sich auf die Verletzung/Wunde zu beziehen (so Grundriss IV/1, 177 und Westendorf in seinen verschiedenen Übersetzungen).
30 gmꜣ: Dieser Körperbereich wird in pEdwin Smith, Fall 18, Glosse B (Kol. 7.13) zwischen der Verengung des Auges (sꜥnḏ n.j jr.t, d.h. dem äußeren Augenwinkel / Angulus oculi lateralis), dem gny.t/gry.t-Teil des Ohres (Ohrläppchen?, Ohrdeckel?, Ohröffnung?) und dem Ende des Unterkiefers lokalisiert. Dies entspricht keiner modernen Gesichtseinteilung, liegt aber im Wesentlichen im Wangen- und Schläfenbereich (regiones zygomatica, temporalis und parotideomasseterica). Es wird in Wb 5, 170.2 daher mit „Joch-Schläfenbein des Kopfes“ übersetzt (ebenso MedWb II, 914: „Joch-Schläfenbein“; Hannig, HWB, 970: „Joch-Schläfenbein“), beinhaltet jedoch mehr als nur die Knochen (MedWb II, 914, § 1). Deshalb steht bei Grapow, Anatomie, 30–31: „das Jochbein samt dem angrenzenden Teil des Schläfenbeins und dazu die Einlenkung des Unterkiefers (...) zugleich auch die ganze Gesichtspartie an diesem Knochenkomplex samt Muskeln und sie überspannender Haut“. Ähnliches findet sich bei Breasted, Surgical Papyrus, 276–277, der zwar mit „temporal bone“ (os temporalis / Schläfenbein) übersetzt (ebenso Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer), aber dies dann im Kommentar auf einen Teil des Schläfenbeinbereichs eingrenzt (vor allem os zygomaticum zwischen Auge und Ohr und processus zygomaticus ossis temporalis, d.h. im wesentlichen das Jochbein und ein Teil des Jochbogens); er hält „temple“ (deutsch „Schläfe“, franz. „tempe“) als Bezeichung des flachen Bereichs zwischen Stirn und Ohr („flat area between the forehead and the ear“ für eine gute Übersetzung, weil sie nicht mit dem Schläfenbein übereinstimmt (daher Lacau, Noms des parties du corps, 53, § 124: „la tempe“). Die Übersetzungen von Fall 7 durch Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 25 mit „Jochbogen“ und durch Brawanski (in: SAK 29, 2001, 28) mit „Jochbein“ sind ebenfalls zu eng gegriffen, denn sie berücksichtigen nicht die zugehörigen Weichteile, außerdem passt die Beschränkung von Ebbell auf „Jochbogen“ (arcus zygomaticus) nicht zu Fall 7 (Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 40 u.a. spricht für die Fälle 18 und folgende auch von der „Jochbogenregion“). Weeks, Anatomical Knowledge, 23–24: folgt Breasted mit „temporal region“ und ist gegen eine Beschränkung auf „zygomatic arch“. Walker, Anatomical Terminology, 277 hat „temple, zygomatic region“.
Da unbekannt ist, welcher Teil des Ohres (gny.t/gry.t) in der antiken Eingrenzung von gmꜣ genannt wird, ist unklar, ob mit gmꜣ eher der (hintere?) Jochbeinbereich oder eher der (untere) Schläfenbereich gemeint ist. In Glosse B zu Fall 7 (Kol. 3.17) reicht allein schon pḥ.wj wgy.t aus, um den Bereich des gmꜣ-Körperteils zu definieren. Mit pḥ.wj wgy.t ist der Ramus (Unterkieferast) des Unterkieferknochens oder dessen gegabeltes oberes Ende gemeint. Hier befinden wir uns im Jochbeinbereich, für das sonst keine weitere ägyptische Bezeichnung überliefert ist. Andererseits gibt es zwar weitere Bezeichnungen für die Schläfenregion (mꜣꜥ, smꜣ und gmḥ.t), die in pEdwin Smith jedoch kaum eine Rolle spielen. Entweder gehört also der Schläfenbereich noch zu gmꜣ, oder er ist unter den Schlädelverletzungen (ḏnn.t) subsumiert.
Von den übrigen ägyptischen Bezeichnungen für die Schläfe erscheint nur mꜣꜥ ein einziges Mal in pEdwin Smith, in Fall 9 (Kol. 5.3) und dies in einem Zauberspruch. Der Unterschied zwischen den verschiedenen Bezeichnungen ist nicht ganz klar (s. Westendorf, Handbuch Medizin, 145: gmḥ.t: „Seh-Partie(?)“; smꜣ: „Schläfe einschließlich behaarter Teile, vermutlich der Augenbrauen“; Grapow, Anatomie, 29: mꜣꜥ von einer Wurzel „Ufer des Flusses“ abgeleitet, daher „Seite des Kopfes“; Weeks, Anatomical Knowledge, [16 und] 23: smꜣ zuerst „Seitenlocke“, später erweitert zu „Schläfe“, 23–24: gmꜣ: „temporal region“ ist ein allgemeinerer Bereich als mꜣꜥ: „temple“; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 14, § 13: smꜣ urspr. für die Stelle an der rechten Schläfe, an der sich die Jugendlocke befindet; gmḥ.t ist der Name der Jugendlocke und wird, durch Bedeutungsveränderung, der Bereich, wo sich die Jugendlocke befindet; Lefebvre vermutet eine etymologische Verwandtschaft zwischen mꜣꜥ und smꜣ; Lacau, Noms des parties du corps, 53–54, § 123–126 stellt sich die Frage, ob gmꜣ eine ältere Form von gmḥ.t sein könnte).
31 mn: Als Bezugswort kommen mt.w und pḥ.wj in Betracht. In den Übersetzungen von Breasted, Ebbell und Allen sind die mt.w-Stränge eindeutig das Bezugswort („the ligaments at the end of his ramus, which are fastened to his temporal bone“). Dann verbleiben die Kaumuskelstränge fest am oder im Joch- und Schläfenbein. Logischer ist die Interpretation von Grundriss IV/1, 177 (ebenso in den Übersetzungen von Westendorf, Bardinet, Brawanski), laut der es die Enden des Unterkiefers sind, die im Joch- und Schläfenbein verbleiben. Aber der direkte Genitiv spricht eher dagegen.
32 wgw.t/wgy.t: Wb 1, 376.3–5: „der Unterkiefer, die Kinnlade“ (ebenso MedWb I, 225: „Unterkiefer; Kinnbacken“; Hannig, HWB, 237: „Unterkiefer, Kinnlade“), ist koptisch noch als ⲟⲩⲟⲟϭⲉ (S): „Kinnbacken, Unterkiefer, Wange“ erhalten. Es ist laut MedWb I, 225, § 2 ein jüngeres Wort, das das ältere ꜥr.t ersetzt. Es geht auf die Wurzel wgi̯: „kauen“ zurück, weshalb man auch die Übersetzung „Kauknochen“ findet. Die Übersetzung „the ends of the ramus“ von Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 75 für pḥ.wj wgy.t ist zu eng bzw. „the ends of“ ist überflüssig.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „Das wꜣ.t-Band seines Unterkiefers“ angeht:
das sind die mt-Stränge (hier: die Kaumuskeln), die das Ende seiner Kinnlade zubinden,
so wie (man) „wꜣ.t-Band“ sagt ⟨zu⟩ einer Sache mit einem swš-Band/Strang(?)33.
(oder: so wie (man) sagt: „Das wꜣ.t-Band einer Sache ist (wie) ein swš-Band/Strang“).

33 s(w)š: Das Wort mit einer Schnur als Determinativ wird unterschiedlich interpretiert. Unsere Stelle ist in Wb 4, 76.1 s.v. swš: „als Bez. für etwas Krankhaftes“ (DZA 29.070.640) aufgenommen, aber es gehört eher zu Wb 4, 75.17: „Bausch, kleiner Ballen o.ä. von Leinen (zum Auswischen einer Wunde, als Polster u.ä.)“. Breasted, Surgical Papyrus, 189–191 versteht es als eine Art von Bandage, die sonst zš.wj und swš/swš.wj geschrieben wird (Wb 3, 485 und Wb 4, 75.17: „Bausch, kleiner Ballen o.ä. von Leinen“) und die er mit „splint“, d.h. „Schiene“ übersetzt. Die breite, flache Schiene würde dann die breite und flache Kaumuskulatur erklären. Er fragt sich allerdings, ob hier ein Fehler für sšd: „Binde“ vorliegen kann. Die Übersetzung „Schiene“ wird schon von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 15 in Frage gestellt („Pfropf, Bausch o.ä.“) und in MedWb II, 733 ebenfalls zugunsten von „Band, Ballen“ aufgegeben. Dieses swš ist ein gedrehter(?) Pfropfen, Ballen oder Strang, der als Tampon/Tupfer u.a. in der Behandlung einer gebrochenen Nase verwendet wird (siehe Fall 12, Kol. 5.18); man kann jemanden auch mit einem swš fesseln (nṯṯ: Herbin, Parcourir l’éternité, 151). Die Bedeutung als gedrehter Ballen oder Strang geht auf die Wurzel swš zurück, die mit der Produktion von Seilen (Teeter, in: JEA 73, 1987, 76; Abbildung in der Mastaba des Kayemnofret: Simpson, The Offering Chapel of Kayemnofret, 1992, 17, Fig. 15: swš sš: ein Mann hält bzw. dreht(?) ein Seil zwischen den Zehen und den Händen), mit dem „Knoten“ (ṯꜣz) von Schmuckbändern und Amuletten, dem Wiederansetzen o.ä. von Abgeschnittenem, dem Aufrollen von Mumienbinden (wt) (Amduat, 10. Stunde: Hornung, Amduat, ÄA 7, 165, in der Beischrift zu den Göttern 710–717) zusammenhängt (Wb 4, 75.16: „zusammenballen o.ä.“; Wilson, Ptolemaic Lexikon, 813–814: „to make into a sphere or ball“). Für das Substantiv sš/swš gibt es neben der wörtlichen Bedeutung „Band, Ballen o.ä.“ auch eine übertragene Bedeutung in swš n.j tꜣw/srf: „ein Ballen / eine Ballung von Hitze/Wärme“ (tꜣw und srf) als Krankheitserscheinung (wird von Breasted, Surgical Papyrus, 387 separat von sš.wj/swš.wj aufgelistet). Diese Bedeutung liegt in Fall 41 des pEdwin Smith vor (Kol. 13.19 und 14.11) und entspricht Wb 4, 76.1–3. swš n.j srf wird in Fall 41, Glosse B (Kol. 14.11–12) erklärt als eine srf-Hitze, die im Innern der ganzen Wunde umhergeht (pẖr); die Verwendung von pẖr spricht erneut für eine kreisende, drehende Bewegung.

(Glosse D:) Was (die Textstelle) „seine ḫnt-Stirn ist feucht vor Schweiß“ angeht:
das bedeutet, dass sein Kopf in geringem Maße verschwitzt ist, wie wenn Sachen feucht/angefeuchtet worden sind.

(Glosse E:) Was (die Textstelle) „die mt-Stränge seines Nackens sind angespannt“ angeht:
[3.20] das bedeutet, dass die mt-Stränge seines Nackens gestreckt und steif sind infolge/aufgrund seines jh-Leidens.

34 dwn wird einmal mit dem Seil determiniert und einmal mit den Beinchen und hat unterschiedliche Formen dwn.y und dwn im Pseudopartizip. Das könnte auf eine gewisse Bedeutungsdifferenz hinweisen, sofern die Glossenerklärung nicht bloß eine jüngere Graphie ist, denn beide Formen haben dasselbe Subjekt. Breasted, Surgical Papyrus, 192 hat „tense“ und „stretched“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 41: „ausgestreckt“ und „ausgedehnt“ (laut Anm. 13 eig. erneut „ausgestreckt“); Brawanski, in: SAK 29, 2001, 29 unterscheidet zwischen „gestreckt“ und „gespannt“.

(Glosse F:) Was (die Textstelle) „Sein Gesicht ist gerötet“ angeht:
das bedeutet, dass die Farbe seines Gesichts rot ist,
wie die Farbe der Früchte des (rötlichen) ṯms.t-Baumes/Strauches35.

35 pr.t ṯms.t: In ḥr=f ṯms ist das Verb ṯms mit Schreibpalette und Buchrolle determiniert. In pr.t ṯms.t hat es Schreibpalette, Mineralkorn und Pluralstrichen als Determinative. Man kann ṯms.t als Adjektiv(verb) zu pr.t auffassen (so in der Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 77 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 75), aber dann stellt sich die Frage, weshalb es nicht wie vorhin die Buchrolle als Determinativ hat. ṯms.t ist in Wb 5, 369.15 als separates Lemma neben dem Adjektiv(verb) ṯms in der Verbindung jrt.jw ṯms.t aufgenommen, aber ohne Übersetzung. In Fall 41 (Kol. 14.13: jrtjw ṯms.t) ist ṯms.t zum einen ein Substantiv und hat es zum anderen noch zusätzlich ein Baumdeterminativ, was auf eine Pflanzenbezeichnung hinweist. Dieser „Rotbaum“ oder diese „Rotpflanze“ ist nicht identifiziert (Breasted, Surgical Papyrus, 193–194; Grundriss IV/1, 178; MedWb II, 954; Charpentier, II, Nr. 1378; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 41; Westendorf, Handbuch Medizin, 718, Anm. 20: „‚Rot‘-Pflanze/Strauch/Baum, benannt nach der roten/violetten Farbe ihrer Früchte“). Aus einem unklaren Grund übersetzt Allen, Art of Medicine, 99 in Fall 41 ṯms.t mit „red ocher“ (einem Mineral statt einer Pflanze).

(Glosse G:) Was (die Textstelle) „der Geruch des ‚Kastens seines Kopfes‘ ist wie (der Geruch) der bkn-Exkremente von Kleinvieh“ angeht:
das bedeutet, dass [4.1] der Geruch seines Scheitels36 wie (der Geruch) der wsš.t-Ausscheidungen37 von Kleinvieh ist.

36 wp.t: Allgemein wird davon ausgegangen, dass der „Scheitel(bereich)“ (vertex), die oberste Stelle des Kopfes, gemeint ist (Wb 1, 297–298: „Gehörn; Scheitel“; MedWb I, 181–182: „Scheitel; Gehörn“; Lefebvre, Tableau des parties du corps, 11–12, § 10: „le sommet de la tête, le point le plus élevé – vertex summus – du corps humain, au delà du front“). Etymologisch bedeutet wp.t: „Gehörn“ (Walker, Anatomical Terminology, 57 weist auf wpi̯: „trennen“ und wp.t als „Trennlinie“ hin; vgl. Scheitellinie) und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 77 vermerken, dass die Hörner von Rindern mit den Stirnhöhlen verbunden sind. A. Karenberg und C. Leitz, Headache in magical and medical papyri of Ancient Egypt, in: Cephalalgia 21, 2001, 911–916, hier: S. 913 ein Schema mit den Bezeichnungen des Kopfes; wp.t = „top of the head“. Laut Walker, Anatomical Terminology, 57–69 ist wp.t ein größerer Bereich als nur der eigentliche Scheitel (vertex: d.h. die oberste Stelle des Kopfes) und schließt der Begriff auch den Parietalbereich mit ein. Jedenfalls hat die wp.t einen mittleren Bereich (ḥr.j-jb). Abweichend davon findet man bei Gardiner, EG, 462 (Sign-List, F13) die Bedeutungen „brow, top (of forehead)“ (daher Faulkner, CDME, 59: „horns; top of head; brow“) und auch Chapman, in: JARCE, 29, 1992, 42 hat wp.t als „brow“, d.h. „Stirn, (Augen-)Braue“ übersetzt (was natürlich gut zu seiner Auffassung von tpꜣ.w als die Membranen der Stirnhöhle passt). Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 11–12, § 10 lehnt die Übersetzung „front“ (d.h. Stirn) ab, die daher rührt, dass der Uräus auf dem wp.t liegt, d.h. auf dem Scheitel, aber der Kopf des Uräus sich über der Stirn erhebt. Ein Problem ist die Differenzierung zwischen wp.t und dem seltenen whnn (dem Bereich um der großen Fontanelle beim Kind). Für Grapow, Anatomie und Physiologie, 26 ist whnn der anatomische Terminus für den Scheitel, während ansonsten wp.t verwendet wird. Das Wort wp.t scheint der Vorläufer von koptisch ⲁⲡⲉ „Kopf“ zu sein (Quack, in: OLZ 94, 1999, 461).
37 wzš.t: Das Substantiv wzš.t ist von der Wurzel wzš abgeleitet. Das Verb wzš wird mit dem Phallus determiniert und bedeutet laut Wb 1, 357.16–20: „harnen“; das zugehörige Substantiv wzš.t ist eine Bezeichnung für „Harn“ (Wb 1, 358.1–3). Laut MedWb 220–221, § 1 ist die Bedeutung jedoch nicht auf „Urin harnen“ beschränkt, sondern impliziert das Wort auch das Ausscheiden von Kot. Hier wird wzš.t mit drei Körnern determiniert, was die Köttelchen von Ziegen und Schafen evozieren könnte. Die Übersetzung „Urin“ oder „Jauche“ (Breasted, Ebbell, Brawanski, Allen, Sanchez & Meltzer) ist deshalb unsicher.

(Glosse H:) Was (die Textstelle) „Kasten seines Kopfes“ angeht:
das ist der mittlere/innere Bereich seines Scheitels in der Nähe seines Gekröses (d.h. seines Gehirns).
Das bedeutet, dass er einem Kasten / einer Truhe ähnelt.

(Glosse I:) Was (die Textstelle) „Sein Mund ist (wie) zugebunden; Seine beiden Augenbrauen sind hochgezogen/verzogen(?); sein Gesicht ist in der Art, wie wenn es weint / weinen wird / geweint hat“ angeht:
das bedeutet, dass er seinen Mund nicht öffnet, damit er sprechen kann;
(und) seine Augenbrauen sind verstümmelt (d.h. verzerrt(?))38,
(wobei) (durch die eine Augenbraue) ein Fall von Hochziehen(?)39 nach oben und (durch die andere Augenbraue) ein Fall von Abdecken/Verbergen nach unten gemacht wurde,
wie der, der blinzelt/zwinkert, (indem/während) sein Gesicht weint (oder: verweint ist).40

38 jꜣṯ: Bedeutet laut Wb 1, 34.21–22: „verstümmelt werden o.ä.; weh tun, schmerzen“ (passiv und intransitiv). In Wb wird keine aktiv-transitive Bedeutung „verletzen“ angegeben (vgl. dazu auch die Kausativform sjꜣṯ); siehe jedoch MedWb I, 20, § 1 „schmälern, verringern, verstümmeln“ mit Verweis auf pEdwin Smith Fall 47 (daher: Hannig, HWB, 24: „verstümmelt, verletzt werden; schmälern, verringern“). Breasted, Surgical Papyrus, 198–199 vermerkt, dass das Verb neben der ursprünglichen Bedeutung „to wound, to injure“ (vgl. dazu das Determinativ eines Beines mit einem Messer darin, Gardiner D57) auch die Bedeutung „to twist, to distort“ und „to divert“ hat, aber der angeführte Beleg Tb. 115 nach pNu ꜥḥꜥ.n rʾ=f ꜣṯ.w (DZA 20.239.270) wird in Wb bei „weh tun, schmerzen“ untergebracht. MedWb I, 20–21 liefert keine eindeutige Übersetzung, aber glaubt nicht an „distorted“, weil der Zusammenhang in Papyrus Edwin Smith Kol 4.3 (Fall 7) eher an ein krampfartiges Zucken denken lässt (wegen n ḥr.w: „nach oben“, n ẖr.w: „nach unten“ und ṯrm: „zwinkern“). Nicht viel anders als Breasteds „verzerrt sein“ übersetzt Ebbell, „seine Augenbrauen sind verzogen (?)“ mit einem Fragezeichen. Auch Grundriss IV/1 operiert mit der Bedeutung „sich verziehen“: „es verziehen sich seine beiden Augenbrauen“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 41 hat „krampfartig verzogen“ und Westendorf, Handbuch Medizin, 718: „Seine beiden Augenbrauen sind verzogen/verkrampft“, womit die Bedenken von MedWb aufgegriffen werden. Allen übersetzt „his eyebrows knit“ („to knit one’s brow“ = „die Augenbrauen zusammenziehen“ oder „die Stirn runzeln“). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 76 verbinden jꜣṯ mit dem vorangehenden mdwi̯=f: „his speech is distorted“ (dann natürlich mit dem Substantiv mdw=f: „seine Rede“) und auch MedWb I, 21, Anm. 2 erwägt (mit Fragezeichen!) eine Anbindung an mdwi̯=f im Stativ: „er kann nicht seinen Mund öffnen, daß er redet, indem er verkrampft ist“. Das Problem dabei ist jedoch die grammatische Anbindung von jnḥ.wj jri̯ .... Die Übersetzung von Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 76: „His two eyebrows maintain a diseased condition“ erfordert jnḥ.wj ḥr jri̯.t ... und zp n.j sfr.t n ḥr.w muss direktes Objekt von jri̯ sein, was mit jri̯ als Stativ nicht möglich ist. In Fall 47 (Kol. 17.13) wird mit jꜣṯ das Abnehmen von (fiebriger) Hitze beschrieben (übertragene Bedeutung von „verstümmeln, verletzen; schmälern“). Breasted, Surgical Papyrus, 424 übersetzt zwar mit „to abate“, meint aber eine passivische Ableitung von „to divert, turn aside“ (ähnlich Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 288, 289, mit Fragezeichen). Bardinet, Papyrus médicaux, 517 hat „s’arrêter“, das er auf die wörtliche Bedeutung „se rompre“ (d.h. (intrans.) „reißen, brechen, wegbrechen“) zurückführt („s’arrêter / aufhören“ statt „verringern“ geht auf Breasteds Interpretation von r tꜣ als „gänzlich weg“ zurück: Surgical Papyrus, 154). Allen, Art of Medicine, 105 hat „to shorten“ im Passiv. Grundriß hat kontextbezogen und relativ neutral „nachlassen“ (intrans.).
39 sfr/sfri̯: Ist ein Hapax; fehlt in Wb 3 und Wb 4. Grammatisch kann es ein kausatives II-rad. Verb sfr oder ein IV-Inf. Verb sfri̯ sein. Breasted, Surgical Papyrus, 199 errät die Bedeutung „to draw“ aus dem Zusammenhang. MedWb II, 746 gibt keine Übersetzung, sondern beschreibt den Zusammenhang als „krankhafte Tätigkeit der Augenbrauen“, bei der man an „hochziehen, sich nach oben bewegen“ denken könnte (daher Hannig, HWB, 754: „eine krankhafte Tätigkeit der Augenbrauen (*hochziehen)“). MedWb II, 746, Anm. 2 erwägt eine alternative Lesung s:ft (kausatives II-Rad. Verb der Wurzel ft: „sich abwenden“); ebenso Westendorf, Grammatik, 184, § 254.d. Ein Verb s:fr/s:fri̯ mit dem schlagenden Arm als Determinativ existiert nicht, auch nicht das Symplex fr/fri̯. Die Übersetzung von sfr durch Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 76: „to maintain a diseased condition“ ist eigentlich eine Kontextumschreibung.

(Glosse J:) Was (die Textstelle) „er ist blass/bleich (wörtl.: weiß) geworden, nachdem er zuvor eine Schwäche gezeigt (wörtl.: hingelegt) hat“ angeht:
das bedeutet ein Blasswerden, denn er ist einer, der mit der (unheilbaren) bṯw-Krankheit40 vertraut ist (wörtl.: in die bṯw-Krankheit eingetreten) angesichts der Schwäche.
(oder: das bedeutet (bloß) ein Blasswerden, denn er ist (vom Typus) „Trete ⟨gegen sie/die Krankheit⟩ ein (d.h. engagiere dich)! Lass ⟨ihn⟩ nicht im Stich!“ angesichts der Schwäche.)41

40 bṯ.w: Von der Wurzel bṯ: „laufen; davonlaufen, im Stich lassen, aufgeben“ (mit den laufenden Beinchen als Determinativ) ist ein Substantiv bṯ.w gebildet als Bezeichnung einer Giftschlange oder einer dämonischen Krankheit (mit der Schlange als Determinativ; etymologisch wohl etwa „einer, vor dem man davonläuft“) (Die Interpretation von B. Ebbell, Alt-ägyptische Bezeichnungen für Krankheiten und Symptome, Oslo 1938, 19–20 von bṯ.w als die Wurmkrankheit „ägyptische Chlorose“ oder dessen Verursacher, der Wurm „Anchylostomum duodenale“ ist abzulehnen, s. MedWb I, 255). Nun kann bṯ.w in unserem Satz zwei Sachen sein: entweder ist es das Substantiv bṯ.w, oder es ist das negative Komplement des Verbs bṯ mit dem falschen Determinativ. Die meisten Bearbeiter gehen in Anlehnung an Breasted vom Verb aus, Allen und Sanchez & Meltzer arbeiten mit dem Substantiv.
41 ꜥq m bṯw: Die Lesung von ꜥq beruht auf vier Stellen im pEbers, bei denen bṯw in Kombination mit ꜥq vorkommt. Grundriss IV/2, 142, Anm. 14 verweist für die ungewöhnliche Form des q auf die Schreibung von pꜣq.t in Zl. 4.13, wo das q jedoch nicht identisch und zudem ebenfalls unsicher ist (Breasted geht an der Stelle von einer fehlerhaften Schreibung pꜣw.t für pꜣq.t aus) (Die Alternativlesung ꜥ.wj: „Zustand“ durch B. Ebbell, Alt-ägyptische Bezeichnungen für Krankheiten und Symptome, Oslo 1938, 20 ist kaum vertrauenswürdig). In den vier Ebers-Stellen steht ꜥq r=f / m bṯ sw: „Trete gegen sie (die Krankheit) auf! Lass ihn (den Patienten) nicht im Stich!“ bzw. m ꜥq r=f / bṯ.w pw: „Trete nicht gegen sie auf! Es ist eine (unheilbare) dämonische Krankheit.“ Außerdem erinnert nt.t sw pw m von Papyrus Edwin Smith Kol. 4.4 (Fall 7) an einen Satz in Kol. 2.11: ḏr-n.tt sw m mr ꜥḥꜣ=j ḥnꜥ: „Denn er (der Patient) ist (vom Typus) ‚Eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde‘“. Breasted und die meisten Bearbeiter in seiner Folge emendieren deshalb unsere Textstelle zu ⟨ḏr⟩-n.tt sw m ꜥq ⟨r=f⟩ / m bṯ.w ⟨sw⟩: „Denn er ist einer (vom Typus) ‚Trete ⟨gegen sie⟩ auf! Lass ⟨ihn⟩ nicht im Stich!’“, wobei Breasted die vielen Ergänzungen als Unsicherheitsfaktor anerkennt. In dieser Interpretation ist bṯ.w das negative Komplement des Verbs bṯ mit der Schlange statt der laufenden Beinchen als Determinativ. Allen, Art of Medicine, 79 sowie Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 76 gehen jedoch von bṯ.w als „Giftschlange, dämonische Krankheit“ aus. ꜥq m bṯ.w wird dann „einer, der in die dämonische Krankheit eintritt“, d.h. „einer, der mit der dämonischen Krankheit vertraut ist“ oder, laut den Übersetzungen von Allen „one who is in danger – as one who meets a poisonous snake“ (Adverbialsatz mit m-Identicum) bzw. Sanchez/Meltzer „he is entering into an incurable condition“ (Pseudoverbalkonstruktion mit m + Infinitiv beim Verb der Bewegung).

Fall 8: Splitterbruch des Schädels ohne sichtbare Wunde

[4.5] (Titel:) Erfahrungswissen über einen sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seinem (Hirn-)Schädel unter ⟨seiner⟩1 Kopfhaut.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem Splitterbruch seines (Hirn-)Schädels unter seiner Kopfhaut untersuchst,
(und) es gibt keinerlei Sache auf ihr (d.h. keine sichtbare Wunde auf der Haut),2
dann musst du folglich seine Wunde/Verletzung3 (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Auf der Rückseite (d.h. Außenseite) jenes Splitterbruchs, der in seinem (Hirn-)Schädel ist, findest du eine tḫb-Schwellung (hier: eine Beule?), die aufgeschwollen/erhoben ist.
Sein Auge steht schief (oder: schielt)4 infolgedessen,
an der Seite von ihm, die jene Schlagverletzung5 aufweist, welche in seinem (Hirn-)Schädel ist.
(und) er geht lahm/humpelnd/schlurfend (?)6 mit seinem Fuß7,
an der Seite von ihm, die jene Schlagverletzung aufweist, welche in seinem (Hirn-)Schädel ist;
– Von einem, den etwas geschlagen hat, das von außen eingetreten ist (d.h. etwas dämonisches, eine dämonische Einwirkung)8, sollst du ihn unterscheiden,
d.h. als einen (oder: und auch von einem),9 bei dem der (Gelenk?-)Kopf des ꜣmꜥ.t-Knochens in seiner qꜥḥ-Schulter sich nicht gelöst10 hat,
und (als) einen (oder: und von einem), dessen ꜥn.t-Finger (Daumen?)11 nicht in die Mitte seiner Hand gefallen ist. –
er blutet aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen und seinen Ohren;
er leidet an Steifheit/Steifigkeit in seinem Nacken.
(Diagnose:) ⟨Dann sagst du daraufhin über ihn (den Patienten): einer mit einem Splitterbruch in seinem Schädel, ... ... ...:⟩
„eine Krankheit, die man nicht behandeln kan“.
(Behandlung:) Seine Behandlung (ist) Sitzen, so dass (oder: bis) er glatt wird (d.h. sich entspannt?)12, so dass / bis du erkennst, dass er die/eine (entscheidende) Sache erreicht (d.h. es schaffen wird?).

1 jnm n tp=⟨f⟩: „Haut des Kopfes“. Mehrere Autoren (Breasted; Grundriss IV/1; Westendorf, Papyrus Edwin Smith; Westendorf, Handbuch Medizin; Allen) übersetzen mit „sein Kopf“, d.h. sie fügen implizit oder explizit ein Suffixpronomen tp=⟨f⟩ hinzu. In der nächsten Zeile und in Glosse A (Zl. 4.13) steht tatsächlich ẖr jnm n.j tp=f, was diese Ergänzung unterstützt, zumal auch im Titel weiterer Fälle das Personalpronomen vorhanden ist.
2 (jḫ.t nb.t) ḥr=f: Gemeint ist wohl „auf der Haut“ (so explizit Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 28; Westendorf, Handbuch Medizin, 718) und nicht „auf dem Bruch“; Allen, Art of Medicine, 79 übersetzt frei „on the surface“. Mit ḫ.t nb.t: „jede Sache; (neg.) irgendeine Sache“ ist eine Wunde gemeint, wie aus Glosse A (Kol. 4.13: wbnw nb) hervorgeht.
3 wbn.w: Ist ein gängiges Wort für „Wunde“ im pEdwin Smith. Abgeleitet von der Wurzel wbn: „aufgehen, leuchten“, ist wbn.w meistens eine offene Wunde mit einer Verletzung der Haut, gelegentlich auch einer Verletzung der Knochen (Breasted, 81–84; MedWb I, 172–178; Grundriss III, 48–49). Das Determinativ des spuckenden Mundes (Gardiner Sign-List Nr. D26) weißt auf den nässenden Aspekt der Wunde hin. Die Wundränder werden sp.tj: „Lippen“ genannt, die Wundöffnung heißt : „Mund“. Manchmal liegt jedoch keine sichtbare Verletzung vor, weshalb MedWb I, 178 in diesen Fällen lieber mit dem allgemeineren Begriff „Verwundung, Verletzung“ übersetzen möchte. Deshalb wählt Grundriss IV/2, 142, Anm. 3 für Fall 8, Kol. 4.6: „Verletzung“ (ebenso Westendorf 1966, 45, Anm. 2); Ebbell 1939, 28 hat die gleiche Stelle mit „Beschädigung“ übersetzt, statt wie sonst mit „Wunde“.
4 gwš: Wird in Wb 5, 160.11 als separates Verb aufgelistet: „schielen o.ä.“ wegen des Augendeterminativs, aber hängt zweifellos mit dem erst aus jüngeren Texten bekannten Verb gꜣ-wꜣ-šꜣ/gwš: „krumm sein, schief sein“ (Wb 5, 160–161) zusammen. Deswegen übersetzt Breasted, Surgical Papyrus, 204 gwš mit „be askew“ und MedWb II, 913 mit „verdreht sein (vom Auge)“. Das Augendeterminativ würde für eine lexikalisierte Tätigkeit des Auges sprechen, wie „schief anschauen“, „rausploppen“ oder eben „schielen“ (in Papyrus Edwin Smith 4.6: Lähmungsschielen infolge des Schädel-Hirn-Traumas?). Laut Brawanski, in: SAK 29, 2001, 30 hängt die schiefe/verdrehte Position des einen Auges entweder mit einer Beschädigung von Augennerven im Bereich der Schädelbasis zusammen oder die Augenhöhle selbst ist verletzt. Beide Arten von Verletzungen können zu einer Lähmung der Augenmuskulatur führen, wobei die Beschädigung der Nerven wahrscheinlicher ist. Brawanski, in: SAK 29, 2001, 30 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 90 nennen insbesondere eine mögliche Schädigung des Nervus abducens als Folge einer Kopfverletzung. J. Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 104 erwägt beim Symptom des „verdrehten“ Auges eine Einblutung in die Augenmuskulatur oder eine Entrundung der Pupillen als Folge einer subduralen oder subarachnoidalen Blutung.
5 sqr: Bedeutet sowohl „Schlag“ (vor allem mit einer Keule) als auch die damit einhergehende Verletzung (MedWb II, 805–806: „Schlag; Schlagverletzung“). Breasted, Surgical Papyrus, 204–205 übersetzt mit „injury“, wobei für ihn „bruise“ oder „contusion“ gemeint sein muss. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 28 wählt den medizinischen Terminus „Läsion“ (ebenfalls Bardinet, Papyrus médicaux, 500: „lésion“), während Allen, Art of Medicine, die Schlagverletzung als „fracture“ spezifiziert. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 87 kehren zur Ursache der Verletzung zurück: „a blow“ (vgl. Sanchez/Meltzer, 243 zu Fall 29: „wound from a strike“). Das Determinativ ist der schlagende Arm (D40) oder der schlagende Mann (A24), aber in Fall 39 wird auch der Arm mit Handfläche nach unten (D42) (Kol. 13.3, 13.6 und 13.10) und in Fall 46 das Messer (T30) verwendet. Das hat Breasted dazu geführt, zwei verschiedene Wörter sqr anzusetzen, was nicht länger akzeptiert wird.
6 sj: Kommt ausschließlich in Fall 8 von pEdwin Smith vor. Es ist eine Art der Fortbewegung, wie das Determinativ der Beinchen nahelegt. Breasted, Surgical Papyrus, 210–211 leitet die Bedeutung „to shuffle“, d.h. „schleppend gehen, schlurfen“, aus dem Zusammenhang ab (gefolgt von Allen und Sanchez/Meltzer). Wb 4, 29.2 hat: „vom unsicheren Gehen: stolpern o.ä.“ In MedWb II, 714 wird „hinken(?); lahmen(?)“ vorgeschlagen; es wird davon ausgegangen, dass eine halbseitige Lähmung des Beines beschrieben wird. Faulkner, Concise Dictionary, 211 verweist auf sjsj/ss als reduplizierte Form dieses Verbs mit der Bedeutung „to hurry“. Hannig, HWB, 719 listet auf (mit Stern, d.h. Fragezeichen): „*lahmen, stolpern (a. infolge Schädelverletzung), hinken, schlurfen“. In Zl. 4.7 steht šm=f sj, während in der erklärenden Glosse B (Zl. 4.13) šm=f sj=f steht. Es ist unklar, ob im ersten Satz sj ein Pseudopartizip/Stativ ist oder ob sj=⟨f⟩ ergänzt werden muss; beides ist grammatisch möglich, sofern sj eher ein Zustandsverb („lahmen, gelähmt sein“) und kein Bewegungsverb („humpeln, schlurfen“) ist (Westendorf Grammatik, 121, § 166.3 mit Stativ, aber S. 148, Anm. 5 wird die Möglichkeit eines fehlenden Suffixes erwogen; Grundriß IV/2, 142, Anm. 4 differenziert zwischen einem Stativ hier und einem Umstands-sḏm=f in Glosse B).
7 ṯb.t/ṯbw.t: Bedeutet laut Wb 5, 361–363 sowohl „Fußsohle“ als auch „Sandale“, wobei in medizinischen Texten nur die Bedeutung „Fußsohle“ vorliegt (MedWb II, 966; vgl. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 50, § 58; Lacau, Noms des parties du corps, 135, § 362–365; Nyord, Breathing Flesh, 285–287). Walker, Anatomical Terminology, 79–87 führt eine Reihe von Argumenten dafür an, dass ṯb.t als Körperteil nicht die „Fußsohle“ ist, sondern „Fuß“ bedeutet. Das Problem dabei ist, dass es ein weiteres Wort rd gibt, das ebenfalls „Fuß“ bedeutet. Für Walker ist ṯb.t das spezifische Wort für „Fuß“, während rd (1.) der Unterschenkel mit dem Fuß ist, dann auch (2.) der Fuß allein (Walker, Anatomical Terminology, 271). Spätestens der koptische Nachfahre von rd, ⲣⲁⲧ⸗, bedeutet eindeutig „Fuß“. Laut Wb 2, 461–462 ist rd (nur) der „Fuß“, der Unterschenkel wird dort nicht erwähnt. Laut MedWb I, 535–537 ist rd der „Fuß“, der auch den Unterschenkel mit einschließen kann. Laut Grapow, Anatomie, 93 ist rd der „Fuß (...), wenn es auch oft zweifelhalft ist, ob mit diesem Wort das Bein als solches oder nur der Fuß im Besonderen gemeint ist.“ An anderer Stelle (S. 92) schreibt Grapow: „rd, das im Dual rd.wj gewiss oft genug einfach ‚die beiden Beine‘ schlechthin meint, hat auch die ganz gesicherte Bedeutung ‚Fuß‘.“ Für Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 48–49, § 55 war rd ursprünglich der Unterschenkel (tibia und fibula/perneus), durch Bedeutungserweiterung auch das ganze Bein und durch Bedeutungsverengung schließlich der Fuß (vgl. Lacau, Noms des parties du corps, 129–132, § 341–348). Die von Walker vorgeschlagene Bedeutung „Fuß“ für ṯb.t wird von Allen und Sanchez/Meltzer gefolgt und löst einige Verständnisprobleme in Fall 8. So wird ẖ.t n.t ṯb.t, das zuvor das unverständliche „der Bauch der Fußsohle“ war, jetzt „der Bauch des Fußes“. Für „Bauch der Fußsohle“ hat Breasted, Surgical Papyrus, 211 eine Interpretation als „ball of the sole“, d.h. den Fußballen vorgeschlagen, denn für ihn kann „Bauch“ beim Fuß kaum etwas anderes als der Ballen sein. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 44 übersetzt mit „Innenraum seiner Sohle“ und Bardinet, Papyrus médicaux, 500 hat „la voûte plantaire“, d.h. das Fußgewölbe. Bei Walkers Übersetzung „Bauch des Fußes“ wird seiner Meinung nach (S. 84) die Fußsohle gemeint sein. Dagegen übersetzt Allen, Art of Medicine, mit „instep“, d.h. Spann oder Rist. Er versteht „Bauch“ also als den gewölbten Teil auf der Oberseite des Fußes zwischen den Zehen und dem Fußknöchel (gefolgt von Sanchez/Meltzer).
8 sqr.n ꜥq.t m rw.tj: Wird in Glosse C und vor allem Glosse D erklärt als ein Mann, der von dem Hauch eines Gottes von außerhalb oder dem Hauch eines Toten erschlagen wird. Westendorf, Handbuch Medizin, 718, Anm. 22 fragt sich, ob damit ein epileptischer Anfall oder ein Schlaganfall gemeint sein kann. Brawanski, in: SAK 29, 2001, 31, Anm. 4 hält einen Schlaganfall für wahrscheinlicher als einen epileptischen Anfall, Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 92 führen nur den Schlaganfall als mögliche Interpretation auf. Das Partizip Aktiv ꜥq.t ist vom Sinn her als ein Präteritum/Perfekt (Westendorf, Handbuch Medizin; Brawanski; Allen) und nicht als ein Präsens (so jedoch Breasted; Ebbell; Grundriss IV/1, 179; Westendorf, Papyrus Edwin Smith; Bardinet; Sanchez/Meltzer) aufzufassen.
9 m jw.tj ...: Die Übersetzungen sind sich uneinig, ob die Symptome des m jw.tj sich auf den Patienten mit der Kopfverletzung beziehen, auf den von etwas von außerhalb (etwas dämonisches) Erschlagenen oder auf noch weitere mögliche Arten von Patienten. In den Übersetzungen von Grundriß IV/1 und von Westendorf, Papyrus Edwin Smith wird ein Akkusativ verwendet, was sich auf den Patienten mit der Kopfverletzung zu beziehen scheint (Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 45–46, Anm. 6 würde dagegen für eine Zuweisung an den Mann/Patienten mit dämonischer Einwirkung sprechen). Auch Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 89 und 91, Anm. 107 sprechen sich für Symptome des Patienten mit Kopfverletzung aus. Dagegen würde die Dativkonstruktion bei Westendorf, Handbuch Medizin eher für den vom Dämon befallenen Mann/Patienten sprechen (ebenso explizit in: Westendorf, Erwachen der Heilkunst, 137). In Brawanskis Übersetzung (in: SAK 29, 2001, 30) scheint sich m jw.tj auf den Patienten mit der Schädelverletzung zu beziehen, aber S. 31, Anm. 4 meint er, dass eine Schulteraffektion nicht mit einer Schädelverletzung in einen logischen Zusammenhang zu bringen ist, so dass eine weitere/zusätzliche mögliche/alternative Art von Patienten beschrieben wird (Differenzialdiagnose). Auch Bardinet, Papyrus médicaux, 500 und Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 104 erkennen in m jw.tj ... weitere alternative Krankheitsbilder.
10 sfḫ: Ist ein Kausativum von fḫ und bedeutet „(etwas) lösen, ablösen“. Kausativa sind im Prinzip transitiv, aber van der Molen, Hieroglyphic Dictionary, 486–487 listet auch Übersetzungen mit „be loosed, be released, be freed“ sowie intransitive Verwendungen auf und Hannig, Ägyptisches Wörterbuch I, 1112 und Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II/2, 2189 führen reflexive Übersetzungen auf: „sich lösen, sich entledigen, sich trennen von“. Je nachdem welche Übersetzung man ansetzt, ist sfḫ=f ein aktives sḏm=f oder ein passives sḏm=f (siehe Westendorf, Grammatik, 154, Anm. 5 und 263, § 373.b). Das Verb kann mit der Präposition m konstruiert werden: „(etwas) lösen von (etwas)“, aber in ꜣmꜥ.t m qꜥḥ ist m eine Variante zum Genitiv, so dass Bardinets Übersetzung (Papyrus médicaux, 500): „l’homme dont la tête ne peut se détacher de l’extrémité de son épaule“ nicht möglich ist (das wäre etwa *jw.tj sfḫ tp=⟨f⟩ ⟨m⟩ ꜣmꜥ.t n.t qꜥḥ=f).
11 ꜥn.t: Bedeutet „Nagel“ vom Finger oder vom Zeh sowie „Kralle“ eines Tieres (Wb 1, 188.1–6). In Fall 22 (Kol. 8.15) ergreift die Kralle (ꜥn.t) eines ꜣmꜥ-Vogels eine Sache, was darauf hinweist, dass der Singular „Kralle“ im Sinne von „(Vogel-)Klaue“ (Krallen als Kollektiv) zu verstehen ist (Breasted, Surgical Papyrus, 216). Deshalb will Breasted in Fall 8 (Kol. 4.8 und 4.18) auch den Singular ꜥn.t als ein Plural/Kollektiv „finger-nails“ übersetzen (S. 216) (ebenso in Fall 25, Kol. 9.3–4). Irgendwann im Laufe der Zeit verändert sich die Bedeutung von ꜥn.t: „(Finger-/Zehen-)Nagel“: spätestens im Koptischen bedeutet ⲉⲓⲛⲉ: „Daumen“ und „großer Zeh“ (für „Kralle“ und „Nagel“ wird dann das in der Spätzeit belegte (j)ꜣb, koptisch ⲉⲓⲃ verwendet) (siehe Grapow, Anatomie, 53–54, der schreibt: „Der größte Nagel ist daneben zur Bezeichnung des Daumens selbst benutzt. Die Bedeutungsentwicklung hat aber wohl eher mit der besonderen Rolle des Daumens beim Greifen als mit der Größe des Nagels zu tun und im Vergleich zum Rest der Hand ähnelt der Daumen einer Kralle [diese Erklärung bei Schäfer, in: MDAIK 9, 1940, 146, Anm. 1 und 150–151]). Laut Vittmann, Fs. Lüddeckens, 254 ist die Bedeutung „Daumen“ schon im demotischen anw/ane nachzuweisen. In Wb 1, 188.7 sowie in MedWb I, 141–142 wird diese Bedeutung „Daumen“ schon für pEdwin Smith angesetzt. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 47, § 53 führt ein noch viel älteres Beispiel aus den Pyramidentexten an; Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II/1, 505 listet einige Belege aus den Sargtexten auf.
Nicht alle Forscher gestehen dem Wort ꜥn.t die Bedeutung „Daumen“ zu. Breasted, Surgical Papyrus, 291 und 304 versteht ḏbꜥ: „Finger“ in den Fällen 22 (Kol. 8.10) und 25 (Kol. 9.3) als den wichtigsten Finger, d.h. den „Daumen“. Aber gerade in Fall 22 (Kol. 8.10) muss Breasted, Surgical Papyrus, 290 unmittelbar hintereinander im gleichen Satz einmal ḏbꜥ mit „Daumen“ und einmal mit „Finger“ übersetzen, was seine Interpretation von ḏbꜥ als „Daumen“ fraglich macht. Walker, Anatomical Terminology, 267 listet für ꜥn.t die Bedeutungen „Nagel“ und „Kralle“ auf, aber nicht „Daumen“. Dafür vermerkt er bei der Bedeutung „Nagel“ die drei Varianten „fingernail, thumbnail, toenail“. Unter dem Lemma ḏbꜥ taucht bei Walker, Anatomical Terminology, 279 „digit, finger, thumb“ auf. Auch im Concise Dictionary von Faulkner findet man die Bedeutung „Daumen“ nicht bei ꜥn.t (CDME, 43: „nail of finger or toe; claw“), hingegen schon bei ḏbꜥ (CDME, 321: „finger; thumb; later also toe“). Borchardt, in: ZÄS 73, 1937, 119–120 führt einige Argumente dafür an, dass die Fingerhieroglyphe (ḏbꜥ) eigentlich ein Daumen ist und in einigen Fällen auch ursprünglich für das Wort „Daumen“ stand. Dies wird von Schäfer, in: MDAIK 9, 1940, 146–151 Argument für Argument zurückgewiesen: ḏbꜥ bedeutet nur „Finger“, nicht „Daumen“.
Ein wichtiger Grund, der angeführt wird, um ḏbꜥ trotzdem als „Daumen“ und ꜥn.t als „(Fläche der vier) Finger“ zu übersetzen, ist die Behandlungsmethode in Fall 25 von Papyrus Edwin Smith (Kol. 9.3–4: Luxation oder Subluxation des Kiefers). Hier wird davon ausgegangen, dass die alten Ägypter dieselbe Repositionierungsmethode des Unterkiefers angewandt haben wie in der Antike und heute noch: Der Arzt steht hinter dem Patienten, hält seine beiden Daumen auf dem hinteren Bereich des Unterkiefers im Mund und den Handflächen unter dem Kinn und übt mit den Daumen Druck nach unten und nach hinten aus, bis der Kiefergelenkkopf wieder in die Gelenkpfanne hineinrutscht  („Handgriff nach Hippokrates“ bzw. „manoeuvre de Nélaton“: Abb. z.B. bei Breasted, Surgical Papyrus, Taf. 6; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 174, Fig. 25). In Fall 25 befindet sich der ḏbꜥ-Finger im Mund, der ꜥn.t-Finger unter dem Kinn, aber es steht nichts dazu, dass der Arzt sich hinter dem Patienten befinden sollte. Breasted, Surgical Papyrus, 291 und 304 versteht ꜥn.t nicht bloß als (eine) „Kralle“, sondern als die (ganze) „Klaue“, damit er ꜥn.t als die Gruppe der vier Finger auffassen kann (gefolgt von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 47; Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 185, Anm. 1; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 175); nur Allen, Art of Medicine, 89 bleibt für ꜥn.t bei den beiden Zeigefingern („forefingers“).
12 nꜥꜥ=f: Das Verb nꜥꜥ wurde zuerst als „bunt, mehrfarbig sein“ verstanden (Wb 2, 208.2–9; vgl. Breasted, Surgical Papyrus, 207: „to gain color(?)“; gefolgt von Ebbell, Bardinet, Sanchez/Meltzer; Burridge, in: JSSEA 27, 1997, 14: „until he regains colour (lit., is smooth in colour)“), obwohl das Kausativ snꜥꜥ schon mit „glätten; fein zerreiben“ übersetzt wurde (Wb 4, 156.10–16). Diese Deutung von nꜥꜥ, die Breasted selbst als „doubtful“ einstufte, wurde zugunsten von „glatt sein; glätten“ (Gardiner, pChester Beatty I, 1935, 41, Anm. 5: „to be smooth“; Westendorf, in: MDAIK 18, 1957, 297–298; MedWb I, 447–448) bzw. „glatt, weich, fein sein; undekoriert sein; glätten“ (Hannig, HWB, 417) zurückgewiesen (vgl. Quack, Ani, 93, Anm. 31). Die Bedeutung im medizinischen Sinne hängt vom Subjekt des Verbs ab. Das Suffixpronomen in r nꜥꜥ=f wird teilweise auf den Patienten bezogen (der Patient wird „glatt“: so Breasted, Ebbell, Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer), teilweise auf den Knochenbruch (der Bruch wird „glatt“: Grundriß IV; MedWb 447; Westendorf, Papyrus Edwin Smith; Westendorf, Handbuch Medizin) oder auf die Schwellung (die Beule „glättet sich“: Brawanski, in: SAK 29, 2001, 32). Falls nꜥꜥ sich auf den Patienten bezieht, ist eine übertragene Bedeutung erforderlich (eine Dekoloration der Haut, wie bei Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 29 geht nicht, denn dieser Bedeutungsvorschlag ist falsch): Allen, Art of Medicine, 79 hat „to feel better“; wir vermuten „sich entspannen (?)“. Je nach Interpretation der Konstruktion mit r ist nꜥꜥ ein Infinitiv oder ein sḏm=f Futur/Prospektiv. Sofern man Allen bei der Bedeutung von nꜥꜥ folgen möchte, würde eine Gradierung zwischen r nḏm=f: „until he gets well“ (Breasted: „until he recovers“) und r nꜥꜥ=f: „until he feels better“ vorliegen.

[4.10] (2. Untersuchung:) Sobald (oder: weil) du (also) jenen Splitterbruch, der in seinem (Hirn-)Schädel ist, vorfindest
wie diese (wohlbekannten) wrm-Rillen/Blasen/Klumpen/(Metall-)Schlacken(?), die beim Kupfer des ꜥḏn.t-Schmelztiegels/-ofens(?) entstehen,
(und) etwas dort ist, das unter deinen Fingern pocht/zittert und flattert wie die schwache Stelle des whnn-Schädelbereichs eines Kindes, wenn er (d.h. der Scheitelbereich) noch nicht verknüpft (d.h. verwachsen) ist
– jenes Pochen/Zittern und Flattern entsteht unter deinen Fingern, (und zwar) sobald/weil das Gekröse/Gedärm seines (Hirn-)Schädels (d.h. sein Gehirn) hervorbricht/aufgerissen ist –,
(wobei) er (d.h. der Patient) aus seinen Nasenlöchern/Nasenhöhlen und seinen Ohren blutet,
(und wobei) er an Steifheit/Steifigkeit im Nacken leidet:
(2. Diagnose:) ⟨dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einer klaffenden Wunde an seinem Kopf, ... ... ...:⟩
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „der Splitterbruch in seinem (Hirn-)Schädel unter seiner Kopfhaut, (indem) es keinerlei Wunde/Verletzung auf ihr (d.h. der Haut) gibt“ angeht:
das ist ein Splitterbruch der schalenförmigen Knochen seines (Hirn-)Schädels;
(aber) das Hautgewebe13, das ⟨auf⟩ seinem ḏꜣḏꜣ-Kopf14 ist (d.h. die Kopfschwarte), ist intakt/unversehrt (geblieben).

13 ḥꜥ.w: Kommt als Singular (ḥꜥ) und auch als Plural (ḥꜥ.w) vor, ist aber vor allem ein kollektiver Begriff. Wb 3, 37–39 listet drei Bedeutungen für ḥꜥ/ḥꜥw auf: (1) Körper, Leib; (2) Fleisch; (3) die Glieder; außerdem wird ḥꜥw in übertragenem Sinne auch für „selbst“ verwendet. In MedWb II, 585–587 werden für die medizinischen Texte ebenfalls drei, aber teilweise andere Bedeutungen angesetzt: „(1) Körper; (2) Körperoberfläche, Haut; (3) Fleisch. Grapow, Anatomie, 18–19 versteht ḥꜥ/ḥꜥ.w zuerst als „den (ganzen) Körper“, manchmal auch als „Rumpf“ und schließlich als „Fleisch, Muskelfleisch“, wobei gerade diese Bedeutung „an mehr Stellen der medizinischen Texte vorliegt, als man gewöhnlich annimmt“. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 4–6, § 3 meint, dass ḥꜥw ursprünglich „les tissus mous que nous appelons, d’un terme vague, chair“ bedeutet und diese Bedeutung auch an einigen Stellen in den medizinischen Texten noch hat, aber im Wesentlichen für „(le) corps“ steht. Walker, Anatomical Terminology, 3–18 findet in seiner Analyse des Terminus die Bedeutungen (1) „body“, (2) „self, person, own“ und (3) „surface, skin“ (einschließlich des subkutanen Gewebes); er lehnt die Übersetzung „flesh“ ab, weil damit das Weichteilgewebe unter der Haut („soft tissues beneath the skin“) gemeint ist, wofür seiner Meinung nach im Ägyptischen jwf verwendet wird. Tatsächlich sind in einigen Fällen ḥꜥw und jwf austauschbar (Grapow, Anatomie, 18 erwähnt die Parallelstellen Eb 436 (Kol. 64.12) und Smith Fall 47 (Kol. 17.1); MedWb I, 587 fügt Eb 1 (Kol. 1.5) und Hearst 78 (Kol. 6.8) hinzu.), aber in diesen Fällen ist ḥꜥw das Hautgewebe bzw. schließt dieses mit ein oder ergibt auch „Körper, Körpergewebe“. Nyord, Breathing Flesh, 337–339 gibt für ḥꜥw in den Sargtexten nur die Bedeutung „flesh“ an. Die in Wb 3, 38.29–30 aufgeführten seltene Bedeutung „Körperglieder“, eng. „limbs“ quasi als ein Synonym von ꜥ.t, wird von Gardiner, Notes Sinuhe, 111 mit Verweis auf Montet, in: Sphinx 13, 1910, 1–11 abgelehnt. Koptisch lebt ḥꜥ.w nur noch in ϩⲱⲱ⸗: „selbst“ weiter, abgeleitet aus der älteren, festen Redewendung (m)-ḥꜥ.w=: „in (seinem) Körper > in (seiner) Person > selbst“.
Breasted, Surgical Papyrus, 549 (Index) übersetzt ḥꜥw an allen Stellen im pEdwin Smith mit „flesh“; er verweist für die Begründung dieser Bedeutung (S. 117) auf Montet, in: Sphinx, 13, 1910, 1–11 (2 Bedeutungen: „les chairs recouvertes de la peau, la partie extérieure du corps humain“ und „le corps humain lui même par opposition à l’âme“); die Bedeutung „flesh, skin“ von Montet wird durch Gardiner, Notes Sinuhe, 111 akzeptiert; ebenso Weeks, Anatomical Knowledge, 13–14. MedWb 585–587 verteilt die Belege für ḥꜥw in pEdwin Smith auf die oben genannten drei Bedeutungen, aber diese Verteilung ist nicht an allen Stellen eindeutig. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 4 hat ḥꜥ.w für die Stelle pEdwin Smith Kol. 4.13 (Fall 8) noch mit der Bedeutung „Fleisch“ versehen, während MedWb II, 586 diese Stelle unter „Körperoberfläche, Haut“ einreiht. Auch für Walker, Anatomical Terminology, 10 ist diese Textstelle ein klarer Indikator für die Bedeutung „skin“ oder notfalls für „flesh“, aber eindeutig nicht für „Körper“, denn ḥꜥw kann sich in diesem Fall nur auf die Kopfhaut oder die Kopfschwarte (= Kopfhaut + Subkutanes Gewebe + Sehnenhaube) beziehen. Auch in Fall 23 (Kol. 8.19) gehen die Meinungen auseinander. MedWb hat die Belege von Fall 23 bei „Fleisch“ eingetragen. Laut Breasted, Surgical Papyrus, ist in Fall 23 mit ḥꜥw=f nicht das „Fleisch“ des Mannes/Patienten gemeint, sondern das Fleisch des Ohres, d.h. „(the) soft tissue of the outer ear“. Grundriß IV/1, 186 nimmt auch noch an, dass ḥꜥw=f sich auf das Fleisch des Ohres bezieht; aber in den Ergänzungen in Grundriß IX, 68 steht: „Öffnung seines (des Mannes? des Kopfes? des Ohres?) Fleisches“ und wird vermerkt (Grundriß IX, 80, Anm. 1.a zu Sm Fall 23): „Wahrscheinlich ist gemeint, dass ein Teil der unteren Ohrmuschel am fleischigen Teil des Kopfes verblieben ist.“ Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 62 mit Anm. 1 und Westendorf, Handbuch Medizin, 727 entscheidet sich für das Fleisch des Mannes/Patienten. Aus den Übersetzungen von Allen, Art of Medicine, 87 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 164 geht das Ohr als Bezugswort hervor, aber es wird von der Übersetzung „Fleisch“ Abstand genommen: „opening of its body“ (Allen) bzw. „opening of its surface“ (Sanchez/Meltzer). Bardinet, Papyrus médicaux, 506 umschreibt ḥꜥw direkt mit „la partie externe (= pavillon)“ (d.h. Ohrmuschel). Weder eine Interpretation als „Öffnung des (äußeren Ohr)körpers“ (Allen: „body“), noch eine Auffassung als „Öffnung der (Ohr)oberfläche“ (Sanchez/Meltzer „surface“) sind mit der Verwendung von ḥꜥw im nächsten Satz vereinbar. Dort haftet noch „Etwas von der Unterseite des Ohres“ an dem ḥꜥw: es kommen für ḥꜥw nur die Bedeutungen „Körper“ und „Körperoberfläche, Hautgewebe“ (des Patienten) in Betracht. Die Kombination rʾ ḥꜥw erscheint ebenfalls in Eb 742 (pEbers Kol. 89.6): ein Zahn ist zerfressen (wšꜥ) an der Öffnung der (Mund)-Haut/Oberfläche“, d.h. im Wesentlichen an der Zahnfleischöffnung.
14 ḏꜣḏꜣ: Das Wort ḏnn.t: „knöcherner Hirnschädel (mit Inhalt)“ alterniert manchmal mit dem Wort ḏꜣḏꜣ (z.B. pEdwin Smith 4.19–20, Fall 9: sḏ pꜣq.t n.t ḏnn.t=f und sḏ pꜣq.t n.t ḏꜣḏꜣ=f), das ein allgemeines Wort für „Kopf“ ist und parallel/synonym mit dem älteren tp: „Kopf“ verwendet wird (Wb 5, 530–531; Grapow, Anatomie, 22–23; MedWb II, 996–997; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 10, § 9; Lacau, Noms des parties du corps, 31–33, § 63–65). P. Lacau meint, dass ḏnn.t und ḏꜣḏꜣ auf die gleiche Wurzel ḏꜣ zurückgehen (Lacau, Noms des parties du corps, 33, § 68). In den Fällen, in denen ḏnn.t mit ḏꜣḏꜣ alterniert, kann ḏꜣḏꜣ als Oberbegriff den knöchernen Schädel mit einschließen bzw. spezifisch auf den knöchernen Schädel referieren (Grapow, Anatomie, 24). Manche Autoren möchten ḏꜣḏꜣ jedoch (ausschließlich) auf den knöchernen Schädel beschränken. Für Weeks, Anatomical Knowledge, 17 bedeutet ḏꜣḏꜣ „the skull, i.e. (...) the cranium and mandible“, d.h. den Hirn- und Gesichtsschädel mit dem Unterkiefer, während ḏnn.t für ihn nur der Hirnschädel oder der Schädel ohne Unterkiefer ist. Singer, My Skull Has Not Been Crushed, 17 versteht ḏꜣḏꜣ ähnlich als cranium „expressly including the face and mandible if necessary (...), and excluding the flesh unless it is without hair“ (S. 21–32, hier S. 32), während ḏnn.t das calvarium ist (Singer meint mit calvarium den knöchernen Schädel ohne den Gesichtsbereich, d.h. den Hirnschädel [S. 17 und 33–41]). Walker, Anatomical Terminology, 279 weicht von der Interpretation von Weeks (und Singer) ab, weil für ihn ḏꜣḏꜣ der Bereich des Kopfes mit Gehirn ist, der Gehirn umschließende Schädelknochen und Kopfhaut, aber ohne den Gesichtsbereich: „(the) vault of the head, calvarium. Includes the brain, braincase and scalp but does not include the face“; ḏnn.t ist für Walker „(the) braincase, cranium. Denotes only that part of the skull enclosing the brain. (...) it does not include the bones of the face“. Dieser Ausschluss des Gesichtsbereichs kann jedoch durch gewisse Textstellen zurückgewiesen werden (z.B. die Stirnverletzung in Fall 9). Außerdem ist der Terminus calvarium/calvaria schlecht/ungünstig gewählt, weil er sich (ausschließlich) auf das knöcherne Schädeldach bezieht und Gehirn und Kopfhaut nicht mit einbezieht (Der englische Begriff „cranial vault“ hat mehrere Bedeutungen: der Hirnschädel/Neurocranium; der Hohlraum im Neurocranium, die Schädelhöhle; die Schädeldecke/-dach/calvaria.).

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „er geht, indem er mit seinem Fuß lahmt/humpelt/schlurft“ angeht:
er (der Arzt oder das Wundenbuch) sagt15 über seine Gangart(?): „Sein Fuß ist träge/schwach (d.h. taub?)16.“
Er (d.h. der Fuß) macht das Gehen für ihn (den Patienten) nicht angenehm, so wie er (d.h. der Fuß) schlaff/kraftlos ist (oder: nachgibt?)17 und herabhängt/einknickt (?)18.
Seine Zehenspitzen (wörtl.: die Köpfe seiner Zehen) [4.15] sind zur Fußsohle / zum Fußgewölbe / zum Fußrist19 (?; wörtl.: Bauch seines Fußes) hin gekrümmt20,
wobei sie (d.h. die Zehenspitzen) gehen, indem sie den Boden suchen21.
Er (der Arzt oder das Wundenbuch) sagt dazu, dass er (der Patient) lahmt/humpelt/schlurft.

15 ḏd=f: Entweder spricht der Arzt, oder es wird aus der Sammelhandschrift bezüglich der Wunden (vgl. Kol. 2.17: ḏd.n ṯꜣw n jr.j n wbn.w=f) zitiert. Allen, Art of Medicine, 79 übersetzt ḏd=f r mit „it refers to“ und Bardinet, Papyrus médicaux, 500 mit „elle s’emploie pour parler de“. Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 87 und 88) transliteriert ḏd=f r, aber seine Übersetzung „say concerning him“ impliziert eine Interpretation als ḏd r=f (Imperativ). Das f sieht tatsächlich so aus, als ob es nachträglich hineingequetscht wurde, aber vergleiche die Position des f von ḏd=f in Kol. 4.18.
16 nni̯.t(j): Die Endung t des Stativs wurde nachträglich in rot hinzugefügt. Breasted, Surgical Papyrus, 211 übersetzt nni̯ wie ein Bewegungsverb „to move feebly, to drag sluggishly along“, aber die Bedeutung ist viel mehr „träge, schwach, inert sein, stagnieren (von Wasser)“ und nicht „(den Fuß) nachziehen“. Vielleicht ist hier das taub sein eines Körperglieds gemeint.
17 gnn: Verb mit den Bedeutungen „schwach, schlaff, kraftlos, träge, weich sein, nachgeben“ (vgl. koptisch ϭⲛⲟⲛ: „weich, zart, schwach, geschmeidig, nachgebend, zusammengesunken, glatt, sanft sein“). Die kontextuellen Übersetzungen sind unterschiedlich, je nachdem ob ṯbw.t mit „Fuß“ oder mit „Fußsohle“ wiedergegeben wird: feeble, schlapp, weich, faible, schlaff, weak.
18 pꜣḫd: Wird mit dem Mann, der kopfüber steht (Gardiner, Sign-List A29), oder mit dem umgekehrten Schiff (Sign-List P1A) determiniert. Bedeutet „umgekehrt sein, herabhängen (intrans.); niedergeworfen sein, sich niederwerfen (intrans.); niederwerfen (trans.)“ (vgl. koptisch ⲡⲱϩⲧ: „niederbeugen; sich beugen, sich ausstrecken, sich niederwerfen, fallen“). Die kontextuellen Übersetzungen sind: „turned over, tourné dans le mauvais sens, herabhängend, dangling, hanging down“. Für die Schreibung pḫd in Kol. 11.18 und den etymologischen Zusammenhang mit koptisch ⲡⲱϩⲧ, siehe Westendorf, Grammatik, 9, Anm. 2.
19 ẖ.t n.t ṯb.t: Meistens wird ṯb.t als Körperteil mit „Fußsohle“ übersetzt (Wb 5, 361–632; MedWb II, 966; Faulkner, CDME, 304; Lefebvre, Tableau des Parties du corps, 50, § 58; Lacau, Les noms des partes du corps, 135, § 362–365; Westendorf, Handbuch Medizin, 230; van der Molen, Hieroglyphic Dictionary, 754; Hannig, HWB, 1023–1024). Daraus entwickelte sich dann die Bedeutung „Sandale“; der Koptische Nachfahr von ṯb.t, ⲧⲟⲟⲩⲉ (S), bedeutet nur noch „Sandale“. Walker, Anatomical Terminology, 79–87 meint jedoch, dass ṯb.t (und das alte ṯb.w) nicht „Fußsohle“, sondern „Fuß“ bedeutet und ṯb.t: „Sandale“ ein anderes Wort ist (gefolgt von Nyord, Breathing Flesh, 285–287). Ein wichtiges Argument von Walker ist, dass sonst kein Wort für „Fuß“ im Ägyptischen existiert. Je nach angenommener Bedeutung von ṯb.t ändert sich die Interpretation von ẖ.t n.t ṯb.t als „Bauch der Fußsohle“ oder „Bauch des Fußes“. Für „Bauch der Fußsohle“ hat Breasted, 211 eine Deutung als „ball of the sole“, d.h. den Fußballen vorgeschlagen, denn für ihn kann „Bauch“ beim Fuß kaum etwas anderes als der Ballen sein. Westendorf, 1966, 44 übersetzt mit „Innenraum seiner Sohle“ und Bardinet, 500 hat „la voûte plantaire“, d.h. das Fußgewölbe oder die Fußwölbung. Bei Walkers Übersetzung „Bauch des Fußes“ wird seiner Meinung nach (S. 84) die Fußsohle gemeint sein. Dagegen übersetzt Allen mit „instep“, d.h. Spann oder Rist. Er versteht „Bauch“ also als den gewölbten Teil der Oberseite des Fußes zwischen den Zehen und dem Fußknöchel (gefolgt von Sanchez/Meltzer). Sanchez/Meltzer thematisieren dieses Symptom nicht weiter. Falls tatsächlich der Fußrist gemeint ist, könnte man eventuell an das Babinski-Zeichen denken (Information Frau Prof. Dr. O. Riha, 06.02.2015: „Bei Hirnläsionen gibt es einen pathologischen Reflex (Babinski-Zeichen). Als Reaktion auf Berührungsreize an der Fußsohle wird die Großzehe gestreckt (Dorsalextension in Richtung Fußrücken) und die anderen Zehen werden gebeugt (Plantarflexion in Richtung Fußsohle).“).
20 wꜥf: bedeutet „gekrümmt, umgebogen sein (intrans.); zusammenziehen, niederbiegen (trans.)“. Am Verb kann man nicht ableiten, ob die Zehen nach oben oder nach unten gekrümmt sind.
21 ḥꜣḥꜣ: Seltenes Verb, dessen genaue Bedeutung unbekannt ist. Wb 3, 32.10: „den Boden verlieren (beim unsicheren Gehen)“; Breasted, Surgical Papyrus, 211: „to go astray, wander, err“ und in unserem Zusammenhang wohl „to fumble“ (d.h. den Boden ertasten; ebenso Bardinet). Man nimmt an, dass ḥꜣḥꜣ das gleiche Verb wie ḥḥj: „suchen“ ist oder damit zusammenhängt. Es wird in MedWb II, 584 mit „suchen“ übersetzt und im Grundriß IV/2, 143, Anm. 13 erklärt als: „sie treten unsicher auf“ (vgl. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 46, Anm. 14: „ob unsicheres Auftreten gemeint ist?“; „suchen“ ebenfalls bei Ebbell, Brawanski, Allen). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 88 übersetzen „they go stumbling along the ground“.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „einer, den etwas, das von außen eingetreten ist, geschlagen hat, an/auf derjenigen Seite von ihm, die dieses jh-Leiden22 aufweist“ angeht:
das bedeutet: ein festes Pressen/Haften/Treffen23 durch etwas, das von außerhalb eingetreten ist, an/auf derjenigen Seite von ihm, die dieses jh-Leiden aufweist.24
(oder: das ist/bedeutet: etwas, das von außerhalb eingetreten ist, haftet fest an derjenigen Seite von ihm, die dieses jh-Leiden aufweist.)

22 jh: steht anstelle von sqr: „Schlagverletzung“ im Haupttext (ebenso in Fall 46, Kol. 13). Es kommt schon in den Sargtexten als Variante von ꜣh(.w) vor (van der Molen, 50; gegen Wb 1, 12, das jh erst als eine Graphie der 18. Dyn. für ꜣh angibt). Das Substantiv ꜣh.w wird in Wb 1, 12.4–5 mit „Körperliches Leiden, Schmerz“ und „Kummer, Traurigkeit“ übersetzt. Breasted, Surgical Papyrus, 135 fragt sich, ob das Wort in den medizinischen Texten spezifisch für „wound, injury, ailment“ steht, oder „pain, suffering“ im Allgemeinen bedeutet. Er entscheidet sich wegen der Belege in Papyrus Edwin Smith für das spezifische „injury“ und erwägt (S. 413–414) sogar „disease“, aber laut MedWb I, 97–98 ist es ein „allgemeiner Ausdruck für die verschiedensten Krankheitsarten“ und nicht auf Wunden oder Verletzungen beschränkt, weshalb dort mit „Leiden“ übersetzt wird. Die Übersetzungen entzweien sich entlang dieser beiden Meinungen: „injury“ (Breasted, Allen, Sanchez/Meltzer; Wilson, in: JNES 11, 1952, 79; Bardinet: „atteinte“; Ebbell: „Beschädigung“) und „Leiden“ (Grundriß der Medizin IV/1; Westendorf; Brawanski: „Krankheit“ in Kol. 4.16, aber „Leiden“ in Kol. 3.18), wobei je nach Zusammenhang auch anders übersetzt wird, z.B. „douleur“ (Bardinet, Papyrus médicaux, 498 für Kol. 3.18) oder „illness“ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 75 für Kol. 3.18).
23 mḏd: War zuerst in roter Tinte geschrieben und wurde schwarz überschrieben. Die Grundbedeutung von mḏd ist „einpassen (mit Feder und Nut), (fest) verfugen“. Es wird je nach Kontext mit „pressen, drücken; treffen; einschlagen; auferlegen“ übersetzt.
24 m gs=f ẖr.j jh pn: Laut Haupttext (Kol. 4.7–8) gehört dieser Satzteil nicht zum dämonischen Einfluß, denn bei der Beeinflussung durch etwas, das von außerhalb kommt, ist keine Verletzung an einer Seite vorhanden. Hier wird ein Fehler in der Textüberlieferung vorliegen.

(Glosse D:) Was (die Textstelle) „etwas, das von außen eingetreten ist“ angeht:
das ist der Hauch eines Gottes von draußen25 oder (der Hauch) eines Toten/Wiedergängers26;
fürwahr (?), etwas, das sich einen Zugang erzwungen hat (?; oder: etwas, das hineingelassen wurde), nicht etwas, das sein (d.h. des Patienten) Körper (selbst) erschaffen hat.

25 nṯr n.j rw.tj: Bardinet, in: ENiM 3, 2010, 65–66 fragt sich, ob statt „ein Gott von draußen“ ein spezifischer Gott „le dieu de l’étranger“ gemeint sein kann, der vom ägyptischen Arzt gegen Krankheiten des Chonsu zur Hilfe gerufen wurde, aber zugleich auch selber gefährlich werden konnte.
26 mwt: Breasted, 212–214 versteht mwt als „der Tod“, aber die späteren Bearbeiter haben als Komplement zu „ein Gott“ die Personenbezeichnung „ein Toter, Verstorbener“ angenommen. Ein gefährlicher, spukender Toter ist ein „Wiedergänger“.

(Glosse E:) Was (die Textstelle) „(als) einer, bei dem der (Gelenk?-)Kopf des ꜣmꜥ.t-Knochens seiner qꜥḥ-Schulter sich nicht gelöst hat, und als einer, dessen ꜥn.t-Finger (Daumen?) nicht in die Mitte seiner Hand gefallen ist“ angeht,
er (d.h. der Arzt oder das Wundenbuch) sagt (dazu):
das bedeutet, dass der (Gelenk?-)Kopf des ꜣmꜥ.t-Knochens seiner qꜥḥ-Schulter nicht gelöst wurde / sich nicht löst, und dass der ꜥn.t-Finger (Daumen?) nicht in die Mitte seiner Hand fällt.

Fall 9: Stirnverletzung

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde am Vorderteil/Anfang seines Gesichts (d.h. an der Stirn)1
– die Schale seines (Hirn-)Schädels ist zerbrochen/zersplittert.
(Untersuchung und Behandlung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer Wunde an der Vorderseite seines Gesichts (d.h. an der Stirn) untersuchst
– die Schale [4.20] seines ḏꜣḏꜣ-Kopfes ist zerbrochen/zersplittert –,
dann musst du folglich für ihn zubereiten: ein Straußenei2, zerrieben3 in/mit Fett/Öl.
(Es) werde in die Öffnung seiner Wunde gegeben.
Danach musst du folglich für ihn zubereiten: ein Straußenei, zerrieben und zu (einem) Pulver/Puder4 zubereitet.
Das ist ein Trockenmittel(?) der Wunde.5
Dann musst du folglich für ihn einen ḥꜣy.t-Verband6 von der Tasche(?)7 des Arztes auf sie (d.h. die Wunde) legen.
[5.1] Dann musst du sie (die Wunde) folglich am dritten Tag freilegen.
Du stellst fest, dass es (d.h. das Pulver?) die Schale (d.h. den schalenförmigen Schädelknochen) zusammenhält (wörtl.: zusammenknüpft), (indem/wobei) die Beschaffenheit (wörtl.: Farbe) wie (die eines) Straußeneis ist.
Was als Zauber(spruch) zu diesem Heilmittel gesagt wird:
„Der Feind, der in der Wunde ist, werde vertrieben!
Die Verschwörung(?)8, die im Blut ist, werde zum Erzittern9 gebracht!
Oh Räuber(?)10 des Horus, Schutz(?)11 gehört(?) zum Mund/Spruch12 der (Zauber-)Wirksamen13 (d.h. Isis).
(oder: Der Verschwörer (?) (gegen?) Horus ⟨von⟩ jeglicher (?) Seite werde dem Spruch der (Zauber-)Wirksamen (d.h. Isis) übergeben.)
Nicht wird diese Schläfe14 zusammenbrechen(?)15;
Nicht hat/ist ein mt-Gefäß/Strang16 dort ge-...(?)17.
(Denn) ich bin im Schutz der (Zauber-)Wirksamen (d.h. Isis);
Der Sohn des Osiris wird gerettet.“
Danach musst du folglich für ihn eine Abkühlung ⟨zubereiten⟩: jšd.t-Früchte18 des Feigen(baums), Öl/Fett, Honig.
(Es) werde gekocht, (es) werde abgekühlt, (es) werde ihm (dem Patienten) gegeben.

1 ḥꜣ.t ḥr: „Vorderteil des Gesichts“ ist entweder ein direkter Genitiv oder ein Kompositum (ohne Determinativ geschrieben). MedWb II, 576 listet dies innerhalb des Lemmas ḥꜣ.t als Kompositum mit einem Bindestrich ḥꜣ.t-ḥr: „Stirn; Vorderschädel“ auf (in den medizinischen Texten kommt es in pEdwin Smith für diesen Fall 9 vor [Kol. 4.19 und 5.5] sowie in pRamesseum III, A12; vgl. die gängige Verbindung von wbn.w m + Körperteil in MedWb I, 172). Als Kompositum findet man es ebenfalls bei Hannig, HWB, 538 und bei Westendorf, Handbuch Medizin, 144. Auch Walker, Anatomical Terminology, 272 führt ḥꜣ.t ḥr (ohne Bindestrich) als separates Körperteil: „forehead“ auf. Anstelle von ḥꜣ.t ḥr wird in pEbers dḥn.t für die „Stirn“ verwendet und in noch anderen Texten ist es bloß ḥꜣ.t (vgl. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 13, § 12). Nur Bardinet bleibt bei einer wörtlichen Übersetzung „la partie (la plus) en avant de la face“ (Genitiv) statt des üblichen französischen Wortes „le front“. Die Etymologie von ḥꜣ.t ḥr wird im Englischen mit „forehead“ und im Niederländischen mit „voorhoofd“ gut getroffen (gleiches Benennungsmotiv), im Deutschen müsste man sich mit „Vorderkopf“ oder „Vorderhaupt“ begnügen, was nicht wirklich lexikalisiert ist und nicht ausschließlich die Stirn bezeichnet. Allerdings betreffen die Wortbildungen in den europäischen Sprachen den Kopf und nicht das Gesicht, wie im Ägyptischen. Statt „Vordergesicht“ oder „Vorderseite des Gesichts“ ist „Gesichtsanfang“ eine verständlichere wörtliche Übersetzung.
2 swḥ.t n.t njw: Gleich im Anschluß kommt das gleiche Produkt nochmals vor. Laut manchen Autoren wird hier zuerst der Inhalt des Eis in Öl/Fett zu einer Salbe zerrieben, danach die Eierschale ebenfalls zerrieben und zu einem Pulver verarbeitet (explizit Grundriss IV/2, 143, Anm. 2; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 48, Anm. 2; Westendorf, Erwachen der Heilkunst, 21; Westendorf, Handbuch Medizin, 720, Anm. 29). Andere Autoren vermuten jedoch, dass nur die Eierschale verwendet wurde (Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 31; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 99–100 erwähnen ausschließlich die Eierschale). Es gibt zwei Interpretationen für die Verwendung von Straußeneierschalen. Die eine geht davon aus, dass ein Fall von sympathethischer Magie (Analogiezauber nach dem Prinzip similia similibus) vorliegt: da die Straußeneierschale ziemlich dick, hart und stabil ist und einigermaßen der Wölbung des Schädels ähnelt, kann dieses Produkt bei der Behandlung einer Knochenverletzung an der Stirn heilend wirken bzw. den verletzten, schalenförmigen Knochen des Schädels ersetzen. Die Verwendung eines Zauberspruchs im zweiten Teil des Falles legt diese magisch-medizinische Interpretation nahe. Die andere Auslegung besagt, dass Eierschalenpulver tatsächlich medizinisch sinnvoll eingesetzt werden kann, weil es Calciumcarbonat (Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 31: „kohlensaurer Kalk“) enthält, das eine austrocknende Wirkung hat (so Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 31). Laut Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 99–101 könnte die Masse von Eierschalenpulver und Fett/Öl vermutlich die Trocknung der Wunde durch Stillung der Knochenblutung fördern (Sanchez nimmt an, dass eine Knochen-Hämostase der Diploe vorliegt und die Pulvermasse die Blutgefäße abdichtet) und möglicherweise als kosmetischer Knochenersatz dienen.
3 nḏ: „(Getreide) mahlen (auf dem Mühlstein); Drogen zerreiben“. Laut MedWb I, 496, § 4 ist es „offenbar“ eine Verkürzung von nḏ.tj ⟨rḏi̯.tj⟩ ḥr mrḥ.t: „zerrieben und zu Fett/Öl ⟨gegeben⟩“.
4 tmt.w: Wb 5, 309.4–5: kommt anscheinend nur in medizinischen Texten vor. Es wird von Wb und MedWb II, 955–956 als „Pulver, Puder“ bzw. „Puder“ übersetzt (gefolgt von Westendorf, Allen, Brawanski, Sanchez/Meltzer). Der Unterschied zwischen Puder und Pulver liegt entweder in der Größe der Teilchen (Puder ist feiner als Pulver: die Korn- oder Partikelgröße ist nicht mehr mit dem bloßen Auge zu messen) oder in der Anwendung (Puder ist zur äußeren Anwendung, Pulver zur inneren). Die Übersetzung von tmt.w in Wb und MedWb als Puder oder Pulver beruht wohl auf der Herstellungsmethode durch zerreiben (nḏ) und auf dem Anwendungsziel der Wundtrocknung im pEdwin Smith. Breasted, Surgical Papyrus, 220–221 ging noch von einer Bedeutung „poultice“, d.h. „Breipackung, Breiumschlag, Wickel“ aus, jedenfalls etwas zur äußeren Anwendung. Er lehnte die ältere Übersetzung „boluses“, d.h. „der Bolus; große, weiche Pille“ ab, weil ein tmt.w nicht zum Schlucken gedacht war. Bardinet übernimmt mit „cataplasme“ die Übersetzung von Breasted.
5 sš{t}⟨r⟩.w: Das Wort ist falsch geschrieben und ein Determinativ fehlt. Gemeint ist ein Wort, das entweder von der Wurzel s:(w)šr: „trocknen, dörren“ oder der Wurzel s:šwi̯: „trocknen“ (normalerweise mit der šw-Feder geschrieben) abgeleitet ist. In pEbers ist das Trocknen der Wunde als sšwi̯.t wbn.w belegt (siehe MedWb II, 799), aber in pEdwin Smith 14.4–5 (Fall 41) steht eindeutig sšr.t wbn.w. Deswegen ist mit Breasted, Surgical Papyrus, 221–222 und MedWb II, 734 auch an dieser Stelle vom Verb s(w)šr auszugehen, zumal man für sšwi̯ eine Graphie mit der šw-Feder erwartet. Trotzdem entscheiden sich Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 97 für sšwi̯ „because it seems to be the simpler error and entails the least elaborate presumption of what was omitted“. Das Wort ist Teil eines pw-Satzes und muss deshalb ein Substantiv oder eine nominale Verbalform sein. Die Möglichkeiten sind ein Substantiv sš{t}⟨r⟩.w (so MedWb II, 734: „Trocknung; Trockenmittel“; Westendorf, Brawanski), ein Infinitiv sš⟨r⟩.t{w} (so Breasted, gefolgt von Bardinet), ein sḏm.tw=f Passiv sš⟨r⟩.tw und ein Partizip Aktiv (so Allen) Maskulin sšr.w oder Feminin sšr.t: „etwas, das trocknen läßt“. Die Übersetzungen sind dann: „Das bedeutet eine Trocknung der Wunde“ bzw. „Das ist ein Trockenmittel der Wunde“; „Das bedeutet ein Trocknen der Wunde“; „Das bedeutet, daß die Wunde getrocknet wird“; „Das ist etwas, das die Wunde trocknen läßt“. Breasted hat nicht erkannt, dass ein pw-Satz vorliegt; seine Übersetzung, der von Bardinet gefolgt wird, erfordert eine weitere Emendation: tmt.w ⟨n.w⟩ sšr.t wbn.w pw: „pultices for drying up that wound“. Die grammatische Erklärung von Sanchez/Meltzer als nominales sḏm.tw=f (von sšwi̯) ist theoretisch möglich, aber die Übersetzung „That is how the wound is dried“ ist zu frei.
6 ḥꜣy.t: Wb 3, 14.8: „in der Verbindung: ḥꜣ.yt n.t ẖn zwn.w als Wundverband“. Die Bedeutung leitet sich aus der Glosse (Kol. 5.4–5) ab, in der das Wort sšd: „Binde“ als Erklärung geboten wird (Breasted, Surgical Papyrus, 222; MedWb II, 582). Deshalb kann das Wort nicht mit der Wurzel ḥꜣi̯: „nackt sein“ zusammenhängen, sondern mit ḥꜣ(y)t: „eine Art Schurz“, ḥꜣ.tj: „Hülle, Umhang“ und ḥꜣ.tjw: „feines Leinen“.
7 ẖn: Ist nur in diesem Text belegt und wird von Wb 3, 368.11: „als Art Verbandstoff“ aufgefasst. Breasted, Surgical Papyrus, 222 verweist zuerst auf Wörter wie ẖn.t: „Tierhaut; Schlauch“, ẖn: „Art Sack“ und ẖn: „Zelt“, aber die passen nicht zum Determinativ der Buchrolle. Auch erwartet er keinen ledernen Gegenstand, wenn es mit einem Wundverband zusammenhängt (Breasted, Surgical Papyrus, 224). Deshalb greift er einen Vorschlag von Sethe auf, dass es ein Substantiv ist, abgeleitet vom Verb ẖn: „to approach, to near“ („(sich) nähern“), daher „nearness, approach, association, use“, was ihn zu ẖn zwn.w: „(for) physician’s use“ führt. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 31 vermutet, dass ẖn „eine dünne Haut gewesen“ sein kann, „die auf eine eigene Weise zubereitet war, und die der Arzt als Bedeckung über die Wunde benutzte, und dann wahrscheinlich so, wie man heutzutage Guttaperchapapier gebraucht“. MedWb II, 683–684 kehrt zu den Wörtern für Tierhaut, Schlauch, Sack und einen weiteren Behälter zurück und fragt sich, ob es sich um eine Art „Bereitschaftstasche“, ein „Besteck (des Arztes)“ handeln könnte. Diese Hypothese wird von allen neueren Übersetzungen übernommen. Brawanski, in: SAK 35, 2006, 45, Anm. 3 und 60, Abb. 3 verweist auf ein koptisches Holzköfferchen mit zahlreichen Kompartimenten, das von Daressy, in: ASAE 10, 1909, 254–257 veröffentlicht und für einen Ärztekoffer gehalten wurde. Westendorf, Erwachen der Heilkunst, 74 und Abb. 12 hält einen Kasten mit einem Sack darin, in einer Szene mit einer augenärztlichen Behandlung im Grab des Ipi, für eine Bereitschaftstasche („ein Kasten mit Schriftrollen und Medikamenten“). R.-A. Jean, La chirurgie en Égypte ancienne, Paris 2012, 124, Fig. 310.a–c zeigt drei gemalte Kästen im Grab des Hesire, die er für Kästen mit medizinischen Gerätschaften hält (aus: Quibell, Excavations at Saqqara, 1911–1912, V. The Tomb of Hesy, Le Caire 1913, 21 (Nr. 12 = Fig. 4 und Taf. 16), 33 (Nr. 65 = Fig. 14 und Taf. 21), 34 (Nr. 67 = Fig. 15 und Taf. 21)); vgl. auch S.K. Kolta und D. Schwarzmann-Schafhauser, Medizinische Kästchen aus dem Land Ägypten, in: JCoptS 5, 2003, 107–114 und Taf. 20–25.
8 wꜣ.t: Das Wort wird mit dem Weg-Zeichen(?) als Phonogramm und einem unklaren Determinativ und Pluralstrichen geschrieben. Angesichts des Parallelismus mit ḫft.j: „Feind“ wird es etwas negatives bedeuten. Breasted, Surgical Papyrus, 223 entscheidet sich für eine Lektüre wꜣ.t und verweist auf das Epitheton šw m wꜣ.t: „frei von ...“. Zu diesem wꜣ.t in šw m wꜣ.t gibt Wb 1, 244.14 keine Übersetzung, aber verweist auf das Verb wꜣ: „sich schlechte Gedanken machen, Böses planen, schlechte Gedanken hegen gegen“. Deshalb wird es in der neueren Literatur als „frei von Verschwörung“ übersetzt (Janssen, TEA I, 165, Nr. VI.J.6 und II, 205: ohne Übersetzung; Doxey, Egyptian Non-Royal Epithets, 383: „free from conspiracy“; vgl. ḏw.t wꜣ.t als Adjektiv mit dem schlagenden Mann als Determinativ in Exekrationstexten von Mirgissa: Koenig, in: RdE 41, 1990, 119, Zl. 19: „tout mauvais complot“). Hannig, HWB, 182, listet wꜣ.t als „e. Böses, Schlechtes“ (= Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II/1, 587, {6385}).). Andere negative Begriffe sind wꜣy: „ein Krankheitsdämon“ (Wb 1, 249.2), wꜣw.tj: „Verschwörer“ (Wb 1, 245.2) und eventuell wꜣ: „Fluch, Verderben“ (Wb 1, 246.14–16). Unsere Textstelle wird mit „evil(?)“ (Breasted), „Übel(?)“ (Ebbell), das „Böse(?)“ (Grundriss IV/1, Westendorf, Brawanski), „le mauvais“ (Bardinet), „conspiracy“ (Allen) und „hostile force“ (Sanchez/Meltzer) übersetzt, wobei das Fragezeichen nach und nach wegfällt. In MedWb I, 161 steht „[Böses? Schlechtes?]“.
9 snwr „erbeben lassen“. Das Verb ist in pEdwin Smith Kol. 5.2 (Fall 9) und in CT I, 104.b und 120.f belegt. Wb 4, 157. 9 übersetzt mit „entfernen, vertreiben“ (ebenso Ebbell), wohl wegen des Parallelismus mit dr im vorherigen Satz, berücksichtigt dabei aber nicht, dass es eine Kausativform von nwr: „beben“ ist. Auch Breasted, 223, der auf nwr hinweist, übersetzt mit „to cast out“. Erst MedWb II, 757 hat „zittern lassen“, ebenso Faulkner, CDME, 231: „make to tremble“ (gefolgt von Hannig, HWB, 776; van der Molen, Hieroglyphic Dictionary, 507).
10 ꜥw⟨ꜣ⟩.tjw (?): Das Wort wird von Breasted, Surgical Papyrus, 520 als ꜥw⟨ꜣ⟩.tjw: „adversary“ gelesen, was dann eine verkürzte(?) Schreibung mit fehlendem Determinativ impliziert (ebenso MedWb I, 136: „Räuber; Feind“). Das Wort fehlt im Wb und bei Faulkner, CDME. Die Schreibung bei Hannig, HWB, 145 s.v. ꜥwꜣtj {4925} lässt auf unsere Textstelle als Quelle schließen. Westendorf, Grammatik, 107, § 155.aa (mit Anm. 3) erklärt die Wortbildung als eine Nisbe-Ableitung vom Substantiv oder eventuell vom Infinitiv. Obwohl die Schreibung deutlich mit dem tjw-Vogel ist, gibt Meltzer (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 98) das Lemma als ꜥwꜣ(.y) an. Der ꜥwꜣ.y ist tatsächlich eine Bezeichnung für bzw. der Name eines feindlichen Wesens, eines Dämons (siehe LGG II, 78–79). Unklar ist, ob ꜥwꜣ.tj Ḥr eine Apposition zu wꜣ.t (so in den Übersetzungen von Westendorf und Sanchez & Meltzer) oder ein neues Element in einer Vokativ-Konstruktion ist. Eine ganz andere Interpretation liegt bei Allen, Art of Medicine, 80 vor. Er übersetzt mit „the vulture of every side has been given to the mouth of the effective goddess“, d.h. er liest ḏi̯.w ꜣ?/tjw? n.j gs nb. Die Deutung als „Geier“ ist jedoch problematisch, denn das Wort wäre mit dem hieratischen tjw-Bussard und nicht dem Aleph-Geier geschrieben (ein Wort tw/tjw als Vogelbezeichnung ist bislang nicht belegt) und der Falke + Gottesdeterminativ wären unübliche Determinative für einen Geier (Allen erkennt in Falke und Gottesdeterminativ nicht den Gottesnamen „Horus“). Mathieu, in: Gasse/Servajean/Thiers (Hgg.), Et in Aegypto et ad Aegyptum. Recueil d’études dédiées à Jean-Claude Grenier, CENiM 5, Montpellier 2012, Bd. III, 502 orientiert sich teilweise an Allen und transkribiert d(=w) wꜣtj Ḥr (m) gs nb n r(ʾ) n(y) ꜣḫ.t: „livré le conspirateur d’Horus, d’où qu’il vienne, à la bouche de la Glorieuse (Isis)“. Dabei erkennt er in dem Arm (Gardiner A36) das Verb rḏi̯ oder wdi̯ und verbindet die w-Schlaufe (Gardiner Z7) mit dem tjw-Vogel zu w⟨ꜣ⟩.tj, was sehr zweifelhaft ist (wꜣ.tj erscheint vielleicht schon in CT I, 46e und nicht erst in gr.-röm Texten, wie bei Wb 1, 245.2 angegeben.). Westendorf (Papyrus Edwin Smith; Erwachen der Heilkunst; Handbuch Medizin) fasst ꜥwꜣ.tj Ḥr als Apposition zu wꜣ.t jm.jt snf auf: „das Böse, das im Blute ist, der Feind des Horus“ (gefolgt von Sanchez/Meltzer).
11 gs-dp.t (?): Das zweite Zeichen ist unsicher. Breasted, Surgical Papyrus, 223 liest gs nb: „jede Seite“ mit Fragezeichen und übersetzt „the adversary of Horus, on every side of“ (mit halben eckigen Klammern für den fraglichen Charakter der Übersetzung), wozu allerdings eine Präposition fehlt (gefolgt von Bardinet). Allen, Art of Medicine, 80 übernimmt die Lesung nb und vermeidet das Problem der Präposition durch einen direkten Genitiv: „the vulture of every side has been given to“. Mathieu, in: Gasse/Servajean/Thiers (Hgg.), Et in Aegypto et ad Aegyptum. Recueil d’études dédiées à Jean-Claude Grenier, CENiM 5, Montpellier 2012, Bd. III, 502 ergänzt die Präposition (m) gs dp und versteht diese Aussage als „(von) jeder Seite“ > „d’où qu’il vienne“. Grapow (bei Breasted, Surgical Papyrus, 223) schlägt eine Lesung dp.t in gs-dp.t vor, aber kann keine Übersetzung bieten. Erst Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 47 übersetzt mit „Schutz“. Das Wort gs-dp.t mit der Bedeutung „Schutz“ kommt laut Wb 5 erst in der griechisch-römischen Zeit vor, aber ein Titel zẖꜣ.w gs-dp.t: „Schreiber der ‚Bordwache‘ / des Schutzes“ ist schon im Alten Reich belegt (Hannig, Ägyptisches Wörterbuch I, 1377–1378 {47135}; Jones, Index, II, 877–878, Nr. 3212). Die Übersetzung „Ein Schutz ist der Zauberspruch“ durch Westendorf setzt voraus, dass n als m-Identicum verstanden oder dass n im Sinne von „gehört zu“ verwendet wird. In der Übersetzung von Sanchez/Meltzer scheint „The protection of the utterance of The Beneficial/Effective Goddess (Isis):“ (mit n des Genitivs, statt des erforderlichen n.t) eine Überschrift zu den folgenden Sätzen zu sein.
12 : Das Wort „Mund“ wird entweder wörtlich genommen (Breasted, Bardinet, Allen) oder mit der ebenfalls gängigen, übertragenen Bedeutung „Spruch, Äußerung“ verwendet (Westendorf, Brawanski, Sanchez & Meltzer).
13 ꜣḫ.t: Abgeleitet von der Wurzel ꜣḫ: „wirksam sein“, ist es ein Epitheton der Göttin Isis als Göttin mit effektiver oder wirksamer Zaubermacht.
14 mꜣꜥ: Ist eine gängige Bezeichnung für die Schläfe, auch in medizinischen Texten, z.B. in pEbers. Für die Kombination von Jochbein und Schläfenbein verwendet pEdwin Smith den Terminus gmꜣ. Breasted, Surgical Papyrus, 223 fragt sich, ob die Identifikation der Stirn mit der Schläfe in diesem Zauberspruch sich dadurch erklären könnte, dass der Tote auf der Seite, d.h. der Schläfe bestattet wird. Westendorf, Grammatik, 68, Anm. 1 vermutet eine Auslassung des Suffixes: mꜣꜥ=(j) pn: „diese meine Schläfe“, was bedeuten würde, dass der Arzt, der den Zauberspruch benutzt, sich mit dem Patienten identifiziert.
15 zbn: bedeutet laut Wb 3, 433.7–16 etwa „gleiten, straucheln, zu Fall kommen“ (intransitiv) und „umstürzen, falsch steuern“ (transitiv). Welche übetragene Bedeutung für die Schläfe zutrifft, ist unklar: „to fall down“ (Breasted), „in Gefahr kommen“ (Grundriss IV/1, 180; MedWb II, 736; Westendorf), „s’effondrer“ (Bardinet), „to deteriorate“ (Allen), „to collapse“ (Sanchez & Meltzer).
16 mt: Bezeichnet jede Art von Hohlgefäß (Vene, Darm, Röhre) für Blut, Luft, Wasser, Urin, Samenflüssigkeit, Kot sowie jede Art von Strang im Körper (Muskel, Sehne, Ligament/Band, Nerv). Brawanski, in SAK 35, 2006, 45, Anm. 7 vermutet, dass in Fall 9 konkret die Arteria temporalis superficialis gemeint sein könnte. Allen, Art of Medicine, 80 übersetzt hingegen mit dem Substantiv „poison“, was eine Emendation zu mt⟨w.t⟩ voraussetzt.
17 npw: Unbekanntes Wort, dass mit dem Krokodil determiniert wird. Es wird teils als Substantiv, teils als Verb aufgefasst. Breasted, Surgical Papyrus, 223 vergleicht mit dem Wort dp.w: „Krokodil“ und meint, dass das Wort „here means something hostile to the patient“. Er verweist des Weiteren auf ein Wort np, dass eine schmähende Bezeichnung für Apophis ist (vgl. Wb 2, 247.11: „Darm“; vgl. LGG IV, 201–202: „Nabelschnur(?)“ und vgl. älteres npꜣ: Wb 2, 247.12: „Darm o.ä.“ bzw. Faulkner, Ancient Egyptian Coffin Texts I, 251, Anm. 4: „Nabelschnur“). Er übersetzt unsere Textstelle mit „There is no enemy ...“ (ebenso Bardinet), während Allen, Art of Medicine, 80 „There is no crocodile ...“ hat. Aus Allens Übersetzung geht nicht hervor, ob er ein Wort npw: „Krokodil“ ansetzt, oder zu dp.w: „Krokodil“ emendiert. Die Übersetzung setzt voraus, dass eine altägyptische Negativkonstruktion für den Adverbialsatz vorliegt, denn mittelägyptisch wäre n⟨n⟩ erforderlich.
Wegen des vorangehenden Verbs zbn denken die Autoren des Grundrisses bei npw eher an ein Verb (MedWb I, 457), für das auch schon Wb 2, 248.9: „Verbum: krankhafter Zustand eines Gefässes“ angibt. Die genaue Bedeutung ist unbekannt; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 47 übersetzt „Schaden nehmen(?)“, Brawanski, in: SAK 35, 2006, 44: „beeinträchtigt(?) werden“ und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 96: „to sicken(?)“.
18 jšd.t: Laut DrogWb 66–67 eine allgemeine Bezeichnung für „Frucht“, die mit einer anschließenden Baumbezeichnung kombiniert wird. Da das Wort sehr verkürzt geschrieben ist, hat Breasted, Surgical Papyrus, 223 jšd.t nicht erkannt und mit dem nötigen Zögern ein Wort mḏ.t gelesen (vgl. die Schreibung des hieratischen Zeichens in Kol. 5.4: jšd.t und in Kol. 4.16: mḏd), das sonst unbekannt ist und für das er eine Bedeutung „compress“, d.h. „Kompresse, Umschlag, Wickel“ ansetzt, abgeleitet von der Wurzel mḏd: „pressen, drücken“. Breasteds Übersetzung wird mit einem Fragezeichen durch Ebbell übernommen, später auch durch Bardinet und Sanchez/Meltzer (beide ohne Fragezeichen).

(Glosse A:) Was (die Textpassage) „ein ḥꜣy.t-Verband von der Tasche(?) des Arztes“ angeht:
[5.5] das ist die sšd-Binde, die in der Obhut19 dieses Bandagierers/Verbinders (oder: Balsamierers/Mumifizierers?)20 ist und die er (der Bandagierer oder der Arzt?) auf/über dieses (besagte) Heilmittel legt, welches auf dieser (besagten) Wunde ist, die an seiner Stirn ist.

19 ẖr ꜥ (n.j): Etymologisch ist mit „unter der Hand des“ zu übersetzen, aber es ist schon im Alten Reich zu einer zusammengesetzten Präposition geworden und bedeutet „unter der Aufsicht/Leitung von“ und „im Besitz von“ (Edel, Altäg. Gramm., § 775: „unter der Aufsicht, im Besitze von“; Gardiner, EG, § 178: „under the hand of, in the charge of“; siehe auch Edel, in: ZÄS 83, 1958, 15–17). Es stellt sich die Frage, ob gemeint ist, dass der wt die Kontrolle über diese Binden hat, oder ob sie ihm „zur Verfügung“ (so Westendorf, Bardinet) stehen und von ihm „verwendet“ (so Grundriss IV/1, Allen) werden.
Daneben gibt es zwei Substantive ẖr.t-ꜥ: „Behälter für Schreibzeug und Akten“ und ẖr-ꜥ: „Tasche mit Instrumenten o.ä.“, die anscheinend von Brawanski in seiner Übersetzung aufgegriffen werden: „das ist eine Binde aus der Tasche dieses Verbinders“. Dazu ist jedoch eine Emendation der Präposition m erforderlich: wnn ⟨m⟩ ẖr-ꜥ.
20 wt: Der wt ist eine Person, die an zwei Stellen im pEdwin Smith in ärztlichem Zusammenhang vorkommt. Das Wort ist ein Substantiv, abgeleitet von der Wurzel wt: „verbinden, einwickeln“ und vor allem bekannt als Bezeichnung des Balsamierers, der den Leichnam einwickelt. H. Grapow, Kranker, Krankheiten und Arzt, 94–95 äußert sich nicht dazu, ob im pEdwin Smith ein Balsamierer gemeint ist. Breasted, Surgical Papyrus, 224 übersetzt wt mit „embalmer“ (ebenso Bardinet) und geht davon aus, dass der Arzt seine Bandagen vom Mumifizierer bezog, der zugleich Bandagist oder Bindenhersteller war, dass es also Arbeitsbeziehungen zwischen Arzt und Balsamierer/Mumifizierer gab (vgl. Brawanski, in: SAK 35, 2006, 46). Für Westendorf, Grammatik, 61, Anm. 4 ist der wt-Verbinder als Wundarzt tätig und ist pꜣ wt in pEdwin Smith 5.5 eine andere Bezeichnung für zwn.w. Die übrigen Bearbeiter wählen den neutraleren „Verbinder“ oder „Bandagierer“ und lassen offen, ob der wt eine spezielle Kategorie von Arzt oder Arzthelfer ist (vgl. Westendorf, Erwachen der Heilkunst, 16, der „über die Geräte (des Arztes)“ und dann über „die Hilfsmittel des Verbinders“ spricht). Das Substantiv ist mit dem Demonstrativpronomen pꜣ versehen. Es ist unklar, wie dieses genau zu interpretieren ist. Es wird als ein Indiz einer jüngeren Sprachstufe aufgefasst, d.h. fast wie ein Definitartikel, zu dem pꜣ später tatsächlich wird. Zur Zeit des pEdwin Smith hat es jedoch noch deiktische Funktion. Allerdings ist die Frage, worauf pꜣ dann verweist. Kann es sich auf zwn.w in ẖn zwn.w beziehen und ist wt dann vielleicht ein Synonym, eine andere Bezeichnung für zwn.w? Die zweite Textstelle im pEdwin Smith spricht von einer „Sammelhandschrift über das Zubehör des Bandagierers“ (ṯꜣw n.j jr.j n.j wt), was ebenfalls auf eine heilerische Funktion des wt hinweist. Für mögliche Kontakte zwischen Ärzten und Balsamierern siehe Nunn, Egyptian Medicine, 43–44, der auch die beiden Stellen von pEdwin Smith anführt, sowie P. Ghalioungui, The Physicians of Pharaonic Egypt (SDAIK 10), Mainz 1983, 6–8.

Fall 10: Augenbrauenverletzung

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde an der Spitze seiner Augenbraue1.2
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) untersuchst mit einer Wunde an der Spitze seiner Augenbraue, die bis zum Knochen reicht, dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Ihre Klaffung (d.h. die der Wunde) werde für ihn (den Patienten) durch Nähen/Näharbeit (oder: mit einem Faden?)3 zusammengefasst4.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn (d.h. den Patienten):
„⟨Einer mit⟩ einer Wunde in seiner Augenbraue:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Nachdem du sie (die Wunde) genäht hast, ⟨musst du sie folglich⟩ am ersten Tag mit frischem Fleisch5 ⟨verbinden⟩.
Falls du diese/besagte Wunde vorfindest, indem ihre Naht sich lockert / gelöst6 hat,
dann musst du (sie) folglich für ihn (d.h. den Patienten) mit einem ꜣ.wj-Doppelverband/Kreuzverband (?) zusammenfassen.
Du sollst ihn täglich mit Öl/Fett und Honig versorgen/pflegen, bis/so dass er sich (wieder) wohlfühlt.

1 jnḥ: Die Identifikation von jnḥ als Augenbraue ist sicher. Die Argumente dafür sind die koptische Entsprechung ⲉⲛϩ (S): „Augenbraue“, das Determinativ des kurvigen Augenbrauenstrichs (doppelt) bzw. der Haarsträhne (doppelt), die Ableitung von der Wurzel jnḥ: „umgeben“ (Lacau, Les noms des parties du corps, 48, § 105; Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte, 44) sowie der textliche Zusammenhang, darunter die Position der Uräusschlange zwischen den beiden jnḥ. (Grapow, Anatomie, 33; Lefebvre, Tableau des parties du corps, 18, § 18).
2 m tp n.j: Bedeutet wörtlich „am Kopf von“ oder „im Kopf von“. Das Problem ist, was mit dem „Kopf der Augenbraue“ gemeint ist. Ist es der Anfang der Augenbraue (am Nasenansatz oder – wohl eher nicht – am gegenüberliegenden Ende); ist es die Mitte der Wölbung, der obere Rand der Wölbung oder ist es oberhalb der Wölbung (vgl. Grapow, Anatomie, 33)? In Zl. 5.7 steht statt m tp n.j nur m, was „in der Augenbraue“ bedeutet. In pAnastasi III, 5.7–8 wird ein Schlag auf (ḥr) den Augenbrauen erteilt: sḫ.t ... ḥr jnḥ.wj=f: „ein Schlag auf/über seinen beiden Augenbrauen“. Breasted, Surgical Papyrus, 225 entscheidet sich schließlich für „in the top of“, „over the eyebrow“, er möchte die anderen Möglichkeiten jedoch nicht endgültig ausschließen (vgl. Bardinet, Papyrus médicaux, 501: „au sommet du sourcil“). Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 185 hat „au-dessus de“, was „oberhalb“ wäre. Grundriss IV/1 und Westendorf legen sich nicht fest, aber Allens Übersetzung „in the tip of his eyebrow“ würde für Anfang/Ende sprechen, wie auch Stephan, Altägyptische Medizin, 106 es über das „Ende einer Augenbraue“ hat. Brawanski, in: SAK 35, 2006, 47 mit Anm. 1 geht von einer Bedeutung von tp als „höchster Punkt, höchster Bereich“ aus und erkennt in tp n jnḥ die „Vorwölbung des (sic!) Augenbraue“, den „Augenbrauenwulst“ (d.h. arcus superciliaris). Für Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 105 geht es um eine Wunde am Augenhöhlenrand in Höhe der Augenbraue: „injury at the orbital rim/eyebrow level“.
3 jdr/jd⟨r⟩: Kommt fast nur in pEdwin Smith vor und wird teils mit einem Rinderohr (Lesung jd; phonetisches Determinativ), teils mit einem Verband(?), einer Bandage(?) (Hieroglyphe Gardiner Sign-list V37; Identifikation des Zeichens unsicher) geschrieben. Die Wurzel findet sich sowohl in einem Verb jd(r) als auch in einem Substantiv (jdr/jd). Der Kontext betrifft Wunden (wbn.w) mit offenen Wundrändern (kf.t), die mittels jdr „gepackt“ (nḏri̯), d.h. „zusammengefasst“ oder „festgemacht“ werden, aber der jdr kann sich wieder lösen oder lockern (wnḫ). Substantiv und Verb wurden zuerst von Wb 1, 154.17–18 mit „Verband einer Wunde“ (Subst.) bzw. „eine Wunde verbinden“ (Verb) übersetzt (gefolgt von Gardiner, EG, 527, Sign-List V37; vgl. ebenso Gardiner, AEO II, 260*, wo er jedoch auch die abweichende Meinung von Breasted auflistet), was von Breasted, Surgical Papyrus, 227–231 und 232–233 in einer langen Diskussion abgelehnt wird. Die Übersetzung „eine Wunde verbinden“ geht vor allem auf die Textstelle Kol. 5.7 jr m-ḫt jd(r)=k sw ḥr jwf wꜣḏ: „danach wirst du ihn mit frischem Fleisch ‚verbinden‘“ zurück, die ein Fehler für jr m-ḫt jd(r)=k sw ⟨wt.ḫr=k sw⟩ ḥr jwf wꜣḏ: „Nachdem du ihn ... hast, musst du ihn mit frischem Fleisch bandagieren“ ist (vgl. den gleichen Satz in Fall 26, Kol. 9.10 mit wd.ḫr=k sw). Laut Breasted impliziert das Zusammennehmen der Wundränder, auch an Stellen, wo ein Verband dieses nicht bewirken kann, dass sie genäht werden. Für ihn bedeutet das Verb jdr deshalb „(chirurgisch) nähen“ („to stitch, to sew“). Er versteht das zugehörige Substantiv als „das Nähen“, „die Stiche“ oder „die Naht“ („stiching, sewing, stitches, suture“), und eher nicht als „Faden“ oder „Darm“ (‚thread‘ or ‚gut‘ or the like“). MedWb I, 112–113 übersetzt ebenfalls mit „nähen“; die Autoren gehen allerdings für das Substantiv von einer ursprünglichen Bedeutung „Faden“ als Mittel zum Nähen aus (vgl. Grundriss III, 127–128), die in „Naht“, das Ergebnis des Nähens, übergeht. Dabei wundert es einen, dass kein „normaler“ Faden bzw. keine „normale“ Schnur als Determinativ belegt ist. Als Material, aus dem das Nähgarn hergestellt gewesen sein könnte, findet man in der Literatur „fines lanières d’un intestin d’animal“ (Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 185–186) und „linen sutures“ (Mininberg, in: Allen, Art of Medicine, 73, Anm. 2), d.h. Naturdarm (vgl. medizinisches Catgut aus Schafsdarm) bzw. Leinen. Bei einigen Mumien der 21. Dynastie (Breasted, Surgical Papyrus, Taf. 4, Abb. 8–10) sind der Schnitt im Abdomen sowie Schnitte (post mortem?) an Knie und Ellenbogen mit einer einfachen, überwendlichen, fortlaufenden Naht (auch genannt: Kürschnernaht) genäht, so dass der Faden teilweise oder ganz schräg zum Wundverlauf liegt. Laut Galen lösen Fäden aus Leinen oder Flachs sich auf, bevor die Wunde vollständig geheilt ist (nach Brawanski, in: SAK 35, 2006, 56).
Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 10–12 lehnt die Übersetzung „nähen, zunähen“ ab, weil jdr im chirurgischen Abschnitt des pEbers nicht erwähnt wird, obwohl dort Geschwülste operativ entfernt werden (und die Wunde anschließend wohl genäht werden muss). Ausgehend von einer fraglichen Grundbedeutung für jdr als „Einzäunung“ (wohl im Zusammenhang mit jdr: „Herde“ und jdr: „fernhalten“) wird das Substantiv seiner Meinung nach eher „Einzäunung, Umklammerung, Klammer o.ä.“ bedeuten. Ebbell meint, dass die Wunde geklammert bzw. mit Klammern zusammengezogen wird und er verweist auf die Verwendung von medizinischen Klammern in der Antike (gr. ἀγκτήρ; lat. fibula). Ebbell und Brawanski, in: SAK 35, 2006, 47 zitieren diesbezüglich den römischen Arzt Celsus. Celsus schreibt aber gerade bei einer Wunde an der Stirn nähen statt klammern vor. Ebbell führt als weiteres Argument für seine Übersetzung von jdr als „Klammer“ das Vorkommen in Kombination mit dem Verb wnḫ an, das er (vermutlich in Anlehnung an Wb 1, 324.8) mit „verschieben“ statt „lösen, lockern“ übersetzt; er meint, dass eine Sutur (eine medizinische Naht) sich nicht verschieben kann, eine Klammer hingegen schon. Lefebvre und Brawanski, die die Interpretation von Ebbell kennen, folgen dieser nicht. Die von Breasted aus dem Zusammenhang abgeleitete Bedeutung „nähen“ wird von anderen Forschern nicht in Frage gestellt, auch nicht die Auffassung von MedWb, dass das Substantiv zuerst „Faden“ bedeuten soll; hier wäre stattdessen „die Arbeit mit der Nadel“ ebenfalls sinnvoll und der Bedeutungsübergang von „Arbeit mit der Nadel“ (Nomen actionis) zu „Naht“ (Nomen acti) ist einfacher zu erklären als von „Faden“ zu „Naht“.
Für das Lösen oder Lockern wnḫ des jdr sei noch auf Texte in den ptolemäischen Tempeln hinzuweisen, bei denen es um das Lösen der Verschnürung der Naostüren bzw. einer Buchrolle geht. Das Wort jdr ist hier teils mit einer Schnur, teils mit einem Pflanzendeterminativ geschrieben, was einen Zusammenhang zwischen jdr und der jtr-Pflanze: „Papyrus“ (daraus: Papyrusstreifen, Papyrusfaser ⟩ Schnur) vermuten lässt. In älteren Texten (Neues Reich) ist die Verschnürung der Naostüren jꜣd/jꜣd.t geschrieben und auch hier ist es denkbar, dass das ursprüngliche jdr der medizinischen Texte und jꜣd in späteren Zeiten zusammengefallen sein könnte (siehe Graefe, in: MDAIK 27, 1971, 150 mit Anm. 24; Graefe, in: SAK 7, 1979, 53–56; Wilson, Ptolemaic Lexikon, 128).
4 nḏri̯: Drei grammatische Interpretationen wurden für die Verbalform vorgeschlagen. (1) Breasted, Surgical Papyrus, 226 geht von einem Kopierfehler aus und emendiert zu nḏri̯⟨.ḫr=k⟩ wegen der ganz ähnlichen Formulierung in Fall 26 (Kol. 9.8): nḏri̯.ḫr=k wbnw pf ⟨m⟩ jdr, zumal in beiden Fällen ein sḏm.ḫr=f vorangeht. (2) Für Grundriss IV/2, 144, Anm. 1 ist dies nicht erforderlich und die vorangehende sḏm.ḫr=f-Form wird mit einem passiven sḏm=f mit optativischer Bedeutung fortgesetzt (ebenso Westendorf, Grammatik, 181, § 251). (3) Brawanksi, in: SAK 35, 2006, 47, Anm. 2 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 105 übersetzen nḏri̯ mit einem Imperativ. Inhaltlich ändert sich nicht viel bei den unterschiedlichen Konstruktionen. Interessant ist jedoch, dass diese therapeutische Maßnahme der Wundversorgung noch vor der Feststellung der Diagnose geschieht, also eigentlich nicht zur eigentlichen Therapie für diesen Fall gehört (siehe Brawanski, in: SAK 35, 2006, 48).
Das Verb nḏri̯ bedeutet „fassen, packen u.ä.“ (Wb 2, 382–383). In medizinischen Texten wird eine Wunde mit abstehenden Wundrändern (eine klaffende Wunde) mit einem Verband oder einem jdr „gepackt“. Für Breasted, Surgical Papyrus, 226 und MedWb I, 499–500 (zuvor schon Wb 2, 383.2: „eine Wunde mit (m) einem Verband zusammenfassen“) wird deshalb die konkrete Bedeutung „to draw together“ bzw. „zusammenfassen“ vorliegen. Breasted, Surgical Papyrus, 226 führt die Bedeutung „to close (a door)“ an als Unterstützung für die von ihm angesetzte Bedeutung „to close up“, „to draw together“, aber es ist sehr fraglich, ob nḏri̯ ꜥrr.wt in Spruch 255 der Sargtexte (CT III, 364 = DZA 25.678.770) tatsächlich als „zuziehen“ zu verstehen ist. Leicht abweichende Übersetzungen sind „to fasten“ (Allen) und „to hold fast“ (Sanchez/Meltzer), d.h. „festmachen“ bzw. „festhalten“.
5 jwf wꜣḏ: Man wäre geneigt, die Verwendung von frischem Fleisch als Heilmittel für eine Gewebeverletzung (eine „Fleischwunde“) als einen Fall von magischer Praxis (Sympathiemittel, similia similibus curentur) abzutun (so z.B. Breasted, Surgical Papyrus, 97; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 31–32, Anm. 4). Laut Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 9–10 empfiehlt Dioskurides, warmes Hühnerfleisch auf Schlangenbisse zu legen und bis ins frühe 20. Jh. wurde Muskel- und Geflügelfleisch bei der Gehirnchirurgie angewandt (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 37). Tatsächlich scheinen die Enzyme in rohem Fleisch die Wunde reinigen zu können (Mininberg, in: Allen, Art of Medicine, 73, Anm. 1); frisches rohes Fleisch wirkt blutstillend, liefert Feuchtigkeit und schützt das Gewebe (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 37 und 44). Für Einzelheiten siehe L. Buchheim, Der Fleischverband im alten Ägypten, in: Sudhoffs Archiv für Geschichte der Medizin und der Naturwissenschaften 42, 1958, 97–116 (u. a. zur Förderung von Eiterung und damit Reinigung und Heilung der Verletzung; auch zur Blutstillung). Einen magischen Zweck hatte die Verwendung von jwf ꜥnḫ: L. Buchheim, Die Verordnung von „lebendem“ Fleisch in altägyptischen Papyri, in: Sudhoffs Archiv 44, 1960, 97–116.
6 wnḫ: Es gibt ein Verb wnḫ: „sich kleiden, gekleidet werden“, aber das ergibt in der vorliegenden Passage keinen brauchbaren Sinn. Deshalb setzt Wb 1, 324.8 ein weiteres Verb oder eine Sonderbedeutung spezifisch für diesen Ausdruck wnḫ jdr=f an: „ihr (der Wunde) Verband hat sich verschoben o.ä.“ Auch MedWb I, 194 übersetzt mit „verschieben“, obwohl das zugehörige Substantiv „Verschiebung“ als Verletzungsart als „eine Lösung zweier Teile von einander, ohne dass eine vollständige Trennung erfolgt“ beschrieben wird. Das geht aus Fall 31, Glosse A in Kol. 10.17–19 (wnḫ eines Halswirbels) und aus Fall 43, Glosse A in Kol. 15.3–4 hervor (wnḫ von Rippen): in Fall 31 wird wnḫ als jwd: „trennen“ beschrieben, in Fall 43 mit nft: „lösen, lockern“ (vgl. ntf: „losbinden, ausspannen“), in Fall 11 (Kol. 5.15) ist wnḫ zu fḫ: „lösen“ verbessert worden. Breasted, Surgical Papyrus, 230 übersetzt tatsächlich mit „to loosen, to be loose“. In den deutschen Übersetzungen von Ebbell, Grundriss IV/1 und Westendorf wird der Bedeutung des Wb mit „verschieben“ gefolgt, wohingegen die französischen (Bardinet: „relâcher“) und englischen Übersetzungen sich teilweise an „lösen, lockern“ halten; Sanchez/Melter, Edwin Smith Papyrus ändern für wnḫ jdr die Übersetzung von „stitches shifting“ (S. 105, Fall 10; vgl. S. 106: „sutures became loosened“) zu „stitches shift/loosen“ (S. 125, Fall 14; S. 127: „meaning the tissue margins were not properly joined“) zu „stitches loosened“ (S. 164, Fall 23); vgl. Allen, Art of Medicine, „its sewing slipped“ (S. 81, Fall 10), „his stitches loosen“ (S. 83, Fall 14), „its stitching slipped“ (S. 87, Fall 23). Brawanski, in: SAK 35, 2006, 48, Anm. 7 weist darauf hin, dass die Fäden oder die Naht sich nicht verschieben können, weil die Fäden durch die Wundränder geführt und verknotet werden. Laut Brawanski ist die Übersetzung „verschieben“ also unmöglich, wohingegen das Lockern der Fädenknoten und dadurch das Sich-Öffnen der Naht durchaus einen Sinn ergeben. Anzumerken ist, dass je nach verwendeter Nähtechnik (bei Mumien ist die einfache, überwendliche, fortlaufende Naht, auch genannt Kürschnernaht, belegt) sich die Wundränder nicht „verschieben“ werden, aber die Wunde kann sich schon „verziehen“. Für die Existenz des Verbs wnḫ: „lösen“ siehe auch Graefe, in: SAK 7, 1979, 53–61.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „der ꜣ.wj-Doppelverband/Kreuzverband(?) aus Leinenstoff7“ angeht:
das sind ein Paar Binden aus Leinenstoff, die man auf die beiden Ränder der klaffenden Wunde legt, um dafür zu sorgen, dass der eine (Rand) den anderen berührt.

7 ꜣ.wj n ḥbs.w: Im Haupttext (Kol. 5.8) fehlt n.j ḥbs.w, aber die gleiche Materialangabe findet sich in Kol. 1.16, 5.9 und 17.4.

Fall 11: Nasenverletzung mit Bruch des Nasenpfeilers

[5.10] (Titel:) Erfahrungswissen über einen (einfachen) ḥsb-Bruch1 im2 Pfeiler3 seiner Nase (d.h. der knorpelige und knöcherne Bereich des Nasenrückens?).
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem (einfachen) ḥsb-Bruch im Pfeiler seiner Nase untersuchst, dann ist seine Nase in breitgedrücktem (?)4 Zustand;
sein Gesicht ist eingeebnet (?)5.
Die tḫb-Schwellung, die auf ihm (d.h. dem Bruch) ist, erhebt sich / nimmt zu,
(und zwar während) er aus seinen beiden Nasenlöchern/Nasenhöhlen blutet.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn: „Einer mit einem (einfachen) ḥsb-Bruch im Pfeiler seiner Nase: eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du (sie: die Nase/Nasenhöhlen) folglich für ihn ⟨mit⟩ zwei sšm-Tupfern/Pfropfen6 aus Leinenstoff auswischen7.
Dann musst du folglich zwei (andere) sšm-Tupfer/Pfropfen aus Leinenstoff, die mit Öl/Fett befeuchtet sind, ins Innere seiner beiden Nasenhöhlen/-löcher legen.
Dann musst du ⟨ihn⟩ folglich auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) legen, so dass / bis seine tḫb-Schwellung abzieht (d.h. zurückgeht).
Dann musst du ihm folglich bḏꜣ-Röllchen/Ballen(?)8 aus Leinenstoff (an)legen;
seine Nase werde von ihnen eingeschnürt/zusammengehalten(?)9.
Du sollst ihn danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Faserbausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 ḥsb: wird normalerweise als ein einfacher, glatter Bruch in zwei Teilen definiert, während sḏ für einen Splitterbruch steht. Die Art des ḥsb-Bruchs wird in pEdwin Smith nicht selbst durch eine Glosse erklärt, aber in Abgrenzung vom sḏ-Bruch, für den es eine erklärende Glosse gibt. Der sḏ-Bruch geht mit einem Zerbrechen in zahlreiche Reste (zp.w ꜥšꜣ.w) einher und kommt ausschließlich (?) bei Schädel- und Gesichtsverletzungen vor, ḥsb bei Gesichtsverletzungen und anderen Knochenbrüchen; sḏ kann auch bei Fleisch, Geschwülsten und Krankheitserscheinungen („auf-/zerbrechen, auf-/zerplatzen“) verwendet werden, ḥsb nicht. Siehe Breasted, Surgical Papyrus, 156–158 (sḏ) und 235 (ḥsb); MedWb II, 633–634 (ḥsb) und 827–829 (sḏ); Grapow, Kranker, 49–51; Westendorf, Handbuch Medizin, 281. Ob ḥsb immer ein einfacher oder glatter Bruch in zwei Teilen ist, ist nicht ganz klar: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 114 und 117 beschreiben den Bruch von Fall 12 als einen komplexen Bruch („comminuted fracture“), bei dem nicht nur das Nasenbein, sondern auch die weiteren umliegenden Knochen und Knorpel betroffen sind.
Das Verb ḥsb bedeutet „brechen, zerbrechen“ und wird bei Bögen, Schreibbinsen, Wurfhölzern, Stäben, Knochen und Wirbeln verwendet (siehe Belege im TLA). Erst im Jahr 1911 wurde die bis dahin nicht erkannte Bedeutung „zerbrechen“ von Grapow, in: ZÄS 49, 1911, 116–120 erschlossen, wohl vor allem durch die Parallellisierung mit dem Verb sḏ: „zerbrechen“. Das kreuzförmige Determinativ Z9 oder Z10, das im Alten Reich als Determinativ von ḥsb funktioniert, wird von Grapow als „zwei zerbrochene Stäbchen (o.ä.), die übereinanderliegen“ verstanden (vgl. ebenso Sethe, Von Zahlen und Zahlworten, 1916, 77). In jüngeren Deutungen wird das Zeichen nur noch als zwei diagonal gekreuzte Stäbe beschrieben (Gardiner, Sign List Z9 und Z10), ohne den Aspekt des Zerbrochen-Seins zu berücksichtigen (vgl. auch Wb 3, 166.9 als Beischrift zu zwei gekreuzten Zeugstreifen!). Trotzdem geht die Bedeutung von ḥsb in medizinischen Texten als „zerbrechen in zwei Teile (wie ein Stab)“ (so MedWb II, 634; Westendorf, Handbuch Medizin, 281) einerseits auf diese Interpretation des Determinativs zurück (Bei Grapow steht nicht, dass es zwei Teile desselben zerbrochenen Stabes sind. Für Sethe, Von Zahlen und Zahlworten, 76 stellt das Kreuz-Zeichen die Teilung in 4 (!) Teile dar.), andererseits auf die Abgrenzung von sḏ: „zerbrechen“, das in pEdwin Smith für Zerbrechen in zahlreiche Reste (zp.w ꜥšꜣ.w) verwendet wird. Der sḏ-Bruch kommt bei Schädel- und Gesichtsverletzungen vor, ḥsb bei Gesichtsverletzungen und anderen Knochenbrüchen; sḏ kann auch bei Fleisch, Geschwülsten und Krankheitserscheinungen („auf-/zerbrechen, auf-/zerplatzen“) gesagt werden, ḥsb nicht. Die Art des Bruchs bei ḥsb wird in pEdwin Smith nicht durch eine Glosse erklärt, aber in Abgrenzung von sḏ wird es wahrscheinlich ein einfacher/glatter Bruch in zwei Teile sein. Siehe Breasted, Surgical Papyrus, 156–158 (sḏ) und 235 (ḥsb); MedWb II, 633–634 (ḥsb) und 827–829 (sḏ); Grapow, Kranker, 49–51; Westendorf, Handbuch Medizin, 281. Weil auch sḏ mit dem Kreuz als Determinativ versehen werden kann, kann der Vergleich mit dem „Zerbrechen eines Stabes in zwei Teilen“ auf der Grundlage des Determinativs nicht als Argument für die Bedeutung von ḥsb herangezogen werden.
2 ḥsb m: Der Bruch ist immer „in“ (m) einem Knochen oder Körperteil, es ist in pEdwin Smith niemals ein Bruch des Knochens (im Genitiv). In der deutschen Übersetzungstradition von Grundriss und Nachfolger (Westendorf, Brawanski) geht man von einem Bruch „am“ Pfeiler, nicht von einem Bruch „im“ Pfeiler aus.
3 jwn: Bedeutet „Pfeiler; Säule“ und in übertragenem Sinne „Stütze“. Deshalb findet man für jwn n.j fnḏ die wörtlichen Übersetzungen „Pfeiler der Nase“ (Wb 1, 53.13; MedWb I, 32 und in den meisten deutschen Übersetzungen des pEdwin Smith), „Stütze der Nase“ (Ebbell) und ebenso „column of the nose“ (Breasted), „pillar of the nose“ (Allen, Sanchez/Meltzer), „colonne du nez“ (Lefebvre, Bardinet). jwn n fnḏ ist außerdem ein technischer Terminus in der Architektur als Bezeichnung der Kante eines Obelisken. Was der „Pfeiler der Nase“ als anatomischer Terminus ist, wird in Glosse A zu Fall 11 des Papyrus Edwin Smith erklärt, aber die Interpretation dieser Glossendefinition hat ihre eigenen Probleme.
Eine erste Interpretation besagt, dass der „Pfeiler der Nase“ die Bezeichnung des Nasenbeins ist (so Wb 1, 53.13). Grapow, Anatomie, 37 erklärt „Pfeiler der Nase“ aufgrund der Glosse A zu Fall 11 als „das Nasenbein, zunächst das Knöcherne, möglicherweise auch den knorpeligen unteren Teil dazu“. Wegen der Verwendung für die Obeliskenkante, dehnt Grapow die Bedeutung auf „die Obernase außen, das ‚Nasendach‘ oder den ‚Nasenrücken‘“ aus. In Grundriss IV/2, 144 (Anm. 1 zu Sm Fall 11) wird „Pfeiler der Nase“ als „die Kante des Nasendaches“ erklärt. Laut MedWb I, 32 ist es „das Nasenbein; die Nasenkante“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 51, Anm. 2 hat „Nasenbein bzw. Nasenkante (d.h. den knorpeligen Fortsatz einbeziehend?)“ und Westendorf, Handbuch Medizin, 721: „Nasenbein oder Nasenbeinkante“. Gemeint wären also einerseits die knöcherne und eventuell die knorpeligen Teile des Nasenrückens (Nasenrücken = bridge of the nose), andererseits der Nasenrücken selbst, d.h. die Oberseite/Außenseite der Nase. Weeks, Anatomical Knowledge, 32: „jwn n fnḏ „is an apt description of what we similarly term the ‚nasal column‘ (dorsum nasi). It seems likely that the term refers to the entire median septum, including the nasal bones and the septal cartilage.“ Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 108 schließt sich dem an und beschreibt den Bruch als „großflächiger Einbruch des Nasenbeines (os nasale) offenbar einschließlich des septum nasi“.
In einer zweiten Interpretation, die u.a. von Breasted vertreten wird, ist es (laut Breasted, Surgical Papyrus, 242) „highly probable“, dass in Glosse A nur die „soft nose“, d.h. der bewegliche Teil der äußeren Nase (nasus externus), die aus Knorpel (cartilago nasi, pl. cartilagines nasi) besteht, besprochen wird. Aber Breasted schließt nicht aus, dass die Bezeichnung „Pfeiler der Nase“ ausreichend unspezifisch war, um auch einen Teil des Nasenbeins (os nasale, pl. ossa nasalia) mit einzubeziehen. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 33 schließt sich dem ersten Teil von Breasteds Interpretation an und präzisiert: „zweifellos die untere, knorpelige Hälfte des Nasenrückens und der knorpelige Teil von Septum nasi“ (Septum nasi = Nasenscheidewand), wobei er den in Fall 11 beschriebenen Bruch als „Fraktur des Septum nasi“ benennt. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 19, § 19: „désigne, semble-t-il, non pas tant l’os propre du nez que les cartilages qui le prolongent, celui surtout de la cloison“, d.h. vor allem der Knorpel der Nasenscheidewand (d.h. der Septumknorpel oder cartilago septi nasi). Auch Allen, Art of Medicine, 81 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 107 sprechen von einer „Fracture of the nasal cartilage“ bzw. „Fracture of the Nasal Septum“. Brawanski, in: SAK 35, 2006, 53 definiert den Pfeiler der Nase ebenfalls als „den knorpeligen Teil der Nase. Er beginnt an der Nasenspitze, liegt zwischen den Nasenlöchern und reicht dann äußerlich bis zur Mitte des Nasenrückens“ (d.h. bis zur Stelle, an der das knöcherne Nasenbein ansetzt). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 110–111 erkennen in der Beschreibung von Glosse A die beiden Dreiecksknorpel (cartilagines nasi lateralis), die beiden Flügelknorpel (cartilagines alaris) und den Septumknorpel (cartilago septi nasi). In dieser Interpretation geht das Benennungsmotiv „Pfeiler“ also vielleicht auf die Nasenscheidewand zurück. Beachte, dass der unterste/vorderste Teil der Nasenscheidewand, der Nasensteg lateinisch Columella, d.h. Säulchen, genannt wird. Diese zweite Interpretation lässt sich jedoch nur schwer mit der Deutung von jwn n.j fnḏ als Kante des Obelisken vereinbaren. In Fall 26 (Kol. 9.8) liegt eine Wunde an der (Ober)lippe vor, die bis zum Innern des Mundes aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) (j:sdb) ist. Der Arzt soll die Wunde bis zum Pfeiler der Nase (jwn n.j fnḏ) untersuchen, d.h. bis zum Nasensteg (Columella) bzw. Nasenscheidewand (Septum nasi) oder bis zum Nasenrücken. Ersteres erscheint wahrscheinlicher.
4 jw fnḏ=f pds(.w): Die Bedeutung von pds ist laut Wb 1, 566.16–19: „breitdrücken (eig. zertreten); zerstören“ und laut MedWb I, 301–302: „breitdrücken“ (daher Allen, Sanchez/Meltzer: „to flatten“. Breasted, Surgical Papyrus, 250 hat pds von der Wortbildung her auf die Wurzel pd: „Fuß“ mit einer Wurzelerweiterung mit s zurückgeführt und meint, dass die ursprüngliche Bedeutung „to trample, lay waste“ war. Allerdings geht pd auf pꜣd zurück und bedeutet „Knie, Kniescheibe“ und es gibt verwandte Wörter für pds in semitischen Sprachen. Das Determinativ des Beines (Gardiner Sign-List D56) muss deshalb keine ursprüngliche Bedeutung „zertreten, zertrampeln“ voraussetzen, sondern kann auf das Wort pꜣd zurückgehen und phonetisches Determinativ sein. Das Verb wird in Fall 6 (Kol. 3.1) in der Graphie pdz von einem Stadium der Kupferbearbeitung verwendet (in Wb 1, 566.12 wird pdz separat von pds aufgeführt, aber in MedWb I, 301–302 werden die Belege zusammengeführt.) In Fall 23, Glosse B (5.22–6.1) wird „sein Gesicht ist pds dadurch“ erklärt als „es (sein Gesicht) ist nicht in seiner normalen Gestalt, weil alle Höhlen (qr.wt) mit šf.wt-Schwellungen bekleidet sind.“ Angewandt auf das Gesicht übersetzt Breasted pds mit „disfigured“, weshalb Lefebvre „déformén“ hat. Bei Bardinet findet man „écrasé“.
5 mkꜣ ḥr=f: Das Wort mkꜣ ist laut Wb 2, 162.12 und MedWb I, 399 nur hier belegt. Es ist unsicher, ob das erste Wort mkꜣ ein Verb oder ein Substantiv ist und ob das zweite ḥr=f das Substantiv „Gesicht“ oder die Präposition ḥr enthält. Die Graphie von ḥr=f ist identisch mit der Graphie der Präposition ḥr=f am Zeilenende: tḫb n.tj ḥr=f. Wegen des Hausdeterminativs von mkꜣ entscheidet sich Breasted, Surgical Papyrus, 236 zögerlich für ein Substantiv und er vermutet einen Zusammenhang mit dem femininen Substantiv mkꜣ.t: „support“ (Wb 2, 162.13: „stützender Unterbau“; MedWb I, 399: „Unterlage, Stütze“). Der Zusammenhang mit der breitgedrückten Nase führt ihn zu einer hypothetischen Bedeutung „support or notch or depression“, was dann eine Interpretation von ḥr als Präposition nach sich zieht: „a depression(?) being in it“ (in etwa gefolgt von Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 184). Auch Wb 2, 162.12 hat „Vertiefung o.ä. (wie sie durch einen Tritt hervorgerufen wird)“. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 33 wählt die Interpretation von mkꜣ als Verb und ḥr=f als „sein Gesicht“, wobei er für mkꜣ eine Bedeutung „planiert, zu einer flachen Stelle gemacht“ ansetzt. Auch MedWb I, 399 entscheidet sich für mkꜣ als Verb, weil in ähnlicher Position in Fall 12 (Kol. 5.16) das Verb pds steht (fnḏ=f ẖꜣb(.w) pds ḥr=f: „seine Nase ist krumm; breitgedrückt ist sein Gesicht“). MedWb vermutet einen Zusammenhang mit dem Substantiv mkꜣ.t: „Unterlage, Stütze“ und setzt eine Bedeutung „einebnen, planieren“ an, „weil bei der Herstellung des Unterbaues ein Planieren der Baufläche erfolgt, (...) zumal das Bild für die breitgetretene Nase sich gut eignen würde“ (vgl. zuvor Grundriss IV/2, 144 zu Fall 11, Anm. 3). Ob mkꜣ als Verb ein passives sḏm=f („nachdem sein Gesicht eingeebnet wurde“) oder ein passives Partizip in einem Adjektivalsatz ist, bleibt unklar. Die meisten Übersetzungen seit dem Grundriss folgen der Auffassung von mkꜣ als Verb mit der mutmaßlichen Bedeutung „einebnen“.
6 sšm: Kommt nur in den medizinischen Texten vor und bezeichnet laut Wb 4, 292.6–7: einen „Tupfer o.ä. aus Leinen (zum Abwischen u.ä. in Nase oder Ohr bei deren Verletzungen)“. Westendorf (MedWb II, 801, Anm. 2) fragt sich, ob der sšm-Tupfer seinen Namen vom Verb sšm: „führen, (ein)leiten“ herleitet, denn er wird (in pEdwin Smith, Fall 22, Kol. 8.16) ins Ohr „eingeführt“ (rḏi̯ ḥꜣi̯: „hinabsteigen lassen“). MedWb II, 801 gibt als Übersetzungen: „Bausch, Tupfer“, aber die Texte besagen nichts über die Form oder die Herstellungstechnik dieser Reinigungsgegenstände aus Leinenstoff. Breasted, Surgical Papyrus, 238 vermutet, dass es „probably a small and soft mass or wad“ war und er spricht von „plug“ und „tampon“. In Fall 12 (Kol. 5.18) wird die Nase nicht mit zwei sšm-Tupfern, sondern mit zwei s⟨w⟩š-Ballen ausgewischt. Dieses Substantiv swš ist vom Verb swš mit der Bedeutung „zusammendrehen“ abgeleitet und ist deshalb wohl ein zusammengerollter oder zusammengedrehter Ballen.
7 sk: Wb 4, 310–311: wird im Alten Reich mit einem Besen als Determinativ verwendet und bedeutet deshalb „fegen, abfegen, abstäuben“ und „abwischen, auswischen“ (so MedWb II, 807) und nicht einfach „cleanse“, d.h. „reinigen“, wie Breasted, Surgical Papyrus, 237 übersetzt (ähnlich Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 184 und Bardinet, Papyrus médicaux, 502: „nettoyer“). In Kol. 5.18 (Fall 12: sk n=f ... m swš.wj n.j ḥbs.w) und Kol. 8.11 (Fall 22: sk n=f m sšm n.j ḥbs.w) wird sk mit der Präposition m konstruiert, weshalb auch hier die Präposition zu emendieren ist (vgl. Westendorf, Grammatik, 247, § 340.1). Jedenfalls kann man, contra Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 108–109), nicht auf die Präposition verzichten, weil sonst die sšm-Tupfer abgewischt würden. In Fall 22 (Kol. 8.11) ist ebenfalls kein direktes Objekt vorhanden, in Fall 12 (Kol. 5.18) wird das Innere der Nasenlöcher jm.jw msꜣḏ.tj) ausgewischt. Je nach mutmaßlichem Objekt ist sk mit „abwischen“ (den Bruch: so Bardinet) oder mit „auswischen“ (die Nase: so Grundriss IV/1; Westendorf, Papyrus Edwin Smith; Brawanski; oder die Nasenlöcher: Westendorf, Handbuch Medizin) zu übersetzen. Der Dual sšm.wj spricht dafür, dass die Nasenlöcher gemeint sind.
8 bḏꜣ: Wb 1, 488.13: „Polster o.ä. (aus Leinen zum Verbinden)“; Breasted, Surgical Papyrus, 239–240: „stiff rolls“; MedWb I, 255–256: „Polster, Kissen“. Wird mit einem rechteckigen Determinativ versehen und beim Bruch des „Nasenpfeilers“ (Fall 11), bei einer Ohrverletzung (Fall 23) und bei einer Schlüsselbein-Verschiebung (wnḫ: Fall 34) angewandt. Zur Bestimmung der Form des Gegenstands aus Leinen weist Breasted auf das Schiffsteil bḏꜣ hin, das den „Mastkopf“ oder die „Mastspitze“ bezeichnet (Dürring, Materialien zum Schiffbau, 70 und 213; Breasted übersetzt bḏꜣ noch mit „spar“, d.h. Spiere, Rundholz) und in einer Gliedervergottung der Sargtexte mit dem Phallus des Osiris identifiziert wird. Deshalb meint Breasted, dass „it means a post-like roll of linen, of sufficient stiffness to hold the broken nose in its proper or normal position“, d.h. eine steife Stoffrolle oder einen Stoffballen (vgl. Faulkner, CDME, 86: „stiff roll of linen“). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 33 übernimmt die Hypothese von Breasted: möglicherweise „dünne Rollen aus Leinen (...) und diese müssen wahrscheinlich in irgendeiner Weise gesteift sein (durch Kleister, Gummi o.ä.)“; sie wurden laut Ebbell möglicherweise mit Heftpflastern befestigt. MedWb I, 256 äußert sich nicht zu einem möglichen Zusammenhang mit bḏꜣ: „Mastspitze“, sondern fragt sich, ob bḏꜣ mit bḏ: „Ball, Kugel“ zusammenhängt, daher „ein zu einem Ballen geformtes Stoffknäuel“ ist. MedWb denkt also eher an ein rundliches Päckchen, daher „Polster; Kissen“, aber das Determinativ setzt eine längliche Form voraus. In Fall 12 (Kol. 5.20) steht eine ähnliche Formulierung mit bḏꜣ im Dual und es folgt anschließend das Verb wt: „bandagieren“. Die meisten Textübersetzer folgen Breasted mit „stiff rolls“ (Ebbell: „steife Rollen (?)“; Lefebvre: „rouleaux rigides“; Allen; Sanchez/Meltzer; Brawanski: „Rollen“; vgl. Bardinet: „attelles“; Faulkner, CDME, 86: „stiff roll of linen“), vor allem Westendorf bleibt in der Tradition des Grundrisses (ebenso Hannig, HWB, 284: „Polster, Kissen“).
9 gwꜣ: Wb 5, 159–160: „zusammenziehen“; Breasted, Surgical Papyrus, 240: „(something like) hold firmly“; MedWb II, 912–913: „zusammenschnüren“; van der Molen, Hieroglyphic Dictionary, 680–681: „pull tight, tie up, be tied up, put up, choke“; Hannig, HWB, 966: „enger ziehen, zusammenziehen, zusammenschnüren; antauen, festmachen; einschnüren, belagern“. Die Bedeutung wird nur aus dem Zusammenhang abgeleitet; das Determinativ des Kopfes ist bei der Bedeutungsfindung keine Hilfe.
Die grammatische Interpretation ist ebenfalls unsicher. Inhaltlich gemeint ist, dass die bḏꜣ-Ballen als eine Art von externen Schienen die Nase in Form halten müssen, nachdem sšm-Pfropfen in die Nasenöffnungen eingeführt wurden (Brawanski, in: SAK 35, 2006, 50, Anm. 6; Sanchez/Meltzer, 113). In Fall 12 (Kol. 5.20) steht eine ähnliche Formulierung: wdi̯.ḫr=k n=f bḏꜣ.wj n.j ḥbs.w / wt ḥr=s.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „der Pfeiler seiner Nase“ angeht:
das ist die obere Spitze (wörtl. der obere Kopf) seiner Nase10 bis hin zu ihrer Seite/Hälfte11 auf der Oberseite (d.h. Außenseite?) seiner Nase; (und) im Innern seiner Nase in der Mitte von (d.h. zwischen) seinen beiden Nasenhöhlen12.

10 tp ḥr.j n.j fnḏ: Welcher Teil der Nase mit dem „obersten Kopf“ bzw. „der oberen Spitze der Nase“ gemeint ist, wird unterschiedlich verstanden. Es gibt drei Interpretationen: (1) die (untere/vordere) Nasenspitze, (2) der Nasenrücken, d.h. die obere/äußere Nasenkante, (3) die (obere) Nasenspitze, d.h. die Nasenwurzel. Man würde bei der „oberen“ Spitze zuerst an die Nasenwurzel denken, während die „normale“ Spitze die Nasenspitze ist (so Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 19, § 19: tp ḥr.j n fnḏ vs. tp n fnd; ähnlich wohl Grapow, Anatomie, 37 und Grundriss IV/2, 144, Anm. zu Sm Fall 11, Anm. 7 [mit Fragezeichen]), aber laut Breasted, Surgical Papyrus, 241 kann tp ḥr.j n.j fnḏ nicht die Nasenwurzel sein, denn die wird seiner Meinung nach im Fall 12 anders definiert. Deshalb ist es für ihn der knorpelige und bewegliche vordere Teil der Nase bis zum Nasenbein (ähnlich, mit Fragezeichen, Weeks, Anatomical Knowledge, 32 und 33; ähnlich Brawanski, in: SAK 35, 2006, 50, Anm. 8: untere/vordere Nasenspitze). Breasted emendiert gs=f zu gs.wj=f, was dann die beiden Seitenflügel der Nase mit den cartilagines nasi laterales sind. Für Breasted scheint ḥr.w fnḏ die Oberseite der Nase, d.h. der Nasenrücken zu sein; für Brawanski, in: SAK 35, 2006, 50, Anm. 9 ist es die Außenseite (im Gegensatz zum ẖnw: „das Innere“). Bei Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 33 ist tp ḥr.j n.j fnḏ „der obere Rand seiner Nase (d. h. der Nasenrücken)“. Er emendiert gs=f nicht, sondern übersetzt mit „bis zur Hälfte“, was dann den vorderen Bereich des Nasenrückens (bis zum Nasenbein) auf der Oberseite der Nase (ḥr.w fnḏ) ergibt. Die Identifizierung der Nasenspitze oder des vorderen Bereichs des Nasenrückens als „oberste Spitze“ setzt voraus, dass der Patient in Rückenlage betrachtet wird. Allen übersetzt tp ḥr.j n fnḏ so wie Ebbell mit „Nasenrücken“ (eng. „bridge of the nose“), was von Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 109) akzeptiert wird. Von tp (ḥr.j) n.j fnḏ zu unterscheiden ist pḥ.wj fnḏ: „das Ende der Nase“, das im nächsten Satz steht. In Grundriß IX (Ergänzungen), 80 wird noch erwogen: „die obere Nasenkante, die etwa bis zur Mitte der Nase verläuft?“.
11 gs=f: Bedeutet entweder die „Seite“ der Nase oder die (vordere/hintere) „Hälfte“ der Nase. Breasted, Surgical Papyrus, 241 geht von der Übersetzung „Seite“ aus und er emendiert gs zu gs.wj: „die beiden Seiten“, aber Allen, Brawanski und Sanchez/Meltzer kommen ohne Emendation aus. Für die Bedeutung „Hälfte“ entscheiden sich Ebbell, Grundriss IV, Westendorf. Letzteres hat den Vorteil, dass für den Terminus ḏr.wj: „die beiden Flanken“ in der nächsten Glosse die Bedeutung „Nasenseiten oder Nasenflügel“ noch verfügbar ist. Es stellt sich jedoch die Frage, ob „bis zur Hälfte“ im Sinne von „bis zur Mitte“ nicht eher mit r ḥr.j-jb ausgedrückt werden würde. Bardinets Übersetzung „bord supérieur du haut du nez“ scheint von einer Interpretation gs=f ḥr⟨.j⟩ (n.j) ḥr.w fnḏ=f auszugehen, aber gs ist eine „Seite“, keine „Kante“. Die meisten Bearbeiter verstehen ḥr ḥr.w fnḏ=f als adverbielle Präzisierung von gs oder tp ḥr.j n.j fnḏ nfr.yt-r gs, d.h. „auf der Oberseite der Nase“. In der Übersetzung von Sanchez/Meltzer fängt mit ḥr der obere Bereich der Innenseite der Nase an: „on the upper part of his nose within his nose“, während Breasted und die meisten übrigen Bearbeiter erst mit m ẖnw zur Innenseite der Nase übergehen.
12 ḥr.j-jb msꜣḏ.tj: „ in der Mitte der beiden Nasenhöhlen“ ist laut Breasted, Surgical Papyrus, 242 das septum nasi, d.h. das Nasenseptum oder die Nasenscheidewand, das/die die beiden Nasenhöhlen trennt (ähnlich Weeks, Anatomical Knowledge, 32: „septal cartilage“).

[5.15] (Glosse B:) Was (die Textstelle) „seine beiden Nasenlöcher/Nasenhöhlen“ angeht:
⟨das sind⟩ die beiden Seiten(räume?)/Flanken13 seiner Nase, die bis zu seiner Wange14 (und) bis hin zum (inneren?) Ende seiner Nase15 reichen, (und) die ⟨an/auf⟩ der Oberseite (d.h. Außenseite?) seiner Nase loslassen/aufhören.

13 ḏrw(w): Bedeutet laut Wb 5, 602.15 die „Rippengegend“ und durch Bedeutungserweiterung auch allgemein die „Seite“; MedWb II, 1009–1010: „Seitenfläche (der Nase)“. Laut Breasted, Surgical Papyrus, 244 sind die beiden ḏrww der Nase die beiden Nasenflügel (ala nasi, pl. alae nasi) mit den respektiven Knorpelstrukturen Flügelknorpel (Cartilago alaris major) und Dreiecksknorpel (Cartilago nasi lateralis). Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 50 und Westendorf, Handbuch Medizin, 722 übersetzt „Seiten“ im Sinne von „Seiten(räume)“, was von Brawanski, in: SAK 35, 2006, 50, Anm. 11 gefolgt wird. An anderer Stelle in seinem Handbuch spricht Westendorf (Handbuch Medizin, 162, Anm. 134) für ḏrww hingegen von den „Seitenflächen“. Sanchez (in Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 111) denkt bei den Seiten, die bis zur Wange reichen, an die Kieferhöhlen (sinus maxillaris).
14 mnd.t=f: Breasted, Surgical Papyrus, 243 emendiert zu mnd.t⟨j⟩=f⟨j⟩ im Dual, was sonst nur von Bardinet in seiner Übersetzung gefolgt wird. In Wb 2, 93.10 bzw. 93.11–12 wird zwischen mnḏ.t: „ein Teil des Gesichts: zwischen Nase und Jochbein längs dem Auge“ und mnḏ.t: „Teil des Gesichts am Auge; dann auch für das Auge selbst“ unterschieden. Breasted, Surgical Papyrus, 243 argumentiert, dass mit mnḏ.t das Gebiet zwischen Nase und Nasenflügel einerseits und Schläfe und Ohr andererseits gemeint ist, d.h. die Wange mit den zugehörigen Knochen Oberkiefer (maxilla) und Jochbein (os zygomaticum), einschließlich des Schläfenbeins (os temporale). Im Totenbuchspruch 172 kommen sowohl die Wangen (mnd.t) als auch kurz zuvor ein anderes mnd.t vor, das Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 17, § 18; (vgl. 14–15, § 14) mit „Augenlid“, möglicherweise „unteres Augenlid“ interpretiert. Bei Walker, Anatomical Terminology, 269 findet man einerseits „cheek“, andererseits „?eyeball, ?eyelid“. Siehe auch Dawson, in: ZÄS 62, 1927, 20–21: „Wange“ mit den darunterliegenden Knochen; MedWb I, 374–375: „Wange“; Grapow, Anatomie, 38–39: „Wange“ mit möglicherweise später einer Bedeutungsverengung auf „Teil der Wange unter dem Auge“.
15 pḥ.wj fnḏ: „das Ende der Nase“. Grundriss IV/2, 145, Anm. zu Sm Fall 11, Anm. 9 fragt sich, ob in Fall 11 (Kol. 5.15) mit pḥ.wj fnḏ die Spitze der Nase gemeint ist, während zuvor tp ḥr.j n.j fnḏ vielleicht die Nasenwurzel war (ibid., Anm. 7). Aber Grundriss IV/2, 145, Anm. zu Sm Fall 12, Anm. 7 schreibt für pḥ.wj in Fall 12 (Kol. 5.21), dass wohl die Wurzel gemeint ist. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 51, Anm. 8 (und 52, Anm. 4) und Westendorf, Handbuch Medizin, 722 versteht pḥ.wj fnḏ in beiden Fällen als die Nasenspitze. Laut Breasted, Surgical Papyrus, 248–249 kann pḥ.wj (gemeint ist sicherlich pḥ.wj der Nase) in Fall 12, Glosse A (5.21) in Anbetracht des Kontextes nicht das äußere Ende der Nase bezeichnen („outer end of the nose“, d.h. Nasenspitze?). Er meint, dass das „Ende“ entweder ins Innere der Nase hineinreichte, oder dass das Ende der Nase am Stirnbein („frontal bone“, os frontis), d.h. die Nasenwurzel, gemeint ist (ähnlich Weeks, Anatomical Knowledge, 32–33). Im Innern der Nase sucht auch Sanchez (in Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 111): Er denkt bei „Ende der Nase“ an die Nasopharynx am Ende der Nasenhaupthöhle.

Fall 12: Nasenverletzung mit Bruch der Nasenkammer

(Titel:) Erfahrungswissen über einen ḥsb-Bruch1 in der šty.t-Kammer seiner Nase2.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem ḥsb-Bruch in der šty.t-Kammer seiner Nase untersuchst, dann findest du seine Nase krumm stehend vor;
sein Gesicht ist breitgedrückt;
die tḫb-Schwellung, die auf ihm (dem Bruch) ist, erhebt sich / nimmt zu.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn: „Einer mit einem ḥsb-Bruch in der šty.t-Kammer seiner Nase: eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) ⟨Daraufhin hast⟩ du ihn (die Nase oder den gebrochenen Knochen) zurückfallen lassen, (mit dem Ergebnis, dass er) an seine (richtige) Stelle (zurück)gelegt ist.
Das, was in seinen beiden Nasenlöchern/Nasenhöhlen ist,3 werde für ihn mit zwei swš-Ballen/Strängen4 aus Leinenstoff weggewischt,
bis / so dass jedes ꜥnꜥr.t-Gewürm5 aus Blut (d.h. jedes Blut-Gerinnsel), das im Innern seiner beiden Nasenlöchern/Nasenhöhlen verknotet (d.h. geronnen)6 ist, hinauskommt.
Danach musst du folglich zwei sšm-Tupfer/Pfropfen aus Leinenstoff, die mit Öl/Fett befeuchtet sind, hinlegen;
(sie) werden in seine beiden Nasenhöhlen/-löcher gegeben.
[5.20] Dann musst du ihm folglich zwei bḏꜣ-Ballen/Röllchen aus Leinenstoff (an)legen;
(Es) werde ein Verband darüber gelegt (wörtl.: (es) werde darüber verbunden).
Du sollst ((ihn)) danach täglich mit Öl/Fett, Honig und Faserbausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 ḥsb: wird normalerweise für einen einfachen, glatten Bruch verwendet, während sḏ für einen Splitterbruch steht. Trotzdem identifizieren Sanchez & Meltzer, 114 und 117 den Bruch von Fall 12 als einen komplexen Bruch („comminuted fracture“), bei dem nicht nur das Nasenbein, sondern auch die weiteren umliegenden Knochen und Knorpel betroffen sind. Die Definition eines ḥsb-Bruchs wäre daher vielleicht zu präzisieren.
2 šty.t n.t fnḏ: wird in Glosse A von Fall 12 (Kol. 5.20–21) erklärt. Breasted, Surgical Papyrus, 248 identifiziert den Bruch als einen Bruch des Nasenbeins, aber die Verwendung des Begriffs šty.t durch die Ägypter weist darauf hin, dass sie den Bereich des Nasenbeins als eine Kammer ansahen. Deshalb wird sich šty.t auf den gesamten durch Knochen gestützen Bereich der Nase beziehen. Schon Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 34 spricht von „den Nasenknochen“ (im Pl.) und „der innere Teil der Nase“. Für Grapow, Anatomie, 38 ist die šty.t-Kammer der Nase das „Naseninnere“. Grundriß IV/2, 145, Anm. zu Sm Fall 12, Anm. 1 umschreibt šty.t als „das von den knöchernen Teilen der Nase umschlossene Naseninnere, die ‚Nasenhöhle‘“. Die Erklärung bei Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 52, Anm. 1: „der von den Nasenflügeln umschlossene Raum, d.h. das Naseninnere“ ist teilweise irreführend, denn der Nasenflügelbereich wäre der Nasenvorraum. Weeks, Anatomical Knowledge, 34 nimmt an, dass die drei Nasengänge (meatus nasi superior, medius und inferior) gemeint sind. Für Brawanski, in: SAK 35, 2006, 53 ist die Kammer der Nase der hintere, knöcherne Teil der Nase, während der Pfeiler der Nase (jwn n fnḏ) der vordere, knorpelige Teil ist. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 117 schreiben, dass das doppelte Nasenbein und deren Verbindung mit den beiden Nasenflächen des Oberkiefers (facies nasalis maxillae) einen Bogen („arch“) oder ein Gewölbe („vault“) für den oberen Teil der Nase bilden, daher von den Ägyptern als eine Art Kammer betrachtet wurden. Breasted, Surgical Papyrus, 248 hat sich einen Augenblick überlegt, ob sich die Kammer der Nase auf die Stirnhöhle (sinus frontalis) beziehen könnte, aber er lehnt diese Möglichkeit ab, denn die Behandlungsinstruktionen weisen eindeutig auf einen Nasenbruch hin und sprechen daher gegen die Stirnhöhle. Trotzdem fragt sich Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 109, ob beim „Bruch der Kammer“ entweder an eine Fraktur der conchae nasi zu denken ist, oder ob mit der Kammer der Nase die Stirnhöhle gemeint sein könnte. šty.t n.t fnḏ wird in Wb 4, 556.5 separat von der Wurzel štꜣ: „geheim sein“ und von šṯy.t: „Heiligtum des Sokar; Grab; Unterwelt“ ohne Übersetzung mit der Bedeutungsangabe „als Bez. der inneren Nase“ aufgelistet. Breasted, Surgical Papyrus, 248 erkennt in šty.t (n.t fnḏ) dasselbe Wort wie im Sokarheiligtum. Grapow, Anatomie, 38 übersetzt mit „(geheime) Kammer der Nase“, was einen etymologischen Zusammenhang mit štꜣ vermuten lässt.
3 jm.jw msꜣḏ.tj=fj: In MedWb I, 49 wird die substantivierte Nisbe jm.j.w als „Inneres, Inhalt“ verstanden; vgl. MedWb I, 50: jmj.w: „(eitriger) Inhalt“. Breasted, Surgical Papyrus, 292 schließt nicht aus, dass tatsächlich der Inhalt (wörtl.: „das, was ist in“ im Plural) der Nasenlöcher gemeint ist, aber in Fall 22 (Kol. 8.11) scheint jm.jw msḏr.wj=fj sich doch eher auf das Innere und nicht den Inhalt der Ohren zu beziehen, weshalb er jm.jw an beiden Stellen als ein Synonym von ẖnw: „das Innere“ („the interior“) betrachtet. Die meisten Übersetzungen schließen sich Breasted an (z.B. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 51 und Westendorf, Handbuch Medizin, 722 „Innenräume“; Allen: „the inside“; Brawanski: „das Innere“). Nur Nunn hat eindeutig den Inhalt: „what is in his two nostrils“.
4 swš: Der gleiche Gegenstand wird in Fall 12 (Kol. 5.18) zš.wj und in Fall 14 (Kol. 6.10) swš.wjgeschrieben, beide Male in der Dual-Form. In Wb 3, 485 und MedWb II, 732–733 wird angenommen, dass swš die ursprüngliche Form ist und mit dem Verb swš: „zusammenballen, zusammendrehen“ (Wb 4, 75.16; MedWb II, 732) zusammenhängt. Substantiv und Verb werden gemeinsam in swš s(w)š: „ein Seil drehen“ verwendet (siehe Literatur bei Egberts, In Quest of Meaning, 288, Anm. 8). Die Parallele in Fall 11 (Kol. 5.11), in dem zwei sšm-Tupfer verwendet werden, um die Nase oder den Bruch abzuwischen und anschließend zwei weitere mit Öl getränkte sšm-Tupfer in die Nase eingeführt werden, macht klar, dass swš ebenfalls eine Art Polster, Tampon oder Tupfer ist oder als solches verwendet werden kann. Das Determinativ der gedrehten Schnur (Gardiner Sign-list V1) und der etymologische Zusammenhang mit dem Verb swš könnten auf eine gerollte oder gedrehte Form hinweisen. Der Vergleich mit einer wꜣ.t-Schnur/Sehne in Fall 7 (Kol. 3.18) würde für eine längliche Form sprechen. In den Fällen 35–37 (Schlüsselbeinbruch und Oberarmbruch) werden zwei z(w)š aus Leinenstoff hergestellt und an der Innen- und Außenseite des Oberarmes angebracht. Diese Verwendung erinnert an eine Art von Schiene, aber aus Stoff. Vielleicht ist ein fest zusammengerollter Stoffballen gemeint. Breasted, Surgical Papyrus, 189–191 ist für seine Deutung von swš von den Fällen 35–37 ausgegangen. Er hat das Wort als zš.wj (im Dual) gelesen und mit „Schienen“ übersetzt (eng.: splint), während er die Richtigkeit von zš.wj/swš.wj in den Fällen 12 und 14 in Frage stellt und als Fehler für sšm.wj-Tupfer betrachten möchte. Dem wird heute nicht länger gefolgt; in Fall 12 steht das ganz anders geschriebene sšm.wj außerdem gleich im nächsten Satz. Schon Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 15 hat Breasted widersprochen und für swš die Bedeutung „Pfropf, Bausch o.ä.“ vorgeschlagen, parallel zu sšm, für das er „Tupfer, Tampon o.ä.“ ansetzt. In Wb 4, 75.17 steht für swš: „Bausch, kleiner Ballen o.ä. von Leinen (zum Auswischen einer Wunde, als Polster u.ä.)“ als Übersetzung, mit den Fällen 12, 14, 35–37 als Belegen. In MedWb II, 733 wird mit „Band, Ballen“ übersetzt. Außerdem wird dort die Krankheitserscheinung swš als „Ballung (von Hitze)“ unter dem gleichen Stichwort aufgenommen. In Wb 4, 76.1–3 wird die Krankheitserscheinung als separates Lemma aufgenommen, ebenso bei Breasted, 387–388.
5 ꜥnꜥr.t: Unbekanntes Tier mit Schlangendeterminativ, das laut Fall 12, Glosse C (Kol. 6.3) im Wasser lebt. Es wird bildsprachlich verwendet, um das geronnene Blut in der Nasenhöhle zu beschreiben. Wegen des Determinativs und des Kontextes (Wasser, Blut, Nasensekret) wird an einen schleimigen Wurm gedacht (Breasted, Surgical Papyrus, 251; Wb 1, 191.15–17; MedWb I, 143; Vernus, Bestiaire, 83), während Allen sowie Sanchez/Meltzer mit dem im Wasser lebenden, schleimigen und schlangenförmigen Fisch „Aal“ übersetzen. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 34 fragt sich, ob ein Borstenwurm (mit Fragezeichen!) gemeint sein könnte.
6 ṯꜣz.tj: Ist der Stativ des Verbs ṯꜣz: „verknüpfen“. Breasted und andere geben dem Verb hier im Zusammenhang mit Blut die Bedeutung „koagulieren, zum Gerinnen bringen“, ebenso Wb 5, 398.13. Auch MedWb II, 967 kennt die intransitive Verwendung „sich verknoten, sich befestigen“ von Blutansammlungen und Blutgerinnsel. Das Blut ist also nicht an der Innenseite der Nasenhöhle angeklebt.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „der ḥsb-Bruch in der šty.t-Kammer seiner Nase“ angeht:
das ist die Mitte
7 seiner Nase bis hin zum (hinteren) Ende, das bis zum Bereich zwischen seinen beiden Augenbrauen8 reicht.

7 ḥr.j-jb: Kann der Mittelpunkt, die Mittellinie, der mittlere Bereich (das Zentrum) sein. Brawanski, in: SAK 35, 2006, 51, Anm. 5 exploriert die Möglichkeiten: Wenn man die Nase der Länge nach betrachtet, bildet der Nasenrücken die Mitte/Mittellinie; aus der Querperspektive betrachtet, entspricht der Mittelpunkt in etwa dem Anfang des knöchernen Nasenbeins, was gut zu der Annahme passt, dass mit der Kammer der Nase der knöcherne Bereich der Nase gemeint ist.
8 jm.j-t(w) jnḥ⟨.wj⟩=fj: „das, was zwischen seinen beiden Augenbrauen ist“. Gemeint ist der Bereich der Nasenwurzel.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „seine Nase steht (jetzt) krumm; sein Gesicht ist breitgedrückt“ angeht:
das bedeutet, dass seine Nase verbogen/schief ist, angeschwollen bis zu ihrer Grenze und vergrößert;
seine beiden Wangen ebenfalls (d.h. angeschwollen und vergrößert).
Dann ist sein Gesicht infolgedessen breitgedrückt.
Es ist nicht in seiner normalen/richtigen Form wegen/aufgrund der Tatsache, dass [6.1] jede Höhle/Vertiefung9 mit einer šfw.t-Schwellung verstopft10 ist.
Dann sieht man sein Gesicht infolgedessen breitgedrückt.

9 qr.t: Wird von Allen, Art of Medicine, 83 mit „sinus“ übersetzt. Dann wären mit qr.t die Nasennebenhöhlen gemeint. Vielleicht sind aber die Vertiefungen, das Relief des Gesichts gemeint (so Breasted, Surgical Papyrus, 250; MedWb II, 888–889). In MedWb II, 888–889 ist es als das Lemma qr.t transliteriert, in Wb 5, 62.1 ist es unter qrr.t eingetragen (DZA 30.402.570). qrr.t kann auch von den Gesichtsöffnungen verwendet werden.
10 ḏbꜣ: Wird von Breasted als das Verb ḏbꜣ: „bekleiden, versehen“ verstanden, Ebbell geht vom Verb ḏbꜣ „ersetzen, vergelten“ aus. Im Grundriss IV steht die dritte Möglichkeit: ḏbꜣ: „verstopfen, verstopft sein“. In MedWb II, 1001 sind die drei Bedeutungen unter einem einzigen Lemma eingetragen, wobei für qr.t ḏbꜣ.w die Bedeutung „verstopfen“ angesetzt wird.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „jedes ꜥnꜥr.t-Gewürm aus Blut (d.h. jedes Blut-Gerinnsel), das im Innern seiner beiden Nasenlöcher/Nasenhöhlen verknotet (d.h. geronnen) ist“ angeht:
das bedeutet, dass das Blut im Innern seiner Nasenlöcher/Nasenhöhlen geronnen ist (wörtl.: gebacken/eingedickt wurde)11.
(Es) ähnelt dem ꜥnꜥr.t-Gewürm, das im Wasser existiert.

11 qfn: Wb 5, 32.11–15: „backen“; MedWb II, 884: „backen“. Laut U. Verhoeven, Grillen, Kochen, Backen, Bruxelles 1984, 159–161 bedeutet qfn nicht so sehr „backen“, als eher Flüssiges oder Teigiges durch Hitze eindicken, verfestigen.

Fall 13: Nasenverletzung mit Splitterbruch der Nase

(Titel:) Erfahrungswissen über einen sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner Nase1.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner Nase untersuchst, dann musst du folglich deine Hand2 auf seine Nase3 im Bereich4 jenes sḏ-Bruchs legen.
[6.5] Unter deinen Fingern wird er (der Bruch) knirschen (?; oder: sich verschieben?)5;
und außerdem gibt er (der Patient) noch Blut aus seinem (einen) Nasenloch (oder: seiner (einen) Nasenhöhle), aus seinem (einen) Ohr, aus seinem Mund wegen jenes sḏ-Bruchs (oder: ⟨an der Seite von ihm, die⟩ jenen sḏ-Bruch aufweist).
Es fällt ihm aus dem Grund schwer, seinen Mund zu öffnen;
(und) er ist benommen6.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn: „Einer mit einem sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner (einen) Nasenhöhle (?)7:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann“.

1 fnḏ: Der Nasenbereich, in dem der Splitterbruch lokalisiert wird, wird im Titel und in der Untersuchung von Fall 13 dreimal mit Nase (Gardiner Sign-list D19/20) und Ideogrammstrich geschrieben, was die normale Kurzgraphie von fnḏ: „Nase“ ist. In der Diagnose wird der gleiche Nasenbereich hingegen mit einem zusätzlichen t geschrieben, was für eine Lesung msꜣḏ.t/šr.t (Kol. 6.6) in der Diagnose spricht. Allerdings gibt es im pEbers einige Fälle, bei denen die Graphie Nase + t + Ideogrammstrich ebenfalls für fnḏ zu stehen scheint (MedWb I, 304–306 mit § 1). Außerdem ist es nicht undenkbar, dass die Graphie mit t in pEdwin Smith 6.6 durch das so geschriebene msꜣḏ.t in der unmittelbar vorangehenden Zeile (Kol. 6.5) verursacht wird, in der beschrieben wird, dass Blut aus dem Nasenloch bzw. der Nasenhöhle (msꜣḏ.t) kommt. In Grundriss IV/1, 182 und IV/2, 145, Anm. zu Sm Fall 13, Anm. 3 wird tatsächlich mit „Nase“ übersetzt (ebenso Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 53; Westendorf, Handbuch Medizin, 723; Allen, Art of Medicine, 83). Breasted, Surgical Papyrus, 252 und 253 nimmt jedoch an, dass das fnḏ in Titel und Untersuchung ein Fehler für šr.t ist. Er übersetzt šr.t mit „nostril“, d.h. „Nasenloch (naris)“, aber er vermerkt, dass aus den Fällen 13 und 14 hervorgeht, dass šr.t in den medizinischen Texten mehr umfasst als nur das Nasenloch: „it includes also the surrounding tissue extending far enough laterally to include some of the bony tissue on each side of the nose, the uppermost part of the maxilla, known as the ‚frontal process‘, which rises almost as high as the root or top of the os nasale.“ Bardinet, Papyrus médicaux, 503 übernimmt mit „narine“ die Emendation von Breasted. Brawanski, in: SAK 35, 2006, 53 tut das Gleiche, allerdings mit der Übersetzung „Nasenflügel“. Außerdem möchte er zweimal mit Breasted šr.t lesen, während er im dritten Fall (Kol. 6.4: die Hand zum Palpieren auf die Nase legen) keine Emendation vornimmt und bei fnḏ: „Nase“ bleibt. Die übrigen Bearbeiter belassen überall dort, wo im ägyptischen Text die Kurzschreibung von Nase und Ideogrammstrich steht, die Lesung fnḏ: „Nase“. Ein anderes Problem ist, ob man die Graphie Nase + t + Ideogrammstrich als msꜣḏ.t oder šr.t liest. Wenn man msꜣḏ.t als die linke bzw. rechte „Nasenhöhle“ und šr.t als das „Nasenloch“ versteht, passt die Lesung msꜣḏ.t an allen Stellen.
2 : Bedeutet laut Wb 1, 156–157 sowohl „Arm“ (Unterarm mit Hand ⟩ Arm) als auch „Hand“ (vgl. das semitische verwandte Wort yad (Hebr. und Arab.: „Hand“) bzw. idu (Akkad.: „Arm, Seite“). Laut MedWb I, 116 überwiegt in den medizinischen Texten die Bedeutung „Hand“. Auch an dieser Stelle kann nur „Hand“ bedeuten. Bardinet, Papyrus médicaux, 503 und Brawanski, in: SAK 35, 2006, 53 übersetzen kontextuell mit „Finger“.
3 wdi̯ ꜥ ḥr fnḏ: Breasted emendiert auch hier wieder fnḏ: „Nase“ zu šr.t: „Nasenloch“, genau so wie in sḏ m fnḏ=f (gefolgt von Bardinet), aber an dieser Stelle meint Brawanski, in: SAK 35, 2006, 53, dass „Nase“ von der Logik her besser passt.
4 m hꜣw sḏ: Die Verwendung von m hꜣw (n.j) weist darauf hin, dass der Splitterbruch nicht an einem spezifischen Punkt lokalisiert werden kann. Breasted, Surgical Papyrus, 254 übersetzt zwar mit „at the point of“, aber zur gleichen Verwendung in Fall 17 vermerkt er (Breasted, Surgical Papyrus, 268), dass diese Übersetzung der ägyptischen Lokalisierung möglicherweise nicht gerecht wird. Im Index auf S. 548 wird für hꜣw die Übersetzung „vicinity, neighbourhood“ angegeben.
5 nḫbḫb: In allen Belegen in pEdwin Smith bezeichnet das Verb etwas, das unter den Fingern beim Abtasten des Bruchs passiert. In den Pyramidentexten wird es ähnlich wie das Verb wn: „(sich) öffnen“ von Türen und Türriegeln verwendet. Breasted, Surgical Papyrus, 254–255 vermutet, dass nḫbḫb „mit Gewalt öffnen“ bedeutet („to break open, to break through“), oder in den medizinischen Texten die technische Bedeutung „to crepitate“ hat, d.h. die Knochen reiben hör- und fühlbar aneinander. Er hält beide Bedeutungen für möglich, aber er verwendet auf Empfehlung seines medizinischen Gewährsmannes Luckhardt „crepitate“ in seiner Übersetzung (gefolgt von Bardinet, Papyrus médicaux). Für den Mediziner Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 35–36 spricht der Zusammenhang mit dem Verb „öffnen“ jedoch eher dafür, dass „der Knochen bei der Palpierung zur Seite geschoben wird oder sich öffnet“, weshalb er mit „verschieben“ übersetzt und „crepitate“ als weniger genau ablehnt. Die Bedeutung „sich verschieben“ findet man ebenfalls bei Wb 2, 309.12–14: „sich öffnen (von Riegeln und Türen); sich verschieben (von Bruchverletzungen)“ und in MedWb I, 477: „sich verschieben“ sowie bei Hannig, HWB, 450: „(1) s. öffnen, (s.) wegschieben (Riegel, Tür); (2) s. verschieben (des gebrochenen Knochens unter den Fingern des Arztes)“. Faulkner, CDME, 138 gibt als Bedeutungen: „(1) ‚draw back‘ door-bolt; ‚throw open‘ doors; (2) ‚crepitate,‘ of broken bones“ an. Die Wurzelreduplizierung nḫbḫb und das Determinativ der gekreuzten Stöcke weisen auf eine etwas stärkere Bedeutung als bloßes „sich öffnen, sich verschieben“ hin, z.B. „sich knirschend verschieben/öffnen“. Allen, Art of Medicine, 83 übersetzt nḫbḫb mit „to wiggle“ (vgl. zum Übersetzungsvorschlag „wackeln“ auch das Verb nri̯), Sanchez/Meltzer mit „to shift“.
Die Konstruktion ist wohl nicht mit Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 121) als eine Umstandsform oder als ein prospektivisches sḏm=f in einem Konsekutivsatz („so dass“) zu verstehen. Westendorf, Handbuch Medizin, 723 ergänzt in seiner Übersetzung „(und du findest:)“, d.h. er nimmt eine Auslassung von gmm=k o.ä. an (vgl. Fall 24, Kol. 8.23: wdi̯.ḫr=k ꜥ=k ḥr=f / gmm=k ḥsb pf nḫbḫb=⟨f⟩ ẖr ḏbꜥ.w=k).
6 dgm: Kommt fast ausschließlich in pEdwin Smith vor (ein unsicherer weiterer Beleg aus dem AR bei Hannig, Ägyptisches Wörterbuch I, 1483 {39331}) und wird im gleichen Papyrus teils mit dem Auge determiniert (Gardiner, Sign-list D4 und D6), teils mit dem ermüdeten oder geschwächten Mann (Gardiner, Sign-list A7). Das Verb wird in Fall 22, Glosse C (Kol. 8.16–17) erklärt als wnn=f pw gr(.w) m gm.w nn mdwi̯.t: „das bedeutet, dass er schweigt in Schwäche/Benommenheit/Erstarrung(?), ohne zu reden.“ Aus dem Grund deutet Breasted, Surgical Papyrus, 296–297 das Verb als „to be voiceless, to be speechless“ (ebenso Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 35: „ohne Sprachfähigkeit sein“; Faulkner, CDME, 317: „be speechless“). Das entspricht aber zum einen nicht dem Determinativ (man erwartet den Mann mit Hand am Mund), zum anderen passt es nicht zu Fall 20 (Kol. 8.1–4). Dort wird sitzen als Behandlung für jemanden, der dgm ist, verordnet und als Symptome wird nicht nur beschrieben, dass er nicht spricht, sondern auch, dass er sehr weint und seine Träne die ganze Zeit wegwischt wie ein Kind, ohne zu wissen, dass er dies tut. Die Nicht-Ansprechbarkeit (Kommunikationsunfähigkeit) des Patienten ist ein Symptom von dgm, aber es wird nicht dessen eigentliche Bedeutung sein. Sowohl in Wb 5, 500.6–7 als auch in MedWb I, 992 werden deshalb die Bedeutungen „bewußtlos; benommen“ angesetzt. Grundriß IV/1, 186 übersetzt mit „benommen“ aber schreibt in einer Anmerkung (Grundriß IV/2, 147, Anm. 5 zu Sm Fall 22), dass der Arzt feststellt, dass der Patient bewußtlos ist. Die Übersetzung „bewußtlos“ wird von Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 53 und Westendorf, Handbuch Medizin, 723 sowie von Brawanski, in: SAK 32, 2004, 73–74, Anm. (2) (für Fall 33) übernommen, aber die in Fall 20 aufgelisteten Symptome sprechen eher für „benommen sein“, d.h. leicht betäubt oder mit eingeschränkter Reaktionsfähigkeit sein (Allen, Art of Medicine, 83, 85, 87, 93: „to be dazed“; Brawanski, in: SAK 35, 2006, 53 (für Fall 13)). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 123 und vor allem 161 beschreiben den Zustand des Patienten in den verschiedenen Fällen als „an altered state of responsiveness/consciousness in which listlessness or stupor predominate“ (dgm mit dem Augendeterminativ) bzw. „an altered level of consciousness/response/sensibility and motor activity“ (dgm mit dem Determinativ des geschwächten Mannes) und sie übersetzen mit „to be torpid“ (Fall 13, 17) und „to be stuporous“ (Fall 20, 22, 33). Hannig, HWB, 1062 listet alle vorgeschlagenen Übersetzungen auf: „(1) [med] bewusstlos, ohnmächtig; benommen sein; (2) [fig] *sprachlos, ohne Erklärung sein“.
7 msꜣḏ.t: Wird hier mit Nase + t + Ideogrammstrich geschrieben, was als msꜣḏ.t oder eventuell šr.t zu lesen ist. Vermutlich ist es eine Fehlschreibung für fnḏ nach dem vorangehenden msꜣḏ.t in der Formel „bluten aus seinem Nasenloch / seiner Nasenhöhle“. Mit „Nase“ übersetzen Ebbell; Grundriss IV/1; Westendorf, Papyrus Edwin Smith; Westendorf Handbuch Medizin; Allen. Für richtig halten Breasted, Bardinet, Brawanski und Sanchez/Meltzer die Schreibung. Alle lesen šr.t. Breasted übersetzt mit „nostril“ (gefolgt von Bardinet), Brawanski mit „Nasenflügel“ und Sanchez/Meltzer mit „nasal walls“. Zu Brawanskis Deutung ist zu sagen, dass das Wort mit der gleichen Schreibung zuvor (in Kol. 6.5) von ihm als msꜣḏ.t: „Nasenloch“ übersetzt und an dieser Stelle als šr.t: „Nasenflügel“ verstanden wird. Laut Sanchez/Meltzer, 306–308 kann man sowohl aus den Nasenlöchern (msꜣḏ.tj) und den Ohren bluten als aus der Nasenseitenwand (šr.t) und den Ohren. Sowohl Brawanski als auch Sanchez/Meltzer entscheiden sich für eine Bezeichnung der Nasenseite, weil der Patient nur aus einem Nasenloch und einem Ohr blutet, was sie dazu bringt, diesen Fall als eine komplexe, einseitige Nasen- und Oberkieferknochenfraktur mit Schädelbasisfraktur und mit einer Gehirnbeeinträchtigung zu diagnostizieren.

Fall 14: Nasenverletzung mit Wunde an der Nasenhöhle

(Titel:) Erfahrungswissen über eine (offene) Wunde in seiner (einen) Nasenhöhle1.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer (offenen) Wunde in seiner (einen) Nasenhöhle untersuchst, wobei sie (d.h. die Wunde) aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?)2 ist,
dann findest du die beiden Ränder jener Wunde auseinandergezogen(?)3 in Bezug auf einander vor.
Dann musst du folglich jene Wunde durch Nähen/Näharbeit (oder: mit einem Faden?) zusammenfassen/festhalten.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer Wunde in seinem Nasenloch, die aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“

(Behandlung:) Dann musst du folglich [6.10] für ihn/sie (den Patienten oder die Wunde) zwei swš-Ballen/Stränge aus Leinenstoff machen.
Dann musst du folglich jedes ꜥnꜥr.t-Gewürm aus Blut (d.h. jedes Blut-Gerinnsel), das im Innern seiner beiden Nasenhöhlen verknotet (d.h. geronnen) ist, abwischen.
Dann musst du sie (die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Wenn ihre (der Wunde) Naht sich löst, nachdem du ihr/ihm (der Wunde oder dem Patienten) das frische Fleisch abgenommen hast,
dann musst du sie (die Wunde) folglich täglich mit Öl/Fett, Honig und Faserbausch verbinden, bis es ihm (dem Patienten) besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 msꜣḏ.t: Das Wort wird erneut mit Nase + t + Ideogrammstrich geschrieben. Die Schreibung wird diesmal nicht in Frage gestellt (allerdings übersetzt Ebbell mit „Nase“, wie in Fall 13), aber die Lesung als msꜣḏ.t oder šr.t hängt mit der von den jeweiligen Bearbeitern vorgeschlagenen Körperteilbezeichnung zusammen. Breasted liest šr.t: „nostril“ (ebenso Bardinet: „narine“). Grundriß IV/1, 182 hat „Nasenloch“, aber im Kommentar Grundriß IV/2, 145 (Anm. 1 zu Sm Fall 14) steht „Oder Nasenmuschel(?) (msd.t)“. Brawanski liest šr.t mit der Bedeutung „Nasenflügel“ und Sanchez/Meltzer hat šr.t: „nasal walls“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 53 übersetzt mit „Nasenloch“ und kommentiert „gemeint: in den fleischigen Teilen des Nasenflügels“ (54, Anm. 1).
2 j:sdb: Wird teils als ein Partizip Aktiv, teils als ein Stativ des Verbs sḏb aufgefasst, das möglicherweise nur in pEdwin Smith vorkommt. Die Bedeutung von sdb/sḏb ist umstritten. Glosse A zu Fall 14 erklärt das Verb mit dem Verb gnn: „schwach, schlaff, weich sein; nachgeben“. Das Determinativ des spuckenden Mundes könnte zum Bedeutungsspektrum ‚wässrig, flüssig‘ gehören (das Determinativ des unten gegabelten Stockes U116, mit dem Schlangen gefangen werden, hängt mit dem Substantiv sḏb: „Schaden, Unheil“ zusammen; es ist nicht die oben gegabelte Stütze O30!). Es gibt mehrere Bedeutungsvorschläge. (1) Wb IV, 382.17–18 liefert für sḏb nur eine Umschreibung: „als Zustand von Wunden: tief o.ä.; auch von Sachen, die gnn sind“. Dieses „tief“ wird aufgegriffen von Westendorf, KHWB, 316: „tief ins Fleisch reichend“ und von Meeks, ALex 77.4039: „être profond“. (2) Aufgrund einer parallelen Textstelle mit dem Verb jꜥr: „heranreichen an“ kommt Breasted, Surgical Papyrus, 260–262 zu dem Schluss, dass jꜥr: „penetrate“ (bis zu einem harten Gegenstand) und sdb „pierce through“ (durch einen weichen Gegenstand hindurch und in einen Hohlraum hinein) bedeuten. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 37 denkt an eine Beschädigung oder ein Zerreißen von Weichteilen und daher an das Verb „lazerieren“, aber entscheidet sich schließlich wie Breasted für „perforieren“. In Anlehnung an Breasted findet man bei Faulkner, CDME, 259: „penetrate, of injury“; Bardinet, Papyrus médicaux, 503: „transpercer“; Brawanski, in: SAK 35, 2006, 56, Anm. 4: „durchbohren, perforieren“. (3) Allen, Art of Medicine, 83 hat eine abweichende Übersetzung: „to be obstructive“ (d.h. „behindernd, hinderlich, versperrend“; in medizinischem Kontext: „verstopfend, verschließend“). Diese Übersetzung von Allen geht von einem etymologischen Zusammenhang mit dem Substantiv sḏb aus, das in Wb 4, 381.7–382.15 zwar als „Schaden, Unheil“ verstanden wird, von anderen jedoch als „Behinderung, Hindernis, Obstakel“ übersetzt wird (Faulkner, CDME, 258: „impediment, obstacle, opposition“; Meeks, ALex 77.4039: „obstacle“; Hannig, HWB, 859: „Schaden, Unheil; Hindernis, Obstakel“). (4) MedWb II, 825–826 berücksichtigt die Glossenerklärung mit dem Verb gnn und das Determinativ des spuckenden Mundes und schlägt „aufgeweicht sein“ vor (daher Hannig, HWB, 118 und 859, s.v. jsdb: „aufgeweicht sein“; s.v. sḏb: „aufgeweicht sein“). (5) Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 126 kombinieren die vorherigen Ansätze: „‚pierced and collapsed‘ (which also involves the sense of being obstructed)“.
3 sꜣt: Das Verb kommt nur in pEdwin Smith vor. Vor allem aufgrund von Fall 14, in dem die Wunde anschließend genäht werden muss (d.h. die Wundränder klaffen auseinander), ermittelt Breasted, Surgical Papyrus, 257–258 die Bedeutung „to separate“ im Sinne von: Wundränder, die voneinander getrennt sind (daher Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 36: „auseinanderklaffen“). Wb 4, 27.3–4 erwägt neben der Bedeutung „trennen“ auch die Bedeutung „verschieben“: „(gebrochene Knochen, Wundränder) die gegen (r) einander verschoben?, von einander getrennt? sind“. Diese zweite Bedeutung setzte sich durch: In Grundriß IV/1, 182 steht „verlagern“; MedWb II, 713 hat: „verschoben sein“ (ebenso Hannig, HWB, 717–718: „verschoben sein“; auch Allen; Sanchez/Meltzer), wobei MedWb II, 713 dies durch Fall 36 begründet: ein Arm hängt tiefer als der andere, d.h. ist verschoben gegenüber den anderen; laut MedWb ist das „verschoben sein“ das Wesentliche und die Trennung von einander nur eine zwangsläufige Folge. Aber laut Brawanski, in: SAK 35, 2006, 55–56 (Kommentar 2) können zwar Knochenenden sich gegeneinander verschieben, Wundränder hingegen stehen auseinander, weshalb seiner Meinung nach die Bedeutung „auseinanderstehen, getrennt/losgelöst sein“ medizinisch sinnvoller ist.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine Wunde in seiner Nasenhöhle, die aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist“ angeht:
das bedeutet, dass die beiden Ränder seiner Wunde weich sind / nachgeben4,
(wobei sie) zum Innern seiner Nase offen sind,
so wie (man) „(es ist) aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?)“ sagt über eine Sache, die weich ist / nachgibt.

4 gnn: Bedeutet „schwach, schlaff, kraftlos, träge, weich sein, nachgeben“ (vgl. koptisch ϭⲛⲟⲛ: „weich, zart, schwach, geschmeidig, nachgebend, zusammengesunken, glatt, sanft sein“). Brawanski, in: SAK 35, 2006, 56–57, Anm. 5 meint, dass die Bedeutung „nach innen nachgeben“ gut in den Zusammenhang passt. Breasted, Surgical Papyrus, 206 hat „soft“; Bardinet, Papyrus médicaux, 503: „affaissées“; Allen, Art of Medicine, 83: „flabby“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 125: „pulpy/soft“. In Fall 14 (Kol. 6.14) steht ḫ.t gnn, in Fall 26 (Kol. 9.13) ist es ḫ.t gn, wobei das n nachträglich hinzugefügt wurde.

Fall 15: Wangenverletzung mit Loch(bruch) in der Wange

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Durchbohrung (oder: ein Loch, einen Lochbruch)1 in seiner Wange.
[6.15] (Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h Patienten) mit einer Durchbohrung (oder: einem Loch/Lochbruch) in seiner Wange untersuchst,
dann findest du eine tḫb-Schwellung, die aufgeschwollen/erhoben, schwarz und fremdartig/anormal2 ist, auf seiner Wange vor.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer Durchbohrung (oder: einem Loch/Lochbruch) in seiner Wange:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du ihn/sie (den Patienten oder die Durchbohrung) folglich mit jmr.w-Verband(?)3 verbinden.
Danach mögest du ihn/sie täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett und Honig versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 thm: Bedeutet „Lochbruch“ in den Schädelverletzungsfällen. Aus dem Zusammenhang von Fall 15 kann man nicht eindeutig erkennen, ob ein Knochen betroffen ist. Breasted, Surgical Papyrus, 262 beschreibt den Fall jedoch als „perforation of the bone in the region of the maxilla and the zygoma“ und Bardinet, Papyrus médicaux, 503 folgt dem mit seiner Übersetzung „une perforation (osseuse)“. Auch Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 130 nehmen an, dass – zusätzlich zu einer Gewebeverletzung – auch der Knochen verletzt worden sein wird, weil das Gewebe an der Stelle sehr dünn ist. In den Fällen 16 und 17 liegen ähnliche Beschreibungen mit einem pšn: „Spalt“ oder „Spaltbruch“ und sḏ: „Splitterbruch“ vor. Und die Beschreibung der Symptome in Fall 17 lässt keinen Zweifel an der Schwere der Verletzung, einschließlich einer Schädelbasisfraktur. Deshalb können auch bei thm und pšn Verletzungen der Knochen im Wangenbereich angenommen werden.
2 šmꜣ.y: Hängt mit der Wurzel šmꜣ: „wandern, umherziehen“ zusammen (daher die Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 83: „a swelling ... risen, black, and gone off“, die aber medizinisch unverständlich ist). Das Substantiv šmꜣ: bedeutet ein „Landfremder, Nomade“ und die šmꜣ.yw sind eine Kategorie von Krankheit bringenden (Wander-)Dämonen. Ein weiteres Substantiv šmꜣ.y bedeutet laut MedWb, 851 „Fremdartigkeit, Anomalie“ (Herumziehende, ausländische Nomaden sind „fremdartig“.). Das šmꜣ.y in Kol. 6.15 wird von Breasted, Surgical Papyrus, 385 als ein Substantiv „diseased tissue“ (ebenso Wb 4, 471.7 = DZA 30.081.690) in einem Adverbialsatz šmꜣ.y ḥr mnḏ.t=f: „diseased tissue upon his cheek“ eingestuft (das ist dasselbe Substantiv, das laut MedWb, 851 für „Anomalie“ steht). Aber später wurde es als das Pseudopartizip des Adjektivverbs šmꜣ: „fremdartig, anomal sein“ (so MedWb II, 851) eingestuft (Westendorf, Grammatik, 116, § 163.cc). Hannig, HWB, 886 unterscheidet zwischen šmꜣ: „wild, herumstreunend; fremd, fremdartig“ {32819–32820; 48248} und dem medizinischen šmꜣ „fremdartig, anomal“ {32826}, was jedoch dasselbe Adjektiv/Adjektivverb sein wird. Man kann j:šw.y, km und šmꜣ.y als drei gleichwertige Pseudopartizipien betrachten, aber Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 54, Anm. 1 erwägt auch die Übersetzung „in ungewöhnlicher Weise schwarz“. Das Substantiv šmꜣ: „Anomalie“ erscheint in Fall 41 im Zusammenhang mit einer entzündeten Wunde, die nicht heilt (mit einer erklärenden Glosse in Kol. 14.7–11, die besagt, dass die Wunde nicht verheilt, sich nicht schließt und Hitze abstrahlt, d.h. entzündet ist). Breasted, Surgical Papyrus, 384–385 verwendet die Begriffe Gewebsnekrose und Gangräner Zustand. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 128–131 nennen Fall 15: „necrotic maxillary stab wound“. Die schwarze Färbung in Kombination mit dem Loch in der Wange in Fall 15 hat Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 37–38 zu der Diagnose „Noma“ geführt, was sicherlich abzulehnen ist. Noma ist eine bakterielle Erkrankung, die durch Mangelernährung verursacht wird und pEdwin Smith handelt von Verletzungen durch äußere Gewalteinwirkung.
3 jmr.w: Das Produkt j-mj-rw, das mit einem Rechteck determiniert wird, erscheint meistens mit einer anderen Orthographie: j-mr-w. Es ist nicht identifiziert und kommt nur in pEdwin Smith vor (an 10 Stellen). Wb 1, 87.19 beschränkt sich auf eine Deutung „als Verbandsmittel (neben Honig)“. Es gibt zwei Interpretationen, die beide vom rechteckigen Determinativ ausgehen: ein Mineral und ein Verband. (1) Das rechteckige Determinativ wird von Breasted, Surgical Papyrus, 264–265 als ein Mineral-Determinativ eingestuft. Eigentlich ist es jedoch ein Steinblock O39 und kein Mineralkorn N33. Breasted fragt sich, ob jmr.w ein Mineral mit desinfizierender Wirkung sein kann, weil er šmꜣ.y als infiziertes Gewebe (ein Fall von Gangrän?) eingestuft hat. In DrogWb, 33–34 steht „ein unbekanntes Mineral(?)“, wobei also die Identifikation als Mineral hinterfragt wird. Harris, Lexicographical Studies, 187–188 meint, dass die Verwendungskontexte für ein desinfizierendes Mineral mit adstringenten (zusammenziehenden, austrocknenden) und blutstillenden Eigenschaften spricht. Er verweist auf Forbes, Studies in Ancient Technology, III, 159 und 182 (die Angabe I.87.19 bei Forbes, 159 verweist auf Wb 1, 87.19), der jbnw und jmrw als eine Art von „Alaun“ identifiziert (jmrw mit Fragezeichen bei Forbes!; Aufrère, Univers minéral, II, 605–606 nennt nur jbnw, nicht jmrw). Harris meint, dass dieser Vorschlag von Forbes „may well be correct“, aber er vermerkt auch, dass „the evidence is by no means conclusive“ und er zitiert eine Interpretation als „Verband“ durch Grapow. Als ein (anderes) Mineral versteht es auch Hannig, HWB, 82: „e. Mineral (vielleicht e. Art Bimsstein, als Stützverband bei Brüchen)“. (2) Grapow, Kranker, 129 mit Anm. (a) übersetzt mit „jmrw-Verband“ und denkt an einen „Stofflappen von länglich viereckiger Gestalt“, aber er schreibt auch, dass die Behandlungsanweisungen im Kombination mit Fett/Öl und Honig auf eine Droge hinweisen könnten. Westendorf, Handbuch Medizin, 495 erkennt in jmrw die Wurzel mr: „binden“ (s. Westendorf, Grammatik, 16, § 27dd: ein Partizip Aktiv j:mr.w „der Bindende“) und vermerkt, dass das rechteckige Determinativ auch beim bḏꜣ-Polster aus ḥbs-Stoff verwendet wird (siehe schon Grundriß IX (Ergänzungen), 105 als Korrektur von DrogWb 34 s.v. jmrw). Außerdem wird jmrw nur in einem Fall bei einer Wunde (wbn.w: Fall 37, Kol. 12.17–18) angewandt, was gegen ein desinfizierendes Mineral spricht. (3) Brawanski, in: SAK 32, 2004, 65–66 kombiniert die Interpretationen als Mineral und als Verband: „adstringierender Verband (mit Metallspänen)“. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 129–130 folgen der Interpretation von Brawanski, aber spezifisch mit dem Mineral Alaun statt mit Metallspänen: „alum (or, a bandage with alum [?] shavings?)“.

Fall 16: Wangenverletzung mit Spalt(bruch) in der Wange

(Titel:) Erfahrungswissen über einen Spalt/Spaltbruch in seiner Wange.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem Spalt/Spaltbruch in seiner Wange untersuchst,
dann findest du eine tḫb-Schwellung auf seiner Wange vor, die aufgeschwollen/erhoben und rötlich/bläulich rot ist, auf der Außenseite jenes Spalts/Spaltbruchs.1
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einem Spalt/Spaltbruch in seiner Wange:
[6.20] eine Krankheit, die ⟨ich⟩ behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du sie (die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Seine Behandlung besteht aus Sitzen,
so dass / bis seine tḫb-Schwellung abzieht (d.h. zurückgeht).
Du sollst ihn danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Faserbausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 ḥr sꜣ n.j pšn: Die Beschreibung erweckt den Eindruck, dass keine offene Wunde auf der Außenseite vorhanden ist (so u.a. Ebbell, Sanchez/Meltzer). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 38–39 meint, dass nur das Gewebe von der Innenseite verletzt ist. Breasted, Surgical Papyrus, 265 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 134 nehmen einen Spaltbruch der Wangenknochen an (entweder das Os zygomaticum oder die Maxilla oder beide). Es werden keine neurologischen Symptome beschrieben, außer dass der Patient zuerst sitzen bleiben soll. Die pšn-Verletzung der Wange ist die mittlere von drei beschriebenen Verletzungen (neben thm: Loch/Lochbruch und sḏ: Aufplatzung/Splitterbruch). Spätestens bei der dritten, der sḏ-Verletzung, weisen die Symptome auf unheilbare Knochenbrüche hin. Der „Rücken“ (sꜣ) oder die „Rückseite“ des pšn-Bruchs ist die „Außenseite“ (Breasted, Surgical Papyrus, 204) oder die Haut (Bardinet, Papyrus médicaux, 512: „le revêtement cutané“).

Fall 17: Wangenverletzung mit Splitterbruch in der Wange

[7.1] (Titel) Erfahrungswissen über einen sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner Wange.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner Wange untersuchst,
dann musst du folglich deine Hand auf seine Wange im Bereich jenes sḏ-Bruchs (Splitterbruch) legen.
Unter deinen Fingern wird er (der Bruch) knirschen (?; oder: sich verschieben?);
außerdem gibt er Blut aus seiner Nasenhöhle und aus seinem Ohr an derjenigen Seite von ihm, die jene Schlagverletzung aufweist;
und außerdem gibt er noch Blut aus seinem Mund
– Es fällt ihm infolgedessen schwer, seinen Mund zu öffnen.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn: „Einer mit einem Splitterbruch in seiner Wange, (wobei) er Blut aus seiner (einen) Nasenhöhle, [7.5] aus seinem (einen) Ohr und aus seinem Mund gibt und dabei benommen ist:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“
(Behandlung:) Dann musst du ⟨ihn⟩ folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Seine Linderung/Lagerungshaltung/Behandlungsroutine(?)1 ist Sitzen, so dass / bis seine tḫb-Schwellung abzieht (d.h. zurückgeht).
Danach sollst du ihn täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Wattebausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.2

1 sry=f: Steht an einer Stelle, an der in parallelen Sätzen srwḫ=f: „seine Behandlung“ geschrieben steht. Das Wort wird jedesmal ohne Determinativ geschrieben und seine Bedeutung ist unklar. Breasted, Surgical Papyrus, 270 mutmaßt eine Bedeutung „relief(?)“, d.h. „Linderung, Erleichterung“. Das Wort muss eine Bedeutung haben, die zum üblichen Wort srwḫ: „Behandlung“ passt, aber die Fälle, in denen sry auftaucht, haben nicht immer einen guten Ausgang. Breasted fragt sich auch, ob ein etymologischer Zusammenhang mit srwi̯: „vertreiben, verscheuchen“ vorliegen könnte (vgl. DZA 31.143.840: „Die Art es zu vertreiben [von śrwj?; sonst śrwḫ.f]“, aber in Wb 4, 193 nicht bei den Belegstellen von srwj aufgenommen). Aus beiden Gründen denkt Breasted an eine befristete „Entlastung, Erleichterung“. MedWb II, 773 bietet die Bedeutung „lagern(?)“ und nimmt an, dass es das Verb sri̯ ist, das im Zusammenhang mit dem „zu Boden bringen‘ von Köpfen“ verwendet wird (= Wb 4, 192.10: „(die Köpfe) abtrennen o.ä.“; die Stellen von pEdwin Smith finden sich nicht unter diesem Lemma im DZA). Hannig, HWB, 787 listet bei srj „*abtrennen (Kopf)“ eine zweite Bedeutung „[med] *lagern“ {28947}, die wahrscheinlich die Stellen von Papyrus Edwin Smith betreffen. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 136–137 diskutieren im Kommentar die medizinische Relevanz der von MedWb vorgeschlagenen Übersetzung „lagern(?)“, aber sie geben in ihrer Übersetzung „treatment protocol(?)“ an. Letzteres wird im Kommentar erklärt als: „it encompasses measures to be implemented automatically in an emergency room or an Intensive care unit in specific situations, such as burns, or head injuries, or heart attacks.“ Somit wäre „treatment protocol(?)“ eine Variante von „treatment“, das als Übersetzung von srwḫ auftritt, aber eine etymologische Begründung durch Identifikation der zugrunde liegenden Wurzel steht aus. Allen, Art of Medicine, 82 übersetzt: „He should be forced to sit“. sr wäre dann ein sḏm=f Passiv und eine Ergänzung von pw wäre überflüssig, aber es ist in den Fällen 20 und 32 vorhanden (Allen übersetzt diese beiden Fällen wie Fall 17, während er in seiner Übersetzung von srwḫ=f pw ḥmsi̯.t: „his treatment is to sit“ die Anwesenheit von pw berücksichtigt.). Welches ägyptische Verb „to be forced“ entsprechen soll, ist unklar. Ein kausatives Verb s:(j)ri̯ existiert nicht (vgl. jꜥr und s:(j)ꜥr). In den Annalen Amenemhets II. erscheint ein Substantiv sry ohne Determinativ (in Zl. 24), das Altenmüller/Moussa, in: SAK 18, 1991, 17 als „Anweisung“ übersetzen. Diese Stelle wird von Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II, 2, 2281 {49469}, als „Regel, Anweisung“ übersetzt. Ist dies eine Ableitung von der Wurzel sr: „ankündigen, verkündigen“ (das, was vom König verkündet wird, ist eine Anweisung)? Diese Bedeutung könnte auch im pEdwin Smith passen: „seine Anweisung“ im Sinne von „die Anweisung (zur Behandlung), die ihn betrifft“.
2 r nḏm=f: Dies passt nicht zur Diagnose, dass der Arzt nichts machen kann. Fall 17 ist ganz ähnlich zu Fall 13, mit einem sḏ-Bruch in der Nase. Dort ist die Diagnose ebenfalls ungünstig und es fehlt eine Behandlung. Breasted, Surgical Papyrus, 269 und 270 vermutet, dass r nḏm=f in Fall 17 fehlerhaft ist, dass der Schreiber es ohne nachzudenken in diesem gängigen Satz vervollständigt hat. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 56, Anm. 1 und Westendorf, Handbuch Medizin, 724, Anm. 32 vermutet sogar, dass die ganze Passage mit der Behandlung fehlerhaft und vielleicht eine Variante zu Fall 16 ist. Ein weiteres Argument ist, dass tḫb weder in der Untersuchung, noch in der Diagnose vorkommt und deshalb vielleicht aus Fall 16 stammt (dieses Argument steht in Grundriß IX (Ergänzungen), 80 zu IV, 2, Seite 146, Note 3).

Fall 18: Wunde im Jochbein-Schläfenbereich

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich).
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer (offenen) Wunde in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich) untersuchst
– es gibt keine Klaffung (wörtl.: es gibt nicht seine Klaffung),
allerdings/und doch reicht jene Wunde bis zum Knochen –,
dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Wohlbehalten findest du seine gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich) vor,
und es gibt keinen Spalt/Spaltbruch, Lochbruch/Durchbohrung (oder) Splitterbruch in ihr (der gmꜣ-Schläfe).
(Diagnose:) Daraufhin sagst du [7.10] über ihn: „Einer mit einer Wunde in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich):
Eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du sie (die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Danach sollst du ⟨ihn/sie⟩ täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett und Honig versorgen/pflegen, bis es ihm (dem Patienten) besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine Wunde, {{die nicht klafft}} ((ohne Klaffung)) und doch reicht sie bis zum Knochen“ angeht:
das ist eine kleine Wunde, die den Knochen erreicht hat,
(aber) es ist keine Klaffung in ihr (der Wunde) entstanden.
Er (d.h. der Arzt oder ein Wundenbuch) sagt (solches) über etwas Schmales (oder: über die Tatsache, dass (es) schmal ist); es gibt {{seine}} die beiden Ränder seiner Wunde nicht.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „seine gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich)“ angeht:
das ist das, was sich davon zwischen der Verkleinerung/Verengung seines Auges (d.h. dem äußeren Augenwinkel) und dem gry.t-Teil1 seines Ohres und dem (oberen/hinteren) Ende seiner Kinnlade2 befindet.

1 gny.t oder gry.t ist ein Hapax, das nur in pEdwin Smith, Kol. 7.14 (Fall 18) vorkommt. Das Wort ist mit einer Ligatur geschrieben, die sowohl gn als auch gr gelesen werden kann. Breasted, Surgical Papyrus, 276 liest gny.t, aber schließt gry.t nicht aus. Wb 5, 181.7 sowie MedWb II, 921 verweisen von gny.t auf gry.t. Hannig, HWB, 971 und 973 verweist umgekehrt von gryt auf *gnyt (Asterisk wegen unsicherer Lesung). Es ist ein Teil des Ohres, das in der Begrenzung des gmꜣ-Bereichs (Bereich des Jochbeins und der Schläfe mit zugehörigen Haut- und Muskelpartien) genannt wird. Als Übersetzungen werden vorgeschlagen: „Ohrläppchen“, „Ohröffnung“ (eng. und franz.: orifice), „Ohrdeckel“ (Tragus), „Ohrmuschel“ (Auricula auris, Pinna; eng. auricle; pinna). Breasted, Surgical Papyrus, 276 sagt, dass es unmöglich ist, sich aufgrund dieser einzigen Passage zwischen der (äußeren) Ohrmuschel (eng.: „auricle or outer ear“) und der Ohröffnung (eng.: „orifice itself“) zu entscheiden. Für die Ohröffnung gibt es auch den Begriff : „Mund, Öffnung“ (in: Eb 766c). Wb 5, 181.7 legt sich mit „Teil des Ohres“ nicht auf eine Bedeutung fest. Weeks, Anatomical Knowledge, 39 beschränkt sich auf „may refer in some way to the auricle or to the concha“. Grapow, Anatomie, 32 und MedWb 921 ziehen die Bedeutung „Ohrmuschel“ gar nicht in Betracht. Grapow hat: „Ohrläppchen‘ (oder doch ‚Ohröffnung‘?)“. Hannig, HWB, 971 hat ebenfalls „Ohrläppchen“ (ohne Fragezeichen). Laut MedWb 921 liegt das Ohrläppchen „im Verhältnis zum Jochschläfenbein (gmꜣ) etwas zu tief und kommt wohl nicht in Betracht“ für die Eingrenzung des Bereichs des gmꜣ. MedWb (und Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 57, Anm. 4; Westendorf, Handbuch Medizin, 157 mit Anm. 119) denkt an „das dreieckige Zipfelchen vor dem Ohreingang“, d.h. den Tragus. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain erwähnt gny.t/gry.t nicht (aber siehe S. 14 die Übersetzung von pEdwin Smith 7.14: „orifice(?)“), daher auch nicht Lacau, Noms des parties du corps. Walker, Anatomical Terminology, 278 verweist von gnyt auf gryt und übersetzt letzteres mit „tragus or pinna of the ear“.
2 pḥ.wj wgy.t=f: In Kol. 3.17 (Fall 7) reicht allein pḥ.wj wgy.t aus, um den Bereich des gmꜣ-Körperteils zu definieren. Mit pḥ.wj wgy.t ist der Ramus (Unterkieferast) des Unterkieferknochens oder dessen gegabeltes oberes Ende gemeint.

Fall 19: Lochbruch im Jochbein-Schläfenbereich

(Titel:) Erfahrungswissen über ein Loch / eine Durchbohrung / einen Lochbruch [7.15] in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich).
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) ⟨mit⟩1 einem Loch(bruch) / einer Durchbohrung in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich) untersuchst
– und eine (offene) Wunde ist auf/über ihm/ihr (dem Loch oder der gmꜣ-Schläfe) –,
dann musst du (dir) folglich seine Wunde anschauen.
Du sollst ihm sagen: „Blicke auf deine Schultern!“
(Es) fällt ihm schwer, (es) zu tun (wörtl.: es ist schwierig, dass er (es) tut);
(Nur) wenig dreht sich ihm sein Hals/Nacken.
Sein Auge ist gerötet/entzündet/zugeschwollen(?)2 an derjenigen Seite von ihm, die jene Schlagverletzung aufweist.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einem Loch(bruch) / einer Durchbohrung in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich),
(wobei) er ...?...
3
(und wobei) er an Versteifung in seinem Nacken leidet:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du ihn folglich auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) legen,
bis der Höhepunkt seines jh-Leidens vorübergegangen sein wird.
Du sollst ⟨ihn⟩ täglich mit Öl/Fett, Honig und Wattebausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 thm ⟨m⟩ gmꜣ=f: Die Ergänzung, welche schon Breasted, Surgical Papyrus, 279, Anm. (a) vorgenommen hat, entspricht dem Titel dieses Falles und den sonst üblichen Formulierungen in pEdwin Smith. Theoretisch könnte man auch ohne Emendationen auskommen: „Wenn du einen Mann untersuchst – durchbohrt ist seine gmꜣ-Schläfe; eine Wunde ist darauf – dann musst du (dir) seine Wunde anschauen.“
2 šsm: Wird in Glosse A zu Fall 19 erklärt. Laut Breasted, Surgical Papyrus, 282 ist šsm eine Farbbezeichnung, die hier als Verb verwendet wird. Die Glosse erklärt šsm mit dšr: „rot“ und ḏꜣ (ein nicht genauer identifizierter krankhafter Zustand der Augen), weshalb Breasted mit „blood-shot“ übersetzt (gefolgt von Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer). In pEbers 62.9 (Eb 408) erscheint als Substantiv die rote (dšr) šsmw.t-Augenkrankheit, die mit dem Verb šsm zusammenhängt. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 42 lehnt die Übersetzung „blutunterlaufen“ für das Verb ab, weil sich die Augen in pEbers 37.18 (Eb 192a) und 38.18 (Eb 195a) nach der Behandlung öffnen (wn). Zuvor müssen sie also geschlossen gewesen sein. Deshalb meint Ebbell, Alt-ägyptische Krankheiten, 54–56, dass šsm „die Bezeichnung für ein gewisses Niederfallen der Augenlider sein muss, d. h. das, was in der Medizin Ptosis genannt wird“. In Fall 31 mit einer Luxation eines Halswirbels kommt das gleiche Symptom vor und Ebbell vermutet, dass dort Ptosis (das Herabhängen eines oder beider Augenlider) infolge einer Beschädigung des Nervus sympathicus auftritt. Da in diesem Fall kein Grund zu der Annahme besteht, dass die Augen „blutunterlaufen“ sind, erkennt er in der Farbangabe dšr ein zusätzliches Symptom und nicht ein Merkmal von šsm. Deshalb übersetzt er šsm mit „geschlossen sein“ (dieselbe Argumentation bei H.G. Blersch, Die sichtbaren Wärmezeichen und die Wärmeformen im Innern des Körpers in der altägyptischen Medizin, in: Medizinhistorisches Journal 8/2–3, 1973, 168–170 und 176: „ein Zugeschwollensein bzw. eine Ptosis“ und nicht eine „Rötung“ oder „Entzündung“). Für MedWb, 869–870 ist hingegen wieder die Rötung das Charakteristische dieser Augenkrankheit, die dort deshalb mit „Rötung; Entzündung“ bzw. „gerötet; entzündet“ übersetzt wird. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 57 hat „entzündet“ (Fall 19); Westendorf, Handbuch Medizin, 725: „entzündet/blutunterlaufen“ (Fall 19). Brawanski, in: SAK 32, 2004, 68, Anm. (5) hält die Interpretation als Ptosis für Fall 31 durchaus berechtigt: „eine Verengung der Augenlider durch eine Schädigung des Sympathischen Nervengeflechts, welches bei einer Rückenmarkschädigung im Bereich der unteren Halswirbel auftreten kann (Hornersyndrom)“. Seiner Meinung nach ist eine Übersetzung „geschwollen/verengt“ in Fall 31 aus klinischer Sicht sinnvoll. Für Ebbell und Brawanski beeinflusst in Fall 31 eine Verletzung der Halswirbelsäule das šsm-Sein der Augen (daher: „geschlossen, geschwollen, verengt“), Sanchez/Meltzer (Edwin Smith Papyrus, 204) nehmen jedoch einen frontalen Schlag an den Kopf als Ursache an (daher: „blood-shot“).
3 _w=f mn=f: Das erste Zeichen wurde vom antiken Schreiber korrigiert und ist unleserlich. Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 145) ergänzt jw=f mn=f, aber das passt nicht zu den Spuren. jw=f mn=f kommt auch sonst nicht in diesem Papyrus vor, obwohl mn=f ṯs.w m nḥb.t=f und mn=f st.t ... in mehreren Fällen als Symptom erwähnt wird (es gibt nur jsk z pf mn=f in 14.18 und 15.1). Schon Breasted, Surgical Papyrus, 280 hat an jw=f gedacht, aber diese Lösung verworfen. Er meint, dass _w=f zum vorangehenden gmꜣ=f gehören muss, aber macht keinen Vorschlag. Westendorf, Handbuch Medizin, 725, Anm. 35 fragt sich, ob man ḥrw=f: „ihre Oberseite“ lesen kann und meint, dass man eine Erwähnung der Wunde auf der Durchbohrung oder der Schläfe erwartet (wbn.w ḥr=f), wozu der Platz aber nicht ausreicht.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „seine beiden Augen4 sind gerötet/entzündet/zugeschwollen(?)“ angeht:
[7.20] das bedeutet, dass die Färbung5 seiner beiden Augen rot ist, wie die Färbung der šꜣs-Pflanze6.
Die Sammelhandschrift über „Die Angelegenheiten7 des (Wund)verbinders“ hat darüber gesagt:
„Seine Augen sind so gerötet (blutunterlaufen?) und ḏꜣ-krank8, wie ein Auge am Ende seiner Schwäche.9

4 jr.tj=fj: Ist mit zwei Pupillen statt mit zwei Augen geschrieben. Außerdem ist im Haupttext nur von dem einen Auge auf der Seite mit der Verletzung die Rede. Die beiden Pupillen könnte man br.wj/bl.wj: „die beiden Augäpfel“ lesen, aber im Haupttext steht jr.tj und das zugehörige Pseudopartizip Feminin šsm.tj verlangt ebenfalls ein feminines Wort. MedWb I, 68 liest jr.tj und listet weitere Belege in den Londoner und Berliner medizinischen Papyri dieser Schreibung auf. Auch Breasted, Surgical Papyrus, 517 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 144 transkribieren jr.tj, aber Meltzer erwägt die Übersetzung „eye(ball?)“.
5 jrtjw: Breasted, Surgical Papyrus, 194–196 skizziert eine Bedeutungsentwicklung von der Bezeichnung der jrtjw-Pflanze oder Frucht mit einer bläulichen Färbung, über die Farbbezeichnung jrtjw zu bläulichem Leinen jrtjw und zu der Bedeutung „color, hue, tint, surface“. MedWb I, 96–97 fragt sich hingegen, ob jrtjw: „Beschaffenheit, Färbung“ von jr.j: „befindlich an“ abgeleitet ist. In Wb IV. 412.1 steht für jrtjw šꜣs: „Früchte(?) der š.-Pflanze“.
6 šꜣs: Die Identität dieser Pflanze, die auch als pharmazeutische Droge verwendet wird, ist unbekannt (Wb 4, 412.1–2; MedWb II, 836; DrogWb 479; Charpentier, Recueil, II, 648, Nr. 1058). Wreszinksi möchte šꜣs im Berliner Medizinischen Papyrus (Bln 112) in šꜣms emendieren, aber er kannte den Beleg von pEdwin Smith noch nicht. Auch Hannig, HWB, 869–870 fragt sich, ob ein Zusammenhang mit šꜣms bestehen könnte. Die Pflanze ist laut Glosse A zu Fall 19 rot oder färbt rot (Germer, Handbuch, 127). Meltzer (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 144) übersetzt ohne weitere Begründung mit „coriander berries“.
7 jr.j ist eine substantivierte Nisbe „zugehörig zu, was betrifft“ und erscheint im Titel zweier in pEdwin Smith zitierten Bücher: die Sammelhandschriften (ṯꜣw) jr.j n.j wbn.w: „Das, was die Wunde betrifft“ (Fall 5, Kol. 2.17; Fall 41, Kol. 14.10) und jr.j n.j wt: „Das, was den Bandagierer betrifft“ (Fall 19, Kol. 7.20–21). Allen, Art of Medicine, 75 und 85 übersetzt das eine Werk mit „The Nature of Wounds“, das andere mit „Skill of the Embalmer“. Ein Buch mit dem Titel jr.jw n.j wt erscheint in pUCL 32781 verso: Fischer-Elfert, in: CdE 88/175, 2013, 15–34. Dort ist jr.jw mit einem ausführlichen Determinativ für Schriftstücke versehen (Gardiner Y1+Z2+V12+Z1). Fischer-Elfert erkennt einen Zusammenhang zwischen jr.j in den beiden in pEdwin Smith erwähnten Sammelhandschriften jr.j n.j wbn.w: „Was zur Wunde gehört“ und jr.j n.j wt: „Was zum Verbinder gehört“ und dem jr.jw-Schriftstück oder jr.jw-Traktat. Er versteht die Textbezeichnung jr.jw als ein „Glossenverzeichnis“ oder „Glossar“ (eine Sammlung von jr-Glossen) (Fischer-Elfert, in: CdE 88/175, 2013, 19–20 und 26–30 sowie Fischer-Elfert, in: WdO 43/1, 2013, 110–113). Pommerening liest die Gruppe jr + Buchrolle (Gardiner Y1) nicht als jr.j, sondern als jr.j-mḏꜣ.t: „Archivar, Hüter des Buches“ und übersetzt ṯꜣw n.j jr.j-mḏꜣ.t n.j wbnw als „Textsammlung des Wundenbuchhüters“ (Tanja Pommerening, Die šsꜣw-Lehrtexte der heilkundigen Literatur des Alten Ägypten. Traditionen und Textgeschichte, in: D. Bawanypeck und A. Imhausen (Hgg.), Traditions of Written Knowledge in Ancient Egypt and Mesopotamia. Proceedings of Two Workshops Held at Goethe-University, Frankfurt/Main in December 2011 and May 2012 (AOAT 403), Münster 2014, 24, Anm. 42).
8 ḏꜣ: Ist ein Verb, das einen krankhaften Zustand der Augen beschreibt (Wb 5, 517.9; MedWb II, 993). Ob es einen Zusammenhang mit weiteren Wörtern ḏꜣj.w, ḏꜣy.t und ḏꜣ.t gibt (siehe Dévaud, bei Breasted, Surgical Papyrus, 282; sie werden in MedWb II, 994 teilweise von der Wurzel ḏꜣi̯: „kreuzen“ abgeleitet), ist unklar. Breasted, 282 sagt, dass es „a very general word für ‚ailing‘ or ‚affected‘“ ist. Wb 5 und MedWb II bieten keine Übersetzung. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 58 hat „blutunterlaufen(?)“ und Westendorf, Handbuch Medizin, 725 „blutig(?)“. Westendorf, Handbuch Medizin, 725, Anm. 36 verweist dazu auf pChester Beatty III, Kol. 2.13: (jr mꜣꜣ sw z m rsw.t) ḥr mwt ḏꜣ.y, was Gardiner, HPBM III. Chester Beatty Gift, London 1935, 12 und Anm. 3 mit „(If a man sees himself in a dream) dying violently(?)“ übersetzt und dazu einen Zusammenhang zwischen ḏꜣ.y und dem Substantiv ḏꜣ.y: „enemy“ (Wb 5, 517.10–12: „Widersacher“) vermutet (mit der Bemerkung: „very uncertain“). H.G. Blersch, Die sichtbaren Wärmezeichen und die Wärmeformen im Innern des Körpers in der altägyptischen Medizin, in: Medizinhistorisches Journal 8/2–3, 1973, 169 mit Anm. 58–59: ḏꜣw ist vermutlich von ḏꜣi̯: „überqueren, kreuzen, behindern“ abzuleiten und bedeutet vielleicht „überquert(?)“ (Blersch erklärt nicht, was er mit einem überquerten Auge meint).
9 pḥ.wj ꜣhd=s: Bedeutet wörtlich „das Ende ihrer Schwäche“, wobei „ihr“ auf das Auge verweist. Breasted, Surgical Papyrus, 282–283 weiß nicht, was damit gemeint sein kann. Für die Forscher des Grundrisses der Medizin steht ꜣhd: „Schwäche“ für „schwache Stelle“ und ist mit pḥ.wj ꜣhd gemeint: „die gerötete Stelle im Augenwinkel“ (MedWb I, 10, Anm. 1) oder „die normale Rötung im Augenwinkel“ (Grundriß IV/2, 146, Anm. 5 zu Sm Fall 19; ebenso Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 58, Anm. 4; Westendorf, Handbuch Medizin, 725). Meint Westendorf, dass die Augenwinkel die „schwachen Stellen“ im Sinne von „weichen Bereichen“ des Auges bilden? Allen, Art of Medicine, 85 versteht das Auge „am Ende seiner Schwäche“ ganz anders als: „an overtired eye“.

Fall 20: Lochbruch im Jochbein-Schläfenbereich mit tiefer Wunde

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich), die bis zum Knochen reicht
– seine gmꜣ-Schläfe ist durchbohrt/durchstoßen.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer Wunde in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich), die bis zum Knochen reicht, untersuchst – seine gmꜣ-Schläfe ist durchbohrt/durchstoßen –,
dann sind seine Augen gerötet/entzündet/zugeschwollen(?);
(und) er blutet aus seinen Nasenhöhlen
– (aber) nur wenig läuft hinunter (wörtl.: gering ist, dass (etwas Blut) hinunterläuft).
Wenn du deine Finger auf die Öffnung [8.1] jener Wunde legst,
zittert (er) sehr (?; oder: wackelt(?) (es) wirklich sehr).
Wenn du ihn zu seinem mn.t-Leiden befragst,
(stellst du fest:) er kann nicht mit dir reden.1
Ein großes Weinen (d.h. viele Tränen) ist aus seinen Augen hinuntergelaufen;
dann muss er folglich häufig seine Hand zu seinem Gesicht nehmen,
damit er seine Augen mit dem Rücken seiner Hand abwischt,
wie das, was ein Kind tut; er weiß nicht, was er tut.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer Wunde in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich), die bis zum Knochen reicht – seine gmꜣ-Schläfe ist durchbohrt/durchstoßen –,
(indem/wobei) er aus seinen Nasenhöhlen blutet,
(und indem/wobei) er an Steifheit/Steifigkeit in seinem Nacken leidet
und dabei benommen ist:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

(Behandlung:) Sobald (oder: weil) du (also) jenen Mann [8.5] benommen vorfindest,
⟨sollst du ihn nicht verbinden (...).⟩
Seine Linderung/Lagerungshaltung/Behandlungsroutine(?) ist Sitzen.
(oder: Sobald (oder: weil) du jenen Mann benommen vorfindest,
dann ist seine Linderung/Lagerungshaltung/Behandlungsroutine(?) Sitzen.)2
Sein Kopf werde mit Öl/Fett eingecremt.
mhwj-Milchprodukt (?)
3 werde in seine Ohren gegossen/geträufelt4.

1 n mdwi̯.n=f: Die Tatsache, dass der Patient infolge der Verletzung nicht sprechen kann, wird als ein Fall von Aphasie eingestuft (s. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 151–152). Bardinet, Papyrus médicaux, 505 hat mdwi̯ mit „répondre“, d.h. „antworten“ übersetzt, aber dafür gibt es das Verb wšb. Falls man n mdwi̯.n=f als Hauptsatz betrachtet und nicht als Umstandssatz (letzteres Breasted, Allen), dann impliziert der Satz eine Feststellung durch den Arzt. Deshalb übersetzt Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 59 und Handbuch Medizin, 726: „so (– stellst du fest –) kann er nicht reden zu dir.“
2 Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 59 und Westendorf, Handbuch Medizin, 726 mit Anm. 38 nimmt an, dass ein oder mehrere Sätze ausgefallen sind. Er verweist auf Fall 4 (Kol. 2.6–7) wo zwischen jr ḏr gmm=k z pf (...) und srwḫ=f pw ḥmsi̯.t noch steht:
jr ḏr gmm=k z pf pšn ḏnn.t=f
jmi̯=k wt (2.7) sw
ḏi̯ r tꜣ ḥr mnj.w=f r swꜣ ꜣ.t jh=f
srwḫ=f pw ḥmsi̯.t
„Sobald (oder: weil) du jenen Mann (d.h. Patienten) also vorfindest, dessen (Hirn-)Schädel gespalten ist,
dann sollst du ihn nicht bandagieren/verbinden.
(Er) werde auf den Boden auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) gelegt, so dass / bis der Höhepunkt / die kritische Phase seines jh-Leidens vorübergeht.
Seine Behandlung besteht aus Sitzen.“
3 mhwj: Das Produkt mhwj, Var. mhwt und mhꜣ(.t), wird mit einem Krug, mit Wasserwellen oder mit dem Mineral-Korn determiniert. Es kommt allein vor und als Bestandteil von mrḥ.t-Öl/Fett (mhwj n.j mrḥ.t). Wb 2, 114.1–3 beschränkt sich auf: „etw. Flüssiges (ob Zerlassenes, Geschmolzenes [Fett]?)“. Auch DrogWb 279–280 beschreibt es als ein bislang unbestimmbares Produkt. Breasted, Surgical Papyrus, 287 übersetzt mit „milk(?)“ (in halben eckigen Klammern als Signal für eine unsichere Bedeutung) und schreibt: „it is possible that it means cream“. Breasted nimmt vermutlich an, dass ein etymologischer Zusammenhang mit mhr/mhj: „Milchkrug“ und mhr/mhj: „Milchkuh“ existiert und dass mhwj deshalb Milch oder ein Milchprodukt sein kann. (Das normale Wort für Milch ist jrṯ.t, das auch häufig in Heilmitteln zur Anwendung kommt.) Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 59 mit Anm. 4 übersetzt mit „Rahm(?)“; ebenso Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 150: „cream(?)“. Westendorf, Handbuch Medizin, 726 hat „Milchfett“ (ohne Fragezeichen). Hannig, HWB, 371 bietet „*Stoff aus ranzigem Milchfett“. Allen, Art of Medicine, 87 hat „congealed oil“. Es ist unklar, weshalb ein Produkt ins Ohr geträufelt wird, weil kein das Ohr betreffendes Symptom in der Untersuchung genannt wird. Stephan, Altägyptische Medizin, 117 vermutet, dass die Ägypter eine Verbindung zwischen Ohr und Auge angenommen haben und dass das Milchprodukt als Heilmittel für die Augen gedacht ist. Stephan verweist auf Eb 356, wo ein Heilmittel gegen Blindheit in das Ohr eingegossen wird (s. Westendorf, Handbuch Medizin, 613 mit Anm. 96).
4 wdḥ: Bedeutet „schütten, gießen, ein-/ausgießen“. Je nach Zusammenhang muss ein tröpfchenweises Eingießen (z.B. ins Auge) gemeint sein, weshalb „einträufeln“ als kontextuelle Übersetzung passt.

Fall 21: Spaltbruch im Jochbein-Schläfenbereich

(Titel:) Erfahrungswissen über einen Spalt/Spaltbruch in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich).
[8.10] (Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem Spalt/Spaltbruch in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich) untersuchst,
dann findest du auf der Außenseite jenes Spalts/Spaltbruchs eine tḫb-Schwellung, die aufgeschwollen/erhoben ist.
Außerdem gibt er (der Patient) noch einseitig Blut aus seiner (einen) Nasenhöhle und aus seinem (einen) Ohr infolge jenes Spalts/Spaltbruchs.
Es fällt ihm infolgedessen schwer1, etwas zu hören/verstehen (wörtl.: Es ist schwierig, dass er ein Wort hört / einer Rede zuhört infolgedessen).
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einem Spalt/Spaltbruch in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich),
(wobei) er Blut aus seiner (einen) Nasenhöhle und seinem (einen) Ohr infolge jener Schlagverletzung gibt:
eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde.“

(Behandlung:) Dann musst du ihn (d.h. den Patienten) folglich auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) legen, so dass / bis du erkennst, dass er die (entscheidende) Sache erreicht (hat) (d.h. es schaffen wird?).

1 qsn: Breasted, Surgical Papyrus, 568 (Index) hat qsn systematisch als „to be painful, painful“ übersetzt, ohne diese Übersetzung zu kommentieren. Das hat in Fall 21 (Kol. 8.7–8) zur Folge, dass jw qsn sḏm=f mdw.t: „it is painful when he hears speech“ als das Symptom der Hyperakusis (Überempfindlichkeit gegenüber Schall, der normalerweise nicht als zu laut empfunden wird) erkannt wurde (z.B. Stiefel/Shaner/Schaefer, in: The Laryngoscope 116, 2006, 188; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 154–155). Das Adjektiv/Adjektivverb wird in Wb 5, 69–70 als „schwierig, schlimm, schmerzhaft“ übersetzt. Der unpersönliche Gebrauch jw qsn hat in Wb 5, 70.10–14 die Bedeutung „es ist schlimm u.ä.“ mit der Bemerkung „Bes. auch vom Kranken, dem bestimmte Bewegungen schwer werden (oder schmerzhaft sind); auch vom Gebären (von einer Frau und auch von der kalbenden Kuh)“. In MedWb II, 892 werden nur die Bedeutungen „schlimm; schwierig“ aufgelistet und gerade in der Konstruktion (jw) qsn + sḏm=f oder Infinitiv mit „schwierig (etwas zu tun)“ übersetzt. Als attributives Adjektiv erscheint es in medizinischen Texten u.a. in den Zusammenhängen mr.t qsn.t „schlimme Krankheit“ und s.t qsn.t: „schlimmer Zustand“. Grapow, Kranker, 12 mit Anm. (g) und 24 denkt in diesen beiden Fällen an die Wehen, die natürlich vor allem schmerzhaft sind (vgl. pWestcar 9.22 und 10.4: qsn mss=s: es geht dabei allerdings um eine schwierige/komplizierte Geburt von Drillingen, nicht um eine schmerzhafte Geburt). Faulkner, CDME, 281 listet zahlreiche Übersetzungen für qsn auf, angefangen mit schmerzhaft: „painful; painfully; irksome; troubled; difficult; dangerous; wretched“. Für „painfully“ verweist er auf pEbers 41.21 (= Eb 206a), was die Konstruktion (jw) qsn + Infinitiv ist. Van der Molen, Hieroglyphic Dictionary, 658 fängt ebenfalls mit schmerzhaft an: „painfull, ill-going, difficult (of a child)“ an. Das Substantiv qsn.t bedeutet laut Wb 5, 70–71 „Schlimmes, Schwierigkeit u.ä.“. Wb 5, 71.3 schreibt dazu „wird auch von körperlichem Leiden verwendet“. Der einzige von Wb angeführte Beleg in einem medizinischen Text ist die Stelle Berliner Medizinischer Papyrus 3.2 (DZA 30.422.950 = Bln 27; ist vermutlich auch die Quelle für Hannig, HWB, 935, s.v. qsn.t, Bedeutung (3): „[med] Leiden, körperliches Leiden“), aber gerade diese Stelle wird in MedWb II, 892, Anm. 6 als falsch verstanden eingestuft und unter dem Adjektiv qsn eingeordnet. Auch Faulkner, CDME, 281 gibt für qsn.t nur die Bedeutungen „trouble, misfortune“ an. Ein weiteres Substantiv qsn steht nicht in Wb 5, aber wird von Faulkner, CDME, 281 aufgelistet als „pain; troubling by foes“, wobei der Beleg für „pain“ philologisch unsicher ist (Gunn, Studies in Egyptian Syntax, 192, Beisp. 22 [= DZA 30.421.520 = Sethe, Lesestücke, 89.3, Nr. 28g; beim Adjektiv eingetragen] und vgl. 170, Beisp. 6). Die Wurzel qsn wird in vielen Zusammenhängen außerhalb der Medizin verwendet für „schwierig, schlimm, gefährlich, beschwerlich“ und kommt nur selten in den medizinischen Texten vor. Es wird deshalb nicht spezifisch den Aspekt „schmerzhaft“ als Symptom abdecken. Deshalb ist es sehr fraglich, ob in Fall 21 ein Fall von Hyperakusis vorliegt. Im Gegenteil: versteht man jw qsn als „es ist schwierig, schwer“, dann hört der Patient schlecht infolge der Verletzung.

Fall 22: Splitterbruch im Jochbein-Schläfenbereich

(Titel:) Erfahrungswissen über einen sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich).
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich) untersuchst,
dann musst du folglich deinen (einen) Finger (den Daumen?) auf sein Kinn1 und deinen (weiteren) Finger (den Zeigefinger?)2 auf das Ende seines ꜣmꜥ.t-Knochens (des Unterkiefers; hier: der Unterkieferast) legen.
Dann muss folglich Blut aus seinen Nasenhöhlen3 und aus dem Innern (?; oder: und vom Inhalt?)4 seiner Ohren3 infolge jenes sḏ-Bruchs (Splitterbruchs) hinunterlaufen.
(Es) werde für ihn mit einem sšm-Tupfer/Pfropfen aus Leinenstoff weggewischt, so dass / bis du seine Splitter5 in (oder: im Innern von) seinen beiden Ohren6 siehst.
Wenn du ihn angesprochen/zugerufen hast,
(dann stellst du fest:) er ist benommen;
er kann nicht sprechen.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn: „Einer mit einem sḏ-Bruch (Splitterbruch) in seiner gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich),
(wobei) er Blut aus seinen Nasenhöhlen und seinen Ohren gibt und dabei in benommenem Zustand ist,
(und wobei) er an Steifheit/Steifigkeit in seinem Nacken leidet:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

1 jnꜥ.t: Das Wort erscheint zuerst als Maskulinum jnꜥ in Pyr 1308a (PT 539, Pyramide des Pepi I.) (Wb 1, 94.12), wo es mit Nase, Mund, Kinn und Bärtchen determiniert wird, was schon auf den Bereich des Kinnes hinweist. Vorher werden Nase, Mund, Zunge, Zähne und Lippen genannt, es folgen (Hals)wirbel und rmn-Schulter/Oberarm. In pEdwin Smith haben alle Belege die Femininendung: jnꜥ.t. Die Bedeutung „Kinn“ passt in allen Zusammenhängen von pEdwin Smith und ist ganz eindeutig in der Beschreibung der Einrenkung eines Unterkiefers (Fall 25, Kol. 9.4). In späteren Listen von Körperteilen sind jnꜥ und jnꜥ.t durch ꜥnꜥn und (selten) ꜥnꜥn.t ersetzt. Dieses ꜥnꜥn/ꜥnꜥn.t steht in den Listen nach Wörtern für Wange, Mund, Zähne, Zunge, Lippen und vor Schläfe, Ohr, Nacken/Hals (Mutter und Kind, Spruch 5) bzw. nach Lippe, Zahn, Schläfe, Zunge und vor Larynx (ꜥšꜥš.t) und Nacken/Hals (Pap. mag. Vatikan, 3.7). Die Identifikation von jnꜥ.t als „Kinn“ wird nicht in Frage gestellt: Wb 1, 94.13; Breasted, Surgical Papyrus, 291; Grapow, Anatomie, 43–44; MedWb I, 57; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 16, § 16; Lacau, Noms des parties du corps, 63–64, § 160; Weeks, Anatomical Knowledge, 36; Walker, Anatomical Terminology, 266. Dagegen liegen für ꜥnꜥn auch andere Übersetzungen vor, weil das Determinativ und die Phrase jr.j ꜥnꜥn etwas anderes vermuten lassen und Wb zwischen ꜥnꜥn: „das Kinn“ (Wb 1, 191.13) und ꜥnꜥn: „Hals?“ (Wb 1, 191.14; mit Fragezeichen!) getrennt hat: die Formulierung jr.j ꜥnꜥn (Opet 243.R) bzw. jr.j ꜥnꜥn.t (Drioton, Medamoud, 94, Nr. 198; vgl. E VIII, 7.5: mit Fleischdeterminativ) wird mit dem Kopf und Schlund eines Rindes (Gardiner F10) determiniert und als „l’ornement de cou (?)“ (Drioton) bzw. „das zum Nacken .. gehört“ (Kurth, Edfou VIII, 14) übersetzt. Auch bei der Maßangabe des Umfangs (šnw) eines Skarabäus im Bereich des ꜥnꜥn (pBoulaq VII = pKairo CG 58027, Kol. x+2.2: Pries, Das nächtliche Stundenritual zum Schutz des Königs, SAGA 27, 44) wird ꜥnꜥn mit F10 determiniert. Dagegen trinkt ein junger Stier Wasser mit seinem Maul (fnḏ) unter einer Lotosblume und seinem Kinn (ꜥnꜥn.t) unter einem Lotosblatt (Clère, Porte d’Évergète, Taf. 40 = Urk. VIII, 104; Hier kann ꜥnꜥn.t keineswegs „Hals“ bedeuten, denn dann wäre der ganze Kopf beim Trinken unter Wasser.). Auch ist der Zusammenhang zwischen dem Kinn (ꜥnꜥn) eines Patienten und dem kfꜣ-Hinterteil (Bürzel) einer Ente bzw. eines Reihers in den Sprüchen für Mutter und Kind unerwartet (etwas vorstehendes am Kopf nach vorn bzw. nach hinten; Kinnbart vs. Schopffeder?). Unklar ist ebenfalls, wie sich die maskulinen und femininen Formen zueinander verhalten.
2 ḏbꜥ ... ḏbꜥ: Breasted, Surgical Papyrus, 291 und 304 meint, dass ḏbꜥ in Fall 22 von Papyrus Edwin Smith (Kol. 8.10) einmal für den Daumen und das zweite Mal für den Zeigefinger verwendet wird. Er verweist auf die Luxation des Unterkiefers in Fall 25 (Kol. 9.3–4), in dem einmal ḏbꜥ (wird auf das Ende des ꜣmꜥ.t-Knochens gelegt) und einmal ꜥn.t (wird unter das Kinn gelegt) steht. Nach Meinung von Breasted wird ꜥn.t für die Gruppe der vier Finger verwendet, so dass dort ḏbꜥ für den Daumen übrigbleibt. Es wird in Fall 25 jedoch gerade umgekehrt das Substantiv ꜥn.t für den Daumen und das Wort ḏbꜥ für den (Zeige)finger stehen, denn ꜥn.t ist eine spezifische Bezeichnung des Daumens. Da in Fall 25 der Daumen mit dem Kinn verbunden wird, kann in Fall 22 der zuerst genannte Finger mit einer anderen Argumentation auch den Daumen meinen. Grundriß IV/2, 147 (Anm. 1 zu Sm Fall 22) fragt sich, ob der Zeigefinger von der einen Hand und der Zeigefinger von der anderen Hand gemeint sind, oder ob ḏbꜥ als Plural/Kollektiv für die Finger der einen und der anderen Hand zu verstehen ist. Bardinet, Papyrus médicaux, 506 übersetzt so, dass beide Male der gleiche Finger gemeint ist: „tu devras (lui) mettre ton doigt sur le menton puis ton (même) doigt sur les extrémités de la griffe“.
3 msꜣḏ.tj=fj und msḏr.wj=fj: Breasted, Surgical Papyrus, 291 nimmt an, dass beide Duale Fehler für EINE Nasenhöhle und EIN Ohr sind. Im nächsten Satz ist anzunehmen, dass es nur in EINEM Ohr Splitter gibt, so dass dort eine Emendation zu msḏr{.wj}=f{j} erforderlich sein könnte. Vielleicht hat aber die Schlagverletzung eine Verschiebung des Unterkiefers verursacht, so dass doch beide Ohren betroffen sind.
4 jm.jw msḏr.wj=fj: jm.jw ist von der Nisbe jm.j: „was ist in“ abgeleitet. Anders als in Fall 12 (Kol. 5.18: jm.jw msꜣḏ.tj=fj) kann es in Fall 22 nicht „der Inhalt“ bedeuten, denn das ergibt dort keinen Sinn. In Kol. 8.15 und 8.16 steht ẖnw msḏr.wj=f(j): „das Innere seiner beiden Ohren“. Falls jm.jw tatsächlich „das Innere“ bedeutet, ist der Unterschied mit ẖnw nicht klar. Möglicherweise ist der Text fehlerhaft überliefert.
5 wš.t: Kommt in den medizinischen Texten nur in Fall 22 (pEdwin Smith 8.12, 8.15 und 8.16) vor. Es wird in Glosse B als zum Knochen gehörig (nkt n.j wš.wt n.t qs) beschrieben. Beim sḏ-Bruch des Schädels in Fall 5 (Kol. 2.16) entstehen Knochen(splitter) (qs.w) und gibt es zahlreiche Fragmente (zp.w ꜥšꜣ.w). Breasted, Surgical Papyrus, 295 nimmt an, dass in dem sḏ-Bruch von Fall 22 wš.t ein Synonym von zp ist und übersetzt mit „fragments“. Es wird in Wb 1, 368.17 als: „Knochensplitter o.ä.“ und in MedWb I, 222 als „Splitter (von Knochen)“ gedeutet. wš.t erscheint als eine Art der Beschädigung von Objekten aus Stein und Holz und von Weihrauch(klumpen) in den Inventaren des Totentempels von Neferirkare (Posener-Kriéger, Les archives du temple funéraire de Néferirkarê-Kakai, BdE 65, Le Caire 1976, I, 195). Schon Breasted, Surgical Papyrus, 295 hat vermutet, dass wš.t etymologisch mit : „leer sein“ zusammenhängt. Posener-Kriéger, 196 nimmt an, dass wš.t in den Inventaren ein Terminus Technicus ist für die Lücken, die durch Absplitterung entstehen. Von „Lücke (durch Absplitterung)“ käme man dann zur Schadensart „Absplitterung“ und zu dem, was abgesplittert ist, dem „Splitter“.
6 msḏr.wj=fj: Ist wie ein Dual geschrieben (zwei Ohrenhieroglyhen und das Suffixpronomen Dual), aber es wird nur ein sšm-Tupfer verwendet. Auch in der Glosse B hat man den Eindruck, dass nur ein Ohr betroffen ist. Dort sind zwar auch zwei Ohrenhieroglyphen geschrieben, aber das Suffixpronomen ist zweimal =f und nicht =fj.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „das Ende seines ꜣmꜥ.t-Knochens“ angeht:
das ist das Ende seines Unterkiefers.
Der ꜣmꜥ.t-Knochen, er reicht (wörtl: er ist erreichend) bis in seine [8.15] gmꜣ-Schläfe (Jochbein- und Schläfenbereich),
so wie die Kralle7 des ꜣmꜥ-Vogels8 nach etwas greift.

7 ꜥn.t-ꜣmꜥ: Sowohl ꜥn.t als auch ꜣmꜥ haben ein Determinativ, resp. einen waagerechten Finger mit Nagel (D51) und einen Vogel. Aber es gibt ein zusätzliches gemeinsames, unklares Determinativ, das die Vogelkralle oder den Vogelfuß darstellen muss. Breasted, Surgical Papyrus, 294 spricht wegen dieses Determinativs von einer gegabelten Kralle oder einer Kralle mit zwei Zehen („a forked or two-toed claw“). Dawson, in: JEA 18, 1932, 151–152 lehnt diese Interpretation der zwei Zehen ab und meint, dass das Determinativ „the grasp of the foot of any perching bird in which the hallux is opposed to the other toes“ darstellt. Dawson meint außerdem, dass die vorderen Zehen des Vogels im Determinativ falsch dargestellt sind und dass der Vergleich der Vogelkralle mit dem Kieferast durch den antiken Schreiber unglücklich gewählt ist. Der ꜣmꜥ-Vogel ist seiner Meinung nach nur wegen des Wortspiels mit dem ꜣmꜥ.t-Knochen gewählt worden.
8 ꜣmꜥ: Eine Identifikation des Vogels steht aus. Wegen des Zusammenhangs würde man zuerst an einen Raubvogel denken, aber das passt nicht zur überlieferten Ikonographie. Der Vogel ist im Grab von Baqet III (Nr. 15) von Beni Hassan abgebildet. Es ist eindeutig ein kleiner Vogel, wahrscheinlich kein Raubvogel, sondern eine Art von Watvogel(?), aber eine Identifikation ist problematisch. Jéquier, in: BIFAO 19, 1919, 110 schreibt: „un échassier de petite taille“ (ein kleiner Stelz- oder Sumpfvogel), der den „pluvian (Charadrius melanocephalus)“ ähnelt, aber es gibt Unterschiede (d.h. ein kleiner Watvogel, der einem Schwarzstirn-Regenpfeifer ähnelt; ist jedoch ein Vogel aus dem australischen Raum); Wb 1, 10.15: „Name eines Vogels“; MedWb I, 6: „[Vogel]“; Breasted, Surgical Papyrus, 294: keine Identifikation mit einem afrikanischen Vogel möglich (der einzige afrikanische Vogel mit einem Fuß mit zwei Zehen ist der Strauß und der ist definitiv nicht abgebildet); Faulkner, CDME, 3: „a perching bird“ (mit Verweis auf Dawson, in: JEA 18, 1932, 151). Cl. Gaillard, Identification de l’oiseau amâ figuré dans une tombe de Béni-Hassan, in: BIFAO 33, 1933, 169–189 (mit Farbabb.) entscheidet sich in einer langen Studie für „le blongios nain“ (Ardetta minuta L.), d.h. für die Zwergrohrdommel. Vernus/Yoyotte, Bestiaire der pharaons, 380 folgt dem: „le petit héron commun ou blongios nain (Ardetta minuta - Linné - ou Ixobrychus minutus)“. N.M. Davies, Birds and Bats at Beni Hasan, in: JEA 35, 1949, 13–20, hier: 18–19 (Nr. 20) und Taf. 2 kennt zwar die Studie von Gaillard, hält den Vogel in Beni Hassan jedoch für nicht identifizierbar. Ein von P.F. Houlihan, The Birds of Ancient Egypt, Warminster 1986, 21, Abb. 26 im Grab von Baqet III als Rohrdommel identifizierter Vogel, sieht anders aus (es betrifft Nr. 15 von Davies). Hannig, HWB, 8: „e. Vogel (*e. Limicole; *Krokodilwächter, Pluvianus aegyptius)“. Die Limikolen oder Watvögel oder Regenpfeiferartigen sind eine Ordnung innerhalb der Vögel, zu der der Krokodilwächter gehört. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 159–161: „a shore or a wading bird“, aber nicht der Pluvianus aegyptius, weil der südlich der Sahara zu Hause ist. Sanchez/Meltzer erwägen den Dromas ardeola, den Gelochelidon nilotica und den Tringa stagnatilis und ziehen dabei den „Crab Plover (Dromas ardeola)“, d.h. den „Reiherläufer“ vor (ebenfalls ein Watvogel). Diese Identifikation war schon 1909 von P. Hyppolyte-Boussac vorgeschlagen (Identification de quelques oiseaux représentés sur les monuments pharaoniques, in: Le Naturaliste. Revue illustrée de sciences naturelles, 31e Année (22e Année de la 2e Série) 1909, 62–63: „le drome ardéole“), aber von Gaillard abgelehnt worden.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „du siehst seine (Knochen)splitter im Innern seiner Ohren“ angeht:
das bedeutet, dass Einiges9 an Knochensplittern dabei ist, sich an den sšm-Tupfer/Pfropfen zu haften (wörtl.: im Kommen ist, um sich zu haften),
der (ins Ohr) hinabgeführt ist (wörtl.: der veranlasst Gewordene, dass er hinabsteigt), um im Innern seiner Ohren zu wischen.

9 nkt n.j wš.t n.t qs: Das erste Wort nkt.w wird in Wb 2, 348.1 als ein eigenes Substantiv „Stückchen (Plural)“ in medizinischen Texten verstanden, mit Verweis auf nkt: „etwas von ...; Sache“. Auch MedWb I, 486, das nkt mit „Stück; etwas“ übersetzt, versteht nkt n als „Stücke von“ (so auch Grundriß IV/1, 186: „Stücke von Splittern des Knochens“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 61; Westendorf, Handbuch Medizin, 727: „Stücke von den Knochensplittern“).

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „er ist benommen“ angeht:
das bedeutet, dass er schweigt in Schwäche/Benommenheit/Erstarrung(?)10, ohne zu reden,
wie einer, der unter dg.y11 ist (oder: an dg.y leidet) wegen etwas, das von außen hineingetreten ist (d.h. ein Krankheitsdämon).

10 gm.w: Wird mit dem ermüdeten Mann als Determinativ geschrieben. Breasted, Surgical Papyrus, 297 übersetzt gmw mit „mourning, sadness“ und er erkennt in der Hungersnotstele ein Verb gmw „to mourn“. In Wb 5, 169.14–16 werden alle Belege unter dem Substantiv gmw (später auch gmw.t) eingetragen, auch der Beleg der Hungersnotstele (DZA 30.654.420 = Wb 4, 169.14), mit der Bedeutung: „Schwäche (des Körpers, in den Gliedern). Auch vom Herzen, das in Schwäche ist, d.h. traurig“. Das bedeutet, dass gm.w nur auf das Herz bezogen die (übertragene) Bedeutung „traurig“ annimmt. In Faulkner, CDME, 289 wird zwischen gmw: „mourning“, gmw „weakness(?)“ und gmw.t: „weakness“ getrennt. MedWb II, 919 erwägt für die Stelle in pEdwin Smith 8.17 zwei mögliche Übersetzungen: „Schwäche; Benommenheit“. Hannig, HWB, 970 erwägt noch eine dritte Interpretation: „*Schwäche, Benommenheit; *Erstarrung“. Allen, Art of Medicine, 87 übersetzt mit „in depression“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 158 haben „in drowsiness“. Westendorf, Grammatik, 48, § 77 fragt sich, ob dgm: „benommen sein“ und gmw von der Wurzel her (Wortbildung mit d-Präfix) zusammengehören könnten. Eine afroasiatische Etymologie für gm.w findet sich bei Takacs, in: DE 39, 1997, 90 (NR. 48).
11 dg.y: Ist in pEdwin Smith 8.17 ein Substantiv, das wohl einen krankhaften Zustand beschreibt. Es wird ohne Determinativ geschrieben, so dass unklar ist, was gemeint ist. Trotzdem schreibt Breasted, Surgical Papyrus, 297, dass dgy kein seltenes Wort ist, aber die Bedeutung im medizinischen Zusammenhang sei schwer zu ermitteln: es muss etwas unerwünschtes sein wie „be feeble, be paralysed“ oder „feebleness, paralysis“ und er übersetzt mit „feebleness(?)“. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 45 meint, dass es etwas wie „Geistesabwesenheit, Taumel o.ä.“ sein muss. Wb 5, 499.3–4 liefert keine Übersetzung. MedWb II, 991 hat „weich“ für einen adjektivischen Beleg (Adjektivverb) und „Schwäche“ für das Substantiv in Fall 22 von pEdwin Smith (daher Hannig, HWB, 1061: „*weich“ und „*Schwäche“). Allen, Art of Medicine, 87 folgt den Gedanken von Breasted: „one who has paralysis“. Das hängt vielleicht mit einer Stelle in der Israelstele zusammen (Zl. 6: DZA 31.471.040), wo von den Füßen gesagt wird, dass sie dgꜣ.y sind (ist in Wb 5, 495.6 unter dq.w: „ob barfüssig (d.h. ohne Sandalen)?“ eingetragen; vgl. Lesko, DLE IV, 144 dgꜣ: „to go barefoot“). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 158 haben „one who has a fixed gaze“, d.h. sie erkennen einen Zusammenhang mit dem Verb dgi̯/dgꜣ: „erblicken“.

Fall 23: Wunde am Ohr

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde an seinem Ohr.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer Wunde an seinem Ohr untersuchst,
die bis zu seiner Körperöffnung (oder: Öffnung des Hautgewebes, d.h. bis zur Ohröffnung oder zum äußeren Gehörgang) eingeschlagen/eingehauen1 ist
– allerdings bleibt etwas von der Unterseite seines Ohres am Körper (oder: am Hautgewebe) haften –,
dann musst du (es) folglich für ihn (den Patienten) durch Nähen hinter dem ẖn.tj-Bereich2 seines Ohres zusammenhalten.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn (den Patienten):
„Einer mit einer Wunde
[8.20] an seinem Ohr,
die bis zu seiner Körperöffnung (oder: Öffnung des Hautgewebes, d.h. bis zur Ohröffnung oder zum äußeren Gehörgang) eingeschlagen/eingehauen ist:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Wenn du jene Wunde vorfindest,
indem ihre Naht sich lockert / gelöst hat,
(aber im Ergebnis noch) an den beiden Rändern seiner Wunde verbleibt,
dann musst du folglich für ihn bḏꜣ-Röllchen/Ballen(?) aus Leinenstoff herstellen.
Die Rückseite seines Ohres werde damit ausgestopft.
Du sollst sie/ihn danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Faserbausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / so dass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 jzp/jsp: Ist ein Verb der Holzverarbeitung. Es wird mit einer Axt oder einem Beil determiniert in einer Schiffsbauszene im Grab des Ibi in Deir el-Gebrawi (Davies, The Rock Tombs of Deir el Gebrâwi, I, ASE 11, London 1902, 20 und Taf. 16) und steht dort entweder bei einem Mann, der zweihändig mit einem Beil am äußeren Schiffsrumpf (am Heck: pḥ?) arbeitet (Breasted, Surgical Papyrus, 299 bezieht die Inschrift auf den benachbarten Zimmermann, der mit Schlägel und Meißel an der Innenseite des Schiffsrumpfs tätig ist). Das Verb wird transitiv verwendet. Die von Wb 1, 129.6–7 vorgeschlagene Bedeutung „behauen“ passt in der Schiffsbauszene (vgl. Faulkner, CDME, 30: „hew, cut“), weniger „abhauen, abschlagen“ (Caminos, LEM, 406: „to cut, hew off“). In pEdwin Smith ist das Determinativ ein Messer; der Kontext verlangt eine Übersetzung wie „hineinhauen, hineinschlagen“ (von einer Axt) oder „einschneiden“ (von einem Messer o.ä.) (MedWb I, 105: „einschneiden“). Das Verb wird auch in übertragenem Sinne bei nagendem Hungergefühl (⟨ „abbeißen, hineinbeißen“) verwendet (Caminos, LEM, 405–406) und dann mit dem schlagenden Arm oder dem schlechten Vogel determiniert (in Wb 1, 132.13 separat unter jsp und nicht jzp eingetragen). In pEbers 91.12–16 (Eb 766f) ist ein Ohr abgespalten (pḥḏ).
2 ẖn.tj: Ist ein sonst nicht belegtes Wort, das in pEdwin Smith 8.19 (Fall 23) ohne Determinativ geschrieben ist. Breasted, Surgical Papyrus, 299 rät die Bedeutung „hollow“, wobei er einen Zusammenhang mit ẖnw: „Innenseite“ annimmt. ḥꜣ ẖn.tj n.j msḏr wird dann „behind the hollow of the ear“, d.h. auf der Außenseite/Rückseite der Ohrmuschel („hollow“ ebenso bei Allen, Sanchez/Meltzer). Wb 3, 368.16 gibt für ẖn.tj selbst keine Übersetzung und fragt sich, ob ẖn.tj n.j msḏr „die Ohrmuschel?“ sein kann (Bardinet, Papyrus médicaux, 507: „le pavillon“). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 46 vermutet, dass ẖn.tj die „Cutis-Schicht, Hautlappen o.ä.“ bezeichnet. Er verweist auf Ebbell, in: AcOr 7, 1929, 29–30, wo er ein Wort ẖn.tjw bespricht (Wb 3, 373.21; MedWb II, 688), das möglicherweise ein Teil der Haut ist (genauer: die Lederhautschicht), vorausgesetzt ẖn.tjw hängt mit ẖn.t: „Tierfell; Schlauch“ (Wb 3, 367.12–14) zusammen. MedWb II, 688 gibt für ẖn.tj keine Übersetzung, bescheinigt der Deutung von Ebbell als „Cutis-Schicht, Hautlappen“ jedoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 62 und Westendorf, Handbuch Medizin, 727 übersetzen deshalb „Hautschicht(?)“. J.G.W. Gispen, Proposal for one common meaning for two lemmata in the Wörterbuch der medizinischen Texte: H̱n.ty in the Papyrus Edwin Smith and H̱nty.w in the Ebers Papyrus: „Umbiegungs-Falte“ or „Flexion-fold“, in: GM 169, 1999, 55–63 möchte ẖn.tj mit ẖntjw gleichstellen und beide als „Umbiegungsfalte“ (eng. „flexion-fold“) übersetzen. Ihm steht das Bild des Schreibers vor Augen, der eine Schreibbinse hinter das Ohr geklemmt hat.

Fall 24: Bruch des Unterkiefers

(Titel:) Erfahrungswissen über einen (glatten?) ḥsb-Bruch in seinem Unterkiefer.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem ḥsb-Bruch in seinem Unterkiefer untersuchst,
dann musst du folglich deine Hand auf ihn (den Bruch) legen.
Du findest jenen ḥsb-Bruch vor, indem ⟨er⟩ unter deinen Fingern knirscht (?; oder: sich verschiebt?).
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
[9.1] „Einer mit einem ḥsb-Bruch in seinem Unterkiefer
– die Wunde über ihm (d.h. dem Bruch) ist aufgebrochen, (mit dem Ergebnis, dass) sie ...?... ist (ob: durchnässt o.ä.?),
(nachdem) sie aufgehört hat zu ...?.... (ob: Wundflüssigkeit absondern o.ä.?) –,
1
(wobei) ihm (dem Patienten) infolgedessen šmm-heiß ist (Fieber?):
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

1 wꜣb ꜣb.n=f zp: Ist unverständlich, weil sowohl wꜣb als auch zp unbekannte Wörter sind. Beide werden mit dem spuckenden Mund determiniert. Von der Wortposition her kann wꜣb entweder ein Verb im Stativ sein und noch bei wbn.w anschließen (vgl. Fall 37, Kol. 12.20–21: sḏ wbn.w ḥr=f j:sdb: „aufgebrochen ist die Wunde darüber, indem sie aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist“; daher sḏ wbn.w ḥr=f wꜣb(.w): „aufgebrochen ist die Wunde darüber, indem sie ...?... ist“). Oder es ist ein Nomen, das vorangestellte Subjekt in einer Subjekt + sḏm.n=f Konstruktion (Westendorf, Grammatik, 176, § 243.5): „der wꜣb-Ausfluß(?), er hat aufgehört zu fließen(?)“. Siehe MedWb I, 162 (s.v. wꜣb) und II, 741–742 (s.v. sp).
zp/sp: Mit dem spuckenden Mund determiniert, ist ein Hapax legomenon. Es steht nicht in Wb 3 oder Wb 4. MedWb II, 741–742 liefert als Umschreibung: „[krankhafter Zustand oder Tätigkeit einer Wunde]“ (so auch Hannig, HWB, 748). Es ist möglicherweise ein Infinitiv als Objekt zum Verb ꜣb: „aufhören (zu tun)“ (siehe für die Konstruktion Gardiner, EG, § 303). Wegen des Determinativs des spuckenden Mundes wird das Verb mit Flüssigkeit zusammenhängen. Grundriß IV/2, 147, Anm. 2 zu Sm Fall 24 denkt an „ausfließen(?)“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 63, Anm. 1 erwägt als Variante „Flüssigkeit absondern(?)“.
Die Autoren des Grundrisses der Medizin erwägen zwei Übersetzungen:
- (1) Grundriß IV/1, 187 und Grundriß IV/2, Anm. 2 zu Sm Fall 24: „aufgebrochen (sḏ) ist eine Wunde darauf; der Ausfluß, er hat aufgehört auszufließen“ (ähnlich Westendorf, Handbuch Medizin, 728);
- (2) Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 63, Anm. 1: „aufgebrochen ist eine Wunde darauf, die aufgeweicht ist; sie hat aufgehört, Flüssigkeit abzusondern“. (Allen, Art of Medicine, 89 übersetzt wꜣb nicht explizit, aber seine Übersetzung passt zum zweiten Übersetzungsvorschlag: „a wound having erupted over it but stopped oozing“.)
Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 167–168 zieht noch eine weitere Möglichkeit der syntaktischen Segmentierung in Betracht: mit zwei Sätzen in der Konstruktion Subjekt + sḏm.n=f bzw. Subjekt + sḏm=f. Dabei ist zp kein Verb (wie in den Übersetzungsvorschlägen des Grundrisses), sondern ein Substantiv, möglicherweise identisch oder verwandt mit zp: „Wurm; wurmähnliches (Blut)gerinnsel“ (MedWb 741): wꜣb ꜣb.n=f / zp šmm=f ẖr=s: „The discharge(?), it has stopped(?)/remained(??); the coagulated diseased mass(?), how it is hot (is) under it“. Meltzer meint also: „die wurmähnliche/geronnene Masse(?): unter ihm (d.h. dem Unterkiefer) ist sie heiß“.

Fall 25: Verrenkung des Unterkiefers

(Titel:) Erfahrungswissen über eine wnḫ-Lockerung1 (d.h. eine Art Verrenkung oder Ausrenkung) an seinem Unterkiefer.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer wnḫ-Lockerung (d.h. einer Art Verrenkung) an seinem Unterkiefer untersuchst,
(und) wenn du seinen Mund offenstehend vorfindest
– sein Mund kann sich für ihn nicht schließen,
Dann musst du folglich deine (beiden) ḏbꜥ-Finger auf das (jeweilige) Ende der beiden (gegabelten) ꜣmꜥ.t-Knochen der beiden Unterkieferhälften (d.h. den jeweiligen Unterkieferast) im Innern seines Mundes legen;
deine (beiden) ꜥn.t-Finger (Daumen?) sind unter seinem Kinn.
Daraufhin lässt du sie (d.h. die beiden ꜣmꜥ.t-Knochen oder die beiden Unterkieferhälften) (zurück)fallen, [9.5] (mit dem Ergebnis, dass sie) an ihrem (richtigen) Platz (zurück)gesetzt sind.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer wnḫ-Lockerung (d.h. einer Art Verrenkung) an seinen (beiden) Unterkieferhälften:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du ihn (den Patienten oder den Kiefer) folglich täglich mit jmr.w-Verband(?) und Honig verbinden, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 wnḫ: Das Substantiv wnḫ ist ein medizinischer Zustand, der in Papyrus Edwin Smith, Fall 31, Glosse A (Kol. 10.17–19: bezüglich eines wnḫ in/an einem Nackenwirbel) und in Fall 43, Glosse A (Kol. 15.3–4: bezüglich eines wnḫ in den Rippen des Brustkorbs) erklärt wird. Die wnḫ-Verletzung kommt auch noch beim Unterkiefer (Fall 25) und beim Schlüsselbein (Fall 34) vor. Sie hängt mit dem Verb wnḫ: „lösen, lockern“ zusammen, für das auch die Bedeutung „verschieben“ angesetzt wird („verschieben“ in Wb 1, 324.8; MedWb I, 194; dagegen z.B. Brawanski, in: SAK 34, 2006, 48, Anm. 7 [im Zusammenhang mit einer Wundnaht]; für die Existenz des Verbs wnḫ: „lösen“ siehe auch Graefe, in: SAK 7, 1979, 53–61). In Fall 31 wird wnḫ als jwd: „trennen“ und pḥḏ: „abtrennen, spalten“ beschrieben, in Fall 34 und 43 mit nft: „lösen, lockern“ (vgl. ntf: „losbinden, ausspannen“), in Fall 11 (Kol. 5.15) ist wnḫ zu fḫ: „lösen“ verbessert worden. In diesen Fällen wird jedoch auch gesagt, dass die „Lösung“ oder „Trennung“ unvollständig ist: die Teile „berühren“ (dmi̯) sich noch (Fall 31, Kol. 10.19) bzw. „verbleiben“ (mn) noch in der Brust (Fall 43, Kol. 15.4).
Aufgrund der Behandlungsmethode in Fall 25 wird die wnḫ-Verletzung im/am Unterkiefer als eine (vollständige) Luxation des Unterkiefers (Ebbell; eng./franz. dislocation: Breasted, Lefebvre, Allen, Sanchez/Meltzer) oder als eine (unvollständige) Subluxation des Unterkiefers (Bardinet: auch „déboîtement, désajustement“) eingestuft, d.h. eine Verrenkung oder Ausrenkung, Auskugelung. Eine wnḫ-Verletzung kann nicht nur am Unterkiefer (Fall 25), sondern auch an einem Halswirbel (Fall 31), am Schlüsselbein (Fall 34) und an den Rippen (Fall 43) auftreten. Sie wird in Wb 1, 324.9–12 als eine „Ausrenkung, Zerrung o.ä.“ und in MedWb I, 193 als eine „Verschiebung“ (im Gegensatz zu einer nrw.t-Zerrung) übersetzt. Ein „Sich-Lösen“ eines Wirbels aus der Wirbelsäule impliziert eine Verschiebung aus der Reihe. In Fall 31 ist diese Verschiebung so stark, dass das Rückenmark beschädigt wurde und Lähmungserscheinungen beim Patienten auftreten. Die wnḫ-Verletzung in Fall 31 wird als eine Luxationsfraktur beschrieben (Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 51–52: „Luxation eines Halswirbels“; Brawanski, in: SAK 32, 2004, 70–71: „Luxationsfraktur im Halswirbelsäulenbereich“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 200–206: „cervical vertebral dislocation with spinal cord injury“). Abweichend spricht Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 128 von einem „Wirbelzusammenbruch“. Auch für Fall 43 hat Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 144–145 Schwierigkeiten mit einer Luxation der Rippen, weil das nur unter Extrembedingungen auftreten könnte; Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 66 und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 264–265 haben kein Problem mit einer „Sternocostal-costochondral dislocation“. Die wnḫ-Verletzung unterscheidet sich von der nrw.t-Verletzung, die ebenfalls an einem Nackenwirbel (Fall 20), an den Rippen (Fall 42) und an einem Rückenwirbel (Fall 48) auftreten kann. Die nrw.t-Verletzung wird in Fall 30, Glosse A (Kol. 10.12) so erklärt, dass zwei Glieder (oder ein Gelenk?) (ꜥ.tj) „aufgerissen, aufgebrochen, auseinandergewichen“ (ngi̯) sind, aber jedes bleibt an seinem Platz. Außerdem steht in Fall 42 (Kol. 14.18) bezüglich einer nrw.t der Rippen, dass weder eine „Ablösung/Abtrennung“ (wnḫ), noch ein „Bruch“ (ḥsb) vorliegt. Deshalb versteht Breasted nrw.t als „a sprain“, d.h. „Verstauchung, Distorsion“. Die meisten Bearbeiter schließen sich dem an, z.B. MedWb. 467: „Zerrung (als Knochengelenkverletzung)“.

Fall 26: Wunde an der Oberlippe

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde an seiner (Ober-)Lippe.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer Wunde an seiner (Ober-)Lippe untersuchst,
wobei sie (d.h. die Wunde) bis zum Innern seines Mundes aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist,
dann musst du folglich seine Wunde bis hin zum Pfeiler seiner Nase untersuchen.
(Und) Dann musst du folglich jene Wunde ⟨durch⟩1 Nähen/Näharbeit (oder: ⟨mit⟩ einem Faden?) zusammenfassen/festhalten.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer Wunde in seiner (Ober-)Lippe,
wobei sie (d.h. die Wunde) bis zum Innern seines Mundes aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Nachdem [9.10] du sie (die Wunde) genäht hast,
musst du sie folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Du sollst ((ihn/sie)) (den Patienten oder die Wunde) danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett und Honig versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 nḏri̯ ... ⟨m⟩ jdr: Für die Ergänzung der Präposition siehe Fall 10 (Kol. 5.6), Fall 14 (Kol. 6.9), Fall 23 (Kol. 8.19), Fall 28 (Kol. 9.21) und Fall 47 (Kol. 16.20).

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine Wunde an seiner (Ober-)Lippe, wobei sie bis zum Innern seines Mundes aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist“ angeht:
Das bedeutet, dass die beiden Ränder (wörtl. „Lippen“) seiner Wunde nachgeben (oder: schwach/weich sind),
wobei sie (die Wunde) zum Innern seines Mundes geöffnet/offen ist.
Er (d.h. der Arzt oder ein zuvor genanntes Handbuch) sagt „(es ist) aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?)“ über etwas Weiches (wörtl.: eine schwache/weiche Sache).

Fall 27: Wunde am Kinn

(Titel:) Erfahrungswissen über eine klaffende Wunde an seinem Kinn.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an seinem Kinn untersuchst,
die bis zum Knochen reicht,
dann musst du folglich seine Wunde (durch Abtasten) erforschen/absuchen.
Wenn du seinen Knochen [9.15] unversehrt vorfindest,
ohne dass es einen Spalt/Spaltbruch oder ein(e) Loch/Durchbohrung in ihm gibt,
(Diagnose:) dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einer klaffenden Wunde an seinem Kinn, die bis zum Knochen reicht:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du folglich für ihn einen ꜣ.wj-Doppelverband/Kreuzverband(?) auf besagte (wörtl.: diese) Klaffungen legen.
Dann musst du ihn/sie (den Patienten oder die wbnw-Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Du sollst ihn/sie danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Wattebausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

Fall 28: Klaffende Wunde an der Halsvorderseite

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde an seiner Halsvorderseite1.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an seiner Halsvorderseite untersuchst,
wobei sie (d.h. die Wunde) bis zu seiner Luft-Speiseröhre2 aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist;
Wenn er Wasser trinkt, [9.20] dann würgt (??)3 er bei (?) dem, was aus der Öffnung seiner Wunde (ständig) herauskommt.
(oder: Wenn er Wasser trinkt, dann ⟨muss⟩ er ⟨folglich⟩ würgen (??) / sich (dagegen) sträuben (??). Es ist aus der Öffnung seiner Wunde, dass (es) herauskommt.)
(oder: Wenn er Wasser trinkt, dann ⟨muss⟩ er ⟨folglich⟩ das auswählen (??), was aus der Öffnung seiner Wunde herauskommt.)
Sie (die Wunde) ist häufig (oder: sehr?) nsr-entflammt (d.h. entzündet?)4.
Aufgrund dessen entwickelt (wörtl.: ergreift) er (d.h. der Patient) (lokale?) srf-Hitze5.
Dann musst du folglich jene Wunde durch Nähen/Näharbeit (oder: mit einem Faden?) zusammenfassen/festhalten.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn: „Einer mit einer Wunde an seiner Halsvorderseite, wobei sie (d.h. die Wunde) bis zu seiner Luft-Speiseröhre aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist:
Eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde.“
[10.1] (Behandlung:) Dann musst du ihn/sie (den Patienten oder die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Danach sollst du ihn täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Wattebausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.
(2. Untersuchung:) Aber wenn du ((ihn)) vorfindest, indem ihm aufgrund jener Wunde šm-heiß6 ist (d.h. er fiebert?),
dann musst du ihm folglich einen trockenen Wattebausch in die Öffnung seiner Wunde hineinlegen.
(Er) werde auf den Boden auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) gelegt, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 ḫꜥm: Ist ein äußerer Bereich des Halses (lat. „collum“; eng.: „neck“, franz. „le cou“), der rasiert (ẖꜥq) wird (Moussa/Altenmüller, Mastaba des Nianch-Chnum und Chnum-hotep, 80, Taf. 24–25) und von der aus bei einer Verletzung eine Verbindung mit der šbb-Luft-Speise-Röhre hergestellt werden kann (pEdwin Smith, Fall 28). Beide Belegstellen situieren die Körperteilbezeichnung ḫꜥm an der vorderen Außenseite des Halses. Es hat ein gewisses Volumen, wie der Name einer Gottheit bezeugt: Er heißt „der, der in den ḫꜥm-Halsvorderseiten ist“ (jm.j-ḫꜥm.w) (CT VII, 126e). Sonstige Belege für dieses seltene Wort, z.B. in den Sargtexten (Nyord, Breathing Flesh, 228), helfen nicht, um zu bestimmen, ob die Bedeutung „äußere Vorderseite / vordere Außenseite des Halses“ zu eng oder zu weit gefasst ist. Falls nicht nur die Außenseite, sondern der gesamte vordere Bereich des Halses gemeint ist, kommen auch die allgemeinsprachlichen Wörter „Kehle“ (lat. „gula“; eng. „throat“, franz. „la gorge“) und „Gurgel“ als Behälter bzw. Umschließer von Kehlkopf und Schlund in Betracht. Das Wort ḫꜥm ist jedoch zu selten, als dass es das normale ägyptische Wort für „Kehle“ sein kann. Übersetzungen von ḫꜥm in der Literatur lauten: Wb 3, 243.19–20: „der Hals (vorn an der Speiseröhre); die Kehle“; Breasted, Surgical papyrus, 313–314: „throat“; Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 299: „die Vorderseite des Halses“; Grapow, Anatomie, 49: „Vorderseite des Halses“; MedWb II, 650: „Hals; Halsvorderseite“; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 21–22, § 22: „la partie antérieure du cou“ (Gegenteil: nḥb.t ist „la partie postérieure du cou“); Faulkner, CDME, 186: „throat“; Weeks, Anatomical Knowledge, 40: „front of the neck; anterior surface of the neck“, aber nicht „throat“; Walker, Anatomical Terminology, 273: „front of neck“; Hannig, HWB, 631: „Hals, Vorderhals, Halsvorderseite“; Westendorf, Handbuch Medizin, 170: „Vorderseite des Halses, Kehle“; Nunn, Egyptian Medicine, 172: „throat“; Jean/Loyrette, La mere, l’enfant et le lait, 46: „la partie antérieure du cou“.
2 šbb und šbb.t: Das feminine Wort šbb.t (belegt in ptol. Texten) bedeutet die „Kehle“ oder die „Gurgel“, die durchgeschnitten wird, sowohl von Menschen als auch von einer Antilope (Wb 4, 439.4 und auch DZA 29.993.490: Porte d’Évergète). Wilson, Lexicographical Study, 998 (s.v. šbb.t): „throat“. Auch das koptische Femininum Sah. ϣⲟⲩⲱⲃⲉ, Boh. ϣⲃⲱⲃⲓ bedeutet „Kehle“ (Crum, CD, 603a: „throat“; Cerný, CED, 258: „throat“; Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 335: „Kehle“; Vychichl, Dict. étym., 256: „gorge“).
Für das ältere Maskulinum šbb setzt Wb 4, 439.3 die Bedeutung „Luftröhre“ an und verweist auf das Wort šbb: „(Schilf)rohr“ mit der Harpunenspitze T19 als Determinativ (Wb 4, 439.2 und DZA 29.993.410). Auch Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 299 hat: „Luftröhre“ (ohne Kommentierung). Grapow, Anatomie, 49 schreibt ebenfalls, dass šbb „ganz sicher“ die „Luftröhre“ bedeutet. Er verweist auf Tb. 99: In einem Schiffsteilkatalog wird die Mastspitze oder der Mastkopf (bḏꜣ) mit dem šbb des Gottes Amset identifiziert. Grapow erklärt die Identifikation durch den Vergleich der Knorpelringe der Luftröhre mit den ringförmigen Scheiben an der Mastspitze. Er erkennt jedoch, dass in Fall 28 nicht die Luftröhre gemeint sein kann, weil das Wasser, das der Patient trinkt, durch die Wundöffnung wieder hinausläuft. Sofern der Patient das Wasser hinuntergeschluckt hat, kann hier nur die Speiseröhre gemeint sein. Grapow meint, dass der altägyptische Arzt nicht zwischen den beiden hintereinanderliegenden Röhren unterschieden hat. Deswegen wird šbb in MedWb II, 843 als „Luft/Speise-Röhre“ übersetzt mit der Erklärung „Beim Ägypter sind offenbar beide Funktionen [Luft- und Speiseröhre] in einer Röhre vereinigt gedacht“; Westendorf, Handbuch Medizin, 170: „Luft-Speise-Röhre“ („für die Ägypter waren die Funktionen der Luft- und der Speiseröhre vereint gedacht“ bzw. „der unscheinbare Speiseschlauch gegenüber der massiven Luftröhre als solcher nicht wahrgenommen“); ibid., 729: „Halsröhre“. Jean/Loyrette, La mere, l’enfant et le lait, 46: „l’oesophage et la trachée“ (Luftröhre = eng. „windpipe, trachea“ = franz. „trachée, trachée-artère“; Speiseröhre = eng. „esophagus/oesophagus, gullet“ = franz. „oesophage“). Hannig, HWB, 2006, 879: „Luftröhre/Speiseröhre“. Allen, Art of Medicine, 89 hat „windpipe“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 184 übersetzt mit „esophagus“.
Abweichend von dieser Tradition setzt Breasted, Surgical Papyrus, 314 für šbb die Bedeutung „gullet“ an. Er meint dabei nicht „gullet“ im Sinne von „Speiseröhre“, sondern im Sinne von „(menschlicher) Schlund, Pharynx“, weil es in einer Gliedervergottung (Tb. 172) als Variante von ḥty.t erscheint, das ein gängiges Wort für die „Kehle“ ist (Breasted, 314: „throat“) (beachte, dass Grapow, Anatomie, 47–48 ḥty.t als „Luftröhre“ versteht; ebenso Nyord, Breathing Flesh, 131–132: „windpipe“; vgl. Nyord, Breathing Flesh, 133, Anm. 894 für die Bedeutungen von ḥty.t und šbb). Faulkner, CDME, 264 übernimmt „gullet“ von Breasted. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 23, § 22 lässt beide Bedeutungen nebeneinander stehen: „trachée-artère“ (laut Ebbell) oder eventuell „gosier“ (laut Breasted) [„gosier“ = „Schlund, Kehle“]. Lacau, Noms des parties du corps, 67, § 170 folgt Breasted: „le cou et la gorge“. Weeks, Anatomical Knowledge, 39 ist sich dieser Bedeutung nicht sicher und fügt ein Fragezeichen hinzu: „gullet(?)“ (mit Verweis auf Lefebvre und Breasted). Bei Walker, Anatomical Terminology, 276: „gullet, oesophagus“ ist nicht erkennbar, ob er „gullet“ als Synonym von „oesophagus“ versteht, oder ob er šbb als Bezeichnung von zwei Körperteilen versteht (in der Jägersprache ist der Schlund eines Tieres seine Speiseröhre). Bardinet, Papyrus médicaux, 508: „le gosier“; Van der Molen, Dictionary of Coffin Texts, 613: „gullet“; Nunn, Egyptian Medicine, 172: „pharynx“; Nyord, Breathing Flesh, 133 mit Anm. 894: „gullet“, vielleicht „the uppermost part of the respiratory tract“.
3 stp: Wird in pEdwin Smith Kol. 9.20 mit dem Mann mit Hand am Mund determiniert. Wb 4, 338.8 listet ein Verb stp mit dem Determinativ Gardiner Sign-List A2 (Mann mit Hand am Mund) auf: „wählerisch sein (beim Essen, wenn der Appetit schwach ist)“ (mit pEbers 101.7–8 = Eb 855k als Quelle; kein Verweis auf pEdwin Smith). Diese Bedeutung passt jedoch nicht in pEdwin Smith, Fall 28, Kol. 9.20. Breasted, Surgical Papyrus, 314 errät die Bedeutung „he chokes“ (er hält dieses stp für ein Hapax legomenon mit der mutmaßlichen Bedeutung „choking, gasping“) (gefolgt von Allen, Sanchez/Meltzer). In DZA 29.993.440 und DZA 28.588.870 wird es mit „schluckt (?)“ übersetzt, aber ein solches Lemma ist nicht in Wb 4 aufgenommen worden. Grundriß IV/2, 148, Anm. 3 vermutet für die Stelle in pEdwin Smith einen Zusammenhang mit stp in Eb 855k „wählerisch sein“ (mit Bezug auf Essen) und denkt in Fall 28 an „ungern schlucken“. Auch MedWb II, 818 versteht „wählerisch sein“ im Sinne von „sich sträuben“. Hannig, HWB, 846 listet neben „wählerisch sein“ (Belegstelle {31256}) auch die Bedeutung „s. sträuben (zu essen, trinken)“ auf (Belegstelle {31257}). Bardinet, Papyrus médicaux, 508 errät: „défaillir“, d.h. „ohnmächtig werden“. Unwahrscheinlich ist, dass stp eine Kausativform von tp: „ausfließen; vergehen“ (MedWb II, 947; Wb 5, 445.12) oder von tpj/tpr: „einatmen, atmen“ (Wb 5, 296.3–4, mit der Nase als Determinativ) sein könnte (s:tpj als „einatmen müssen“??). S. Schott (bei: Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 666, Anm. 1) übersetzt mit „Wasser, welches er zu sich genommen hat“ und verweist dazu auf das Verb sdb: „essen, einnehmen“. Die Bedeutung „sich verschlucken“ oder „würgen“ und die Lesung als sḏm.ḫr=f haben es bis in die Grammatiken geschafft: Schenkel, Tübinger Einführung, 2005, 219: „(Jedesmal) wenn er Wasser trinkt, (so) würgt er“; Depuydt, Conjunction, Continguity, Contingency, 213: „If he drinks water, he chokes“; Allen, Middle Egyptian, 305, § 22.7: „If he drinks water, he inevitably gags“.
Die Anordnung der Zeichen spricht eher für eine Lesung stp=f ḫr als für die Form stp.ḫr=f, wie es jedoch fast alle Textbearbeiter kommentarlos in Anlehnung an die hieroglyphische Transliteration von Breasted (Taf. 9.A) auffassen (ein sḏm.ḫr=f nach einer jr-Protasis ist mehrfach belegt: Westendorf, Grammatik, 292, § 421.a). Die Präposition ḫr müsste dann kausale Bedeutung haben, was jedoch nicht belegt ist (vgl. ḫr als Einführung des Agens, was jedoch sehr selten und dann nur manchmal in Passivkonstruktionen belegt ist). Kosack, Papyrus Edwin Smith, 7, 14 und 34 versteht ḫr als das defektive Verb ḫr: „sagen“: und er liest ḫr=(j): „Ich sage: ‚Es kommt heraus aus der Öffnung seiner Verletzung ...)‘“.
4 nsr: In den medizinischen Texten liegen eine ganze Reihe von Begriffen vor, die mit Wärme zusammenhängen: ꜣmw, ꜥḫ.w, nsr, srf, šmm, tꜣ usw. Nur die Begriffe nsr, srf und šmm sind in pEdwin Smith belegt. Breasted, Surgical Papyrus, 385–386 nimmt an, dass bei nsr eine lokale Entzündung vorliegt, weil es nur in Zusammenhang mit wbn.w: „(offene) Wunde“ belegt ist. Er übersetzt das Verb nsr mit „to be inflamed“; Wb 2, 335.4–10: „brennend sein, brennen; (...) übertragen von brennenden Wunden, vom fieberheissen Kranken“ (intransitive Verwendung) bzw. „verbrennen“ (transitiv); MedWb I, 482: „entzündet sein“ (so auch Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 65; Westendorf, Handbuch Medizin, 729 [beide Stellen für pEdwin Smith, Fall 28]); Faulkner, CDME, 140: „to flame; be inflamed (of wounds)“; Hannig, HWB, 457: „brennen, brennend sein; [med] entzündet sein“. Die Folgen des nsr-Zustands der Wunde sind, dass der Patient srf-Hitze ergreift/aufnimmt/bekommt (šdi̯ srf) bzw. sich erhitzt (šmm). Das Problem bei der Wortbedeutung von nsr ist die Frage, ob nsr ein Einzelsymptom oder einen übergeordneten Begriff wie „entzündet sein“ beschreibt. Autoren wie Ebbell, Die alt-ägyptische Chirurgie, 48 („brennend sein“) oder Bardinet, Papyrus médicaux, 508 („être chaud“) bleiben unspezifisch. Für H.G. Blersch, Die sichtbaren Wärmezeichen und die Wärmeformen im Innern des Körpers in der altägyptischen Medizin, in: Medizinhistorisches Journal 8/2, 1973, 160–178 (hier: 161–164 für nsr) ist nsr ein Symptom und beschreibt „das typische Aussehen einer entzündeten Wunde“, d.h. „ihren flammenden Charakter“; nsr bedeutet nicht für sich alleine den Symptomenkomplex bzw. Prozess „Entzündung“ (vgl. H.G. Blersch, Wärme bei Fieber und Entzündungen in den altägyptischen medizinischen Texten (šmm und srf), in: Medizinhistorisches Journal 8/1, 1973, 38: nsr bezeichnet „das bösartige Aussehen entzündeter Wunden“; er übersetzt mit „entflammt“.).
5 šdi̯ srf: Kommt in pEdwin Smith zuerst in Fall 7 (Kol. 3.8–9) vor. Der Begriff srf steht in Glosse B zu Fall 41 (Kol. 14.11–12), ohne wirklich erklärt zu werden. Breasted, Surgical Papyrus, 387 und 388 versteht es (in medizinischem Zusammenhang) als „local inflammation“ und in einigen Fällen auch als „fever“; „possibly a milder degree of fever but usually designates local inflammation“ (eine mildere Form von Fieber als šmm). Wb 4, 196.11–12: „Hitze, Fieber (als Krankheitserscheinung), besonders bei Wunden“; MedWb II, 779–781: (Verb) „erwärmen“; (Subst.) „Wärme“ (Es ist für Med Wb II, 780–781, §1–3 eine Wärmebezeichnung, aber manchmal nicht nur ein lokales Auftreten von Hitze und dann vielleicht mit Breasted als Fieber zu verstehen.); Faulkner, CDME, 236: (adj.) „warm“; (noun) „warmth; temperature; inflammation; fever; mood“; Hannig, HWB, 788–789: (Verb) „warm sein; erwärmen“; (Subst.) „Wärme; Hitze, Leidenschaft; [auch med.] Hitze (bes. der Wunde), Fieber, Temperatur“.
Das Problem ist, ob srf ein lokales Merkmal einer Wunde bzw. eines Glieds ist, oder ob es sich auf den ganzen Körper oder den Patienten beziehen kann: D.h. ist die Wunde Subjekt von šdd=f oder ist es der Patient? In pEdwin Smith, Fälle 7 und 47 nimmt der ḥꜥw-Körper die srf-Wärme infolge einer Verletzung auf; in pEdwin Smith, Fall 28 scheint der Patient die srf-Wärme aufzunehmen. Deshalb betrachtet Breasted den Patienten als Subjekt von šdd=f und er wählt in diesen Fällen die Übersetzung „fever“ statt „inflammation“ (gefolgt von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 48; Bardinet, Papyrus médicaux, 508: „fièvre“; Westendorf, Handbuch Medizin, 729: „Fieber“; Allen, Art of Medicine, 89: „fever“). Grundriß IV/1, 188 (und IV/2, Anm. 4) ist vorsichtiger: „er bekommt Hitze“, ebenso Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 184: „he takes on heat“. Eine Mischung aus Fieber und Hitze findet sich bei Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 666: „(Fieber-)Hitze“ (gefolgt von Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 65: „(Fieber-)Hitze“). H.G. Blersch, Wärme bei Fieber und Entzündungen in den altägyptischen medizinischen Texten (šmm und srf), in: Medizinhistorisches Journal 8/1, 1973, 35–52 (vor allem 45–51): srf ist eine lokal am Körper lokalisierbare und zeitlich abgrenzbare Wärmeerscheinung, wohingegen šmm eine an der ganzen Körperoberfläche oder zeitlich andauernde Wärme bezeichnet; sowie H.G. Blersch, Die sichtbaren Wärmezeichen und die Wärmeformen im Innern des Körpers in der altägyptischen Medizin, in: Medizinhistorisches Journal 8/2, 1973, 163: srf ist die Entzündungshitze, die aus dem nsr-Entflammtsein entsteht (eines der Symptome einer Entzündung). Blersch meint, dass auch in den Fällen 7, 28 und 47 ein lokaler Bezug vorliegen kann (Fall 28: nicht der Patient, sondern die Wunde ist Bezugswort; Fall 7 und 47: mit ḥꜥw ist nicht der Gesamtkörper, sondern nur das Hautgewebe in der Wundregion gemeint). Stephan, Die altägyptische Medizin, 2011, 123–124 wollte srf ebenfalls auf die Wunde beziehen, hat aber diese Meinung nach einer Widerlegung durch Westendorf (Eine strittige Passage im Fall 28 des Papyrus Smith, in: Kh. Daoud, Sh. Bedier, S. Abd el-Fatah (Hgg.), Studies in Honor of Ali Radwan, CASAE Suppl. 34/2, Le Caire 2005, 393–395) wiederrufen.
6 šmm: Breasted, Surgical Papyrus, 386 leitet die medizinische Bedeutung aus der Grundbedeutung „heiß sein“ ab: Da das Subjekt des Verbs in Fall 28 des Papyrus Edwin Smith (Kol. 10.2) der Patient und nicht die Wunde ist, kann keine lokale Erhitzung vorliegen, sondern eine Erhitzung des Patienten, weshalb Breasted mit „to be feverish, to have fever“ übersetzt. MedWb II, 853–854 versteht „heiß sein; erhitzen“ als „fiebern“, wenn es um einen krankhaften Zustand des Patienten geht und folgt damit Breasted (ebenso Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 66; Westendorf, Handbuch Medizin, 730; Allen, Art of Medicine, 91; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 185). Das gleiche Verb kann jedoch auch von Körperteilen und Gegenständen/Drogen verwendet werden (siehe Belege in MedWb II, 853), und dann passt die Übersetzung „fiebern“ nicht. Ebbell, Die alt-ägyptische Chirurgie, 49 übersetzt šmm in Fall 28 mit „warm sein“, ebenso Bardinet, Papyrus médicaux, 508. „être chaud“. H.G. Blersch, Wärme bei Fieber und Entzündungen in den altägyptischen medizinischen Texten (šmm und srf), in: Medizinhistorisches Journal 8/1, 1973, 35–52 (vor allem 36–45): „Das Verbum bezeichnet meistens das Fiebern, an einigen Stellen jedoch auch ein flächenhaftes, gleichmäßiges Warmsein einzelner Körperbezirke“ (S. 37); šmm bezeichnet „eine gleichmäßige, flächenhaft auftretende oder zeitlich andauernde Wärme, wobei das Fieber eine Sonderform dieser Wärme ist“ (S. 51).

Fall 29: Klaffende Wunde an einem Halswirbel

(Titel:) Erfahrungswissen über eine klaffende Wunde an einem Wirbel seines Halses.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an einem Wirbel1 seines Halses untersuchst, die bis zum Knochen reicht
– der Wirbel seines Halses ist durchbohrt/durchstoßen –;
(Und) wenn du [10.5] jene Wunde ausleerst(?)/untersuchst(?)2,
wird (er) wirklich sehr zittern (?) (oder: (Es) wird wirklich sehr wackeln/nachgeben (?));
(und) er ist nicht in der Lage, auf seine Schultern und seine Brust zu blicken.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„⟨Einer mit⟩ einer Wunde an seinem Hals, die bis zum Knochen hineinreicht
– der Wirbel seines Halses ist durchbohrt/durchstoßen –,
wobei er an einer Steifheit/Steifigkeit in seinem Nacken leidet:
eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde.“
(Behandlung:) Dann musst du ihn/sie (den Patienten oder die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Danach werde (er) auf den Boden auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) gelegt, sodass / bis der Höhepunkt (oder: die kritische Phase) seines jh-Leidens vorübergeht.

1 ṯꜣz: Das ideographisch geschriebene Wort stellt einen Gürtelknoten (Gardiner, Sign-List S24) dar. Wegen der Ähnlichkeit mit einem Knoten, wird der Wirbel metaphorisch mit dem selben Wort bezeichnet (Grapow, Anatomie, 45 spricht von „Knotenknochen“; Edel, Altägyptische Grammatik, § 29; Osing, Nominalbildung, II, 797, Anm. 1014: eine passivische Ableitung: „das Verknotete“). Aufgrund einer Bedeutungserweiterung (?) kann ṯꜣz, mit dem Vogelkopf determiniert, schon im Alten Reich auch den „Hals (eines Tieres); Hals eines Gefäßes“ bedeuten (Wb 5, 400.8–9; TLA WCN 176820). Die Körperteilbezeichnung ṯꜣz: „Wirbelknochen“ (Wb 5, 400.2–7; MedWb II, 968–969; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 24, § 23 und 29, § 31: „vertèbre“) bekommt im Mittleren Reich ein feminines Pendant oder wird zu einem Femininum ṯs.t (Wb 5, 400.10–13: „Wirbelknochen“; Hannig, HWB, 1035: „Wirbel, Wirbelknochen“; MR-Beleg bei Hannig, Ägyptisches Wörterbuch, II/2, 2754 {38319}) und lebt weiter bis ins Koptische (S ϫⲓⲥⲉ, B ϭⲓⲥⲓ). Dieses koptische Wort ist ein Femininum und bedeutet einerseits „back“, andererseits „spine, vertebra“ (Crum, CD, 790; die Bedeutung „vertebra“ nur bei Crum, nicht bei Cerný, CED, 320; Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte, 332; Westendorf, KHWB, 434). Im Laufe der Zeit gibt es also eine Bedeutungserweiterung von „(Hals?)wirbel“ zu „Halswirbelsäule“, „Rückgrat“ und schließlich „Rücken“. Ob diese Entwicklung von „Wirbel“ zu „Wirbelsäule“ schon im Mittleren Reich vollzogen ist und eventuell mit dem Auftauchen des Femininums ṯꜣz.t zusammenhängt, ist unklar. Faulkner, CDME, 307 gibt beide Bedeutungen für ṯꜣz/ṯs: „(1) vertebra; (2) spine“, wobei er Belege für das Rückgrat schon in Pyr. 238 und 1308 erkennt (daher wohl Walker, Anatomical Terminology, 278: „(1) single vertebra; (2) vertebral column, spine“). Hannig, HWB, 1035 und Hannig, Ägyptisches Wörterbuch, I–II listen für ṯs und ṯs.t ausschließlich die Bedeutung „Wirbel, Wirbelknochen“ auf, auch für die beiden Pyramidentextstellen (Hannig, Ägyptisches Wörterbuch, I, 1457 {38312}). Van der Molen, Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, 767–768 hat für ṯꜣz ebenfalls „(1) vertebra; (2) spine“; Nyord, Breathing Flesh, 307ff arbeitet ausschließlich mit der Bedeutung „vertebra“, auch für die 3 Stellen [Anm. 3217–3218 und 3220], die van der Molen unter „spine“ auflistet. Wilson, Ptolemaic Lexikon, 1175–1176 schreibt, dass ṯs.t im Tempel von Edfu vor allem für das Rückgrat steht („back bone“), manchmal sogar ein allgemeiner Begriff für „Knochen“ ist. Auch das demotische Femininum ṯse(.t) (TLA, Demotische Lemmaliste 7565) bedeutet schon „Rücken“ (Cerný, CED, 320). Vycichl führt koptisch ϫⲓⲥⲉ zwar auf ägyptisch ṯꜣz: „Wirbelknochen“ zurück, er vermutet für die Bedeutung „Rücken, Rückgrat“ jedoch eine Ableitung von ṯsi̯: „aufsteigen“ (dann wären die Wurzel ṯꜣz: „knoten“ und ṯsi̯: „aufrichten“ lautlich und semantisch zusammengefallen). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 202 verstehen ṯꜣz in Fall 31 (Kol. 10.12) als „vertebral column“ (weil eine „Verschiebung“ sich nicht in einem Wirbel abspielen kann), aber in den übrigen Fällen 29–30 und 32–33 bleiben sie bei „vertebra“. Birch (in: Bunsen, Egypt’s Place in Universal History, V, 537 hat ṯꜣz als „joint“, d.h. „Gelenk“ verstanden, abgeleitet von ṯꜣz: „zusammenknüpfen“ (d.h. ein Gelenk ist das, was verbindet). Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch IV, 1596: „Rücken; Rückenwirbel“; Brugsch erkennt die Bedeutung „Wirbel“ in dem Kontext von pAnastasi IV, Rto 9.9: nꜣ ṯs.t n ꜣ.t=f zꜣw: „Die Wirbel seines Rückens sind gelähmt“ (eig. „gebrochen“). Ebers/Stern, Papyros Ebers, II, 50 gibt im Papyrus Ebers nur die Bedeutung „tergum, dorsum“, d.h. „Rücken“. Die Übersetzung „Wirbel“ lässt sich eindeutig aus den Fällen von Papyrus Edwin Smith ableiten: Breasted, Surgical Papyrus, 328.
2 wḫꜣ: Breasted, Surgical Papyrus, 318 betrachtet wḫꜣ als einen Fehler für ḫꜣi̯: „untersuchen“. Er weist auf pEdwin Smith, Fall 4 (Kol. 2.3–5) hin, in dem der Text mit ḏꜥr.ḫr=k (Apodosis) statt mit jr wḫꜣ=k fortgesetzt wird. Allen, Art of Medicine, 91 übersetzt tatsächlich mit „to probe“, d.h. „durch (abtasten) erforschen/absuchen“. Es gibt ein Verb wḫꜣ mit der Bedeutung „suchen; wünschen, begehren“ (Wb 1, 353.14–354.7), das aber nicht im Sinne von „untersuchen“ verwendet wird („jemanden, etwas suchen; etwas aussuchen“); es ist wohl nicht anzunehmen, dass die Stelle der Eintrittswunde gesucht werden muss. In Wb 1, 354.10 wird auch ein Lemma wḫꜣ: „(eine Wunde) untersuchen“ aufgelistet, zugleich jedoch als „wohl irrig statt ḫꜣj“ eingestuft (einzige Belegstelle: pEdwin Smith 10.4–5 = Fall 29); vgl. Westendorf, Grammatik, 21, § 33 und S. 16, Anm. 1: bedeutungsloses w im Anlaut (für ḫꜣi̯). Außerdem gibt es ein Verb wḫꜣ: „ausleeren; aus-, abschütteln“ (Wb 1, 353.1–8). Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 190 übersetzt mit diesem Verb: „if you empty out that wound“.

Fall 30: nrw.t-Zerrung an einem Halswirbel

(Titel:) Erfahrungswissen über eine nrw.t-Zerrung/Verstauchung/Zerreißung1 an einem Wirbel seines Halses.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer nrw.t-Zerrung/Verstauchung/Zerreißung an einem Wirbel seines Halses untersuchst,
dann sagst du ⟨daraufhin⟩ zu ihm:
„Blicke auf deine Schultern und deine Brust!n“
[10.10] Tut er (es), so ist es schwierig zu sehen/beobachten, dass (es) durch ihn geschieht.
(oder: Tut er (es), so ist es schwierig, das mit ihm Passierte (oder: durch ihn Verwirklichte) zu beobachten.
oder: Tut er (es), so ist das (Hinab)blicken, das durch ihn geschieht, schwierig/schmerzlich.)2
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer nrw.t-Zerrung/Verstauchung/Zerreißung an einem Wirbel seines Halses: eine Krankheit, die ich behandeln werde.“

(Behandlung:) Dann musst du ihn/sie (den Patienten oder die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Was die Zeit danach angeht, da sollst du ⟨ihn/sie⟩ {danach} täglich ⟨mit⟩ jmr.w-Verband(?) und Honig versorgen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 nrw.t: Kommt in pEdwin Smith als Verletzungsart am Halswirbel (Fall 30) und am Rückenwirbel (Fall 48) sowie an den Rippen (Fall 42) vor, die in allen drei Fällen vom altägyptischen Arzt als behandelbar eingestuft wird. Breasted, Surgical Papyrus, 322–323 leitet die Bedeutung „sprain“ aus der erklärenden Glosse A zu Fall 30 in Kombination mit einer Beschreibung in Fall 42 ab. Laut Fall 30 (Kol. 10.12) sind zwei Glieder (oder ein Gelenk?) (ꜥ.tj) „aufgerissen/aufgebrochen/auseinandergewichen“ (ngi̯), aber jedes bleibt an seinem Platz. Außerdem steht in Fall 42 (Kol. 14.18) bezüglich einer nrw.t der Rippen, dass weder eine „Lockerung/Ablösung/Abtrennung“ (wnḫ), noch ein „Bruch“ (ḥsb) vorliegt. Deshalb versteht Breasted nrw.t als „a sprain“, d.h. „Verstauchung, Distorsion“. Die meisten Bearbeiter schließen sich dem an: Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 50–51: „Distorsion, Verstauchung, Diastase“; Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 187: „une foulure, une entorse“ [= Verstauchung, Distorsion]; MedWb I, 467: „Zerrung (als Knochengelenkverletzung)“ (mit Verweis auf Breasted); Brawanski, in: SAK 32, 2004, 66, Anm. 2: „Zerrung, Distorsion“; Walker, Anatomical Terminology, 28–29: „sprain“; Hannig, HWB, 441: „Zerrung (als Knochengelenkverletzung)“. Die Übersetzung von Wb 2, 279.8–9: „Art Bruch (der Rückenwirbel und der Rippen)“ ist älter als die Publikation von Breasted. Laut Brawanski liegt in Fall 30 eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS-Distorsion, Schleudertrauma) vor (Brawanski, in: SAK 32, 2004, 78). Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 666 spricht von einer „Bandzerreißung ohne Dislokation des Gelenks“. Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 125–127 fragt sich, ob nrw.t, das er nach Westendorf ebenfalls als „Zerrung“ übersetzt, in den Fällen 30 und 48 einen Bandscheibenvorfall beschreiben kann, weil ein Auseinanderbrechen (ngi̯) von zwei Wirbeln (statt einer Bandscheibe) schwereren Schaden anrichten würde als in Fall 30 beschrieben (außerdem liegt in Fall 48 laut Stephan sicher ein Bandscheibenvorfall vor). Eine Diagnose als Bandscheibenverletzung findet sich ebenfalls bei Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 196–199, die sich dafür auf die Deutung von ꜥ.tj als „joint (possibly ligamentous joints only)“, d.h. ein „unechtes Gelenk“ (Synarthrose) wie die Bandscheibe, durch Walker, Anatomical Terminology, 27–31 berufen. Unklar ist, ob Übersetzungen wie „Zerrung, Riss, Verstauchung“ von Bändern oder Muskeln durch Überdehnung dem ägyptischen Konzept von nrw.t entsprechen, denn die beiden im Papyrus Edwin Smith genannten Gegenden, Wirbelsäule und die Rippengegend, sind keine typischen Körperbereiche für diese Art von Verletzungen. Außerdem sind diese Verletzungsarten an der Hautoberfläche nicht eindeutig identifizierbar. Etymologisch hängt nrw.t möglicherweise mit dem Verb bzw. der Wurzel nri̯ zusammen: „(sich) erschrecken“ > „erschaudern“ > „zucken“ = eine plötzliche, ruckartige Bewegung machen > eine Zuckungsverletzung = Zerrung.
Ein Problem bildet Fall 42, wo eine nrw.t der Rippen vorliegt und eine Zerrung oder Distorsion der Rippen anatomisch bedingt kaum auftreten kann. Deshalb denkt Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 64–65 in diesem Fall an eine Infraktion oder einen Querbruch einer Rippe, ohne Verschiebung der Bruchenden, während Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 259–260 an eine traumatische Costochondritis denken. Stephan, Altägyptische Medizin, 143–144, vermutet hingegen eine Rippenprellung, möglicherweise mit begleitender Reizpleuritis. Auch für Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin, 272–276 liegt in Fall 42 eine „Prellung“ der Rippen vor.
2 qsn mꜣꜣ ḫpr m-ꜥ=f: Es gibt zwei Interpretationen für diesen Satz: im einen Fall beobachtet der Arzt das Geschehen (so Grundriß; Westendorf; Brawanski) und es fällt ihm schwer, festzustellen, dass der Patient etwas tut. Im anderen Fall blickt der Patient selbst um sich, und es fällt ihm schwer, dieses zu tun (Breasted, Ebbell, Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer). In beiden Fällen ist qsn ein Adjektiv oder Adjektivverb im sḏm=f; mꜣ ist ein Infinitiv und Subjekt im Adjektivalsatz oder Subjekt von qsn in der sḏm=f-Form. Im ersten Fall ist ḫpr ein selbständig verwendetes Partizip oder ein unpersönliches sḏm=f (letzteres wohl bei Westendorf, Grammatik, 304, § 436.c.2, der von einem Substantivalsatz mit der Funktion eines direkten Objekts bei einem Verb der Wahrnehmung spricht) und direktes Objekt von mꜣꜣ. Im zweiten Fall ist ḫpr ein attributiv verwendetes Partizip zum substantivischen mꜣꜣ: „das Zuschauen, das durch ihn geschieht“ (z.B. auch Heckel, in: ZÄS 82, 1958, 42, Beisp. 9: „wobei das Hinsehen, das ihm möglich ist, schmerzhaft ist“). Weil ḫpr m-ꜥ nicht nur als „geschehen durch“ verstanden wird (Gardiner, EG, § 178: „happen through“ i.e. „be done by“), sondern auch als „geschehen an, jemandem passieren“, könnte der Patient das Beobachtet-werden, das ihm geschieht, auch als peinlich/schmerzhaft empfinden (so noch eine alternative Übersetzung bei Meltzer). Allen, Art of Medicine, 91 scheint m-ꜥ auf die Verletzung zu beziehen: „and when he does so it is hard for him to look because of it“ (dabei wird ḫpr nicht berücksichtigt und „because of“ wird in Papyrus Edwin Smith normalerweise mit ẖr=f/s ausgedrückt). Zu beachten ist noch, dass qsn nicht die spezifische Bedeutung „peinlich, schmerzhaft“ zu haben scheint (MedWb II, 892: „schlimm; schwierig“), was gegen eine Übersetzung spricht, dass die Ausführung der Bewegung für den Patienten schmerzlich ist (sie kann nur schwierig, d.h. schwer durchzuführen sein).

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „die nrw.t-Zerrung/Verstauchung/Zerreißung“ angeht:
Er (d.h. der Arzt oder ein zuvor genanntes Handbuch) sagt (dies) über das ngi̯.t-Aufgerissensein/Auseinanderreißen durch das Gelenk(?)3 (oder: seitens zweier Glieder/Gelenkteile),wobei es (d.h. das Gelenk oder jedes Glied) (allerdings noch) an seiner Stelle ist.

3 ꜥ.tj: Ist ein Dual des Wortes ꜥ.t: „(Körper)glied“. Laut MedWb I, 117 und 121 ist der Dual ꜥ.tj lexikalisiert (vgl. pḥ.wj: „Hintern“ < „die beiden Hinterbacken“; ꜥr.tj: „Kiefer“ < „die beiden Kieferhälften“; bb.wj: „Schlüsselbein“ < „die beiden Schlüsselbeine“) und bedeutet „Gelenk“ im Sinne von „Ort, an dem Körperteil an Körperteil stößt“. Schon Grapow, Anatomie, 17, Anm. 2 hat angenommen, dass das mit ꜥ.tj gebildete Kompositum rʾ-ꜥ.tj „die vermutliche Benennung für ‚Gelenkverbindung‘“ ist. Grapow nimmt diese Bedeutung jedoch nicht für ꜥ.tj allein an und er übersetzt (in: Grapow, Anatomie, 46) Fall 30 als „die beiden ꜥ.t-Fleische (d.h. wohl Muskelstränge) des Nackens“). Weder Grundriß IV, noch später Westendorf (Papyrus Edwin Smith; Handbuch Medizin) übersetzen ꜥ.tj in Fall 30 mit „Gelenk“ (Westendorf, Handbuch Medizin, 170, 175, 224 Anm. 277, versteht ꜥ.tj jedoch als „Gelenk“). Die Bedeutung „Gelenk“ für ꜥ.tj wird von Walker, Anatomical Terminology, 27–31 weiter exploriert. Er vermutet, dass ꜥ.tj nicht nur „joint“ bedeutet, sondern „possibly ligamentous joints only“ heißt, d.h. ein „unechtes, kontinuierliches Gelenk“ (Synarthrose), während rʾ-ꜥ.tj für „joint (possibly synovial joints only)“, d.h. ein „echtes, diskontinuierliches Gelenk“ (Diarthrose) mit einer Unterbrechung () zwischen den beteiligten Knochen stehen könnte. Walker, Anatomical Terminology, 28 lässt in Fall 30 die Entscheidung über die Übersetzung von ꜥ.tj als „two body parts“ oder „joint“ offen. Brawanski, in: SAK 32, 2004, 65 übersetzt mit „Gelenk“, Sanchez/Meltzer, 195 haben „intervertebral joint“; beide berufen sich auf Walker, der das Gelenk zwischen zwei Wirbeln tatsächlich ein „intervertebral joint“ nennt, womit die „Bandscheibe“ gemeint ist. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 196–199 sowie Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 125–127 nehmen an, dass in Fall 30 ein Bandscheibenvorfall vorliegt. Für Brawanski, in: SAK 32, 2004, 78 beschreibt Fall 30 eine Distorsion der Halswirbelsäule (HWS-Distorsion, Schleudertrauma) Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 666 spricht von einer „Bandzerreißung ohne Dislokation des Gelenks“.

Fall 31: wnḫ-Lockerung (Verrenkung, Verschiebung?) an einem Halswirbel

(Titel:) Erfahrungswissen über eine wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) an einem Wirbel ⟨seines⟩ Halses.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) an einem Wirbel seines Halses untersuchst,

(und) wenn du ihn vorfindest, indem er seine Arme und seine Beine aufgrund dessen nicht spürt (wörtl.: nicht kennengelernt hat);
sein Penis1 ist aufgrund dessen erhärtet (d.h. steif/erigiert);
ohne dass er es weiß, läuft Urin2 {in seiner Anwesenheit} bꜣḥ-Eichel(?)3 hinunter;
sein Fleisch hat Luft aufgenommen;4
[10.15] seine beiden Augen sind gerötet/entzündet/zugeschwollen(?).5
Es ist eine wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) des Wirbels (oder: ⟨an einem⟩ Wirbel) seines Halses, welcher bis zu seiner Brustwirbelsäule6 reicht7,
die dafür sorgt, dass er seine Arme und seine Beine nicht spürt.
Wenn aber der mittlere Wirbel seines Halses wnḫ-gelockert (d.h. verrenkt) wurde,
dann ergibt das einen (unkontrollierten) mnsꜣ-Samen-/Harnerguss (?)8, der an seiner bꜣḥ-Eichel stattfindet (oder: dann hat ein mnsꜣ-Samen-/Harnerguss (?) an seiner bꜣḥ-Eichel stattgefunden).
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„einer mit einer wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) an einem Wirbel seines Halses,
(wobei) er seine Beine und seine Arme nicht spürt,
(und wobei) sein Urin tropfen/tröpfeln (wörtl.: träge, langsam fließen) wird:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

1 ḥnn: Ist in den Körperteillisten die gängige Bezeichnung für den Penis des Mannes und von männlichen Tieren wie dem Esel (Wb 3, 115.1–2; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 39, § 45; Lacau, Noms des parties du corps, 81, § 209; 86–87, § 226: „la verge“; Faulkner, CDME, 172; Weeks, Anatomical Knowledge, 64; Walker, Anatomical Terminology, 272; Hannig, HWB, 578). Die Bedeutung (vgl. schon Champollion, Grammaire, 94: „phallus“) ergibt sich aus dem Determinativ des Phallus und aus Kontexten wie pEdwin Smith, Fall 31. Es kommt bis in demotischen Texten der römischen Zeit vor (Erichsen, Glossar, 277, 311, 314: ḥnn und Var. hnn, hnhn, ḥn), ist koptisch jedoch nicht mehr (oder: noch nicht) belegt. In den medizinischen Texten wird nur diese Bezeichnung verwendet (Grapow, Anatomie, 85; MedWb II, 608). Laut Lacau, Noms des parties du corps, 81, § 209 ersetzt es ein schon in den Pyramidentexten ausgestorbenes Wort *mt: „männliches Glied, Penis“. Es ist etymologisch verwandt mit ḥnn: „Hacke“ (landwirtschaftliches Gerät), von dem es eine metaphorische Bedeutungsableitung ist: So wie der Bauer mit der Hacke den Acker bestellt, um landwirtschaftliche Produkte zu erzeugen, bestellt der Mann mit seinem Penis die Frau, um Nachwuchs zu erzeugen (siehe Grapow, Bildliche Ausdrücke, 157). Weeks, Anatomical Knowledge, 65 fragt sich, ob ḥnn spezifisch den beschnittenen Penis bezeichnet, u.a. weil es ein weiteres Wort für den unbeschnittenen Penis gibt (qrnt) (daher vermutlich Walker, Anatomical Terminology, 272: „penis – possibly the circumcised penis only“). Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 203 lehnt dies ab, weil ḥn.yw (m) qrnwt: „Penisse mit Vorhaut“ (Wb 5, 61.3–4; Gardiner, AEO, I, 122*) auch im Zusammenhang mit unbeschnittenen Angehörigen der Seevölker verwendet wird.
2 mw.yt: Ist abgeleitet vom Substantiv mw: „Wasser“ und dem Adjektivverb mwy: „wässrig sein“. Es bedeutet „Nässe, Feuchtigkeit“ (selten, z.B. mw.yt rʾ: „Speichel“ als „Flüssigkeit des Mundes“) und konkret „Urin, Harn“ (Wb 2, 53.6–9). Es existiert noch koptisch als ⲙⲏ: „Harn, Ausscheidung“ und (selten) „Kot“ (Verkürzung von „große Ausscheidung“ oder „Kot-Ausscheidung“). Da der Penis in Papyrus Edwin Smith, Fall 31 (Kol. 10.14) erigiert ist, fragt sich Grapow, Anatomie, 86, Anm. 6, ob mw.yt dort nicht „Samen“ bezeichnen wird (ähnlich Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 69, Anm. 2: „Harn“; Westendorf, Handbuch Medizin, 730: „Flüssigkeit“, mit Anm. 50, in der Westendorf auf den möglichen Samenerguss bei Gehenkten/Erhängten hinweist; Brawanski, in: SAK 32, 2004, 67, Anm. 3 sagt, dass physionomisch nur „Harn“ in Betracht kommt und auch bei Erhängten nur selten ein Samenerguss erfolgt.).
3 bꜣḥ: Wird in pEdwin Smith Kol. 10.16 und 20 (Fall 31) phonetisch ausgeschrieben mit dem Phallus als Determinativ und in Kol. 10.14 und 22 in der Verbindung m bꜣḥ=f ausschließlich mit dem Phallus geschrieben und mit der Buchrolle determiniert. Breasted, Surgical Papyrus, 527 fasst alle vier Belege als „phallus, member“ auf, er versteht die Kombination mit der Präposition m also nicht als die zusammengesetzte Präposition m-bꜣḥ, trotz der unterschiedlichen Graphie. Auch MedWb I, 240–241 betrachtet die letzten beiden Stellen trotz der Schreibung nicht als Belege der zusammengesetzten Präposition (m-bꜣḥ wäre „in Anwesenheit von“ einer anderen Person, nicht sich selbst).
Das Determinativ des Phallus weist auf ein Wort in Zusammenhang mit dem Penis hin, wie schon früh erkannt wurde: Birch, in: Bunsen, Egypt’s Place in Universal History, V, 376: „pizzle“ und 377: „Phallus, before“; Goodwin, in: ZÄS 4, 1866, 55: bꜣḥ ist erhalten in Kopt. ϥⲁϩ: „praeputium“; daher bedeutet m-bꜣḥ: „coram“ [= „im Angesicht von“] < „a praeputio“; Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch, II, 410: „der Beschnittene“ als Bezeichnung des membrum virile (abgeleitet von der Wurzel bḥ, sic für bḥn: „zerschneiden, abschneiden“ und verwandt mit kopt. (S) ϥⲁϩ: „praeputium“; Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch, V, 443: „der beschnittene Phallus“; Ebers/Stern, Papyros Ebers, II, 11: „inguen“ [= Genitalien, Leistengegend, (eng.) groin], „praeputium“ [= Vorhaut] (wegen kopt. ϥⲁϩ). Die konkrete Bedeutung ist jedoch unsicher. Der Bedeutungsansatz „Penis, Phallus“ geht aus dem Determinativ hervor. Die Bedeutungsansätze „Praeputium, Vorhaut“ und „Genitalien, Leistengegend“ gehen auf die koptische Scala Paris 44 (fol. 71) zurück: koptisch (S) ϥⲁϩ entspricht griechisch ⲃⲟⲩⲃⲟⲛ (= βουβών) und arabisch al-ġalfat, wobei βουβών „inguen“ (LSJ: „groin“) und al-ġalfat „praeputium“ bedeuten (Peyron, Lexicon Linguae Copticae, 324; Crum, CD, 47; al-ġalfat entspricht in der koptischen Scala Paris 43, fol. 41 ἀκροβυστία = „foreskin“ (LSJ)). Trotz dieser Entsprechungen in der koptischen Scala übersetzt Crum, CD, 47 das koptische Wort (S) ⲃⲁϩ, ϥⲁϩ mit „penis (?)“. Till, Die Arzneikunde der Kopten, 26, Nr. O.1 schreibt ebenso: „Auch ⲃⲁϩ, obwohl es im Plural steht (BA 3), scheint Penis zu bedeuten.“ (Übersetzung von BA 3 auf S. 112; die Textstelle ist: Bouriant, Fragment d’un livre de médecin en copte thébain, in: Comptes rendus des Séances de l’Académie des Inscriptions et Belles-Lettres, Année 1887, Vol. 31/3, 376; Kurzzitat in Crum, CD, 47). Cerný, CED, 29: „penis (?)“. Das Fragezeichen von Crum bzw. die umsichtige Formulierung von Till fehlen in: Westendorf, KHWB, 30: „Penis“ (ohne Fragezeichen); Vycichl, 33: „pénis“ (ohne Fragezeichen). In dem Apokryphon des Johannes der Gnostischen Nag Hammadi Texte wird ein Mensch erschaffen. Zu den geformten Körperteilen gehört ⲡⲃⲁϩ ⲛ̄ϭⲃⲟⲩⲣ: „der linke ⲃⲁϩ“ (M. Krause / P. Labib, Die drei Versionen des Apokryphon des Johannes, Wiesbaden 1962, 155 [Codex II, 16.29] und 225 [Codex IV, 26.4]; Robinson, The Coptic Gnostic Library, II, Leiden 2000, 99), was gegen die Übersetzung „Penis“ spricht, wenn man den Text nicht emendiert zu „(X schuf) die rechte Hinterbacke; Y die linke Hinterbacke den Penis“ (so Schenke/Bethge/Kaiser [Hgg.], Nag Hammadi Deutsch, 1 [GCS 8], Berlin 2001, 126 mit Anm. 91).
Auch für das ältere ägyptische bꜣḥ liegen unterschiedliche Übersetzungen vor:
- „Sexuelles Organ“ (sowohl vom Mann als auch von der Frau) (Breasted, Surgical Papyrus, 325: „originally meant sexual organ without distinction of sex“);
- „Penis“ (Breasted, Surgical Papyrus, 325: „member, phallus“; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 39–40, § 45: Synonym von ḥnn in Papyrus Edwin Smith und das einzige Wort für „Penis“ in Papyrus Ebers; Faulkner, CDME, 77: „phallus“);
- „Penis als Körperteil zum Entleeren der Harnblase“ (also nicht als sexuelles Organ) (Wb 1, 419.14–15: „das männliche Glied; insbesondere die Harnröhre“; als Hypothese auch erwähnt bei: Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 40, § 45);
- „Spitze des Penis, bestehend aus Eichel, Vorhaut und Harnröhrenöffnung“ (Dawson, in: Barns, Five Ramesseum Papyri, 27, Anm. 1: „D. points out that bꜣḥ is the distal end of the organ, comprising glans, praeputium, and meatus urethrae.“);
- „Spitze des (beschnittenen?) Penis“ (Weeks, Anatomical Knowledge, 64–65: am ehesten „the distal end of the penis“ und vielleicht „the glans of the circumcised penis“; vgl. Lacau, Noms des parties du corps, 87, Anm. 6: eine Penis-Hieroglyphe in der Mastaba des Ti mit erkennbarer Eichel eines beschnittenen Penis);
- „Vorhaut“ (Lacau, in: Sphinx 16, 1912, 70, Anm. 2: „prépuce (?)“; Gardiner, EG, 563: „foreskin(?)“ und § 178: m-bꜣḥ: „in the foreskin (?) of“ > „in the presence of“; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 40, § 45: vielleicht war „Vorhaut“ die ursprüngliche Bezeichnung, später „Penis“; Lacau, Noms des parties du corps, 87–88, § 227: „prépuce (?), gland (?)“);
- „Eichel“ (MedWb I, 240–241: „Eichel (des männlichen Gliedes)“; Lacau, Noms des parties du corps, 87–88, § 227: „prépuce (?), gland (?)“ und 87, Anm. 6: eine Penis-Hieroglyphe in der Mastaba des Ti mit erkennbarer Eichel eines beschnittenen Penis; Walker, Anatomical Terminology, 268: „glans penis“; Hannig, HWB, 257: „*Eichel (des männlichen Gliedes)“);
- „Ausgangsstelle des Penis an der Glans“ (Grapow, Anatomie, 86).
Die Bedeutung „Vorhaut“ ist abzulehnen, denn die Vorhaut wurde bei der Beschneidung entfernt, sodass sie in Fall 31 gar nicht vorhanden sein kann (so schon das Gegenargument in MedWb I, 241). In den jüngeren Übersetzungen ist bꜣḥ entweder ein Synonym von ḥnn: „Penis“, oder es ist die „Penisspitze“ bzw. konkreter die „Eichel“. Weeks, Anatomical Knowledge, 65 gibt drei Gründe, weshalb bꜣḥ am ehesten der Bereich der Penisspitze bedeuten wird: Im Papyrus Edwin Smith wird bꜣḥ=f in Glosse B (Kol. 10.19–20) als pḥ.wj ḥnn=f: „das Ende seines Penis“ erklärt, was für eine Bedeutung „Penisspitze“ oder „Eichel“ sprechen würde. Auch die Verwendung von bꜣḥ in der zusammengesetzen Präposition m-bꜣḥ könnte für eine Körperspitze sprechen (vgl. m-ḫnt und m-ḥꜣ.t). Schließlich erweckt die Reihenfolge von ḥnn und bꜣḥ in der Gliedervergottung der Sonnenlitanei (Hornung, Das Buch der Anbetung des Re im Westen (Sonnenlitanei), AH 2, 212–213; AH 3, 88) den Eindruck, dass ḥnn der allgemeinere Begriff und bꜣḥ ein Teilbegriff ist (ḥnn wird mit Tatenen identifiziert, bꜣḥ mit einer Göttin (!) namens „die Abgeschirmte in Babylon“).
4 šzp ṯꜣw: Wird als eine Umschreibung für Meteorismus (Blähbauch; eng. und franz. auch tympanism(e)) verstanden: Durch die Lähmung sammelt sich übermäßig viel Gas im Verdauungstrakt, das wegen der Störung der Darmbeweglichkeit nicht entweichen kann, wodurch sich der Bauch aufbläht (so Luckhardt, bei: Breasted, Surgical Papyrus, 325; Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 187, Anm. 6; Brawanski, in: SAK 32, 2004, 67–68, Anm. 4; akzeptiert von Walker, Anatomical Terminology, 38; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 204 und 206: „intestinal ileus“ bzw. „bowel distension“). Das würde bedeuten, dass jwf hier die Weichteile und Organe im Bauchbereich bezeichnet (daher die Übersetzung von Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 201: „his internal organs“). Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 128–129 vermutet, dass in Fall 31 ein schweres Accelerationstrauma vorliegt und eine geschlossene Rippenfraktur mit Verletzung der Lunge denkbar ist (wird im Text jedoch nicht beschrieben!). Dann könnte seiner Meinung nach mit šzp ṯꜣw ein Hautemphysem gemeint sein, bei dem sich Luft im Thoraxbereich bis zum Hals unter der Haut ansammelt. Auch Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 667, Anm. 1 zweifelt die Diagnose als Meteorismus an. Seiner Meinung nach „pflegten die Alten jede Gewebsschwellung, besonders Ödeme, einer Aufblähung durch ‚Wind‘ zuzuschreiben.“
Eine abweichende ägyptologische Hypothese ist, dass der Hauch eines Dämons den Körper krank gemacht hat (Grundriß IV/2, 149, Anm. 2 zu Fall 31; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 69, Anm. 3). Von ägyptologischer Seite wurde auch erwogen, dass jwf: „Fleisch“ als Euphemismus für das männliche Glied stehen könnte und dessen Erektion durch Luftaufnahme verursacht wird (Grundriß IV/2, 149, Anm. 2 zu Fall 31; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 69, Anm. 3; Westendorf, Handbuch Medizin, 731, Anm. 51). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 51–52 versteht jwf als „Muskeln“ und vermutet, dass die Ägypter möglicherweise geglaubt haben, dass die Körperlähmung durch Luft in den Muskeln entstanden ist (Ebbell verweist auf Papyrus Ebers, Kol. 100.14–16 = Eb 855e und auf mit Luft gefüllte mt-Gefäße/Stränge, wobei seine Übersetzung von der üblichen abweicht).
5 jw jr.tj=fj šsm.tj: Für Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 204 ist dieses Symptom ein Hinweis dafür, dass die Nackenverletzung durch einen Schlag gegen die Vorderseite des Kopfes verursacht wurde. In der Interpretation von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 42 könnte eine Beschädigung des Nervus sympathicus im Bereich der unteren Halswirbel vorliegen (ebenso Brawanski, in: SAK 32, 2004, 68, Anm. 5), es ist also kein Schlag gegen den Kopf erforderlich.
6 bqsw: Das Lemma wurde zwar schon früh isoliert (z.B. Birch, in: Bunsen, Egypt’s Place in Universal History, V, 377; Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch, II, 430 und V, 453), jedoch noch nicht verstanden. Es wird in den Pyramidentexten mit Wirbelknochen (F139; laut Weeks, Anatomical Knowledge, 41 auch Lendenwirbel oder Brustwirbel in Seitenansicht) determiniert, später mit dem Rückgrat mit Rippen (F37) oder dem Fleischstück (F51) (Schreibungen: DZA 22.935.550). Wb 1, 480.8–11 gibt drei Übersetzungen: (1) Rückenwirbel (Halswirbel), (2) Wirbelkanal; (3) Rückenmark. Das bqsw besteht aus Wirbelknochen (ṯꜣz); es kann zusammengeknüpft aber auch durchtrennt oder gelöst werden (Nyord, Breathing Flesh, 306). Die Bedeutung „Rückgrat, Wirbelsäule“ ist sicher (z.B. Lefebvre, Tableau des parties du corps, 28–29, § 31: „la colonne vertébrale“; Faulkner, CDME, 85: „spine“). Aufgrund von Fall 31 (Kol. 10.15) des Papyrus Edwin Smith wird die Wirbelsäule auf den Bereich unterhalb der Halswirbelsäule reduziert: „der Wirbel seines Halses, der bis zum bqsw reicht“ als Umschreibung des 7. Halswirbels, der an die Brustwirbelsäule anschließt (so Breasted, Surgical Papyrus, 326: „backbone“ und „the bḳsw approaches near the cervical vertebrae, but does not include them“; Grapow, Anatomie, 57 mit Anm. 6: „Wirbelsäule des Rückens, nach den Halswirbeln“; Weeks, Anatomical Knowledge, 41–42: „vertebral column; (...) did not include the cervical vertebrae“; Walker, Anatomical Terminology, 268: „spinal column of the torso“). Westendorf, Handbuch Medizin, 180 nennt bqsw die „Wirbelsäule“ (im Abschnitt: Rücken). Westendorf, Grammatik, 23–24, § 37.2 erklärt die Etymologie als vielleicht (Grammatik) bzw. wahrscheinlich (Handbuch Medizin, 180, Anm. 174) auf m + qs.w: „Knochen“ (im Plural) zurückgehend, mit einer Verschiebung von mqs.w zu bqs.w. Das Wort wird teilweise als ein Plural empfunden (Pyr 409b = Spruch 274: mit Dreifachdeterminierung; Eb 457 bqsw n.w gꜣbgw vs. Eb 452 bqsw n gꜣbgw; bqsw dort beide Male mit Pluralstrichen, sonst auch häufig ohne). Für Lefebvre, Tableau des parties du corps, 28 ist es ein altes Wort aus den Pyramidentexten und anderen alten Texten, das danach aus dem gängigen Wortschatz verschwindet.
In einigen Texten wird es als ein Hohlkörper betrachtet: der König kommt aus dem bqsw einer Heuschrecke hervor inmitten jener Kinder/Larven der Hornisse(?) (Pyr. 1772b = Spruch 627: pri̯.n=f m bqsw n.j snmḥ m-m nw n.j ms.w tkkt); Blut des bqsw eines gꜣbgw-Vogels wird als Droge verwendet (Papyrus Ebers 65.16 = Eb 457: znf n.j bqs.w n.w gꜣbgw); der Sonnengott wird in seiner Barke in das bqsw einer Schlange gezogen in der 12. Stunde des Amduats, mittleres Register, 4. Szene (Hornung, Texte zum Amduat, AH 15, 821: sṯꜣ=sn nṯr pn ꜥꜣ m bqsw ꜥnḫ-nṯr.w; vgl. 829–830: der Sonnengott kommt aus dem jmꜣḫ [„Wirbelsäule mit Rückenmark“; „Wirbelkanal“] der Schlange heraus). Diese Stellen beweisen, dass die Wirbelsäule als hohl empfunden wurde, d.h. über einen Wirbelkanal verfügte, jedoch nicht, dass bqsw den „Wirbelkanal“ bezeichnen kann oder muss. DrogWb, 183 gibt die beiden Bedeutungen „Wirbelsäule, Wirbelsäulenkanal“ für Eb 457 an.
Die Bedeutung „Rückenmark“ ist ebenfalls unsicher. Die einzige Belegstelle in Wb 1, 480.10 für diese Bedeutung ist Papyrus Edwin Smith 10.15 (Fall 31); diese Stelle wird in MedWb I, 253 jedoch als „Wirbelsäule“ verstanden. Lefebvre, Tableau des parties du corps, 28–29, § 31 identifiziert bqs.w als „la colonne vertébrale“, aber er fügt hinzu: „il semble d’ailleurs avoir originairement désigné la moelle épinière (du moins chez les animaux)“. Die Belege von Lefebre für die Bedeutung „Rückenmark“ sind Pyr. 1772b (Heuschrecke) und pEbers Kol. 65, 10 und 16 (Vogel). Die Stelle in pEbers wird in DrogWb, 183 als „Wirbelsäulenkanal“ eingestuft. Die Interpretation „Rückenmark“ für Pyr. 1772b findet man ebenfalls bei Sethe, Übersetzung und Kommentar zu den altägyptischen Pyramidentexten, I, 189, aber Faulkner, The Ancient Egyptian Pyramid Texts, 260 mit Anm. 3 auf S. 261 versteht die Stelle anders: „Bḳsw is lit. ‚spine‘, but the reference here is to the articulated body of an insect. The determinative of bḳsw here may be intended to represent a single vertebra.“ Hannig, Ägyptisches Wörterbuch I, 425 {47166} folgt Faulkner und gibt für bqsw aufgrund dieser Textstelle die Bedeutung „Abdomen, Hinterleib (Segmente der Heuschrecke erinnern an Wirbelsäule)“. Grapow, Anatomie, 57 mit Anm. 8 akzeptiert die Bedeutungen „Wirbelsäule des Rückens“ und „Wirbelsäulenkanal“, aber er zweifelt „die vermutete Bedeutung ‚Rückenmark‘ (Wundenbuch Fall 31)“ an. Für Brawanski, in: SAK 32, 2004, 68, Anm. 6 ergibt nur die Bedeutung „Rückenmark“ einen klinischen Sinn. Brawanski versteht jꜥr n bqsw im Sinne von „das Erreichen des Rückenmarks“ als Ursache der Lähmung, er betrachtet jꜥr n bqsw nicht als eine Beschreibung zur Identifikation des 7. Halswirbels.
7 jꜥr: kann sich als attributives Partizip Aktiv Maskulin grammatisch nur auf wnḫ: „Lockerung, Verrenkung“ oder auf ṯꜣz n.j nḥb.t: „Halswirbelknochen“ beziehen. Alle Bearbeiter gehen von ṯꜣz aus, obwohl auch eine Wunde bis zum Knochen reichen kann (wbn.w jꜥr n qs: zahlreiche Belege in pEdwin Smith). Dieser Halswirbel reicht dann bis zur Brustwirbelsäule (bqsw), oder er reicht bis zum Rückenmark (nur Brawanski). Da im nächsten Satz (Kol. 10.16) ein Wirbelknochen als „der mittlere Wirbelknochen des Halses“ bezeichnet wird, was eine Umschreibung für den 4. Halswirbel zu sein scheint, könnte man auch jꜥr n bqs.w als eine Spezifizierung für einen Halswirbel verstehen, d.h. es ist der 7. Halswirbel, der an die Brustwirbelsäule heranreicht.
8 mnsꜣ: Ist als Substantiv und als Verb belegt und beschreibt eine sexuelle Tätigkeit mit dem Penis. Im Papyrus Edwin Smith, Fall 31, Kol. 10.16 wird es zuerst mit einem Gefäß determiniert, weil es eine solche Gefäßbezeichnung gibt (phonetisches Determinativ), in der erklärenden Glosse in Kol. 10.20 ist der Phallus Determinativ. Für das Verb hat Kees, in: ZÄS 57, 1922, 110 und 111 die Bedeutung „geschlechtlich missbrauchen“ aus einem mehrfach belegten mythologischen Text abgeleitet; van der Molen, Dictionary of Coffin Texts, 170 hat die abweichende Bedeutung: „emit, ejaculate“ für dieselbe Textstelle (bw.t=sn ḫr ꜥ nṯr ḥr-ḫt=sn nmsꜣ/mnsꜣ šw.t nṯr ḥr-ḫt=sn ⟨⸮n?⟩ ꜥq mtw.t=f jm=sn: „ihr [von Schu und Tefnut] Abscheu ist, wenn die Hand des Gottes [Atum] über sie herfällt und wenn der Schatten des Gottes über sie ejakuliert, damit (?) sein Sperma in sie eindringen kann / ohne dass (?) sein Sperma in sie eingedrungen ist“) (Die früheste Textversion ist CT VI 220s = Spruch 607, s. Borghouts, in: Fs Westendorf, 712; Altenmüller, in: MDAIK 22, 1967, 9–18 möchte den Text in die 5. Dyn. rückdatieren.) In Papyrus Edwin Smith, Fall 31 (Kol. 10.16 und 19–20) ist mnsꜣ ein Substantiv (oder ein Infinitiv). Breasted, Surgical Papyrus, 330 leitet die Bedeutung „emissio seminis“, d.h. „Samenerguss“ aus dem von Kees edierten Text ab. Wb 2, 88.16 trägt beide Textstellen unter dem Substantiv „Erektion des Phallus o.ä.“ ein, wobei die Bedeutungsangabe aus dem ersten Teil der erklärenden Glosse stammt (wnn ḥnn=f nḫt.w: „sein Penis ist steif/erigiert“). Laut MedWb I, 374 mit Anm. 2 ist die Bedeutungsangabe von Wb 2, 88.16 zu eng gefasst (weil noch ẖr nšw folgt) und bedeutet mnsꜣ: „Samenerguss“ (wobei der Penis selbstverständlich erigiert ist). Brawanski, in: SAK 32, 2004, 69, Anm. 8 kehrt zur Bedeutung „Erektion bzw. Priapismus“ zurück, weil es bei der Querschnittslähmung von Fall 31 keinen „Samenerguss“ geben kann, dagegen schon eine Erektion mit unwillkürlichem Harnabgang. Aber selbst wenn kein richtiger „Samenerguss“ oder „Orgasmus“ (so Hannig, HWB, 361) stattfinden kann, weisen CT VI 220s und die Glosse von Fall 31 doch darauf hin, dass ein Flüssigkeitsaustritt bei mnsꜣ stattfindet und dieser Aspekt die Bedeutung mitbestimmt. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 201 übersetzen „involuntary discharge/ejaculation“.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „Eine wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) an einem Wirbel seines Halses“ angeht:
er (d.h. der Arzt oder ein zuvor genanntes Handbuch) sagt (es) über eine jwd-Trennung eines Halswirbels von dem nächsten (wörtl.: seinem zweiten),
(aber) das Hautgewebe, das darüber ist, erweist sich als unversehrt;
so wie (man) „(es) ist gelöst/gelockert“ sagt über eine Sache, die (noch) zusammenhängend/berührend ist,
während ein (Teil) (doch) von dem anderen (wörtl.: von seinem zweiten) abgespalten/abgetrennt9 wird.

9 pḥḏ: Das Verb kommt bislang ausschließlich (?) in medizinischen Texten vor. Der früheste bekannte Beleg ist im Berliner medizinischen Papyrus (Bln 26), wo es mit einem Messer und dem schlagenden Arm determiniert wird und einen Verarbeitungszustand einer Eidechse zu einer Droge beschreibt. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch, II, 501–502 ermittelt die Bedeutung „zerschneiden, durchschneiden, in Stücke schneiden“, wobei er fälschlicherweise einen Zusammenhang mit koptisch (S) ⲡⲁϩ: „dividere, findere, scindere“ herstellt (kommt von äg. pḫꜣ). Aufgrund der Belege im Papyrus Ebers ermitteln Ebers/Stern, Papyros Ebers II, 31 die Bedeutung: „disrumpere, disrumpi, findere, intumescere“ [platzen, zerbrechen, zerreißen; spalten, teilen; anschwellen]. Breasted, Surgical Papyrus, 329 erkennt eine transitive und intransitive Verwendung: „to sever, dismember, cut up, cut open“ (daher Faulkner, CDME, 93: (trans.) „cut up, cut open, sever“; (intrans.) „burst open“). Wb 1, 542.1–3 und 542.4 unterscheidet zwischen „trennen; aufschneiden“ und einem unsicheren „vom einschrumpfen einer Geschwulst?“. MedWb I, 281–282 gibt als Hauptbedeutung „spalten“ und präzisiert „aufschneiden; abgespalten, eingeschnitten, getrennt sein“, wobei aus der Glosse A zu Fall 31 von Papyrus Edwin Smith hervorgeht, dass das Wesentliche ist, „dass keine vollständige Trennung erfolgt, sondern die beiden getrennten Teile an einer gewissen Stelle noch zusammenhaften“. Diese unvollständige Trennung war von Breasted nicht erkannt worden, weil er wnn dmj als Plusquamperfekt statt präsentisch aufgefasst hat: „which had been joined together“.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) [10.20] „das ist ein (unkontrollierter) mnsꜣ-Samen-/Harnerguss (?), der an seiner bꜣḥ-Eichel stattfindet“ angeht:
⟨Das bedeutet,⟩ dass sein Penis erhärtet (d.h. steif/erigiert) ist, mit einem nš.w-Ausfluss10 am Ende seines Penis11.
Das bedeutet, dass (man) sagt: „Er (d.h. der Patient) bleibt fest (d.h. unbeweglich) und abwartend,
(wobei) er sich nicht nach unten neigen kann,
sich aber (auch) nicht nach oben aufrichten kann.“

10 nš.w: Das Substantiv nš.w wird mit dem sog. schlechten Paket determiniert (Gardiner Aa2). Es wird mit dem Verb und dem Substantiv nš.wt in Verbindung gebracht, die beide mit dem spuckenden Mund determiniert werden, was auf irgendeine Art von Ausfluss hinweisen kann. Das Verb wird in Fall 41, Glosse E (Kol. 14.15–16) von der srf-Hitze verwendet, die aus der Wundöffnung strömt und mit der Umschreibung pri̯ r tꜣ: „hinausgehen zum Boden“ erklärt, weshalb es mit „ausströmen, ausfließen“ übersetzt wird (MedWb I, 483). Ein Zusammenhang mit oder eine jüngere Graphie von dem Verb nẖ: „sich ergießen, herausquellen, heraustropfen“, das ebenfalls mit dem spuckenden Mund sowie dem schlagenden Arm determiniert wird (siehe Papyrus Edwin Smith, Fall 6, Kol. 2.24), wird angenommen, ebenso mit dem Substantiv nšš, nẖ und nẖẖ: „Speichel“. Das Substantiv nš.wt bedeutet „Ausfluss, Schleim“ und wird in Eb 854b (Kol. 99.6) neben Blut durch Gefäße in der Nase transportiert (Wb 1, 338.13: „Schleim“; Faulkner, CDME, 140: „mucus“; MedWb I, 484). Irgendein Ausfluss würde im Zusammenhang mit einem erigierten Penis als Bedeutung passen. Es kommt auch als Magenkrankheit (Eb 207d) und als Kinderkrankheit (Zaubersprüche für Mutter und Kind) vor. Breasted, Surgical Papyrus, 330 und 390–391 ermittelt für nš.w die Bedeutung „issue, discharge“ (auf der Grundlage von Papyrus Edwin Smith und dem Zusammenhang mit dem Verb ). Wb 2, 338.10–11 hat: „etwas Feuchtes, als Krankheitserscheinung. Auch bes. als Kinderkrankheit (in allen Gliedern)“; MedWb I, 483–484: „Ausfluss“; Faulkner, CDME, 140: „issue (from wound); pemphigus“; Hannig, HWB, 458: „*Ausfluss (als Magenkrankheit, Kinderkrankheit); *Blasensucht (Pemphigus)“. Die Bedeutung „Pemphigus“ (eine Bezeichnung von blasenbildenden Hautkrankheiten) geht auf von Oefele, in: ZÄS 39, 1901, 149 zurück und wird von Dawson (in: Barns, Five Ramesseum Papyri, 25) akzeptiert. Sie beruht auf Belegstellen in den Zaubersprüchen für Mutter und Kind (Kol. 3.4–6), in denen šf.w eine an allen Gliedern auftretende Krankheit bei Kindern ist, die mit bnw.t-Geschwüren und ḥnḥn.t-Geschwulsten genannt wird, ausfließen (kfꜣ) soll und mit Flüssigkeiten wie Blut und Eiter verwandt ist (die nš.w-Krankheit wird als Bruder des Blutes und Freund des Eiters angesprochen). Diese Zusammenhänge führen von Oefele zu der Krankheit Pemphigus, konkret sogar zu Pemphigus neonatorum. Das kann natürlich nicht in Fall 31 von Papyrus Edwin Smith vorliegen. Das gemeinsame Element scheint eine Art von Ausfluss zu sein. Ebbell, Alt-ägyptische Krankheiten, 27–28 meint, dass mit nš.w keine konkrete Krankheit vorliegt, sondern sowohl in pEdwin Smith als auch in den Zaubersprüchen für Mutter und Kind ein „Aussickern, Ausfluss“ o.ä. gemeint ist (in den Zaubersprüchen im Zusammenhang mit der Haut, daher „Nässen“ oder „nässender Hautausschlag“ o.ä., wie es bei Pemphigus neonatorum, Impetigo contagiosa und nässendem Ekzem o.ä. vorkommt). Laut Brawanski, in: SAK 32, 2004, 67 wird bei der Querschnittslähmung von Fall 31 kein Samenerguss vorliegen, sondern ein unkontrollierter Harnverlust. Das Krankheitssymptom nš.w ist noch koptisch als ⲛⲉϣⲱ belegt (Chassinat, Papyrus médical copte, 109).
11 pḥ.wj ḥnn: wird allgemein als die Spitze des Penis verstanden. Nur Grapow, Anatomie, 86 begreift es als „die Ansatzstelle des Penis am Körper“.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „Sein Urin tröpfelt/tropft (langsam)“ angeht:
Das bedeutet, dass Urin {vor ihm} ⟨aus seiner bꜣḥ-Eichel⟩ hinunterläuft,
wobei er (der Urin) sich nicht für ihn (den Patienten?)12 zurückhalten kann.

12 n sꜣ.n=s n=f: Es ist unklar, worauf sich n=f bezieht. In Betracht kommen die maskulinen Substantive wnḫ-Lockerung, z-Mann/Patient und bꜣḥ-Eichel. Breasted, Ebbell, Bardinet, Allen und Sanchez/Meltzer beziehen =f explizit oder implizit auf den Patienten. Die Bearbeiter vom Grundriß der Medizin (Grundriß IV/1, 190 und IV/2, 149, Sm Fall 31 Anm. 7: „bei ihm (seinem Glied?)“ oder „wegen ihr (der Verschiebung?)“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 69, Anm. 8; Westendorf, Handbuch Medizin, 31) übersetzen mit „bei ihm“ und lassen das Bezugswort offen (im Falle der wnḫ-Lockerung wäre es „wegen ihm“). Brawanski, in: SAK 32, 2004, 70 bezieht es auf bꜣḥ: „er (der Harn) kann sich nicht halten bei ihm (dem Glied)“.

Fall 32: nsw.t-Senkung (?) an einem Halswirbel

[11.1] (Titel:) Erfahrungswissen über eine nsw.t-Senkung1 an einem Wirbel seines Halses.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer nsw.t-Senkung an einem Wirbel seines Halses untersuchst,
(und wenn du feststellst:) sein Gesicht bleibt fest (d.h. unbeweglich);
sein Hals kann sich für ihn nicht drehen (oder: ⟨er⟩ kann seinen Hals nicht drehen).
Dann musst du folglich zu ihm sagen:
„Blicke auf deine šnb.t-Brust2 und deine beiden Schultern!“
Er ist nicht in der Lage, sein Gesicht zu drehen und/oder auf seine šnb.t-Brust und seine beiden Schultern zu blicken.
(Diagnose:) ((Dann sagst du daraufhin über ihn:)) „Einer mit einer nsw.t-Senkung(?) an einem Wirbel seines Halses:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du ihn (den Wirbel oder den Patienten) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
[11.5] Dann musst du folglich seinen Verband lösen.
Dann musst du folglich Öl/Fett auf seinen Kopf geben, um zu seinem Hals (hinab)zufließen (oder: sodass (es) zu seinem Hals (hinab)fließt)3.
Dann musst du ihn folglich über/mit jmr.w-Verband(?) verbinden.
Danach sollst du ihn täglich ⟨mit⟩ Honig versorgen/pflegen.
Seine Linderung/Lagerungshaltung/Behandlungsroutine(?) ist Sitzen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 nsw.t: Wird in Fall 32, Glosse A des Papyrus Edwin Smith (Kol. 11.7) als ein „Herabsinken/Eintauchen ⟨ins⟩ Innere des Nackens/Halses“ (hrp ⟨n⟩-ẖnw n.j nḥb.t) erklärt und verglichen mit dem Eindrücken/Eintreten(?) durch den Fuß in den Ackerboden (ns rd m ꜣḥ.t) und mit einem Absacken(?) zur Unterseite / nach unten (ḏfi̯ r ẖrw). Das Substantiv hängt mit dem Bewegungsverb ns zusammen, das in Fall 32, Glosse A als Erklärung für nsw.t herangezogen wird, aber ansonsten selten ist. Auch die Bedeutung des ebenfalls in der Glosse herangezogenen Bewegungsverbs ḏfi̯ ist nicht ausreichend präzise geklärt, um bei der Bedeutungsfindung hilfreich zu sein. Breasted, Surgical Papyrus, 337 übersetzt nsw.t mit „displacement“. Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 669 hat entsprechend „Verlagerung“ als eine „theoretisch konstruierte Verletzung“ (Meyerhoft meint, dass eine Bandzerreißung und keine Luxation vorliegt); Wb 2, 324.16: „eine Krankheitserscheinung am Nackenwirbel: Senkung o.ä. ?“ (wegen des Verbs hrp: „einsinken“); Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, „Herabsinken“ (Subluxation? mit einer Verschiebung eines Wirbels nach vorn); MedWb I, 479–480: „Senkung“; Allen, Art of Medicine, 93: „a settling“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 208: „a sinking“; Hannig, HWB, 454: „Senkung (als Knochenverletzung)“.
Es ist unklar, was genau mit der nsw.t-Senkung gemeint ist. Eine Möglichkeit ist, dass eine Einsinkung, eine Delle oder eine Unterbrechung in der normalen Kontur des Nackens sichtbar ist. Dann könnte theoretisch eine leichte Verschiebung eines Wirbels nach ventral erwogen werden, allerdings so gering, dass keine Lähmungserscheinungen vorliegen und Heilung erwartet wird. Das scheint Breasted mit seinem „displacement“ zu meinen. Ähnlich diagnostiziert Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 52–53 zweifelnd eine Subluxation (?) mit einer (leichten) Verschiebung eines Wirbels nach vorn. Brawanski, in: SAK 32, 2004, 72 meint allerdings dazu, dass eine gering ausgeprägte Subluxationsfraktur von außen schwer erkennbar wäre. Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 127 vermutet eine „Dislokation eines Nackenwirbels mit Blockierung der Intervertebralgelenke („Verrenkung“)“; er spricht von einem „Wirbelgleiten“, wobei er erwähnt, dass dieses nur für die Lendenwirbelsäule medizinisch beschrieben ist.
Brawanski, in: SAK 32, 2004, 72 vermutet eine ganz andere Ursache für die Einsinkung in der Kontur des Nackens: eine Fraktur eines oder mehrerer Dornfortsätze, entweder durch den Aufprall von Gegenständen von hinten gegen den Nacken oder eine Überanstrengung der Muskeln, die am Dornfortsatz ansetzen und letzteren infolge der Anspannung vom restlichen Wirbelkörper abbrechen lassen.
Sanchez, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 210–211 lehnt die Interpretation von Brawanski ab, weil er den ägyptischen Text anders versteht: Es geht seiner Meinung nach gar nicht um eine sichtbare Einsinkung zur Körpervorderseite (nach ventral) in der Kontur des Nackens, sondern um eine Einsinkung eines Wirbels nach unten durch axiale Gewalteinwirkung von oben, mit einer Wirbelkörperkompressionsfraktur als Folge. Diese(r) mutmaßliche Kompressionsfraktur/Stauchungsbruch wäre in Fall 32 nicht allzu gravierend, weil nur ein unbeweglicher Hals und keine Lähmungserscheinungen (durch Beschädigung des Rückenmarks) beschrieben werden.
2 šnb.t: Wird im Papyrus Edwin Smith nur in Fall 32 (Kol. 11.2 und 3) verwendet, ansonsten steht im selben Zusammenhang qꜣb.t. Beide Wörter müssen hier synonym sein und „Brustvorderseite, äußerer Oberkörper, Vorderseite des Rumpfes“ bedeuten.
šnb.t bedeutet laut Wb 4, 512.10–513.17 die „Brust des Menschen“, teilweise auch den „Körper, Rumpf“ (also den Oberkörper) und in späten Texten durch eine Bedeutungsverschiebung oder -verengung auch die „Kehle“. Die Bedeutung „Brust“ im Sinne von oberer Hälfte des menschlichen Rumpfes wird allgemein akzeptiert (z.B. Breasted, Surgical Papyrus, 334: „breast“; Grapow, Anatomie, 59–60; Faulkner, CDME, 269: „breast“; Lefebvre, Tableau des parties du corps, 25, § 24: „poitrine, au sens large“ und „sein“). Manche Autoren möchten šnb.t auf die äußere Vorderseite des Oberkörpers eingrenzen (Weeks, Anatomical Knowledge, 49: „the superficial bilateral halves of the thoracic region“ und „Chest‘, or, in the case of males, ‚pectoral‘ or ‚pectoral region‘ is perhaps closest to its meaning“; Walker, Anatomical Terminology, 276: „front of chest“; Westendorf, Handbuch Medizin, 178: „äußerer Oberkörper“ außerhalb der medizinischen Texte). Dies trifft ebenfalls auf den weiblichen Oberkörper, d.h. den weiblichen Busen zu, wobei fraglich ist, ob auch konkret die weibliche Brust (Mamma) gemeint sein kann (s. Wb 4, 512.13; Lefebvre, Tableau des parties du corps, 25, § 24: „sein (d’une nourrice)“; Lacau, Noms des parties du corps, 70, § 175: „sein (d’une femme)“). In den medizinischen Texten bedeutet šnb.t laut MedWb II, 861–862 „Brust; Brustraum“, vor allem der Brustinnenraum mit seinen Organen (ebenso Westendorf, Handbuch Medizin, 178; daher Hannig, HWB, 896–897: „Brust, Oberköper; (med.) Brust, Brustraum, Thorax (Brustinnenraum mit Organen)“). šnb.t unterscheidet sich damit von qꜣb.t, das laut MedWb II, 877–879: „Brust; Brustkorb“, in medizinischen Texten vor allem den „knöchernen Brustkorb“ bezeichnet. Abzulehnen ist die Bedeutung „Halsgrubegegend“ (sic!) von Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 297–299, der sich auf die erst spät belegte Bedeutung „Kehle“ stützt und dies mit der Bedeutung „Brust“ in Papyrus Edwin Smith (Fall 32) kombiniert: „wahrscheinlich (...) die Halsgrube nebst deren nächsten Umgebungen sowohl auf dem Halse als ein wenig auf der Brust hinunter, Manubrium sterni ungefähr entsprechend, d.h. so viel von der Brust, als man bei einer Frau mit ausgeschnittenem Kleide sieht“. Ebenfalls falsch ist die Bedeutung „Haut“ (Ebers/Stern, Papyros Ebers, II, 46: „corium, vel cutis, specialiter peritonaeum“), die auf einen falschen etymologischen Zusammenhang mit koptisch ϣⲛⲃⲉ, ϣⲛϥⲉ: „Schuppe (des Fisches), Schuppenhaut (der Schlange)“ beruht. Die späte Bedeutung „Hals, Luftröhre, Kehle“ ist demotisch belegt (Westendorf, KHWB, 335, Anm. 4).
3 r zꜣb r: Breasted, Surgical Papyrus, 334 versteht den Schakal als „a sportive writing“ des Verbs zꜣb: „durchziehen; umherstreifen“ (Wb 4, 420.15–421.5) und er fasst r-sꜣb-r als eine zusammengesetzte Präposition ähnlich wie r-mn-m auf, mit der mutmaßlichen Bedeutung „to traverse as far as“ > „as far as“ (gefolgt von Ebbell, Bardinet). Bei r-mn-m ist mn jedoch ein Infinitiv (Gardiner, EG, § 180) und der Infinitiv von zꜣb enthält ein t (Wb 4, 420), sodass diese grammatische Auffassung zweifelhaft ist. Es gibt ein fast identisch geschriebenes Verb zꜣb mit Wasserwellen oder Wassertropfen als Determinativ und mit der Bedeutung „fließen, rinnen, tropfen“ (Wb 3, 420.3–4), das einen Infinitiv ohne t hat (so MedWb. II, 709–710). Dieses kann in der Konstruktion r + Infinitiv zur Bildung eines Finalsatzes vorliegen (so übersetzen Grundriß IV/1, Allen und Sanchez/Meltzer). Das Kausativ-Verb s:ꜣb: „jem. verweilen lassen“ (Wb 4, 17.11) kommt wegen des fehlenden t in der Konstruktion r + Infinitiv nicht in Betracht. Statt der Konstruktion r + Infinitiv des Verbs zꜣb: „fließen“, kann auch die Konstruktion r + unpersönliches sḏm=f vorliegen. So übersetzen Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 70 und Westendorf, Handbuch Medizin, 731: „sodass (es) zu seinem Nacken herabrinnt“.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „Eine nsw.t-Senkung(?) an einem Wirbel seines Halses“ angeht:
Er (d.h. der Arzt oder ein zuvor genanntes Handbuch) sagt (es) über das hrp-Einsinken/Abtauchen eines Wirbels seines Halses ⟨ins⟩ Innere seines Halses (oder: Er sagt (es) über (die Tatsache,) dass ein Wirbel seines Halses Innere seines Halses hrp-einsinkt/abtaucht),
so wie ein Bein/Fuß in den Ackerboden ns-hineingeht/einsinkt
4 (?, d.h. einen Abdruck hinterlässt).
Es ist ein ḏfi̯-Absacken/Eindrücken(?)
5 nach unten.

4 ns: Ist als Verb der Bewegung ansonsten erst in späten Texten belegt und bedeutet dann in etwa (intrans.) „gehen nach“ und (trans.) „jemanden hinführen nach“ (Wb 2, 321.1–3; Breasted, Surgical Papyrus, 337: „go, lead, introduce“; Wilson, Ptolemaic Lexikon, 544: „to go, travel“); möglicherweise ein Beleg aus dem NR im Nilhymnus oDeM 1675, Rto 8 (Fischer-Elfert, Literarische Ostraka der Ramessidenzeit, 37, Anm. c). In Papyrus Edwin Smith, Fall 32 (Kol. 11.8) wird die Bedeutung „einsinken“ (Wb 2, 320.19; MedWb I, 479–480) aus dem Zusammenhang abgeleitet. Ob im Berliner Medizinischen Papyrus (Bln 196) das Verb ebenfalls vorkommt (so MedWb I, 480), ist unsicher, denn die Stelle wird auch anders gedeutet (z.B. Westendorf, Handbuch Medizin, 436: Übersetzung mit n.j-sw statt mit dem Verb ns).
5 ḏfi̯: Das Bewegungsverb wird auch in der Verbindung ḏfi̯ m tꜣ ḥtm.yw: „in das Land der Vernichteten absacken/einsinken“ verwendet (Sonnenlitanei: Hornung, Buch der Anbetung des Re, AH 2, 175), aber die Stelle in Papyrus Edwin Smith, Fall 32 (Kol. 11.8) ist wegen des Zusammenhangs mit dem Verb hrp: „untersinken (im Wasser), untertauchen“ maßgeblich für die Bedeutungsermittlung „einsinken, versinken“ (Wb 5, 569.4–6; MedWb II, 1003; Hannig, HWB, 1080). Im Grab des Ibi wird ḏfi̯ transitiv verwendet (ḏfi̯ ꜥḥꜥ m iz pn: „die Stele in diesem Grab (mental) durchdringen“, d.h. sich in den Text der Stele vertiefen, sich mit dem Text der Stele vertraut machen, wie aus dem bei Ibi nachfolgenden Satz hervorgeht: ꜥq m zẖꜣ.w wn jm=f: „eindringen in die Schriften, die in ihr/ihm [der Stele oder dem Grab] sind“: Kuhlmann/Schenkel, Grab des Ibi, 72 und Taf. 23, Text 98, Kol. 9–10; Schenkel übersetzt ḏfi̯ mit „herantreten an“). Deshalb lautet die Übersetzung von Breasted, Surgical Papyrus, 337 „penetrate“ (daher Faulkner, CDME, 322: „penetrate“). Für Breasted ist ḏf.yt ein Substantiv „penetration“ (ebenso Faulkner, CDME, 322); in Wb 5, 569.6 und in MedWb II, 1003 ist es der Infinitiv des Verbs ḏfi̯. Allen, Art of Medicine, 93 übersetzt mit „a depression“, Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 209 mit „a compressing/penetration“.

Fall 33: sḥm-Stauchung/Quetschung an einem Halswirbel

(Titel:) Erfahrungswissen über eine sḥm-Stauchung/Quetschung1 an einem Wirbel [11.10] seines Halses.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer sḥm-Stauchung/Quetschung an einem Wirbel seines Halses untersuchst,
(und) wenn du ihn (den Patienten) vorfindest, indem ein Wirbel in seinen Nachbarwirbel (wörtl.: seinen Zweiten, Kollegen) gefallen ist.
Außerdem ist er benommen; er kann nicht sprechen.
– Es ist sein Hinfallen als einer, der die ganze Zeit kopfüber steht/hängt, das dafür sorgt (wörtl.: veranlasst), dass ein Wirbel in seinen Nachbarwirbel (wörtl.: seinen Zweiten, Kollegen) hineingequetscht wurde (oder: sich hineingequetscht hat). –
(Und) wenn du ⟨ihn⟩2 vorfindest, indem er seine Arme und seine Beine aufgrund dessen nicht spürt (wörtl.: nicht kennengelernt hat);
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer sḥm-Stauchung/Quetschung an einem Wirbel seines Halses,
wobei er seine Arme und seine Beine nicht spürt und in benommenem Zustand ist:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann“.

1 sḥm: Das Substantiv wird mit dem Stößel (Sign list U33) und in der (jüngeren) Glosse B mit dem Stößel mit Mörser (Sign list U32) determiniert. Laut Wb 4, 215.9–20 bedeutet das Verb sḥm „(im Mörser) zerstossen, zerstampfen“ und als medizinischer Fachausdruck „stauchen, quetschen“. Eine Darstellung vom Zerstoßen von Getreide mit einem Stößel in Grab 15 von Beni Hasan ist mit einer Überschrift mit dem Verb sḥm versehen (Newberry, Beni Hasan, II, Taf. 6). Laut MedWb II, 785 wird das Verb in der Arzneimittelbereitung („zerstampfen, zerquetschen“ in einem steinernen Mörser [šd n.j jnr]: H 145 = Kol. 10.5–6) und in der Krankheitsbeschreibung („Stauchung, Quetschung“) verwendet. Abgesehen vom Nackenwirbel kann eine solche sḥm-Stauchung/Quetschung auch am After und an den Zähnen auftreten. Es wird im Text so erklärt, dass ein Wirbel in den nächsten „gefallen“ (ḫr) bzw. „eingetreten“ (ꜥq) ist und sich nichts hin- oder herbewegen lässt (nn jṯi̯.t jni̯.t: „ohne wegzunehmen oder hinzubringen“). Breasted, Surgical Papyrus, 340 übersetzt mit „to crush“ und „a crushed vertebra“. Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 669–670 spricht von einer Kompressionsfraktur von Halswirbeln, wörtl. „ein Zusammendrücken“ und „ein zusammengedrückter Wirbel“. Ebbell, Die alt-ägyptische Chirurgie, 53–54 versteht die „Zerquetschung eines Halswirbels“ als „eine Art Fractura impacta“. Grundriß der Medizin IV und Westendorf haben „Quetschung, Stauchung“. Bardinet übersetzt mit „un écrasement d’une vertèbre“. Brawanski, in: SAK 32, 2004, 73–75 übersetzt mit „Quetschung“ und spricht von einer Kompressionsfraktur, genauer von einer Berstungsfraktur eines Halswirbels. Allen, Art of Medicine, 93 hat „contusion“, was als Übersetzungsbegriff zu schwach ist im Hinblick auf die Schwere der Verletzung. Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 130 versteht „Stauchung“ im Sinne von einer Impressionsfraktur. Sanchez und Meltzer interpretieren „a crush in a vertebra“ als ein „cervical burst fracture“, d.h. eine Berstungsfraktur eines Halswirbels.
2 ⟨sw⟩: Ergänzung von sw nach Fall 31, Kol. 10.13: jr ḫꜣi̯=k z n.j wnḫ m ṯꜣz n.j nḥb.t=f gmm=k sw ḫm.n=f ꜥ.wj=fj rd.wj=fj ẖr=s. Die Auslassung kann durch den Zeilenumbruch verursacht worden sein.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „Eine Stauchung/Quetschung an einem Wirbel seines Halses“ angeht:
Er (d.h. der Arzt oder ein zuvor genanntes Handbuch) sagt (es) ((über)) das Fallen eines Wirbels seines Halses in seinen Nachbarwirbel (wörtl.: seinen Zweiten, Kollegen);
einer (d.h. ein Wirbel) ist in einen (anderen) hineingedrungen, [11.15] ohne sich (noch) hin- oder herzubewegen (wörtl.: ohne [etwas] wegzunehmen oder hinzubringen).
(oder: Er (d.h. der Arzt oder ein zuvor genanntes Handbuch) sagt (es) über (die Tatsache,) dass ein Wirbel seines Halses in seinen Nachbarwirbel (wörtl.: seinen Zweiten, Kollegen) gefallen ist, wobei einer in einen (anderen) hineingedrungen ist, ohne sich (noch) hinein- oder herauszubewegen.)

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „Es ist sein Hinfallen als einer, der die ganze Zeit kopfüber steht/hängt, das dafür sorgt, dass ein Wirbel in seinen Nachbarwirbel (wörtl.: seinen Zweiten, Kollegen) hineingequetscht wurde (oder: sich hineingequetscht hat)“ angeht:
es bedeutet, dass er (d.h. der Patient) hingefallen ist, wobei er mit dem Kopf nach unten auf seinen Kopf/Schädel gestellt war,
sodass ein Wirbel seines Halses in seinen Nachbarwirbel (wörtl.: seinen Zweiten, Kollegen) eingekeilt(?)3 wurde/ist.

3 sꜣḫ: Das Verb mit dem Holzstück als Determinativ kommt nur an dieser Stelle vor. Die Bedeutung „to drive into“ (Breasted, Surgical Papyrus, 342), „percuter“ (Bardinet, Papyrus médicaux, 510), „to slot into“ (Allen, Art of Medicine, 93), „to forcibly drive into“ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 215) wird aus dem Zusammenhang erraten. Das Holzdeterminativ hat die Bearbeiter des Grundrißes der Medizin zur Bedeutung „wie ein (Holz-)Keil eindringen o.ä.“ (MedWb 712) bzw. „einkeilen“ (Westendorf, Papyrus Edwin Smith; Westendorf, Handbuch Medizin, 732) geführt. Ein Verb sꜣḫ bzw. sꜣš mit den gekreuzten Stöcken (Sign List Z9) kommt in den Sargtexten vor (van der Molen, Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, 445) und bedeutet dort möglicherweise „zurückstoßen“ (Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II, 2, 2089).

Fall 34: wnḫ-Lockerung am Schlüsselbein

(Titel:) Erfahrungswissen über eine wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung)1 an seinen beiden Schlüsselbeinen2.
(1. Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer wnḫ-Lockerung (d.h. einer Verrenkung, Verschiebung) an seinen beiden Schlüsselbeinen untersuchst,
(und) wenn ⟨du⟩3 seine beiden Schulterblätter niedergebeugt/herabhängend vorfindest,
wobei der Kopf (oder: die Spitze) seiner Schlüsselbeine zu seinem Gesicht hervorsteht.
(1. Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer wnḫ-Lockerung an seinen beiden Schlüsselbeinen (d.h. einer Art Verrenkung):
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(1. Behandlung:) Lass ⟨sie⟩4 (d.h. die Schlüsselbeine) dir zurückfallen (oder: ⟨Daraufhin⟩ lässt du ⟨sie⟩ zurückfallen), (mit dem Ergebnis, dass sie) an ihren (richtigen) Platz (zurück)gesetzt sind!
Dann musst du [11.20] ihn/es (den Patienten oder das eine Schlüsselbein) folglich mit bḏꜣ-Polster/Röllchen/Ballen(?) aus Leinenstoff verbinden.
Danach sollst du ihn/es täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett und Honig versorgen/pflegen, bis es ihm (dem Patienten) besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.
(2. Untersuchung:) Aber wenn du seine beiden Schlüsselbeine vorfinden wirst, (wobei) ⟨die Wunde⟩ über ihr (d.h. der Schlüsselbeinregion?) aufgebrochen ist
(oder: Aber wenn du seine beiden Schlüsselbeine deswegen gebrochen vorfinden wirst),
zum Inneren hin aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?),
⟨dann sagst du daraufhin:⟩ „eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
5

1 Mit einem wnḫ der Schlüsselbeine ist eine „dislocation“ (Breasted) oder eine „Verrenkung, Luxation“ gemeint (Meyerhof, 670; Ebbell, 54); ähnlich Bardinet mit dem franz. Begriff „déboîtement“.
2 bb.wj: Die Identifizierung als „die beiden Schlüsselbeine“ geht eindeutig aus Glosse A zu Fall 34 des Papyrus Edwin Smith hervor (Breasted, Surgical Papyrus, 347; MedWb I, 243–247) und ist unstrittig; außerhalb von Fall 34 des Papyrus Edwin Smith ist das Wort bislang nicht belegt. bb.wj ist ein Dual und wenn die beiden bb gelöst oder verschoben (wnḫ) sind, dann bedeutet das, dass die Köpfe der (beiden) Sicheln (tp.w n.w ẖꜣb in Glosse A) gelöst oder verschoben (nft) sind. Daraus wird geschlossen, dass bb oder bb.wj der anatomische Begriff für das Schlüsselbein und ẖꜣb die volkstümliche Bezeichnung „Sichelknochen, sichelförmiger Knochen“ ist (Grapow, Anatomie und Physiologie, 50). Wb 3, 362.2 und Grapow, Anatomie und Physiologie, 46 mit Anm. 14 setzen noch ein weiteres ẖꜣb/ḫꜣb mit der etwas unsicheren Bedeutung „Nacken“ an. Ist bb.wj ein wirklicher Dual mit bb als Singular (bislang nicht belegt?) oder ist es ein scheinbarer Dual (vgl. ꜥr.tj für „Unterkiefer < die beiden Unterkieferhälften“ und pḥ.wj für „Hintern < die beiden Hinterbacken“)? Nur Bardinet übersetzt bb.wj als „les deux régions des os claviculaires“. Für diese Regionen scheint jedoch ein sehr seltenes anderes Wort zu stehen, das im selben Zusammenhang erscheint: das Substantiv bbyt, das Breasted, Surgical Papyrus, 349 als „gorget“ versteht (d.h. Ringkragen am Vorderhals). Wb I, 455.4 erwägt für bb.yt „die Schlüsselbeinregion am Körper?“ oder „die Kehle?“ als Übersetzungen; in MedWb I, 247 bleibt nur „Schlüsselbeinregion“ (ohne Fragezeichen) übrig (vgl. Grapow, Anatomie und Physiologie, 48: bby.t „wird wohl die Schlüsselbeinregion bezeichnen“). Walker, Anatomical Terminology, 268 unterscheidet zwischen bb.wj „collarbones, clavicles“, bby.t: „supraclavicular fossae i.e. the hollows above the collarbones“ und bb.t: „collarbone region“. Ein Wort bb.t in Texten der griech.-röm. Zeit wird als „Kehle; Kehlkopf“ verstanden (Wb 1, 455.5), ist aber laut Gardiner (AEO I, 19) sicherlich identisch mit bby.t im Papyrus Edwin Smith. Im Ramesseumonomastikon erscheint bby.t als Lemma 311 (Gardiner, AEO I, S. 18–19) und hier übersetzt Walker, Anatomical Terminology, 340 mit „clavicular region“. Lacau, Noms des parties du corps 27, § 28 übernimmt von Breasted die Bedeutungen „les clavicules“ für bb.wj und „la région du cou et de la poitrine avoisinant les clavicules“ für bby.t, während er das Lemma bb.t aus Wb 1, 455.5 mit der möglichen Bedeutung „larynx“ übernimmt. Dawson (Mitteilung an Gardiner, in: Gardiner, AEO I, 18–19) spezifiziert bby.t als „in man the region of the upper part of the thorax, on both sides of the body immediately overlying the clavicles, and in the ox (where the flesh is much thicker) between the ‚neck‘ and the ‚brisket‘.“ Weeks, Anatomical Knowledge, 40 möchte im Gegensatz zu Dawson den Bereich von bbyt einschränken: bbyt „is perhaps to be restricted to the two supraclivicular notches (not, as he [= Dawson] suggested, to the clavicles themselves).“
3 gmm=k: Westendorf, Grammatik, 43, § 67 mit Anm. 1: eventuell kann der Ausfall von =k durch den folgenden k-Laut von qꜥḥ.wj verursacht sein, aber gerade bei gmi̯ fällt auch in anderen medizinischen Texten das Suffix =k gelegentlich weg (Westendorf, Grammatik, 52, §84.9).
4 Für die Ergänzungen siehe den gleichen Satz in Fall 12 (Kol. 5.17–18): sḫr | n=k sw (w)d(i̯) m s.t=f und in Fall 25 (Kol. 9.4–5): sḫr.jn=k sn | (w)d(i̯) m s.t=sn.
5 Der Satz bietet mehrere Probleme:
- gm{m}=k: Nach jr erwartet man keine geminierte Form (siehe für jr swt gmi̯=k Kol. 3.8, 3.13, 10.2, 17.7 und 17.12; ein weiteres jr swt gmm=k in Kol. 12.19 = Fall 37); bei jr ḏr gmm=k ist die Sachlage vielleicht eine andere.
- bb.wj=fj sd ḥr=s j:sdb.w n ẖnw wird auf drei unterschiedliche Arten interpretiert. Das Wort sd ist entweder das Verb sḏ: „aufbrechen“ oder das Substantiv sḏ: „Splitter-, Trümmerbruch“. Das Wort ḥr=s ist entweder die Präposition ḥr oder das Substantiv ḥr: „Gesicht“, beides mit Suffixpronomen. (1) Falls sḏ das Verb ist, dann ist es am ehesten ein Pseudopartizip zu bb.wj: „Wenn du aber seine beiden Schüsselbeine gebrochen vorfindest“ (so Ebbell, Allen, Sanchez/Meltzer). Man erwartet vielleicht eine Dualendung beim Pseudopartizip (sd.wj, wie pḫd.wj in Kol. 11.18), aber zum Einen kann die Endung wegfallen (z.B. ḥwꜥ und sꜣt in Kol. 12.4, ebenfalls bei bb.wj=fj), zum anderen wird nur ein Schlüsselbein gebrochen sein. (1.a) Das folgende ḥr=s ist in den Übersetzungen von Ebbell und Sanchez/Meltzer die Präpositionalkonstruktion, die sie allerdings unterschiedlich auffassen. Für Ebbell, Alt-ägyptische Chirugie, 54 bedeutet ḥr=s „dabei“, d.h. bei der Repositionierung der Schlüsselbeine gemäß der ersten Behandlung. Seine Übersetzung berücksichtigt die Pseudopartizip-Form von sḏ nicht: „Aber wenn du findest, dass seine Schlüsselbeine dabei brechen und nach dem Inneren zu perforieren, ...“ Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 221 übersetzen sḏ ḥr=s mit „smash fractured over it (and) pierced through and collapsed to the inside“ und verstehen dies als die beiden Schlüsselbeine, auf denen (Feminin Singular!) ein knochenzerbrechender Schlag durchgeführt wurde, wodurch ein Splitterbruch entstand, der das Gewebe nach Innen durchbohrt hat (jsdb.w n ẖnw). Grammatisch ist der Übergang von bb.wj (Maskulin, Dual) zu ḥr=s (Feminin, Singular) problematisch, auch wenn nur ein Schlüsselbein gemeint sein sollte. (1.b) In der Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 93 ist ḥr=s ein Substantiv und verbunden mit jsdb.w n ẖnw: „its surface obstructed on the inside“ (gleiches Problem des Übergangs von bb.wj zu ḥr=s. (1.c) Im Grundriß der Medizin wird zwischen bb.wj und sḏ das Substantiv wbn.w eingefügt: das Verb j:sdb.w wird im Papyrus Edwin Smith nur von Wunden verwendet, weshalb dieses Wort hier vermutlich fehlerhaft ausgelassen worden ist (Grundriß IV/1, 192 mit IV/2, 150, Anm. 4 zu Fall 34; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 72; Westendorf, Handbuch Medizin, 733; ähnlich Bardinet, Papyrus médicaux, 511): „Wenn du dagegen seine beiden Schlüsselbeine findest, indem ⟨eine Wunde⟩ darauf aufgebrochen ist, die aufgeweicht ist zum Innern, ...“ (gleiches Problem des Übergangs von bb.wj zu ḥr=s). (2) Breasted, Surgical Papyrus, 345 scheint sḏ als ein Substantiv aufgefasst zu haben, aber für ihn bezieht sich sḏ nicht auf die Knochen, sondern auf das Gewebe über den Knochen: „If, however, thou shouldst find his two collar-bones having a rupture (of the tissue) over it, penetrating to the interior, ...“ (vgl. S. 157 und 564: „rupture of fleshy tissue overlying a fracture of the bone“). Versteht man sḏ als Substantiv, dann liegt ein Adverbialsatz mit der Funktion eines virtuellen Umstandssatzes vor: „Aber wenn du seine beiden Schlüsselbeine vorfinden wirst, (wobei) ein sḏ-Bruch (Splitter-, Trümmerbruch) auf ihr(?) ist, der bis zum Innern aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist, (dann) ...“.
- j:sdb.w: ein Pseudopartizip. Für die unsichere Bedeutung „aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?)“ siehe oben Fall 14 (Kol. 6.7).
- mr jri̯.y=j: Schon Breasted, Surgical Papyrus, 345–346 hat sich gefragt, ob das Verdikt nicht fehlerhaft ist und n jri̯.w nj: „eine Krankheit, die man nicht behandeln kann“ hätte lauten müssen, denn es folgt keine Behandlungsanweisung, was nur bei negativen Verdikten der Fall ist.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine wnḫ-Lockerung (d.h. einer Verrenkung, Verschiebung) an seinen beiden Schlüsselbeinen“ angeht:
Das bedeutet, dass die Köpfe/Spitzen seines Sichels6 (d.h. seines sichelförmigen Schlüsselbeinknochens) gelöst7 wurden.
Ihre (Plural!) Köpfe/Spitzen verbleiben/ruhen (normalerweise?) im oberen Knochen seines qꜣb.t-Brustbeins (oder: Brustkorbs)8,
der bis zu seiner ḥtj.t-Kehle9 hinaufreicht (oder: wobei sie bis zu seiner ḥtj.t-Kehle heranreichen).
[12.1] Darüber/Darauf befindet sich das Gewebe/Fleisch seiner bby.t-Schlüsselbeinregion(?)10.
– Das ist das Gewebe/Fleisch, das sich auf/über seiner šꜣšꜣ.t-Halsgegend (?)11 befindet. –
Zwei mt-Gefäße/Stränge12 befinden sich unter ihr (d.h. unter der bb.yt- oder šꜣšꜣ.t-Gegend),
eins auf der rechten Seite und (eins) auf der linken Seite für seine ḥtj.t-Kehle (bzw.) für seinen sꜣšꜣ.t-Hals (oder: und gehört zu seiner ḥtj.t-Kehle bzw. zu seinem šꜣšꜣ.t-Hals).
Zu seiner Lunge führen sie.

6 h̭ꜣb: „Sichel“ wird als volkstümliches Synonym von bb.wj verstanden: „sichelförmiger Knochen, gekrümmter Knochen“. Warum tp.w als Plural und ẖꜣb als Singular in der Glosse stehen, ist unklar. Laut Breasted, Surgical Papyrus, 348 muss ẖꜣb vom Kontext her ein Plural sein.
7 nft: steht in pEdwin Smith in Fall 34 (Kol. 11.22) und Fall 43 (Kol. 15.4) sowie in Fall 8 (Kol. 4.18). Es wurde in Wb 2, 263.3 als „verziehen, verdrehen“ übersetzt (ebenso DZA 25.114.780) (daher die Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 93: „it means that the heads of his clavicles are twisted“), wobei mit Fragezeichen auf (S/B) ⲛⲟⲩϥⲧ und (S) ⲛⲟⲩⲧϥ verwiesen wird. Breasted, Surgical Papyrus, 348 fasste beide Stellen als Substantive auf, die er als „detachment, loosening, displacement“ übersetzte. Dazu verweist er auf ⲛⲟⲩϥⲧ, das er als „turn around, draw aside, to let out“ übersetzt, und auf ⲛⲟⲩⲧϥ, das er nur zusätzlich und ohne Übersetzung erwähnt sowie dessen ältere Form ntf (mit Verweis auf Spiegelberg, Koptisches Handwörterbuch, 81). Nun wird (S/B) ⲛⲟⲩϥⲧ von Crum, CD, 240a–b als „swell, be distended“ übersetzt, aber das Verb (S) ⲛⲟⲩⲧϥ hat als Nebenformen S ⲛⲁϥⲧ- und B ⲛⲟϥⲧ=; und bedeutet „loosen, dissolve, settle; be relaxed, released“ (Crum, CD, 232a–b; die Übersetzung des koptischen Verbs als „lösen“ geht auf Spiegelberg, in: ZÄS 53, 1917, 131–132 zurück) und Peyron, Lexicon, 130 verweist für ⲛⲟⲩϥⲧ auf ⲛⲟⲩⲧϥ „conciliari“, d.h. „lösen, vereinbaren“. Die demotische und neuägyptische Form ntf bedeutet „(den Gefesselten) losbinden, (Pferde) ausspannen“ (Wb 2, 356.9–10). MedWb I, 461 kehrt zur Bestimmung als Verb zurück, aber mit der von Breasted ermittelten Bedeutung: „lösen“. Die synonym verwendeten Verben sfḫ (Fall 8, Kol. 4.18) und wnḫ (Fall 34, Kol. 11.22 und Fall 43, Kol. 15.4) unterstützen die Bedeutung. nft wird im Neuägyptischen durch Metathese zu ntf.
8 qs ḥr.j n.j qꜣb.t: Der obere Knochen ist das manubrium sterni. Es spielt dabei keine Rolle, ob qꜣb.t als das Sternum (Brustbein) oder als der ganze knöcherne Brustkorb definiert wird.
9 ḥtj.t: Ist seit den Pyramidentexten belegt und wird meistens mit „Kehle“ übersetzt (Wb 3, 181.4–16; Breasted, Surgical Papyrus, 348–349; MedWb II, 638–639; Faulkner, CDME, 179; Weeks, Anatomical Knowledge, 39; Hannig, HWB, 609). Es ist ein Körperteil, der mit Atmen und Durst, später auch mit Sprechen zusammenhängt. Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 299 spezifiziert: die Kehle, einschließlich der Kehlkopf (Larynx) und der alleroberste Teil der Luftröhre (Trachea). Einige Autoren verallgemeineren die Bedeutung zu „Hals“ (Lacau, Noms des parties du corps, 67, § 170: „cou, gorge“) oder verengen sie zu „Luftröhre, Trachea“ (Grapow, Anatomie und Physiologie, 47; Walker, Anatomical Terminology, 273: „windpipe, trachea“; Sanchez/Meltzer, 221: „trachea“) oder zu „Schlund“ (Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 22, § 22.1: „le gosier, la ‚gorge‘“). In pEdwin Smith 12.1–2 wird über zwei mt-Gefäße gesprochen, die zur ḥtj.t und zur šꜣšꜣ.t führen.
10 bby.t: Ist ein sehr seltenes Wort, das mit bb/bb.wj: „die Schlüsselbeine“ zusammenhängt und in pEdwin Smith 12.1 als aus Gewebe/Fleisch bestehend und sich oberhalb oder auf dem Bereich zwischen dem obersten Bereich des Brustbeins (Manubrium Sterni) und der ḥtj.t-Kehle befindet. Es gibt keinen gängigen Begriff für diesen Bereich des Körpers. Breasted, Surgical Papyrus, 349 wählt das seltene Englische Wort „gorget“ (d.h. der Ringkragen am Vorderhals). Wb 1, 455.4 erwägt für bb.yt „die Schlüsselbeinregion am Körper?“ oder „die Kehle?“ als Übersetzungen; in MedWb I, 247 bleibt nur „Schlüsselbeinregion“ (ohne Fragezeichen) übrig (vgl. Grapow, Anatomie und Physiologie, 48: bby.t „wird wohl die Schlüsselbeinregion bezeichnen“). Walker, Anatomical Terminology, 268 unterscheidet zwischen bb.wj „collarbones, clavicles“, bby.t: „supraclavicular fossae i.e. the hollows above the collarbones“ und bb.t: „collarbone region“. Ein Wort bb.t in Texten der griech.-röm. Zeit wird als „Kehle; Kehlkopf“ verstanden (Wb 1, 455.5), ist aber laut Gardiner, AEO I, S. 19 sicherlich identisch mit bby.t im Papyrus Edwin Smith. Im Ramesseumonomastikon erscheint bby.t als Lemma 311 (Gardiner, AEO I, S. 18–19) und hier übersetzt Walker, Anatomical Terminology, 340 mit „clavicular region“. Lacau, Noms des parties du corps 27, § 28 übernimmt von Breasted die Bedeutungen „les clavicules“ für bb.wj und „la région du cou et de la poitrine avoisinant les clavicules“ für bby.t, während er das Lemma bb.t aus Wb 1, 455.5 mit der möglichen Bedeutung „larynx“ übernimmt. Dawson (Mitteilung an Gardiner, in: Gardiner, AEO I, S. 18–19) spezifiziert bby.t als „in man the region of the upper part of the thorax, on both sides of the body immediately overlying the clavicles, and in the ox (where the flesh is much thicker) between the ‚neck‘ and the ‚brisket‘.“ Weeks, Anatomical Knowledge, 40 möchte im Gegensatz zu Dawson den Bereich von bbyt einschränken: bbyt „is perhaps to be restricted to the two supraclavicular notches (not, as he [= Dawson] suggested, to the clavicles themselves).“
11 šꜣšꜣ.t: ist ein sehr selten belegtes Wort, das in pEdwin Smith 12.1 jedoch als Glosse für bb.yt verwendet wird und den alten Ägyptern deshalb wohlbekannt sein müsste. bb.yt ist wahrscheinlich die Schlüsselbeinregion zwischen der ḥtj.t-Kehle und der Oberseite des Brustbeins. In pEdwin Smith 12.2 ist šꜣšꜣ.t ein Synonym von ḥtj.t oder ein unmittelbar daneben liegender Körperteil. Breasted, Surgical Papyrus, 349 versteht šꜣšꜣ.t als Synonym von bb.yt und etymologisch verwandt mit einer Art von Halskette namens šꜣšꜣ.yt (dem Determinativ nach zu urteilen eine schmale Perlenkette und kein breiter Hals- oder Schulterkragen). Er spricht deshalb von „the region of the lower throat extending downward to the upper part of the sternum“, was er als „bosom“ übersetzt (daher auch Faulkner, CDME, 262: „bosom“). Ähnlich hat Walker, Anatomical Terminology, 276: „upper chest. Corresponds to the region of the chest and shoulders covered by a typical broad collar“, was von Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 221 übernommen wird („upper chest“). Andere Übersetzungen betonen den Zusammenhang mit der ḥtj.t-Kehle oder dem Halsbereich: Wb 4, 413.6–9: „Kehle o.ä.“ und „Kehle, Kehlkopf(?)“; MedWb II, 836: „Vorderhals-Gegend“; Grundriß IV/1, 192: „Halsgegend“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 72: „Halsgegend“; Westendorf, Handbuch Medizin, 733: „Halsgegend“; Bardinet, Papyrus médicaux, 511: „le pourtour du cou“; Allen, Art of Medicine, 95: „neck area“; Hannig, HWB, 870: „Vorderhals (mit Schlüsselbeinregion)“. Grapow, Anatomie und Physiologie, 48 betont: „Das Wort šꜣšꜣ.t ist zum wenigsten eine Bezeichnung für ‚Hals‘, in den die Feinde geschnitten werden, um sie zu töten, und der in bezug auf Halsgeschmeide genannt wird“, aber der Feindbezug (DZA 29.951.510 = Wb 4, 413.7) könnte sich auf das Lemma ḫḫ beziehen (mit einer Alliteration, d.h. šš als Schreibung von ḫḫ statt von šꜣšꜣ.t). Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 300 definiert šꜣšꜣ.t durch ein Ausschlussverfahren als das, was ḥtj.t nicht ist: „der oberste Teil der Speiseröhre (Ösophagus) nebst dem Rachen (Pharynx)“ (für Ebbell ist ḥtj.t die Kehle, einschließlich der Kehlkopf [Larynx] und der alleroberste Teil der Luftröhre [Trachea]). Diese Deutung durch Ebbell führt zu Übersetzungen von šꜣšꜣ.t als „Rachen (d.h. Pharynx)“ (Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 54); „la partie supérieure de l’oesophage“ (Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 22, § 22.2); „oesophage(?)“ (Lacau, Noms des parties du corps, 31, Anm. 4); „oesophagus“ (Weeks, Anatomical Knowledge, 39).
12 mt: jegliche Art von Gefäßen, röhrenförmigen Strukturen, Muskeln und Sehnen im Körper. Breasted, Surgical Papyrus, 349 denkt in pEdwin Smith 12.1–2 (Fall 34) an die großen Blutgefäße unter den Schlüsselbeinen (für Blut ebenfalls Allen, Art of Medicine, 95; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 221). Er vermerkt aber, dass sein medizinischer Gewährsmann Dr. Luckhardt die beiden primären Bronchi (Bronchus principalis) nicht ausschließt. Der Grundriß der Medizin denkt in Zusammenhang mit der Lunge an Luft (Grundriss IV/1, 192; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 72; Westendorf, Handbuch Medizin, 733; Bardinet, Papyrus médicaux, 511) und verweist auf Eb 855a = pEbers 99.12–13 (Grundriß IV/2, 150, Anm. 13 zu Fall 34), das zum Gefäßbuch gehört und von Luft handelt, die in Herz und Lunge eintritt (Gefäße werden in diesem Satz nicht explizit genannt).

Fall 35: ḥsb-Bruch des Schlüsselbeins

(Titel:) Erfahrungswissen über einen (glatten) ḥsb-Bruch an seinen beiden Schlüsselbeinen.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem ḥsb-Bruch an seinen beiden Schlüsselbeinen untersuchst,
(und) wenn du seine beiden Schlüsselbeine so vorfindest, (dass das eine) verkürzt1 ist und von (oder: im Verhältnis zu) seinem Zweiten (d.h. das zweite Schlüsselbein oder die zweite Knochenhälfte) absteht (?)2;
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einem ḥsb-Bruch an seinen beiden Schlüsselbeinen: eine Krankheit, {{die man nicht behandeln kann}}
((die ich behandeln werde)).“
(Behandlung:) Daraufhin legst du [12.5] ihn hin, ausgestreckt auf dem Rücken,3
(wobei) etwas Zusammengerolltes/Zusammengefaltetes zwischen seinen ⟨beiden⟩ Schulterblättern ist.
Dann musst du folglich mit Hilfe seiner Schultern (oder: im Bereich seiner Schultern) eine Ausbreitung/Spreizung vornehmen,
um seine Schlüsselbeine auszustrecken/auszudehnen (oder: sodass sich seine Schlüsselbeine ausdehnen),
sodass jener ḥsb-Bruch an seine (richtige) Stelle zurückfällt.
Daraufhin fertigst du für ihn zwei swš-Ballen/Stränge aus Leinenstoff an.
Daraufhin legst du den einen ⟨von⟩ beiden (Ballen/Strängen) an die Innenseite (= Vorderseite) seines Oberarmes4,
den andern ⟨von beiden⟩ an die Unterseite (= Hinterseite) seines Oberarmes4.5
Dann musst du ihn/sie (den Patienten oder den Bruch) folglich mit jmr.w-Verband(?) verbinden.
Du sollst ihn danach täglich ⟨mit⟩ Honig versorgen/pflegen, bis/sodass er sich (wieder) wohlfühlt.

1 ḥwꜥ: Gunn, in: RecTrav 39, 1921, 101–104 identifizierte die Bedeutung als „short“, daher Wb 3, 51.12–17: „kurz, verkürzt sein“; in der sehr ähnlichen Formulierung bezüglich eines Bruchs des Oberarms wird dḥ: „niedrig sein“ statt ḥwꜥ verwendet: gmm=k gꜣb=f dḥ r=f sꜣt.j r sn.nw=f (Fall 36, Kol. 12.9–10).
2 sꜣṯ: Breasted, Surgical Papyrus, 351 versteht dies so, dass die eine Hälfte des gebrochenen Schlüsselbeins von der anderen Hälfte getrennt ist: „thou shouldst find his collar-bone short and separated from its fellow“. Es geht seiner Meinung nach nicht darum, dass das eine Schlüsselbein anders aussieht als das andere.
3 sṯs: Das Determinativ erklärt die Lage als „der Länge nach ausgestreckt auf dem Rücken“.
4 gbꜣ/gꜣb: Das Wort wird im pEdwin Smith ein einziges Mal mit dem Konsonanten Aleph ausgeschrieben: gꜣb in Kol. 12.7, an allen anderen Stellen im pEdwin Smith nur gb. Ist hier noch das ältere gb(ꜣ) zu lesen, oder hat die Metathese zu g(ꜣ)b (vgl. das sprachlich jüngere gꜣb.t) schon stattgefunden? Die Bedeutung ist durch den koptischen Nachkommen (S) ϭⲃⲟⲓ/ϭⲃⲟⲉ (< Dual gbꜣ.wj) als „Arm“ abgesichert (Sethe, in: ZÄS 47, 1910, 43; Osing, NB, 157, 440). Die altägyptische Bedeutung ist ebenfalls „der Arm als Ganzes“ (Wb 5, 163.4–12; Wb 5, 154.1–5; MedWb II, 910–912; Grapow, Anatomie und Physiologie, 52–53). In den medizinischen Papyri des MR und NR ist die Bedeutung enger und es muss konkret der Oberarm mit Knochen und Weichteilen oder sogar nur der Knochen des Oberarms (Humerus) gemeint sein (Breasted, Surgical Papyrus, 355 und 357; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 44, § 50; Weeks, Anatomical Knowledge, 49–50). Westendorf, Handbuch Medizin, 172 erkennt hingegen eine Bedeutungserweiterung von „Arm, Oberarm“ hin zu „Schulter“. Als ein weiteres Wort für „Oberarm“ und/oder „Schulter“ wird das Lemma rmn angesetzt. Das alte allgemeine Wort für „Arm“ () unterliegt einer Bedeutungsverengung zu „Unterarm mit Hand, Hand“ (Westendorf, Handbuch Medizin, 172).
ẖnw gꜣb=f und ẖr.j gꜣb=f: Breasted, Surgical Papyrus, 353 versteht die „Innenseite“ (ẖnw) als „anterior surface of the arm“; die „Unterseite“ (ẖr.j) ist für ihn die gegenüberliegende Seite (d.h. die Seite posterior/dorsal), die beim angewinkelten Arm zugleich die „Unterseite“ ist (so auch Weeks, Anatomical Knowledge, 50). Die „Innenseite“ wird von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 56 als die Seite mit der Achselhöhle aufgefasst und auch Sanchez/Meltzer, 228 verstehen die Innenseite als die mediale Seite des Armes, d.h. die zur Körpermitte hin orientierte Seite („the medial surface of the arm, close to the chest wall“); die „Unterseite“ ist bei Ebbell und Sanchez/Meltzer wie bei Breasted die Hinterseite („behind the arm of the patient lying on his back“).
5 Es fragt sich, wie diese Bandagen den Patienten helfen sollen (siehe Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 228–229 und 233). Da dieselbe Formulierung beim nächsten Fall verwendet wird, der einen Bruch des Oberarms thematisiert, ist es möglich, dass diese Passage eigentlich dahin gehört.

Fall 36: ḥsb-Bruch des Oberarms

(Titel:) Erfahrungswissen über einen ḥsb-Bruch1 an seinem Oberarm.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem ḥsb-Bruch an seinem Oberarm untersuchst,
(und) wenn du seinen Oberarm so vorfindest, (dass) er zu niedrig(?) für ihn (den Patienten) ist (oder: von ihm herabhängt/weghängt(?))2 [12.10] und von seinem Zweiten (d.h. den zweiten Arm oder die zweite Knochenhälfte)3 absteht (?).
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einem ḥsb-Bruch an seinem Oberarm: eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Daraufhin legst du ihn (den Patienten) hin, ausgestreckt auf den Rücken,
(wobei) etwas Zusammengerolltes/Zusammengefaltetes zwischen seinen beiden Schulterblättern ist.
Dann musst du folglich mit Hilfe seiner Schultern (oder: im Bereich seiner Schultern) eine Ausbreitung/Spreizung vornehmen,
um seinen Oberarm auszustrecken/auszudehnen (oder: sodass sich sein Oberarm ausdehnt),
sodass jener ḥsb-Bruch an seine (richtige) Stelle zurückfällt.
Daraufhin fertigst du für ihn zwei swš-Ballen/Stränge aus Leinenstoff an.
Daraufhin legst du den einen von beiden (Ballen/Stränge) an die Innenseite (= Vorderseite) seines Oberarmes,
den andern von beiden an die Unterseite (= Hinterseite) seines Oberarmes.
Dann musst du ihn (den Patienten oder den Bruch) folglich mit jmr.w-Verband(?) verbinden.
Du sollst ⟨ihn⟩ danach täglich ⟨mit⟩ Honig versorgen/pflegen, bis/sodass er sich (wieder) wohlfühlt.

1 ḥsb: Wird von den meisten Bearbeitern als ein einfacher linearer Bruch des Humerus verstanden. Nur Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 56–57 fragt sich, ob eine Luxation vorliegen kann, denn er kann sich nicht vorstellen, dass die Fälle 36–38 drei verschiedene Typen von Oberarmbrüchen thematisieren. Dieselbe Dreiteilung findet sich im pEdwin Smith jedoch bei den Schädelbrüchen. Breasted, Surgical Papyrus, 354 vermutet ebenfalls, dass vielleicht ein Fall mit einem ausgerenkten Oberarm (vgl. Fall 34: Verrenkung des Schlüsselbeins) in der Handschrift fehlerhaft ausgelassen wurde, aber er versteht den vorliegenden Text trotzdem als einen Bruch des Oberarmknochens.
2 dḥ: Die Bedeutung „niedrig sein“ wurde von Dévaud, in: ZÄS 49, 1911, 131–132 entdeckt durch die Verwendung als Gegenteil von qꜣi̯: „hoch sein“. Breasted, Surgical Papyrus, 355 ermittelt die Bedeutung „hang down“ für den hier vorliegenden medizinischen Kontext (daher beide Bedeutungen im Wb 5, 480.2–7: „herabhängen; niedrig sein“; MedWb II, 987). Die Redewendung dḥ rmn meint die Charaktereigenschaft „bescheiden sein“ (Wb 5, 480.3; Doxey, Egyptian Non-Royal epithets in the Middle Kingdom, 395; Hannig, Ägyptisches Wörterbuch II, 2796 {39173}). In der sehr ähnlichen Formulierung bezüglich eines Bruchs des Schlüsselbeins wird ḥwꜥ: „verkürzt sein“ statt dḥ verwendet: gmm=k bb.wj=fj ḥwꜥ sꜣt r sn.nw=f (Fall 35, Kol. 12.3–4).
3 r sn.nw=f: Ist hier der symmetrische Oberarm gemeint, oder geht es um den oberen und den unteren Teil des gebrochenen Oberarms? Fast alle Bearbeiter verstehen den „Kollegen“ als den zweiten Teil des gebrochenen Arms (z.B. Breasted, Surgical Papyrus, 355; Meyerhof, 672; Stephan, 136–137; Sanchez/Meltzer, 233). Der Übersetzung nach zu urteilen, bezieht Bardinet, Papyrus médicaux, 511 sn.nw auf den symmetrischen Arm: „Si tu procèdes à l’examen d’un homme ayant une fracture du bras, et que tu trouves que le bras tombe, se distinguant de son opposé, ...“

Fall 37: ḥsb-Bruch des Oberarms mit sichtbarer Wunde; offener Bruch

(Titel:) Erfahrungswissen über einen ḥsb-Bruch [12.15] an seinem Oberarm; eine (offene) Wunde ist auf/über ihm.
(1. Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem ḥsb-Bruch an seinem Oberarm untersuchst
– die Wunde über ihm (d.h. dem Bruch) ist aufgebrochen –,
(und) wenn du jenen ḥsb-Bruch vorfindest, indem er unter deinen Fingern knirscht (?; oder: sich verschiebt?);
(1. Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einem ḥsb-Bruch an seinem Oberarm
– die Wunde über ihm (d.h. dem Bruch) ist aufgebrochen –:
eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde.“
(1. Behandlung:) Daraufhin fertigst du für ihn zwei swš-Ballen/Stränge aus Leinenstoff an.
Dann musst du ihn (den Patienten oder den Bruch) folglich mit jmr.w-Verband(?) verbinden.
Du sollst ihn danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Faserbausch versorgen/pflegen, bis/sodass du erkennst, dass er die/eine (entscheidende) Sache erreicht (d.h. es schaffen wird?).
(2. Untersuchung:) Aber wenn du jene Wunde, die auf/über dem ḥsb-Bruch ist, vorfinden wirst,
indem Blut aus ihr (der Wunde) herauskommt,
[12.20] und wobei sie zum Innern seiner Wunde hin aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist,
(2. Diagnose:) dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einem ḥsb-Bruch an seinem Oberarm
– die Wunde über ihm (d.h. dem Bruch) ist aufgebrochen, wobei sie (zum Innern hin) aufgeweicht/eingetieft/eingesunken(?) ist –:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

Fall 38: pšn-Spaltbruch des Oberarms

(Titel:) Erfahrungswissen über einen pšn-Spaltbruch an seinem Oberarm.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem [13.1] pšn-Spaltbruch an seinem Oberarm untersuchst,
und auf der Rückseite (= Außenseite) jenes Spalt(bruch)s, der an seinem Oberarm ist, findest du eine tḫb-Schwellung vor, die aufgeschwollen/erhoben ist;
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einem pšn-Spaltbruch an seinem Oberarm:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“

(Behandlung:) Dann musst du ihn (den Patienten oder den Bruch) folglich mit jmr.w-Verband(?) verbinden.
Du sollst ihn danach täglich ⟨mit⟩ Honig versorgen, bis/sodass er sich (wieder) wohlfühlt.

Fall 39: bnw.t-Geschwür/Geschwulst mit Entzündung auf einer Schlagverletzung an der Brust

(Titel:) Erfahrungswissen über ein(e) bnw.t-Geschwür/Geschwulst1 auf einer Schlagverletzung2 an seiner Brust.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem/einer bnw.t-Geschwür/Geschwulst auf einer Schlagverletzung an seiner Brust untersuchst,
und du findest twꜣw-Erhebungen3 vor,
die (wörtl.: wobei sie, Plural!) sich mit Eiter ausgebreitet/ausgebildet (?)4 haben auf seiner Brust
[13.5] (und) die (wörtl.: wobei sie) eine Rötung produziert haben (oder: eine bläulich-rote Färbung angenommen haben);
Außerdem gibt es dort eine große srf-Hitze (wörtl.: Außerdem ist die Hitze darin groß),
wie (?) deine Hand sie/ihn (die twꜣ.w-Schwellung oder den Patienten) vorfindet;
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einem/einer bnw.t-Geschwür/Geschwulst auf einer Schlagverletzung an seiner Brust,
wobei {{sie (Plural!, d.h. die Geschwüre/Geschwülste)}} ((er (d.h. der Schlag oder der Patient?))) eine Absonderung (?)
5 von Eiter produziert hat:
eine Krankheit, die ich mit dem Feuerbohrer
6 behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du für ihn folglich eine Brennbehandlung7 auf seiner Brust durchführen, (genauer:) auf jenen bnw.t-Geschwüren/Geschwülsten, die auf seiner Brust sind.
Du sollst ihn mit einer Wundversorgung versorgen/pflegen.
Du sollst nicht verhindern/zögern/abwarten (?)
8, dass es (das Geschwür / die Geschwulst) sich dort/dabei von selbst öffnet, wegen (?) der Gutartigkeit (?)9 in seiner Wunde (oder: es gibt keine (?) Gutartigkeit (?) in seiner Wunde).
Jede Wunde, die an seiner Brust entstanden ist, trocknet (üblicherweise) aus, sobald sie sich von selbst geöffnet hat.

1 bnw.t: Wurde zuerst als eine „Entzündung, entzündender Ausschlag o. dgl.“ verstanden (Wb 1, 458.8–11). Für Ebbell, in: ZÄS 63, 1927–1928, 71–72 ist es ein „gangränöses Geschwür“ oder genauer „das blutig-eiterige, stinkende, gangränöse Sekret aus dem Geschwür“. Die Begründung von Ebbell stammt aus der bnw.t-Erkrankung der Zähne in pEbers (Eb 551–555), die mit Zerstörung des Zahnfleisches einhergeht, sowie aus dem okkasionellen Determinativ des spuckenden Mundes (Gardiner Sign List D26). Die übrigen Kontexte passen laut Ebbell zu dieser Bedeutung, auch der Zusammenhang mit Blut und Eiter (bnw.t ist „Bruder des Blutes [snf]“ und „Freund des Eiters [ry.t]“ in den Zaubersprüchen für Mutter und Kind, Spruch E, Zl. 3.4–5). Als ihm die Belege im Papyrus Edwin Smith bekannt wurden, blieb Ebbell bei der Interpretation „fortschreitendes Geschwür o.ä.“ (Alt-ägyptische Chirurgie, 60). Breasted, Surgical Papyrus, 367–369 übersetzt hingegen mit „tumors“ als „a very rough approximation“ dieser Krankheitserscheinung. Er vermerkt, dass bnw.t sowohl „swelling“ und „boil“ (Gewebezunahme, wie bei Tumoren) als auch „sore“, „wound“, „ulcer“ (Gewebeabnahme, wie bei Geschwüren) sein kann (Surgical Papyrus, 363: „some kind of tumors, or possible ulcers“). Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 191 übersetzt bnw.t tp sqr in pEdwin Smith Fall 39 mit: „tumeurs avec tête faisant saillie“ und erklärt es als „probablement des abcès ou des furoncles“. MedWb I, 248–250 übersetzt mit „Geschwür“ und übernimmt im Wesentlichen die Interpretation von Ebbell. Sie vermerken aber auch, dass in den Fällen pEdwin Smith 39 und 45 „Geschwulst“ besser passen würde (wegen des Zusammenhangs mit twꜣ.w-Erhebungen und mit dem Verb šfi̯: „anschwellen“ sowie der Erklärung als šfw.t-Schwellung). Auch Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 75 mit Anm. 1 bleibt bei der Übersetzung „Geschwür“ und schreibt, dass das Wort bnw.t etymologisch mit der Wurzel „überquellen, ergießen“ zusammenhängt. Der nicht-medizinische Begriff „eruption“ bei Allen, Art of Medicine, 97 geht wohl auf diese Etymologie zurück. Westendorf, Handbuch Medizin, 285–286 mit Anm. 419 ändert seine Übersetzung zu „Geschwür/Geschwulst“, weil die Verwendungskontexte und die unsichere Etymologie sowohl eine Interpretation als Gewebeverlust als auch als Gewebezunahme erlauben. Bardinet, Papyrus médicaux, 183 spricht von „abcès-benout“ und Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 242 übersetzen mit „abscess“ und „a discharging abscess“ (bei einem Abszess gibt es eine Gewebeabnahme, die sich durch die umkapselte Eiteransammlung zuerst als eine Gewebezunahme präsentiert, gefolgt von einer Gewebereduzierung, nachdem die Eiteransammlung aus der entstandenen Gewebehöhle abgeflossen ist); Sanchez/Meltzer, 242 haben in Fall 39 für bnw.t konkret „Abszess“ und in Fall 45 für bnw.t ḥmꜣ.ty unspezifisch „round/spherical masses“. Hannig, Handwörterbuch, 269 hat „(gangränes) Geschwür (viell a. Geschwulst)“. Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin, 267–271 übersetzt mit „Geschwulst“, auch wenn Sie glaubt (S. 271 mit Anm. 966), dass in Fall 39 ein Abszess beschrieben wird.
Das Lemma wird sowohl bnw.t (Wb 1, 458.8–11; MedWb I, 248–250; d.h. mit Wurzelerweiterung w und Femininendung t) als auch bn.wt (Breasted, Surgical Papyrus, 367–368; d.h. mit der Endung Feminin Plural) transkribiert. Grammatisch scheint bnw.t teilweise als Feminin Plural (Demonstrativpronomen jptf, Suffixpronomen =sn, zugehöriger Stativ mit .ty-Endung), teilweise als Maskulin Singular (Emendation von =sn in =f, Relativpronomen n.tj, abgekürzte Schreibungen ohne Pluralmarkierung) verstanden worden zu sein (Westendorf, Grammatik, 79, § 118.1).
bnw.t wird im Titel abgekürzt und mit dem Arm als Determinativ geschrieben (im Titel von Fall 39, Kol. 13.3 und Fall 45, Kol. 15.9 abgekürzt, aber in Kol. 13.3 ohne den Arm; im Zeilenumbruch von Kol. 13.5–6 noch eine weitere Abkürzung), während an den übrigen Stellen in den Fällen 39 und 45 eine ganz andere ausgeschriebene Orthographie vorliegt, die die Lesung absichert.
2 tp sqr: Es gibt zwei entgegengesetzte Interpretationen, die mit dem Status von tp zusammenhängen. (1) Im ersten Fall ist tp das Substantiv „Kopf, Haupt“. Breasted, Surgical Papyrus, 369 versteht es als „prominent head“, wobei er in sqr ein Partizip/Stativ „prominent, elevated“ erkennt, das für ihn zu einem seltenen Verb sqr gehört, das in den Pyramidentexten für das Aufrichten einer Leiter verwendet wird. Dieser Pyramidentextbeleg steht in Wb 5, 306.12 jedoch beim Verb sqr: „schlagen“, das laut Breasted ein anderes Verb ist. Die Möglichkeit eines homographen Verbs, separat von sqr: „schlagen“, wird nicht länger akzeptiert; vielleicht wurde Breasteds Trennung auch hervorgerufen durch die Verwendung der Determinative des schlagenden Armes (D40) oder des schlagenden Mannes (A24) bei sqr: „schlagen“, während es in Fall 39 auch mit dem Arm mit Handfläche nach unten (D42) (Kol. 13.3, 13.6 und 13.10) und in Fall 46 mit dem Messer (T30) (Kol. 16.13) verwendet wird (in Kol. 13.3 steht aber auch einmal der schlagende Mann). Neuere Übersetzungen mit tp: „Kopf“ und sqr: „schlagen“ sind „un abcès à tête rompue“ (Bardinet, Papyrus médicaux, 512) und „an eruption with flattened head“ (Allen, Art of Medicine, 97). Grammatisch setzt dies eine Appostion mit einer Pseudoverbalkonstruktion als virtuellen Nebensatz voraus „die/das bnw.t-Geschwulst/Geschwür – (sein) Kopf (d.h. der Geschwulst) ist in (flach) geschlagenem Zustand“, denn ansonsten wäre eine Präposition für „ein(e) bnw.t-Geschwulst/Geschwür einem geschlagenen Kopf“ erforderlich (wie in der Untersuchung in derselben Zl. 13.3: bnw.t m tp sqr: 1 Beleg mit Präposition vs. 3 ohne Präposition; auch sḥr tp ꜥr/sꜥr/sqr in Fall 46 ist ohne Präposition m). Allerdings ist auch die Pseudoverbalkonstruktion ungewöhnlich; man würde eher bnw.t sqr tp=f erwarten. Unwahrscheinlich ist auch ein direkter Genitiv: „ein(e) bnw.t-Geschwulst/Geschwür eines abgeschlagenen Kopfes“; für „ein(e) bnw.t-Geschwulst/Geschwür, zu dem/der ein abgeschlagener Kopf gehört“ wäre ein indirekter Genetiv erforderlich.
(2) In der zweiten Interpretation ist tp eine Präposition. Das ist die Meinung von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 60, der übersetzt: „ein fortschreitendes Geschwür zu einer Vulneration hinzu“, wobei er für die Präposition tp die Funktion der Kumulierung ansetzt: „ein Geschwür, das auf einer Vulneration oben drauf kommt / das zu einer Schlagverletzung hinzukommt“. („Vulneration“ ist ein veralteter Begriff für den Verletzungsakt oder den Verletzungszustand.) Ähnlich findet man in Grundriß IV/1, 193: „Geschwüre auf einer Schlagverletzung“ (ebenso Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 75; Westendorf, Handbuch Medizin, 735: „Geschwüre/Geschwülste auf einer Schlagverletzung“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 243: „a discharging abscess atop the wound from a strike“).
Dasselbe Problem stellt sich in Fall 46 mit dem Krankheitsbild sḥr tp ꜥr, Var. sḥr tp sꜥr oder sḥr tp sqr (Kol. 15.20, 16.2 und 16.12–13), zu dem in Kol. 16.7 sḥr-tp als Kompositum vorzuliegen scheint. In sḥr-tp kann tp nur für „Kopf“ stehen, es sei denn, die Stelle ist fehlerhaft für sḥr tp ⟨ꜥr/sꜥr⟩ oder sḥr {tp} (so Grundriß, Westendorf). Während Sanchez/Meltzer bei bnw.t tp sqr mit der Präposition tp arbeiten, erkennen sie das Wort „Kopf“ in sḥr tp ꜥr/sꜥr/sqr; die übrigen Bearbeiter behandeln beide Fälle gleich. In Fall 46, Glosse A (Kol. 16.12–14) wird sḥr tp sqr erklärt als ḫ.t šf.w wr ḥr jh n.tj m qꜣb.t=f: „Sachen, die stark angeschwollen sind wegen des jh-Leidens, das an seiner Brust ist“ (ḥr mit kausaler Bedeutung) oder „Sachen, die stark angeschwollen sind über dem jh-Leiden“ (ḥr mit lokaler Bedeutung). Die Verwendung der Präposition ḥr ist ein Argument, um auch in tp eine Präposition zu erkennen.
3 twꜣ.w: Kommt in Zusammenhang mit bnw.t-Geschwüren/Geschwulsten, mit ḥnḥn.t-Geschwüren/Geschwülsten und mit Eiter (ry.t) und Fett (ꜥḏ) vor; Eiter wird herausgeholt (jni̯). Die twꜣ.w können brechen/aufbrechen (sḏ), werden aus einem Körperteil herausgezogen (jtḥ) und wie Wunden (wbnw) mit wt-Verbänden behandelt (MedWb II, 938). Die Krankheitserscheinung wird mit der Wurzel twꜣ: „stützen; anheben“ verbunden und deshalb entsprechend allgemein übersetzt: „Erhebungen“ (Grundriß IV/1, 193: „Erhebungen“; MedWb II, 938: „Erhebungen (als Krankheitserscheinung)“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 75–76: „Erhebungen“; Bardinet, Papyrus médicaux, 512: „surélévations“; Allen, Art of Medicine, 97: „risings“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 243: „the risings collections“). Mehr medizinisch geartete Übersetzungen sind „eine krankhafte Erscheinung: Schwellung(?)“ (Wb 5, 251.3); „swellings“ (Breasted, Surgical Papyrus, 364); „eiterbelegte Fläche“ bzw. „die eiterbelegte Granulationsfläche“ (Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 59 und 60); „Erhebungen (als Krankheitserscheinung; *Tumor)“ (Hannig, HWB, 990).
4 sqd: Ist mit einer Buchrolle determiniert und wird dem Zusammenhang nach als „to spread“ (Breasted, Surgical Papyrus, 364; ähnlich Sanchez/Meltzer, 243) bzw. „sich ausbreiten“ (MedWb II, 806) bzw. „étalén“ (Jean/Loyrette, La mère, l’enfant et le lait en Égypte ancienne, Paris 2010, 241) übersetzt. Vor allem das in den erklärenden Glossen verwendete Verb : „ausbreiten“ (pEdwin Smith 13.10 und 15.17) weist darauf hin (MedWb II, 806). Vermutet wird dabei, dass es eine besondere Bedeutung des Verbs sqdi̯: „fahren; gehen“ (Wb 4, 308–309; Determinative sind das Schiff, der Ruderer, die Ruderarme, die Beinchen) ist (MedWb II, 806). Die Übersetzung von Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 59: „gewandert“ setzt jedenfalls den Zusammenhang mit sqdi̯: „fahren; gehen“ voraus. Breasted (Surgical Papyrus, 364) vermutet seinerseits einen etymologischen Zusammenhang mit sqd: „Böschung einer Pyramide“, d.h. von „slope, deflection“ zu „divergence, spread“. Andere Übersetzungen gehen vielleicht von einem etymologischen Zusammenhang mit qd: „Form“ und sqd: „bauen lassen“ aus: Bardinet, Papyrus médicaux, 512 und 515 hat „qui se sont remplies“. Allen, Art of Medicine, 97 und 101 hat einmal „having formed“ (in Fall 39) und einmal „they have spread“ (in Fall 45).
5 wḏꜥ.w n.w ry.t: Das Wort wḏꜥ wird logographisch geschrieben. Meistens wird angenommen, dass es von der Wurzel wḏꜥ: „trennen, teilen“ abgeleitet ist. Schon Wb 1, 407.10 übersetzt wḏꜥw n.w ry.t als „Eiterabsonderung“ (von „Abtrennung“ > „Ausscheidung“ > „Absonderung“; ähnlich Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 59; Grundriß IV/1, 194; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 76; Westendorf, Handbuch Medizin, 735; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 243). Allen, Art of Medicine, 97 übersetzt allgemeiner „they having made openings of pus“. Breasted, Surgical Papyrus, 365 und 527 scheint eher mit „Abtrennung, Separierung“ unter der Haut als Bedeutung zu arbeiten und er übersetzt mit „cists(?)“, ohne dies genauer zu begründen. Bardinet, Papyrus médicaux, 513 übersetzt sehr allgemein: „qui ont produit les éléments constitutifs du pus“ (d.h. „teilen“ > „Bestandteile“?).
6 ḏꜣ: „Feuerbohrer“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 76 und 77 und Westendorf, Handbuch Medizin, 735 verwendet das im medizinischen Zusammenhang leichter verständliche Wort „Brennbolzen“ (vgl. Bardinet, Papyrus médicaux, 513: „le cautère“).
7 šꜣm/šꜣw: Breasted, Surgical Papyrus, 366 möchte in pEdwin Smith Zl. 13.6 šꜣm lesen, mit einer stark reduzierten Schreibung des Zeichens für m, das der w-Schlaufe sehr ähnelt. Es steht nochmals in Zl. 13.22, diesmal zweifelsfrei šꜣm geschrieben. Dasselbe Verb ist in pEbers 109.15 (Eb 876c) eindeutig šꜣw zu lesen (so Wb 4, 405.1; MedWb II, 834–835; Westendorf, Grammatik, 22, § 34.3.cc). Die Bedeutung des Verbs, das mit dem Kohlebecken (Q7) determiniert ist, ist den medizinischen Zusammenhängen nach zu urteilen „eine blutende Wunde mit (ḥr) Feuer (sḏ.t) behandeln (um sie zu trocknen)“ (Wb 4, 405.1) oder „brennen“ (MedWb II, 834). Andere Übersetzungen sind „to sear“ (Allen, Art of Medicine, 97) und „to cauterize“ (Sanchez/Meltzer, Papyrus Edwin Smith, 243). Fast alle Bearbeiter verstehen n=f als „für ihn, d.h. den Patienten“; nur Sanchez/Meltzer übersetzen mit „Then you must cauterize because of it“, wobei die Präposition n die Ursache angibt (nicht sehr üblich, aber auch in pEdwin Smith belegt: MedWb I, 419–420, Nr. C.I–IV).
8 zꜣw n: Die Interpretation der Präposition n ist umstritten. Für Breasted, Surgical Papyrus, 367 ist sie überflüssig und als Schreibfehler einzustufen: „Thou shouldst not prevent its opening of itself“ (ähnlich Bardinet, Papyrus médicaux, 513: „(mais) ne l’empêche pas (= la plaie) de s’ouvrir d’elle-même, (afin) qu’il ne reste pas d’éléments-menehyt dans la plaie“; Sanchez/Meltzer, Papyrus Edwin Smith, 243: „You should not prevent its opening by itself therein, because of the efficaciousness/beneficial effects for his wound.“). Dabei ist zꜣw das Verb „bewachen; sich hüten, verhüten dass“ (Wb 3, 416.12–417.21; MedWb II, 708–709) in der Konstruktion „verhüten/verhindern, dass ...“ + Objektssatz (Wb 3, 417.18–19: wird ohne Präposition gebildet); die Konstruktion „sich hüten vor etwas“ lautet zꜣw r mit der Präposition r. Für den Grundriß IV/1 wird zꜣw absolut gebraucht mit der Bedeutung „sich in acht nehmen“ und negativ „sich nicht sorgen, sich nicht kümmern“ (MedWb II, 709). Dann ist das folgende n die Präposition mit Konjunktionsfunktion „weil“ (MedWb I, 420 (Nr. G); ähnliche Übersetzungen von Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 76: „du sollst dich nicht zurückhalten“; Westendorf, Handbuch Medizin, 735: „du sollst nicht zaghaft sein“). Abgesehen vom Verb zꜣw: „bewachen; sich hüten; verhüten dass“ (Wb 3, 416.12–417.21) gibt es auch das Verb zꜣw/zꜣi̯: „langsam gehen; warten auf“ (Wb 3, 418.15–419.3), das mit den Beinchen determiniert wird. Allen, Art of Medicine, 97 scheint seiner Übersetzung nach zu urteilen, an dieses Verb zu denken: „You should not wait for it to open by itself there: it is not good for his wound.“
9 mnḫ.yw: Breasted, Surgical Papyrus, 367 kann dieses Wort nicht deuten, aber seiner Übersetzung nach zu urteilen, erwartet er ein Substantiv mit einer negativen/schädlichen Konnotation nach der Negation jmi̯: „Thou shouldst not prevent its opening of itself, that there may be no mnxy.w in his wound (sore?).“ (vgl. Bardinet, Papyrus médicaux, 513: „(mais) ne l’empêche pas (= la plaie) de s’ouvrir d’elle-même, (afin) qu’il ne reste pas d’éléments-menehyt dans la plaie.“) Der Grundriß erkennt in mnḫ.yw die Wurzel mnḫ: „vorzüglich sein“ und betrachtet mnḫ.yw als ein Substantiv mit der Bedeutung „Gutartigkeit“ (MedWb I, 373–374). Die Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 97 geht ebenfalls von der Wurzel mnḫ: „vorzüglich sein“ aus: „it is not good for his wound“ (genaue Konstruktion?). Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 59 fragt sich, ob mnḫ.yw mit der Kleiderbezeichnung mnḫ.t zusammenhängt: „und lass keine Kleider(?) auf seinem Geschwür anbringen“ (jmi̯ als negativer Imperativ oder negativer Subjunktiv ist grammatisch problematisch).

(Glosse A:) Was (die Textstelle) [13.10] „ein(e) bnw.t-Geschwür/Geschwulst auf einer Schlagverletzung an seiner Brust“ angeht:
das bedeutet, dass es Sachen gibt, die aufgeschwollen sind und sich auf seiner Brust ausgebreitet haben infolge seines jh-Leidens,
wobei sie Eiter und rote Sachen auf seiner Brust gebildet haben.
Das bedeutet, dass (man) sagt: „(Es) ist wie Sachen, die aufgekratzt (?)10 sind; das, was sie produzieren, ist Eiter.“

10 ẖkr: Wird mit dem waagerechten Finger (D51) determiniert; ein so determiniertes Wort steht nicht in Wb 5. Breasted, Surgical Papyrus, 369 vemutet, dass das Wort mit der Wurzel ẖkr: „geschmückt sein“ zusammenhängt und er übersetzt jḫ.t ẖkr als „parti-colored(?) things“ (d.h. „bunt, vielfarbig“; ähnlich Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 60: „ein Schmuck­-Gegenstand(?)“; Bardinet, Papyrus médicaux, 512: „des choses décorées“). Grundriß IV/1, 194 übersetzt (j)ḫ.t ẖkr mit „Kratzstellen“; zur Begründung der Bedeutung „kratzen“ verweist Grundriß IV/2, 151, Anm. 11 zu Fall 39 einerseits auf das Determinativ (wird dort eine „Kralle“ genannt: das Wort ꜥn.t: „Daumen; Kralle; Nagel“ wird mit dem gleichen Zeichen determiniert) und vergleicht fragend mit koptisch ϩⲱ(ⲱ)ⲕⲉ „kratzen; rasieren“. Letzteres geht jedoch auf ẖꜥq: „rasieren“ zurück (Černý, Coptic Etymological Dictionary, 277; Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte, 294; Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 362 verweist ebenfalls auf ẖꜥq, aber vergleicht noch mit ẖkr: „kratzen“), sodass die Bedeutung ẖkr: „kratzen“ (so MedWb II, 694) nur noch aus dem Determinativ hervorgeht und in dem Zusammenhang passen kann. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 243 und 244 lesen als bzw. emendieren zu <ꜣ>ẖ<ꜥ>=k r ꜥn.t, wobei allerdings das Verb ꜣẖꜥ: „kratzen“ ohne Determinativ geschrieben wäre, r sehr klein wäre und wie t aussieht und ꜥn.t rein logographisch geschrieben wäre (ohne phonetische Zeichen und ohne Ideogrammstrich).

Fall 40: Wunde in der Brust, die bis zum Knochen (Sternum) reicht

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Wunde an seiner Brust.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer Wunde an seiner Brust untersuchst,
die bis zum Knochen {wäscht} 1
– durchbohrt ist das ḥntꜣ-Teil (Brustbein?)2 seiner Brust –,
dann hältst du daraufhin das ḥntꜣ-Teil (Brustbein?) seiner Brust mit deinen Fingern fest3
– (Er) wird wirklich sehr zittern (?) (oder: (Es) wird wirklich sehr wackeln/nachgeben (?)).
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer Wunde in seiner Brust,
[13.15] die bis zum Knochen {wäscht}1
– durchbohrt ist das ḥntꜣ-Teil (Brustbein?) seiner Brust –,
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du sie (d.h. die Wunde) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.
Du sollst ihn danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, Honig und Wattebausch versorgen, bis/sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 jꜥi̯ für jꜥr: mögliche Erklärungen für diese abweichende Schreibung bei Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 247–248: jꜥ (Wb 1, 40: „aufsteigen“, mit Verweis auf jꜥr) als fast-synonymes Verb von jꜥr; unterschiedliche Textquelle oder unterschiedliche Aussprache; Hörfehler. Das Wasserdeterminativ weist jedenfalls darauf hin, dass jꜥi̯: „waschen“ und nicht jꜥ: „aufsteigen“ verstanden wurde.
2 ḥntꜣ: ein Körperteil, der mit dem Fleischdeterminativ versehen ist. Die Bedeutung von ḥntꜣ hängt mit der von qꜣb.t zusammen, denn das ḥntꜣ der qꜣb.t wird in der Glosse zu Fall 40 (pEdwin Smith, Kol. 13.17) erklärt als „der obere Kopf / die obere Spitze der qꜣb.t“ (tp ḥr.j n.j qꜣb.t) und es ähnelt dem ḥntꜣ-Tier. qꜣb.t ist wahrscheinlich der allgemeine Begriff für „die Brust, den Brustbereich, den Brustkorb, den knöchernen Brustkorb“, später für „die weibliche Brust, den Busen“. Dann ist ḥntꜣ ein knöcherner Teil des Brustkorbs, wahrscheinlich das Brustbein, d.h. das Sternum. Die Umschreibung als tp ḥr.j ist dann zu betrachten aus der Perspektive eines Patienten, der auf dem Rücken ausgestreckt liegt (so Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 61; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 78). Die Auffassung von qꜣb.t als „Brustkorb“ und ḥntꜣ als „Brustbein“ findet sich z.B. bei Grapow, Anatomie und Physiologie, 58–59; MedWb II, 611; Walker, Anatomical Terminology, 272 (in der Tabelle von Walker, 272 und 276 sind sowohl qꜣb.t als auch ḥntꜣ als „breastbone, sternum“ wiedergegeben); Westendorf, Handbuch Medizin, 176. Auch Weeks, Anatomical Knowledge, 45, der qꜣb.t nicht mit „Brustkorb“ wiedergibt, erkennt in ḥntꜣ das Brustbein (qꜣb.t ist für ihn „the area over the sternum between the pectoral muscles, i.e., the area from the jugular notch caudally along the midsternal line perhaps to the area of the xiphoid process (the epigastric region)“).
Für andere Autoren ist qꜣb.t jedoch das Sternum, sodass für ḥntꜣ nur ein Teil des Brustbeins in Frage kommt, nämlich die „obere Spitze“ des Sternums (aus der Perspektive eines aufrechtstehenden Patienten), d.h. das Manubrium sterni. Breasted, Surgical Papyrus, 372–373 erkennt für qꜣb.t die Bedeutungen (1) „the breast in general“, (2) the soft tissue overlying the bony structure“, (3) „the sternum“ und möchte gerade hier in Fall 40 die Bedeutung „Sternum“ ansetzen. Dadurch wird ḥntꜣ das Manubrium sterni, wobei Breasted auf die Schwierigkeit hinweist, für diesen Knochen einen Vergleich mit einem Stachelschwein (oder einem Igel) anzustellen. ḥntꜣ wird ebenfalls als Manubrim sterni aufgefasst von Lefebvre, Tableau des parties du corps, 24, § 24; Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 189; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 247. Bardinet, Papyrus médicaux, 513 übersetzt/umschreibt ḥntꜣ n.j qꜣb.t=f als „la pointe de sa poitrine“ (vermutlich wegen tp ḥr.j in der Glosse von pEdwin Smith, Fall 40).
ḥntꜣ: ein Tier, vielleicht das Stachelschwein (?) oder der Igel (?). Es gibt drei Indizien: (1) Das Haar (šnj) des ḥntꜣ-Tieres ist Zutat in einem Salbenrezept für das Haar in pEbers 66.12 (Eb 466), d.h. das Haar könnte z.B. kräftig sein; (2) der Stachel (sr.t) des ḥntj-Tieres (pEbers 92.7 = Eb 771) wird in einem Rezept für die nssq-Kopfkrankheit verwendet; (3) der Körperteil ḥntꜣ (d.h. „Brustbein (?)“) ähnelt einem ḥntꜣ-Tier in pEdwin Smith Kol. 13.17. Breasted, Surgical Papyrus, 372 vermutet aufgrund der Informationen (1) und (2), dass das ḥntꜣ-Tier „seems probably to be a hedgehog or porcupine“ (Igel oder Stachelschwein); das Brustbein mit den ausfächernden Rippenansätzen könnte mit einem Insekt oder einem Stachelschwein verglichen werden. In Wb 3, 121.15 und 122.7 werden ḥntj und ḥntꜣ noch separat behandelt. Für Grapow, Anatomie und Physiologie, 58–59 ist das ḥntꜣ-Tier nicht identifiziert und er glaubt nicht an Breasteds Deutung als Stachelschwein; es muss ein anderes Tier sein (eine Spinne würde zum Bild von Brustbein mit Rippenansätzen passen): „ob ein Igel?“. Weil Breasted in seinem Kommentar zwar sowohl Stachelschwein als auch Igel erwähnt, aber in seiner Übersetzung und im Index „Stachelschwein“ stehen hat, wird vor allem dieses Tier in den späteren Publikationen aufgegriffen: Laut DrogWb 354 ist ḥntꜣ/ḥntj „wahrscheinlich das Stachelschwein“, MedWb II, 611 hat „Stachelschwein(?)“ bzw. „wahrscheinlich das Stachelschwein“. Faulkner, CDME, 173: „porcupine(?)“; Vernus & Yoyotte, Bestiaire, 146 und 183: „porc-épic“; Hannig, HWB, 581: „*Igel; *Stachelschwein“. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 61 übersetzt mit „Igel“ ohne Fragezeichen. Igel und Stachelschwein wurden in Ägypten anscheinend als zusammengehörige Tiere betrachtet (siehe Lippert, in: Zivie-Coche und Guermeur (Hgg.), Parcourir l’éternité. Hommages à Jean Yoyotte, II, 790), ob sie trotz der anatomischen Unterschiede (u.a. Größe) beide ḥntj/ḥntꜣ genannt wurden, bleibt vorerst unsicher (Keimer, in: ASAE 49, 1949, 411 hält das für möglich). Ebenfalls unsicher ist, ob der Name des Schiffes mit dem Bug eines Igelkopfes als Argument für eine Identifikation des ḥntj/ḥntꜣ-Tieres angeführt werden kann, denn der Name könnte maskulin ḥnt oder feminin ḥn.t lauten (Altenmüller, in: SAK 28, 2000, 19–20 mit Anm. 54) und eine eventuelle etymologische Verwandtschaft mit ḥntj/ḥntꜣ ist fraglich. Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 248 vermutet, dass das Wort ḥntꜣsw: „Eidechse“ mit ḥntꜣ verwandt ist.
3 mn: wird hier transitiv verwendet. Breasted, Surgical Papyrus, 371 übersetzt mit „to press“ und betrachtet es als die transitive Bedeutung des überwiegend intransitiven Verbs mn: „bleiben“ (ebenso Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne, 189; Bardinet, Papyrus médicaux, 513: „presser“; Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 247). Grundriß IV/1, 194 und IV/2, 151, Anm. 3 zu Fall 40 übersetzt mit „berühren“ im Sinne von „festhalten“ („festhalten“ ebenso bei MedWb I, 369; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 77; Westendorf, Handbuch Medizin, 736). In Wb 2, 60–62 sind keine transitiven Verwendungen von mn: „bleiben“ aufgelistet; sie sind insgesamt sehr selten. Hannig, Ägyptisches Wörterbuch I, 527–528 {12788} listet für die transitive Bedeutung von mn: „festhalten (mit Fingern), festmachen“ eine Schlachtszene im Grab des Tjauti in Qasr el-Sayad auf (Montet, in: Kêmi 6, 1936, 94 = Montet, Scènes de la vie privée, 164 = Säve-Söderbergh, The Old Kingdom Cemetery at Hamra Dom, 51 und Taf. 26), aber tatsächlich liegt eine intransitive Verwendung vor: ḏi̯(=j) mn nwḥ=k: „ich lasse dein Seil fest bleiben“. Der Beleg CT VI, 415f (Van der Molen, Hieroglyphic Dictionary, 166) ist sehr unsicher. In CT VII, 237i steht n j:mn.t(=j) sw jm: „als ich ihn dort noch nicht gefestigt hatte“. Ein weiterer Beleg findet sich laut Faulkner, CDME, 106 auf der großen Sphinxstele des Amenhotep II. (Zl. 11), Urk. IV, 1279.10: km.n=f rnp.t 28 ḥr mn.t pḥ.tj=f m qn.t: „er hat 28 Jahre vollendet bei der Festigung seiner Kraft mit Siegen/Kraftübungen“. Helck, Urkunden der 18. Dynastie. Übersetzungen zu den Heften 17–22, 26 hat hingegen „auf seinen Schenkeln in Tapferkeit“, d.h. ḥr mn.tj=f(j) m qn.t, mit dem Substantiv mn.tj statt des Verbs mn.t (um das t beim Infinitiv zu erklären, ist eine Emendation zu mn erforderlich). Vgl. auch die Belege für jmn: „bilden, schaffen o.ä.“ in Wb 1, 83.4. Winand, Temps et aspect, 132–133 äußert sich kurz zur transitiven Verwendung von mn. Er übersetzt das Verb in unserer Passage mit „maintenir“. Allen, Art of Medicine, 97 hat „to touch“.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „das ḥntꜣ-Teil seiner Brust“ angeht:
(das ist) die obere Spitze seiner Brust;
wie das, was die Gestalt eines ḥntꜣ-Tieres (Stachelschwein?, Igel?) hat,4 ist es.

4 ḫpr m: Buchberger, Transformation und Transformat, 226, 544 übersetzt „Sie ist wie etwas, das (sich) in ein ḥntꜣ-Tier transformiert hat.“ ḫpr m bedeutet „sich transformieren/verwandeln in“ und nicht „entstehen aus“ oder „geschehen in“, sodass folgende Übersetzungen nicht möglich sind: „like what happens (or what has happened) in“ (Breasted, Surgical Papyrus, 373); „Elle est comme une épine de porc-épic (littéralement: «comme ce qui sort d’un porc-épic»)“ (Bardinet, Papyrus médicaux, 513); „being like what comes from a hedgehog“ (Allen, Art of Medicine, 97); „how it is (is) like that which occurs in a hedgehog(?)“ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 247).

Fall 41: Infizierte Wunde in der Brust

(Titel:) Erfahrungswissen über eine Anomalie1 der Wunde an seiner Brust.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer Anomalie der Wunde an seiner Brust untersuchst,
und jene Wunde ist außerdem nsr-entflammt (d.h. entzündet?);
eine Ballung von (lokaler?) srf-Hitze, sie strömt aus der Öffnung jener Wunde gegen [13.20] deine Hand heraus;
gerötet/rötlich sind die beiden Ränder (wörtl.: Lippen) jener Wunde;
jener Patient (wörtl.: Mann), es ist ihm außerdem (ständig) šmm-heiß infolgedessen;
sein Fleisch verträgt (wörtl.: akzeptiert) keinen Verband;
jene Wunde bekommt (wörtl.: akzeptiert) keinen (neuen) Rand aus Haut;
die pꜣjs.t2 (der Schorf?), die in der Öffnung jener Wunde ist, ist (üblicherweise) wässrig;
glühend/brennend ist ihre (Plural!) Färbung/Beschaffenheit3;
die Menge (an Flüssigkeit)4, [14.1] die davon/daraus (ständig) hinunterläuft, stellt sich als ölig glänzend (oder: klar) heraus.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer Anomalie der Wunde an ⟨seiner⟩ Brust, (indem) sie nsr-entflammt (d.h. entzündet?) ist,
(wobei) ihm infolgedessen (ständig) šmm-heiß ist:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung 1:) Dann musst du für ihn folglich kühlende Mittel zubereiten zum Entziehen der srf-Hitze aus der Öffnung der Wunde:
(Kühlmittel 1:) Blätter der Weide (und des) Christdorns5, qsn.tj-Mineral (?)6:7
(es) werde darauf gelegt.
(Kühlmittel 2:) Blätter des jmꜣ-Baumes, bnf-Galle8 (des Rindes?), ḥnj-tꜣ-Pflanze (ḥnj-Binse? des festen/trockenen Bodens?)9, qsn.tj-Mineral(?):10
(es) werde darauf gelegt.
(Behandlung 2:) Dann musst du folglich für ihn Mittel zum Austrocknen der [14.5] Wunde zubereiten:
(Austrocknungsmittel 1:) (grüne) Fritte11 von Malachit, wšb.t-Mineral (kobalthaltiges Alaun?), Fayence, Fett:12
(es) werde zerrieben, (es) werde damit/darüber verbunden.
(Austrocknungsmittel 2:) Unterägyptisches Salz, Fett des Steinbocks:
(es) werde zerrieben, (es) werde damit/darüber verbunden.
(Behandlung 3:) Dann musst du folglich für ihn ein Pulver/Puder zubereiten:
Samen/Körner der špn-Pflanze13, (rote) dšr-Körner/Samen14, Körner der ns-š-Pflanze/Mineral(?)15 („Teichzunge“), Johannisbrotfrucht, Blätter der Sykomore:16
(es) werde damit/darüber verbunden.
Falls das Gleiche an irgendeinem (anderen) Körperteil entsteht, dann sollst du ihn gemäß diesen Wissenserfahrungen/Informationen/Lehrtexten untersuchen17.

1 šmꜣj: Wird in Glosse A zu Fall 41 erklärt. Hängt mit der Wurzel šmꜣ: „umherziehen, wandern“ > „herumstreunen“ > „fremd, fremdartig sein“ zusammen (vgl. šmꜣ: „Vagabund, Landfremder; Nomade“ und šmꜣ.yw: „umherirrende Krankheitsdämonen“). Breasted, Surgical Papyrus, 384–385; MedWb II, 851–852. In Fall 15 (Kol. 6.15) ist eine tḫb-Schwellung aufgeschwollen/erhoben, schwarz und fremdartig (šmꜣ.y).
2 pꜣjs.t: ist ein Hapax. Aufgrund des Zusammenhangs kann es umschrieben werden als eine Erscheinung an einer Wunde, die, wenn sie nicht heilt, wässrig aussieht. Breasted, Surgical Papyrus, 376 übersetzt auf Vorschlag seines medizinischen Gewährsmannes Dr. Luckhardt mit „granulation(?)“. Deutsche Entsprechungen davon sind „wildes Fleisch“ und „Granulationsgewebe“. Allen, Art of Medicine, 97 hat „the crust“ (d.h. Kruste, Wundschorf). Bardinet, Papyrus médicaux, 514 gibt keine Übersetzung, sondern eine Umschreibung: „le contenu qui est à l’orifice de cette plaie“. Ebenso umschreiben Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 253 mit: „the manifestation/type of emergence that is in the mouth of that wound“. MedWb I, 257–258 vergleicht mit pꜣz.wt (Wb 1, 499.3) von der Wurzel pꜣz: „leiden o.ä.“ (Wb 1, 499.2), aber der Zusammenhang ist unsicher. Westendorf, Handbuch Medizin, 736 mit Anm. 67 übersetzt mit „Körner“ und verweist auf Sauneron, Traité d’ophiologie, 80, d.h. auf den Brooklyner Schlangenpapyrus. In diesem Brooklyner Schlangenpapyrus (Kol. 4.1) ist jri̯.w m pꜣ[j]s šww: „réduire en granulés secs“ ein Verarbeitungszustand einer Droge gegen einen Schlangenbiss. Sauneron erkennt in pꜣ[j]s dasselbe Wort wie pꜣjs.t im pEdwin Smith und übersetzt auf der Grundlage der unsicheren Übersetzung von Breasted ebenfalls als „granulés“. Falls sich das Suffixpronomen in jrtjw=sn im nächsten Satz auf pꜣjs.t bezieht, ist pꜣjs.t ein kollektiver, pluralischer Begriff.
3 jrtjw: „Farbe/Färbung“. MedWb I, 96–97: In den medizinischen Texten ist fast überall die Übersetzung „Färbung“ möglich, nur in Fall 41 scheint „Beschaffenheit“ besser.
4 ꜥḥꜥ.w: Breasted, Surgical Papyrus, 376 übersetzt mit „secretions“, d.h. „Absonderungen, Sekret“ (ebenso Sanchez/Meltzer), aber die Hauptbedeutung von ꜥḥꜥ.w ist „Anhäufung“ oder „Menge“. Es geht mehr um das Aufstapeln (ꜥḥꜥ bedeutet „aufrichten, aufstellen“) als um das „Absondern, Ausdünsten, Ausscheiden“. Allen, Art of Medicine, 97 und 101 übersetzt mit „drops“, was zwar im Zusammenhang mit hꜣi̯: „hinuntergehen“ passt, aber der Hauptbedeutung von ꜥḥꜥ.w widerspricht. Auch passt das Determinativ des Kornhaufens (M35) in Kol. 14.1 nicht dazu. MedWb I, 150–151 übersetzt mit „Ansammlung (von flüssigen Krankheitsstoffen)“, aber wählt gerade für die Fälle 41 und 47 doch „Sekret“.
5 nbs: Es werden immer Teile des Baumes als Droge verwendet, weshalb angenommen wird, dass hier ḏrḏ elliptisch verkürzt ausgelassen wurde (DrogWb 301; Westendorf, Grammatik, 98, § 147.aa.1).
6 qsn.tj-Mineral: Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 79 mit 80, Anm. 3 übersetzt mit „Ocker(?)“, wobei er diese Übersetzung „lediglich auf Grund von Varianten“ erschließt. Damit meint er zweifellos die Parallelen zwischen qsn.tj und stj: „(gelber) Ocker“ (Belege in DrogWb 522). Harris, Minerals, 215 hält einerseits die Parallele zwischen qsn.tj und stj als Indiz für „an ochreous or adstringent earth“ für möglich, schließt andererseits eine Identifikation von qsn.tj mit qsn.tt (eine unbekannte Pflanze) nicht aus.
7 Für die mögliche Wirkung der Zutaten, falls sie richtig identifiziert sind, siehe Sanchez, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 256.
8 bnf: In Fall 46 (pEdwin Smith 16.9) steht bnf n.j jḥ/kꜣ/gw(?) in derselben Reihenfolge ḏrḏ jmꜣ.w bnf n.j ... ḥnj-tꜣ und Breasted, Surgical Papyrus, 381 fragt sich, ob in Fall 41 „des Rindes“ vergessen wurde. Deshalb findet man diese Ergänzung in den Übersetzungen von Bardinet und Sanchez/Meltzer. Die Identifikation von bnf als „Galle“ geht auf Dawson zurück (in: JEA 19, 1933, 136–137), der auf der Grundlage der äußeren Anwendung der Droge an ein bitteres und unschmackhaftes Produkt denkt und der außerdem auf die parallele Verwendung von bnf und wdd hinweist (dazu auch DrogWb 171). Letzteres bedeutet „Galle“ bzw. „Gallenblase“ (dazu Dawson, in: ZÄS 62, 1927, 21–22: wdd ist „Galle“ und „Gallenblase“, weil es ein Körperteil ist, das in einer Körperteilliste zwischen „Lungen“ und „Milz“ steht und weil es dḥr: „bitter“ ist). Unklar ist, wieso es zwei ägyptische Wörter für dieselbe (tierische) „Galle“ bzw. „Gallenblase“ gegeben hat. Die Determinative von bnf sind das Fleischsstück (F51), das sog. Schlechte Paket mit Ausfluss (Aa3) und etwas eiförmiges. Ausschließlich auf der Grundlage des Fleisch-Determinativs in PT 1464b vermutete Breasted, Surgical Papyrus, 381, dass bnf „excrement“ oder „dung“ sein könnte (PT 1464b ist jedoch bn=f zu lesen = Wb 1, 459.1).
9 ḥn-tꜣ: Wird in den Übersetzungen des Papyrus Edwin Smith unübersetzt gelassen (so auch Wb 3, 100.9 und DrogWb 351) oder als „grass“ (Allen, Art of Medicine, 99) oder „ground rushes“ (Sanchez/Meltzer, 253) wiedergegeben. Alle Deutungsversuche gehen davon aus, dass das Kompositum ḥn-tꜣ aus der ḥn/ḥnj-Pflanze und dem Element tꜣ: Land, Erde, Boden“ besteht (z.B. Germer, Handbuch Heilpflanzen, 95). Die ḥn-Pflanze wird in Wb 3, 100.4 als eine „bestimmte Sumpfpflanze von heilkräftiger Wirkung“ bezeichnet (die gern neben der mnḥ-Pflanze = Cyperus Papyrus belegt ist); die ḥn-tꜣ-Pflanze wäre dann keine im Wasser stehende Sumpfpflanze, sondern wäre durch den Zusatz tꜣ als eine Landpflanze ausgezeichnet. Eine Notiz im Nachlass von Ludwig Keimer im DAI-Kairo besagt, dass die ḥn-Pflanze „pourrait être Cyperus alopec., tandis que mnḥ serait alors Cyp. pap.“, weshalb Kuhlmann (s.v. Rohr, in: LÄ V, 1984, 287 mit 288, Anm. 22) bei „Fuchsschwänziges Cyperngras („Mat sedge“) (Cyperus alopecuroides Rottb.) die mögliche ägyptische Entsprechung „ḥn (?)“ angibt (vgl. die gleichen Angaben bei Germer, Handbuch Heilpflanzen, 95). Lefebvre, Médecine égyptienne, 98 übersetzt ḥnj tꜣ als „jonc de terre“, aber er ist sich nicht sicher, ob ḥnj überhaupt „jonc“ bedeutet. Die deutsche Entsprechung für „jonc“ ist „Binse“, die englische ist „rush“. Die Binsengewächse (juncaceae) ähneln teilweise Gräsern (eng. „grass“) und Zyperngräsern/Riedgräsern (eng. „sedges“). Die Übersetzung „rush“ für die ḥn-Pflanze findet sich auch bei Faulkner, CDME, 172. Das „ground rushes“ (d.h. „Erdbinsen/Landbinzen“) von Sanchez/Meltzer ist eine Übersetzung von ḥn: „rush“ und tꜣ: „ground“.
10 Für die mögliche Wirkung der Zutaten, falls sie richtig identifiziert sind, siehe Sanchez, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 256–257 und 282.
11 šsꜣy.t/šsy.t/šs.t: wird als Farbpigment parallel zu wꜣḏ: „Malachit“ oder in einer Genitivverbindung mit wꜣḏ verwendet. Für Harris, Minerals, 152–153 kann es deshalb nur „grüne Fritte“ sein. Westendorf, Handbuch Medizin, 508 weist auf pJumilhac (Kol. II, 20.21) hin, wo šsꜣjt in Zusammenhang mit Blut genannt wird, sodass auch eine rote Färbung möglich erscheint. Aufrère, Univers mineral, II, 653 denkt gerade wegen pJumilhac an eine Art roter Ocker oder ein Eisenoxid. Für ihn ist šs.ꜣyt n.t wꜣḏw: „produit-šsjt frais“. Aufrère, Univers minéral, II, 659, Anm. 24 lehnt die Identifikationen mit „blauer Fritte“ und „grüner Fritte“ explizit ab: „ce n‘est certainement pas une fritte“, aber er erwähnt Harris, Minerals nicht, auf den diese Auffassung letztendlich zurückgeht. Nicht länger akzeptiert ist eine ältere Hypothese von Breasted, Surgical Papyrus, 381–382, dass šs.t die Form angibt, in der ein Mineral verwendet wird, d.h. z.B. als „Pulver“ oder „Kristall“, daher seine Übersetzung „powder (?)“ (vgl. DrogWb 504–505).
12 Für die mögliche Wirkung der Zutaten, falls sie richtig identifiziert sind, siehe Sanchez, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 257 und 282.
13 špnn dšr: Breasted, Surgical Papyrus, 383 fragt sich, ob dšr eine Qualifizierung von špnn ist und übersetzt „red špnn“ (daher auch Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 253: „red poppy (extract)“), aber die meisten Bearbeiter gehen von zwei unterschiedlichen Produkten aus, was durch die separate Determinierung von dšr nahegelegt wird. Der einzige Grund, weshalb špnn manchmal als „Schlafmohn“ (eng. „opium poppy“) identifiziert wird (so Wb 4, 445.5–6 mit Fragezeichen: „Früchte der špn-Pflanze, ob Mohnkörner?“; daher Grundriß IV/1, 195: „Mohnkörner?“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 79: „Mohnkörner“; Allen, Art of Medicine, 99: „poppy seeds“), ist, weil es als Beruhigungsmittel für schreiende Kinder verwendet wird (vgl. DrogWb 489–490; Germer, Handbuch Heilpflanzen, 131–132).
14 dšr: unbekannte Pflanze oder pflanzliches Produkt, das eine rote Färbung bewirkt (DrogWb 581; Germer, Handbuch Heilpflanzen, 163–164). Für dšr wird manchmal die Übersetzung „Leinsamen“ vorgeschlagen, weil ein Zusammenhang mit koptisch ⲑⲉⲣⲉϣ: „Leinsamen“ vermutet wird (z.B. Brugsch, Wb VII, 1375; Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 62; Allen, Art of Medicine, 99: „flax seed“), aber der ist nicht rot bzw. enthält keine rot färbenden Bestandteile.
15 ns-š: wird in den existierenden Belegen mit dem Körner/Mineral-Determinativ versehen und in den frühen Bearbeitungen als Samen einer Pflanze interpretiert (siehe z.B. Breasted, Surgical Papyrus, 383). Etymologisch bedeutet die Droge „Zunge des Sees/Teiches“. Chassinat, Papyrus médical copte, 159–161 verweist auf die koptische Droge ⲗⲁⲥ ⲛ̄ⲉⲓⲟⲙ: „Zunge des Meeres“, die über arabisch lisān al-baḥr: „Zunge des Meeres“ mit griechisch σηπία: „Tintenfisch“ verbunden werden kann und von dem der Schulp (der verkalkte Auftriebskörper des zehnarmigen Titenfisches; eng. „cuttlebone“) in der griechischen und arabischen Medizin verwendet wird. Er erwägt einen Zusammenhang zwischen ⲗⲁⲥ ⲛ̄ⲉⲓⲟⲙ: „Zunge des Meeres“ und ns-š: „Zunge des Sees/Teiches“, aber hält diesen für unwahrscheinlich, weil ⲉⲓⲟⲙ altäg. jtrw und nicht š (Meereswasser vs. Süßwasser) entspricht und weil keine Verwendungsähnlichkeiten zwischen ägyptischen Anwendungen von ns-š und griechischen Anwendungen des Schulps erkennbar sind. Trotzdem findet man z.B. bei Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 62 die Übersetzung „Os sepiae“; vgl. Hannig, HWB, 454: „*Schulp (verkalkte, verhornte Schale des Tintenfisches)“. Ebenfalls ablehnend Harris, Minerals, 216–217; Westendorf, Handbuch Medizin, 501. Es ist unbekannt, ob mit ns-š ein pflanzliches oder mineralisches Produkt gemeint ist.
16 Für die mögliche Wirkung der Zutaten, sofern sie richtig identifiziert sind, siehe Sanchez, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 257.
17 ḫꜣi̯: Dieselbe Phrase ⸮ḫꜣi̯?=k sw ḫft šsꜣ.w jpn steht in den Fällen 41 (Kol. 14.7), 45 (Kol. 15.16) und 47 (Kol. 17.6). In Fall 41 wird das Verb mit dem normalen Arm (D36) geschrieben, in Fall 45 mit dem schlagenden Arm (D40) und in Fall 47 ist das Verb als ḫꜣi̯: „untersuchen“ ausgeschrieben. MedWb. II, hat alle drei Stellen unter dem Verb ḫꜣi̯ aufgelistet und Grundriß IV/1 übersetzt alle drei Stellen auch mit „untersuchen“, fragt sich aber (Grundriß IV/1, 199 mit IV/2, 154, Anm. 6), ob die ausgeschriebene Version von Fall 47 keine falsche Komplementierung einer abgekürzten Schreibung mit dem schlagenden Arm ist und in Wirklichkeit srwḫ: „behandeln“ zu lesen sei. Westendorf, Handbuch Medizin, 741 nimmt dies als wahrscheinlich an und übersetzt die drei Stellen mit „behandeln“. Breasted, Surgical Papyrus 99 erkennt in den Fällen 41 und 45 eine abgekürzte Schreibung des Verbs srwḫ, in Fall 47 bleibt er bei dem Verb ḫꜣi̯. Meltzer (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 252) liest in Fall 41 ebenfalls srwḫ, in Fall 45 hingegen ḫꜣi̯ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 270). Allen, Art of Medicine, 99 übersetzt Fall 41 mit „give“ und erkennt demzufolge das Verb rḏi̯. In Fall 45 übersetzt er mit „to treat“ (Allen, Art of Medicine, 101; Allen übersetzt sonst sowohl srwḫ als auch ḫꜣi̯ mit „to treat“), während in Fall 47 „to evaluate“ für ḫꜣi̯ steht (Allen, Art of Medicine, 105). Das Standardformular der Fälle mit šsꜣw + Krankheitsbezeichnung im Titel, gefolgt von jr ḫꜣi̯=k z + Krankheitsbezeichnung in der Untersuchung spricht dafür, dass auch hier dreimal ḫꜣi̯ zu lesen ist. Dabei steht ḫꜣi̯ in diesen Fällen nicht ausschließlich für die Untersuchungsphase, sondern steht pars pro toto für die ganze medizinische Prozedur, einschließlich der Therapie.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine Anomalie der Wunde an seiner Brust, indem sie nsr-entflammt (d.h. entzündet?) ist“ angeht:
das bedeutet, dass die Wunde, die auf seiner Brust ist, zögerlich ist (beim Ausheilen),
ohne sich zu verschließen (wörtl.: verhüllen, bedecken);
eine hohe šmm.t-Hitze kommt (ständig) [14.10] aus ihr heraus;
ihre (Wund)ränder (wörtl.: Lippen) sind in gerötetem Zustand;
ihre (Wund)mündung steht offen.
Die Sammelschrift über „Die Angelegenheiten der Wunden“ hat dazu gesagt:
das bedeutet, dass sie (d.h. die Wunde) überaus stark aufgeschwollen ist;
man sagt „nsr-Entflammt-Sein (d.h. Entzündung?)“ zu/wegen der (Temperatur)höhe (oder: man sagt: „(es ist) hochgradig nsr-entflammt“).

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „eine Ballung von (lokaler?) srf-Hitze an seiner Wunde“ angeht:
das bedeutet, dass eine srf-Hitze zusammengeballt wurde, die das Innere seiner gesamten Wunde durchzieht.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „gerötet/rötlich sind seine beiden (Wund)ränder“ angeht:
das bedeutet, dass seine beiden (Wund)ränder rot sind, wie die Färbung von Körnern/Samen der ṯms.t-Pflanze.

(Glosse D:) Was (die Textstelle) „sein Fleisch verträgt (wörtl.: akzeptiert) keinen Verband“ angeht:
das bedeutet, dass sein Fleisch kein Heilmittel verträgt (wörtl.: akzeptiert) infolge der šmm.t-Hitze, die [14.15] auf seinem Fleisch18 ist.

18 n.tt ḥr jwf=f: Allen, Art of Medicine, 99 übersetzt „that is on his chest“. Entweder versteht er jwf hier ziemlich allgemein als Torsobereich (vgl. jwf für den Abdominalbereich in Fall 31, Kol. 10.14), oder es ist ein Übersetzungsfehler.

(Glosse E:) Was (die Textstelle) „die srf-Hitze, sie strömt außerdem aus der Öffnung der Wunde gegen deine Hand heraus“ angeht:
⟨das bedeutet, dass⟩ srf-Hitze aus der Öffnung der Wunde gegen deine Hand herauskommen wird,
genauso wie (man) „(es) ist hinausgeströmt“ sagt ⟨über⟩ eine Sache, die auf den Boden ausgelaufen (wörtl.: hinausgekommen) ist.

Fall 42: nrw.t-Zerrung an den Rippen-Brustbein-Gelenken

(Titel:) Erfahrungswissen über eine nrw.t-Zerrung/Verstauchung/Zerreißung an den Rippen1 seiner Brust (oder: seines Brustkorbs).
(Untersuchung:) Wenn du einen ⟨Mann (d.h. Patienten) mit einer nrw.t-Zerrung an den Rippen seiner Brust⟩2 untersuchst,
wobei er an den Rippen seiner Brust leidet (d.h. Schmerzen hat),
(aber) es gibt keine wnḫ-Lockerung/Verrenkung und es ist nicht(s) gebrochen
– der Mann, er leidet trotzdem (wörtl.: außerdem, bekanntermaßen) daran;
(er) wird wirklich sehr zittern (?) (oder: (es) wird wirklich sehr wackeln/nachgeben (?)) –;
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einer nrw.t-Zerrung/Verstauchung an den Rippen seiner Brust:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du [14.20] ihn (den Patienten) folglich mit jmr.w-Verband(?) verbinden.
Du sollst ihn danach täglich ⟨mit⟩ Honig versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 ḥn.w: ist ein pluralischer Begriff (Genitiv mit n.w und pluralisches Suffixpronomen =sn in Kol. 15.8) im Brustbereich (qꜣb.t). Es wird in Fall 42, Glosse A (Kol. 14.21) erklärt als die „Knochen“ des Brustbereichs (qs.w n.w qꜣb.t). Ungeachtet der Frage, ob qꜣb.t der knöcherne Brustkorb oder das Brustbein ist, kommen damit für ḥn.w nur die „Rippen“ in Betracht (MedWb II, 606; Grapow, Anatomie, 58; Westendorf, Handbuch, 176; Wb 3, 109.11 listet das Lemma noch ohne Übersetzung). Falls qꜣb.t konkret das Brustbein sein sollte, wären mit ḥn.w n.w qꜣb.t nur die 7 wahren Rippen gemeint (vgl. Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 26, § 26; Weeks, Anatomical Knowledge, 43; Walker, Anatomical Terminology, 272: „ribs attached to the breastbone“). In Fall 43, Glosse A (Kol. 15.4) werden die Rippen, die sich durch eine wnḫ-Verrenkung gelöst (nft) haben, als wnn(.w) mn(.w) m qꜣb.t=f beschrieben; sie bleiben also normalerweise in der Brust oder am Brustkorb/Brustbein, was ebenfalls für die 7 wahren Rippen sprechen könnte. Unklar bleibt, ob ḥn.w ohne die Erweiterung n.w qꜣb.t auch die 5 übrigen Rippen einschließen könnte, oder ob noch andere Knochen im Körper ebenfalls als ḥn bezeichnet werden können. Das Wort wird mit dem Fleischdeterminativ versehen, vermutlich weil man „Rippchen“ auch essen kann (Breasted, Surgical Papyrus, 304). ḥn.w erscheint ausschließlich in drei Fällen im Papyrus Edwin Smith und ist sonst nicht in den medizinischen Texten belegt. Das gilt auch für ein anderes Wort für „Rippen“, spr, das nur einmal im Papyrus Hearst als Knochenbruch (ḥsb) vorkommt (1.15), aber gängig in anderen Texten und bis ins Koptische als ⲥⲡⲓⲣ „Rippe (griech πλευρά, πλευρόν); Seite“ überliefert ist. Aus der Stelle in pHearst bzw. aus dem Fehlen in pEdwin Smith kann man nicht ableiten, dass der Terminus spr vielleicht in manchen Zusammenhängen auf die 3 falschen und 2 rudimentären Rippen beschränkt ist (vgl. Weeks, Anatomical Knowledge, 43).
2 Hier ist eindeutig etwas im Text ausgefallen. Weil der Anschluss mit den Pronomina (ḥsb=f und mn=f sw) und der Partikel jsk sowie das Wort sw.t/sr.t in der Glosse problematisch ist, kann die Lücke viel länger als nur z gewesen sein. Grundriß IV/2, 152, Anm. 2 zu Fall 42 fragt sich, ob ein Stück Text ausgefallen ist, das vielleicht das Wort qs enthalten hat (als Bezugswort für ḥsb=f), und verweist dabei auf Fall 27 (vgl. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 81). Dort steht, dass die Wunde abgetastet und der Knochen unversehrt gefunden wurde (Kol. 9.14–15: ... ḏꜥr.ḫr=k wbn.w=f / jr gmi̯=k qs=f wḏꜣ / n-wn.t pšn thm jm=f). Sollte man also ebenfalls ergänzen jr ḫꜣi̯=k ⟨z⟩ ... ḏꜥr.ḫr=k ḥn.w n.w qꜣb.t=f / jr gmi̯=k qs=f wḏꜣ / n-wn.t wnḫ ...? Westendorf, Handbuch Medizin, 737 ergänzt „Wenn du ⟨einen Mann mit einer Zerrung an den Rippen seiner Brust⟩ untersuchst, er leidet (schmerzhaft) an den Rippen seiner Brust ...“ Das Zittern oder Wackeln (nr) hängt in den Fällen 4, 7, 29 und 40 mit einem Abtasten der Wunde durch den Arzt zusammen, was hier möglicherweise ebenfalls ausgefallen ist.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „die Rippen seiner Brust“ angeht:
das sind die Knochen seiner Brust;
Das Stachelteil
3 (?; d.h. die Rippengegend?) ist wie etwas, das die Gestalt eines Stachelbratens (??)4 hat.

3 wnn sr.t/sw.t: Breasted liest 2 x sr.t: „Dorn, Stachel“ mit dem Dorn M44 als Determinativ, wohingegen Grundriß 2 x sw.t: „Rippengegend, Rippenstück“ liest (Grundriß IV/2, 152, Anm. 6 zu Fall 42; MedWb II, 723; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 81; ebenso Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 259–260; Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin, 275). Westendorf, Handbuch Medizin, 738 mit Anm. 70 kehrt zu der Lesung sr.t von Breasted zurück. Das Determinativ ist allerdings nicht der Dorn, sondern vielmehr ein kleines ovales Zeichen (so Grundriß IV/2, 152, Anm. 5 zu Fall 42) oder eine abgekürzte Form des Horns (so Westendorf, Handbuch Medizin, 738, Anm. 70: Zeichen F16 = Möller 160 bzw. 160B); es ist nicht das normale Fleischdeterminativ F51. sw.t ist ein Körperteil des Rindes (Wb 4, 60.2–3), laut Wb 4, 60.2 vielleicht vom Bein (mit Fragezeichen); daher Hannig, HWB, 730: „*Unterschenkelstück (d. Rindes)“. Die Identifikation von sw.t als „hinterer Unterschenkel, Tibia, Schienbein“ geht zurück auf Loret, in: Lortet/Gaillard, La faune momifiée de l’ancienne Égypte, IIe série, Lyon 1905, ix (muss zum Hinterschenkel des Rindes gehören, weil ḫpš der Vorderschenkel ist, und enthält nach den Darstellungen in den Opferlisten einen geraden Knochen mit Knochenvorsprüngen an nur einem Knochenende; daher muss es der Tibia sein); Lacau, Noms des parties du corps, 123–125, § 323–328; Ikram, Choice Cuts, 136. Die Übersetzung „Rippengegend, Rippenstück“ (Grundriß IV/1, 196; Med Wb II, 723; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 81) ist wohl nur ein Versuch, das Wort sw.t auf der Grundlage von pEdwin Smith Kol. 14.21 (Fall 42) im Brustbereich einzuordnen. Wenn also sw.t die Tibia (zumindest) des Rindes ist, macht die Lesung sw.t in pEdwin Smith keinen Sinn und wird man mit Breasted sr.t lesen müssen. Die Rippen scheinen also in übertragenem Sinne als die „Dornen“ oder „Stachel“ des Brustkorbs betrachtet worden zu sein, so wie das ḥntꜣ-Brustbein von dem Namen eines stacheltragenden (sr.t) ḥntꜣ-Tieres (Stachelschwein?, Igel?) abgeleitet ist. Ist sr.t mit dem unklaren Determinativ (ein Horn?) also eine übertragene Bezeichung für die „Rippengegend“?
4 ḥwn: eine Fleischbezeichnung, die ab dem Mittleren Reich in Opferlisten belegt ist, d.h. ein Stück Fleisch eines Tieres. Auf der Grundlage von pEdwin Smith nimmt Breasted, Surgical Papyrus, 395 an, dass es ein Stück Fleisch ist, das Rippenknochen enthält. Breasted nimmt auf der Grundlage der Opferlisten auch an, dass es ein fertig zubereitetes Stück Fleisch ist, wie ein „Braten“. Für das Bild eines „Stachelbratens“ (ḥwn n.j sr.t) vergleiche man das Gericht „Lammkrone“, bei dem die freigelegten Rippenknochen zu einem Ring zusammengebunden sind und wie die Zacken einer Krone aussehen (das Gericht „Lammkrone“ wird von Radestock, Prinzipien der ägyptischen Medizin, 276 als sprachlicher Vergleich angeführt). Allen, Art of Medicine, 99 übersetzt ḥwn mit „the shoot (of a thorn)“, d.h. „Spross, Austrieb, Steckling“ und denkt dabei sicherlich an eine etymologische Ableitung von ḥwn: „jugendlich-kräftig sein“.

Fall 43: wnḫ-Verrenkung an den Rippen-Brustbein-Gelenken

(Titel:) Erfahrungswissen über eine wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) der Rippen seiner Brust.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) der Rippen seiner Brust untersuchst,
und du findest die Rippen seiner Brust in ḫꜣs-Zustand1 (vorgewölbt?) vor
– gerötet/rötlich sind [15.1] ihre Köpfe/Spitzen2 –;
und jener Mann, er leidet außerdem an st.t-Schleimstoffen3 an seinen beiden (Körper)seiten4,
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einer wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) an den Rippen seiner Brust:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“
(Behandlung:) Dann musst du ihn (den Patienten) folglich mit jmr.w-Verband(?) verbinden.
Du sollst ⟨ihn⟩ danach täglich ⟨mit⟩ Honig versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

1 ḫꜣs: ist einmal im pEdwin Smith und einmal im pEbers belegt und in Wb 3, 236.3 fälschlicherweise als ḫꜣsf eingetragen („als krankhafter Zustand“). Breasted, Surgical Papyrus, 396–397 vermutet eine Bedeutung „to project“ wegen des Zusammenhangs, vor allem wegen der sichtbaren Rötung der Rippenköpfe. MedWb II, 649 lässt das Verb unübersetzt, aber bringt das Determinativ der Nase ins Spiel: „nasenartig = vorgewölbt“. Alle Übersetzungen lauten entsprechend „vorgewölbt“, „(nasenartig) vorgewölbt“, „incurvé“, „bent/arched forward“. Die Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 100: „mounded“ legt einen etymologischen Zusammenhang mit ḫꜣs.t: „Gebirge“ nahe. Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 263 vermutet einen Zusammenhang mit der Wurzel ḫꜣ: „gebogen, bogenförmig“ und mit ḫꜣs: „Spirale der Roten Krone“.
2 tp: Die „Köpfe“ sind die Extremitäten der Rippen (in Fall 43, Kol. 15.4 steht tp.w n.w ḥn.w n.w qꜣb.t), die eigentlich kaum sichtbar werden können unter der Haut. Eine Verrenkung der Rippen am Brustbein kommt nur nach starker stumpfer Gewalt vor. Der moderne Begriff „Caput costae“ bezeichnet allerdings nicht das Ende der Rippe am Brustbein, sondern das Ende an der Brustwirbelsäule.
3 st.t: Breasted, Surgical Papyrus, 397 übersetzt mit „swelling“, aber untersucht bzw. begründet diese Übersetzung nicht näher; ebenso Wb 4, 333.4: „Anschwellung, Geschwulst“. Diese Übersetzung geht auf das Determinativ des schlechten Pakets zurück und wird heute nicht mehr akzeptiert (so jedoch noch Allen, Art of Medicine, 101). Laut Dawson, in: JEA 20, 1934, 185–186 sind die Übersetzungen „swellings“ oder „boils“ in den verschiedenen Belegen nicht erforderlich und nicht mal wahrscheinlich oder auch nur möglich; in allen Fällen liefert „acute pain“ oder „shooting pain“ eine zufriedenstellende Übersetzung (gefolgt von Lefebvre, Médicine égyptienne, 39–40 und 56–57: „douleur lancinante“; ebenso Sanchez/Meltzer, 262, 287). Diese Übersetzung geht auf die Schreibung mit dem Phonogramm F29 (von einem Pfeil durchbohrtes Tierfell) zurück oder auf einen mutmaßlichen etymologischen Zusammenhang mit sti̯: „schießen“. Das gelegentlich vorkommende Determinativ der Wasserwellen (von Dawson als Fehler abgelehnt), spricht möglicherweise eher für einen Zusammenhang mit sti̯ „strömen, gießen“ (so Westendorf, Handbuch Medizin, 343). Ebbell trennt in zwei Wörter st.t: einmal eine Krankheit ohne Wasserwellen geschrieben (in: ZÄS 63/2, 1928, 115–117: „Rheumatismus o.ä.“) und einmal einen Stoff mit Wasserwellen determiniert (Ebbell, Altägyptische Bezeichnungen für Krankheiten und Symptome, 42–48: „Schleim, Phlegma“, entsprechend einem der vier Säfte der antiken Medizin). Dawson lehnt die Übersetzung „Rheumatismus“ ab, weil st.t in vielen Fällen von Schmerzen und Steifheit in Muskeln und Gelenken nicht genannt wird, obwohl dort mit rheumatoider Arthritis zu rechnen sei. MedWb II, 812–814 bringt alle Schreibungen unter st.t zusammen und übersetzt mit „Schleimstoffe“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 82/83, Anm. 3 spezifiziert st.t als „Durch das Gefäßsystem fließende Stoffe, die am Ort der Krankheitserscheinung entstehen und durch ihr Fließen an beliebigen Stellen im Körper Schmerzen und sonstige Nebenerscheinungen hervorrufen («Rheumatismus»)“. Westendorf, Handbuch Medizin, 343–344 ist noch ausführlicher und vermerkt, dass die Charakterisierung der Flüssigkeit als „Schleim“ nur durch das Vorkommen von st.t bei Husten und Schnupfen begründet wird. Bardinet, Papyrus médicaux, 125–128 („êtres pathogènes circulants“) und 176–177: lebendige Organismen, die durch die mt-Gefäße/Stränge im Körper zirkulieren und so Schmerzen verursachen; wenn die Zirkulation unterbrochen wird, sterben und verwesen sie und werden stark pathogen. Bardinet, Papyrus médicaux, 516 übersetzt st.t in Fall 47 (Kol. 16.18 und 17.2) mit „irradiations“ (d.h. „ausstrahlende Schmerzen“). Allen, Art of Medicine, 103 hat im gleichen Fall 47 „drainage“. Nunn, Ancient Egyptian Medicine, 62–63 verzichtet auf eine Definition oder Umschreibung.
4 šw.tj: ist ein allgemeiner Begriff für „Seite“, ohne dass es auf ein bestimmtes Körperteil beschränkt ist. Allerdings wird es in Glosse B von Papyrus Edwin Smith (Fall 43, Kol. 15.5) mit t und Fleischdeterminativ geschrieben und in Glosse C als dp.tj: „Lenden“ erklärt (Kol. 15.6). In Fall 47 (Kol. 16.17) ist mit šw.t die Seite des Brustkorbs gemeint.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine wnḫ-Lockerung (d.h. eine Verrenkung, Verschiebung) an den Rippen seiner Brust“ angeht:
das bedeutet, dass die Köpfe/Spitzen der Rippen seiner Brust gelöst worden sind (oder: sich gelöst haben),
die normalerweise in seiner Brust (oder: an seinem Brustkorb) verbleiben.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „er leidet an [15.5] st.t-Schleimstoffen an seinen beiden (Körper)-Seiten“ angeht:
das bedeutet, dass er leidet an den entsprechenden Verlagerungen (?)5 in seiner Brust,
(wobei sie) in seine beiden (Körper)-Seiten ausgeströmt (?)6 sind.

5 wd.t: kommt in pEbers mit dem Kreuz als Determinativ vor, während es in pEdwin Smith Pluralstriche hat. Breasted, Surgical Papyrus, 399 betrachtet es als ein Hapax Legomenon (er verweist nicht auf das Wort in pEbers) und übersetzt mit „articulations“, d.h. „Gelenke“, weil er das Wort von der Wurzel wdi̯: „geben, stellen“ ableitet, im Sinne von „einen ausgerenkten Knochen reponieren“; das abgeleitete Substantiv Plural wd.t wäre dann die „Reponierungen“ oder der Ort der Reponierung, d.h. das „Gelenk“ (gefolgt von Bardinet, Papyrus médicaux, 515: „les articulations“). Ebbell trennt die Belege in pEbers und pEdwin Smith ebenfalls: Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 65 hat „Plage (?)“ ohne weitere Erklärung für das Wort in pEdwin Smith; Ebbell, Altägyptische Krankheiten, 18 betrachet wd.t in pEbers als den Infinitiv von wdi̯: „legen, setzen, darbringen; stoßen, werfen“ und er übersetzt mit „Angriff, Anfall o.ä.“, wobei er konkret an „Infektion“ denkt. MedWb I, 234–235 betrachtet beide Schreibungen als demselben Wort zugehörig (in allen Fällen betrifft es eine wd.t von unterschiedlichen Krankheitsstoffen), leitet es von derselben Wurzel wdi̯: „legen, setzen“ ab, aber versteht es als „Verlagerung (von Krankheitsstoffen)“ (ebenso Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 262: „displacements“). Allen, Art of Medicine, 101 nimmt die Bedeutung „stoßen, werfen“ des Verbs wdi̯ auf und übersetzt mit „to push“: „he suffers from their pushing in his chest“.
6 sti̯: ist mit dem Phallus determiniert. Breasted, Surgical Papyrus, 399 übersetzt mit großem Zweifel mit „to spread“ (mit Fragezeichen), eine Bedeutung, die er ableitet vom Verb sti̯ in Fall 47 (Kol. 17.14). Dieses sti̯ ist zwar ohne Determinativ geschrieben, aber die Stelle in Fall 47 spricht von srf-Hitze, die aus der Wundöffnung auf den Boden „schießt/spritzt/ausstrahlt“ (Breasted verwendet „to scatter“). Das Verb sti̯ mit dem Phallus als Determinativ bedeutet „Samen ergießen; begatten; erzeugen“, was im Sinne von „ejakulieren“ ~ „schießen“ im Zusammenhang passt. MedWb II, 815 legt die Belege für das Verb sti̯ mit Phallus, ohne Determinativ, mit Wasserdeterminativ, mit schlagendem Mann und mit laufenden Beinchen alle zusammen unter dem Lemma „strömen, gießen“ ab. Die Bedeutungen „schießen“ (mit Pfeil) „(Licht) ausstrahlen“ (mit Strahlensonne), „(Körner, Saatgut) ausstreuen, säen“ (mit einem säenden Mann) passen im selben semantischen Bereich. Die Übersetzungen der übrigen Bearbeitungen lauten „sich ergießen“ (Grundriß, Westendorf), „ausstrahlen(?)“ (Ebbell), „irradier“ (Bardinet). Die Übersetzung von Sanchez/Meltzer als „to surge“ setzt eine kraftvolle Aktion von sti̯ voraus; die Übersetzung von Allen als „to swell“ weicht ab (so wie Allen mit der veralteten Übersetzung „swelling“ für st.t auch von den übrigen neueren Bearbeitungen abweicht).

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „seine beiden (Körper)-Seiten“ angeht:
das sind seine beiden dp.t-Flanken/Lenden(?)7.

7 dp.t: Breasted, Surgical Papyrus, 399–400: Das Wort dp.t kommt als Dual vor und muss deshalb einen zweimal vorkommenden Körperteil bezeichnen. Es ist der Vorgänger von koptisch ϯⲡⲉ: „Lende, Hüfte“ (Crum, CD, 423: „loin“; Dévaud, Études d’étymologie copte, 18–20; Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 239), das griechisch ὀσφῦς: „Lende; unterer Rücken“ entspricht. Die prä-koptischen Belege lassen sich jedoch nicht alle als „Lende“ deuten. Dévaud beschränkt sich auf einen Teil des Rückens („une partie du dos (chez l’homme et chez l’animal)“). AEO II, 243*–244* (Nr. 592) und Index auf S. 295 verweist auf (mündliche?) Information von Dawson, dass dp.t nicht nur ein konkreter Bereich im unteren Rücken (die „Lende“) ist, sondern auch eine mehr allgemeine Bedeutung haben kann, vielleicht „joint“ (eines Ochsen/Rindes), gerade in dem Ramesseums-Onomastikon aus dem Mittleren Reich (pBerlin P 10495), wo dp.t in drei Körperbereichen vorkommt. Grapow, Anatomie und Physiologie, 62 hat nur „Lenden, Flanken“. MedWb II, 978: „Lenden“; Lefebvre, 36–37, § 42: „reins, lombes“ = „Lenden“; Weeks, Anatomical Knowledge, 56: „loins“; Walker, Anatomical Terminology, 278 ist vorsichtiger: „? loin“. Das Problem ist, dass man bei einer Rippenverletzung eher an die Seiten im Brustbereich und weniger im Bauch-/Lendenbereich denkt.
Die Vermutung von Wb 5, 445.13–16: „ein doppelt vorhandener Körperteil, auch als essbares Fleischstück; anscheinend: die Niere“ wird teilweise als falsch eingestuft (Grapow, Anatomie und Physiologie, 63), aber nicht grundsätzlich verworfen (Westendorf, Handbuch Medizin, 201; Lesko, Dict. IV, 131 umschreibt dp.t als „piece of meat“ oder konkret „kidney?“). DZA 31.388.920 schreibt auf einem Kommentarzettel, dass in einer NR-Liste mit Verpflegung dp.t ein kleines Fleischsstück ist, das als jwf dgꜣy bezeichnet wird und vielleicht für die Vermutung der Bedeutung „Niere“ verantwortlich ist. Gemeint ist wahrscheinlich dgꜣ.yt: „Fleischstück; Dörrfleisch“ und oBerlin P. 12337, Zl. 7 = Hieratische Papyrus Berlin, III, 1911, Taf. 31 = DZA 31.471.150, dass jwf dgꜣ.yt dp.t 200 lautet und eine große Quantität auflistet, daher vielleicht kleine Stücke Fleisch wie Nieren bezeichnet. Ob die Übersetzung des französischen Wortes „rein“ = „(1) Lende; (2) Niere“ für Verwirrung gesorgt hat?

Fall 44: ḥsb-Bruch der Rippen mit offener Wunde

(Titel:) Erfahrungswissen über einen ḥsb-Bruch an den Rippen seiner Brust.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einem ḥsb-Bruch an den Rippen seiner Brust untersuchst
– aufgebrochen1 ist eine Wunde auf ihr (d.h. der Brust) –,
und du findest die Rippen seiner Brust vor, indem sie unter deinen Fingern knirschen (?; oder: sich verschieben?),
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einem ḥsb-Bruch an den Rippen seiner Brust,
(wobei) eine Wunde auf ihr (d.h. der Brust) aufgebrochen ist:
eine Krankheit, die man nicht behandeln kann.“

1 sḏ: bedeutet „zerbrechen, zersplittern“ (transitiv und intransitiv). Breasted, Surgical Papyrus, 402 versteht sḏ bei der wbn.w-Wunde in transitivem Sinn als „to inflict (a wound)“ (ebenso in Fall 37, Kol. 12.15): „a wound has been inflicted“ (ebenso Sanchez/Meltzer). Beim gleichen Satz in Fall 24 (Kol. 9.1) erkennt Meltzer ein passives sḏm=f (in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 167). Man kann mit Grundriß jedoch auch intransitiv übersetzen: „eine Wunde ist aufgebrochen, aufgeplatzt“ (siehe Westendorf, Grammatik, 154, § 218.1.a: Perfektives sḏm=f aktiv bei einem intransitiven Verb (statt sḏm.n=f) in der Beschreibung von Krankheitssymptomen). Dies hat Folgen für die medizinische Interpretation der Verletzung in Fall 44: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 266–268 nennen diesen Fall zwar „Open Comminuted Rib Fractures“, stellen aber zugleich das Vorhandensein einer offenen Wunde in Frage (S. 268). Diese hätte sicher eine Infektion zur Folge gehabt, die das negative Verdikt erklären könnte. Breasted, Surgical Papyrus, 401 fragt sich in Anbetracht des negativen Verdikts, ob ein Stück Text ausgefallen ist (z.B. mit verschiedenen Arten von Brüchen, einer leichten Sorte und einer mit einer Beschreibung von lebensbedrohlichen Symptomen – der häufige „normale“, glatte Rippenbruch ohne sichtbare Wunde wird nicht thematisiert).

Fall 45: Ballartige(s) bnw.t-Geschwür/Geschwulst auf der Brust

(Titel:) Erfahrungswissen über ein(e) ballartig1 gewordene(s) bnw.t-Geschwür/Geschwulst auf seiner Brust.
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) [15.10] mit einem/einer ballartig1 gewordenen bnw.t-Geschwür/Geschwulst auf seiner Brust untersuchst,
und du feststellst, dass sie (Plural!, die Geschwüre/Geschwulste) sich auf seiner Brust ausgebreitet/ausgebildet (?) haben;
wenn du deine Hand auf seine Brust, (d.h.) auf jene bnw.t-Geschwüre/Geschwulste legst,
und du findest sie (d.h. die Brust) vor, indem sie sehr kühl/abgekühlt ist;
es gibt keinerlei srf-Hitze in ihr (der Brust),
wie (?) deine Hand sie (die srf-Hitze) feststellt (oder: wie (?) deine Hand ihn (den Patienten) vorfindet);
sie (Plural!, d.h. die bnw.t-Geschwüre/Geschwulste) sind nicht körnig/sandig,
sie produzieren kein Wasser (d.h. sie sondern kein Wasser ab),
⟨sie⟩ bilden keine Ansammlungen (wörtl.: Haufen) von Wasser,
aber sie sind ballartig gegen deine Hand;
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einem/einer ballartig gewordenen bnw.t-Geschwür/Geschwulst:
eine Krankheit,
[15.15] mit der ich kämpfen werde.“
(Behandlung:) Es gibt nichts (oder: Es ist nichts (da im Manuskript)).2
Wenn du ein(e) ballartig gewordene(s) bnw.t-Geschwür/Geschwulst an irgendeinem Körperteil eines Mannes vorfindest,
dann sollst du ihn (d.h. den Mann) gemäß diesen Wissenserfahrungen/Informationen/Lehrtexten untersuchen3.

1 ḥmꜣ.ty: ist ein Stativ (Westendorf, Grammatik, 117, § 163.gg) des Verbs ḥmꜣ, das in Glosse A (Kol. 15.16–19) erklärt wird in einem Zusammenhang mit ḥmꜣ: „Ball“, mit ḥmꜣ.yt: „(eine Pflanze)“ und mit šfw.t-Schwellungen. Breasted, Surgical Papyrus, 406 nimmt für das Verb ḥmꜣ die Bedeutung „swelling like a ball“ an und übersetzt ḥmꜣ.ty als „bulging“. Die Übersetzung „anschwellen, ausbeulen, aufquellen, vorwölben“ impliziert einen Prozess. MedWb II, 600 scheint eher an ein Adjektiv(verb): „ballartig“ zu denken (vgl. Hannig, HWB, 571: „ballartig sein“ und „ballartige Klumpen herstellen (beim Teigbacken)“). Statt „ballartig“ ist vielleicht auch „kugelig“ möglich (kleiner und härter als ein Ball).
2 n jḫ.t pw: Dieser Satz wird entweder so verstanden, dass keine Behandlung erforderlich ist (Breasted, Surgical Papyrus, 405; gefolgt von Ebbell, Allen, Sanchez/Meltzer), oder dass der Schreiber keine Angaben über die Behandlungsweise in seiner Vorlage vorgefunden hat (Grundriß, Westendorf).
3 ḫꜣi̯: Dieselbe Phrase ⸮ḫꜣi̯?=k sw ḫft šsꜣ.w jpn steht in den Fällen 41 (Kol. 14.7), 45 (Kol. 15.16) und 47 (Kol. 17.6). In Fall 41 wird das Verb mit dem normalen Arm (D36) geschrieben, in Fall 45 mit dem schlagenden Arm (D40) und in Fall 47 ist das Verb als ḫꜣi̯: „untersuchen“ ausgeschrieben. MedWb. II, hat alle drei Stellen unter dem Verb ḫꜣi̯ aufgelistet und Grundriß IV/1 übersetzt alle drei Stellen auch mit „untersuchen“, fragt sich aber (Grundriß IV/1, 199 mit IV/2, 154, Anm. 6), ob die ausgeschriebene Version von Fall 47 keine falsche Komplementierung einer abgekürzten Schreibung mit dem schlagenden Arm ist und in Wirklichkeit srwḫ: „behandeln“ zu lesen sei. Westendorf, Handbuch Medizin, 741 nimmt dies als wahrscheinlich an und übersetzt die drei Stellen mit „behandeln“. Breasted, Surgical Papyrus, 99 erkennt in den Fällen 41 und 45 eine abgekürzte Schreibung des Verbs srwḫ, in Fall 47 bleibt er bei dem Verb ḫꜣi̯. Meltzer (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 252) liest in Fall 41 ebenfalls srwḫ, in Fall 45 hingegen ḫꜣi̯ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 270). Allen, Art of Medicine, 99 übersetzt Fall 41 mit „give“ und erkennt demzufolge das Verb rḏi̯. In Fall 45 übersetzt er mit „to treat“ (Allen, Art of Medicine, 101; Allen übersetzt sonst sowohl srwḫ als auch ḫꜣi̯ mit „to treat“), während in Fall 47 „to evaluate“ für ḫꜣi̯ steht (Allen, Art of Medicine, 105). Das Standardformular der Fälle mit šsꜣw + Krankheitsbezeichnung im Titel, gefolgt von jr ḫꜣi̯=k z + Krankheitsbezeichnung in der Untersuchung spricht dafür, dass auch hier dreimal ḫꜣi̯ zu lesen ist. Dabei steht ḫꜣi̯ in diesen Fällen nicht ausschließlich für die Untersuchungsphase, sondern steht pars pro toto für die ganze medizinische Prozedur, einschließlich der Therapie.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „ein(e) ballartig gewordene(s) bnw.t-Geschwür/Geschwulst auf seiner Brust“ angeht:
das bedeutet, dass šf.t-Schwellungen auf seiner Brust sind, groß, ausgedehnt und hart.
Wenn man sie (Plural!) berührt, ist das, wie wenn man einen Ballen von ...?...4 berührt.
(Es) ähnelt einer frischen/jungen ḥmꜣ.yt-Frucht/Schote(?)5.
Sie (d.h. die ḥmꜣ.yt-Frucht/Schote(?)) ist hart und kalt gegen die Unter-/Innenseite deiner Hand,
wie wenn man diese (besagten) šfw.t-Schwellungen, die auf seiner Brust sind, berührt.

4 ḥmꜣ n.j ?...?: Breasted, Surgical Papyrus, 406 und MedWb II, 600 erkennen das Wort ḥmꜣ: „Ball“, aber das Determinativ ist kein runder Kreis. Breasted, MedWb und Meltzer transliterieren mit einem Ei (H8). Es ist dasselbe Determinativ wie in sr.t (Kol. 14.21 und 22), das vielleicht eine Abkürzung des Elephantenzahns ist. Der Satellit in der Genitivverbindung ist abgekürzt geschrieben mit dem sog. schlechten Paket (Gardiner Aa 2) und Pluralstrichen. Breasted, Surgical Papyrus, 406 übersetzt mit „ball of wrappings“ und erkennt das Wort wt: „Binde“ (Index, S. 526) (gefolgt von Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer). Grundriß IV/2, 153, Anm. 5 zu Fall 45 fragt sich, ob es sjn: „Ton“ ist (ähnlich Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 84). Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 84, Anm. 4 meint, dass „Ton“ eher zur Eigenschaft „kalt“ (wird in Kol. 15.19 bezüglich der frischen ḥmꜣ.yt-Frucht/Schote gesagt) passt als „Binde“. Westendorf, Handbuch Medizin, 739 übersetzt mit „Ball von Ton“ (ohne Fragezeichen). In MedWb II, 1023 steht es bei den unleserlichen Wörtern.
5 ḥmꜣ.yt wꜣḏ.t: Wird mit einem Fleischdeterminativ (!) geschrieben. MedWb II, 601 weiß nicht, was es ist, und fragt sich, ob das Fleischdeterminativ ein Fehler für ein (Mineral)kügelchen oder ein Getreidekorn ist und die ḥmꜣ.yt-Pflanze gemeint ist. Breasted, Surgical Papyrus, 406 erkennt jedenfalls die unbekannte ḥmꜣ.yt-Frucht/Schote, die nochmals auf dem Verso des Papyrus Edwin Smith in einer Rezeptur genannt wird. Das Adjektiv wꜣḏ wird teils als „grün“ (Breasted; Ebbell; Sanchez & Meltzer), d.h. „jung“ oder „unreif“, teils als „frisch“ (d.h. gerade geerntet oder kühl gehalten; vgl. die Eigenschaft qb: „kühl“) (Grundriß IV/1; Westendorf 1966; Bardinet; Westendorf, Handbuch Medizin; Allen) übersetzt.

Fall 46: sḥr-Schwellung auf einer sꜥr-Verletzung (?) an der Brust

[15.20] (Titel:) Erfahrungswissen über eine sḥr-Schwellung1 auf2 einer ⟨s⟩ꜥr-Verletzung (?)3 an seiner Brust.4
(Untersuchung:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer sḥr-Schwellung auf einer sꜥr-Verletzung an seiner Brust untersuchst,
und du eine sehr große tḫb-Schwellung, die aufgeschwollen/erhoben ist, auf seiner Brust vorfindest,
wobei sie (d.h. die Schwellung) ölig glänzend (oder: klar) [16.1] wie Wasser unter deiner Hand ist;
sie (Plural!, d.h. die sḥr-Schwellungen)5 haben Sachen gebildet, ⟨deren⟩ Farbe/Färbung/Beschaffenheit nicht (?) funkelnd (?)6 ist,
(oder: sie (Plural!) haben Sachen mit bleicher (?) Farbe/Färbung (oder: feuchtkühler (?) Beschaffenheit) gebildet,)
(wobei) sich ihre (Plural!) Oberflächen (wörtl.: Gesichter) nicht gerötet haben (oder: nicht bläulich-rot werden);
(Diagnose:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einer sḥr-Schwellung auf einer ⟨s⟩ꜥr-Verletzung (?) an seiner Brust:
eine Krankheit, die ich behandeln werde mit kühlenden Mitteln gegen jene sḥr-Schwellung, die an seiner Brust ist.“

(Kühlmittel 1:) sẖ.t-Gerste (?)7, nṯr.t-Körner (eine Art Natron?)8, qsn.tj-Mineral (?):
(es) werde zerrieben, (es) werde damit/darüber verbunden.
(Kühlmittel 2:) dqw-Pulver von Kalzitalabaster, [16.5] qsn.tj-Mineral, (Mergel?)-Ton9 des Maurers/Töpfers, Wasser:10
(es) werde zerrieben, (es) werde damit/darüber verbunden.

1 sḥr: Dieses Leiden, das nur in Fall 46 von Papyrus Edwin Smith belegt ist, geht mit einer sehr großen tḫb-Schwellung, die aufgeschwollen/erhoben ist, einher (tḫb ꜥꜣ wr j:šw.y: Kol. 15.21) und wird als eine stark angeschwollene Sache (ḫ.t šf.w wr: Kol. 16.13) erklärt, muss daher eine Art von Schwellung bezeichnen. Das Wort ähnelt sowohl abgekürzt wie ausgeschrieben der Wurzel s:ḥri̯: „fern sein lassen“ > „entfernen, vertreiben“. Wb 4, 220.13 verzichtet auf eine Interpretation. MedWb II, 786 erwägt einen etymologischen Zusammenhang mit sḥri̯: „hochheben“, aber das Verb sḥri̯ bedeutet nicht spezifisch „hochheben“, sondern „entfernen; vertreiben; sich (zum Himmel oder in die Weite) entfernen“. Die sḥr-Schwellung ist weich/nachgiebig wie Wasser (gn mj mw) und enthällt Flüssigkeit/Wasser (mw), die bei der Behandlung abfließt. Aus diesen Gründen denkt Dr. Luckhardt, der medizinische Gewährsmann von Breasted, Surgical Papyrus, 407 und 413 an einen Abszess, genauer einen „tuberkulösen, sogenannten kalten Abszess“ (vgl. Bardinet, 516: „abcès-seher“; vgl. Nunn, Ancient Egyptian Medicine, 75–76, der von der Diagnose als „Abszess“ nicht überzeugt zu sein scheint). Allen, Art of Medicine, 101 übersetzt sḥr mit „blister“, Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 280–281 erklären sḥr als eine Epidermoid-Zyste. Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 677 übersetzt zwar mit „Abszess (?)“ (mit Fragezeichen!), erwägt aber auch einen vereiterten Bluterguss. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 69–70 erkennt in den Symptomen zuerst ein „Ödem“, aber entschließt sich dann für ein „traumatisches subkutanes Emphysem“. Stephan, Altägyptische Medizin, 2011, 149 lehnt „tuberkulöser, kalter Abszess“ ab, er neigt zunächst mehr zu einer Diagnose als „subkutanes Emphysem“, erwägt auch ein „Serom“ und entschließt sich am Ende zu keiner Diagnose.
2 tp: Hier stellt sich dasselbe Problem, wie bei bnw.t tp sqr in Fall 39. In beiden Fällen wird tp teilweise als das Substantiv „Kopf“, teilweise als die Präposition „auf“ verstanden. Die Phrase mw nb n.tj m sḥr-tp (Kol. 16.7) spricht dafür, dass tp das Wort für „Kopf“ sein muss, es sei denn, die Stelle ist fehlerhaft für sḥr tp ⟨ꜥr/sꜥr⟩ oder sḥr {tp} oder sḥr ⟨pf⟩ (so Grundriß, Westendorf); tatsächlich fehlt an allen Stellen ein Determinativ. Übersetzungen mit tp: „Kopf“ sind „an abscess with prominent head“ (Breasted, Surgical Papyrus, 407 und 413); „un abcès-seher dont la tête est rompue“ (Bardinet, Papyrus médicaux, 516); „a raised blister“ (Allen, Art of Medicine, 101); „a cyst (with) a head, which has arisen in his chest“ und „a cyst (with) a head stricken/inflicted(?) in his chest“ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 277, 278). Die grammatische Konstruktion ist in allen Fällen problematisch, weshalb tp eher die Präposition sein wird (ebenso Ebbell; Grundriß; Westendorf). In Fall 46, Glosse A (Kol. 16.2–3) wird sḥr tp sqr erklärt als ḫ.t šf.w wr ḥr jh n.tj m qꜣb.t=f: „Sachen, die stark angeschwollen sind wegen des jh-Leidens, das an seiner Brust ist“ (ḥr mit kausaler Bedeutung) oder „Sachen, die stark angeschwollen sind über dem jh-Leiden“ (ḥr mit lokaler Bedeutung). Die Verwendung der Präposition ḥr ist ein Argument, um auch in tp eine Präposition zu erkennen.
3 ꜥr bzw. sꜥr: Breasted, Surgical Papyrus, 413 betrachtet die zweimal belegte Schreibung mit ꜥr ohne Determinativ (Kol. 15.20 und 16.2) nicht als einen Fehler und hält einen Zusammenhang mit dem Verb jꜥr: „aufsteigen, heranreichen“ für wahrscheinlich (dieses Verb wird im pEdwin Smith sonst immer mit dem Weg determiniert). Deshalb übersetzt er mit „abscess with prominent head“. Die Schreibung sꜥr in Kol. 15.20 übersetzt er ebenfalls mit „elevated, prominent“, ohne das Messerdeterminativ zu thematisieren (Index, 559); sꜥr müsste dann auf die Wurzel s(j)ꜥr: „aufsteigen lassen; anheben“ zurückgehen. Das Messerdeterminativ steht in Kol. 15.20 bei sꜥr und in Kol. 16.13 bei sqr; dabei ist es in Kol. 15.20 über einem ausradierten Determinativ nachträglich hinzugefügt (Schmutzfleck und dünnere Strichführung). MedWb II, 721 trägt die Belege für ꜥr und sꜥr unter sꜥr ein, aber äußert sich nicht zu der Verletzungsart. Grundriß IV/1, 84 übersetzt neutral mit „sꜥr-Verletzung“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 84 (mit Anm. 2 auf S. 86) hat „eine (tiefreichende) Verletzung“, was auf einen Zusammenhang mit der Wurzel jśr/sjꜥr: „heranreichen“ und der Phrase wbn.w jśr n qs: „eine Wunde, die bis an den Knochen heranreicht“ hindeutet. Westendorf, Handbuch Medizin, 739 hat „eine tiefreichende Schlagverletzung“, wobei er also die Bedeutung des Verbs sqr aus der erklärenden Glosse übernimmt.
4 sḥr tp sꜥr: Das Krankheitsbild wird in Titel und Diagnose sḥr tp ⟨s⟩ꜥr, in der Untersuchung sḥr tp sꜥr und in der Glosse sḥr tp sqr genannt. Die Form mit ꜥr hat kein Determinativ, die Form mit sꜥr und sqr ist mit dem Messer determiniert.
5 jri̯.n=sn: Das Pronomen Plural hier und in ḥr.w=sn ist unerwartet. Eigentlich kann nur sḥr das Bezugswort sein, obwohl dieses ein Singular ist (vgl. Kol. 16.3: sḥr pf). In Glosse B (Kol. 16.14 und 16.15) steht erneut das Pronomen Plural. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 68 mit Anm. 1 fragt sich, ob sḥr und tḫb gemeinsam gemeint sind. Grundriß IV/2, 153, Anm. 4 zu Fall 46 vermutet, dass der Plural hervorgerufen wird durch die Tatsache, dass sḥr in Glosse A (Kol. 16.13) mit jḫ.t: „Sache/Sachen“ erläutert wird, das pluralisch determiniert ist. Man vergleiche Fall 39, Glosse A (Kol. 13.10–11), in dem der Singular bnw.t tp sqr erklärt wird als wnn jḫ.t pw šf.w sš ḥr qꜣb.t=f ... jri̯.n=sn ... jḫ.t dšr ḥr qꜣb.t=f: „(Was das/die bnw.t-Geschwür/Geschwulst angeht:) das bedeutet, dass es Sachen gibt, die aufgeschwollen sind und sich auf seiner Brust ausgebreitet haben ..., wobei sie ... rote Sachen auf seiner Brust gebildet haben.“ Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 86, Anm. 3 schreibt zum Pronomen Plural, das er auf die sḥr-Geschwulst bezieht: „Da die Anschwellung als ‚sehr groß‘ angegeben ist, bezeichnet das Wort ‚Geschwulst‘ hier vielleicht die betroffene Fläche als Ganzes, auf der sich Einzelerscheinungen gebildet haben.“ (in der Übersetzung von Westendorf steht „Anschwellung“ für tḫb und „Geschwulst“ für sḥr). Bei jrtjw=sn (Kol. 16.14), jmn=sn (Glosse B, Kol. 16.15) und ḥr.w=sn stellt sich die Frage, ob das Bezugswort von =sn das Wort jḫ.t oder sḥr ist.
6 nꜥbꜣ oder n ꜥbꜣ: Das Wort nꜥbꜣ oder n ꜥbꜣ hat in Kol. 16.2 kein Determinativ, in Kol. 16.14 ist es das ꜥbꜣ-Szepter. Es gibt zwei Probleme: Entweder liest man nꜥbꜣ in einem Wort oder es sind zwei Wörter. Im zweiten Fall stellt sich die Frage, was n ist: ein Negations-n, ein Genitiv-n oder die Präposition n (es ist an beiden Stellen mit der Wasserwelle, nicht mit den negativen Armen geschrieben). Breasted, Surgical Papyrus, 414 liest nꜥbꜣ, er versteht es als ein Substantiv und übersetzt mit „clamminess“, d.h. „Feuchtigkeit, Klammheit, feuchtkalte Klebrigkeit“ (auf S. 408 auch mit „pallor“, d.h. „Blässe“), weil es seiner Meinung nach in Glosse B (Kol. 16.15) tm nbjbj: „nicht glühen“ entspricht. Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 68 übernimmt „bleich (?), Bleichheit (?)“. Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 677 hat „kühle Feuchtigkeit“. Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 279 neigt ebenfalls zur Lesung nꜥbꜣ und entscheidet sich für eine Übersetzung „shiny, shininess“, was laut Meltzer Breasteds „clamminess“ im Sinne von „moist with perspiration“ entspricht; allerdings ist „shiny“ natürlich von der Bedeutung her zuerst mit „(weiß) leuchten, glänzen“ und nicht mit „feucht, schweißüberströmt sein“ verbunden (nur indirekt: „glänzen vor Feuchtigkeit/Schweiß“). Die Übersetzungen sind dann: „they produce some clamminess of the surface“ (Breasted); „sie haben etwas bleich (?) gefärbtes erzeugt“ (Ebbell); „qui a produit des éléments de couleur claire“ (Bardinet); „they have made something clammy of aspect“ (Allen); „they having made something clammy/shiny(?) of nature/coloring/surface appearance“ (Sanchez/Meltzer). Die grammatische Konstruktion ist für Breasted, Surgical Papyrus, 143 ein direkter Genitiv jḫ.t nꜥbꜣ gefolgt von einem weiteren direkten (Kol. 16.2) bzw. einem indirekten Genitiv (Kol. 16.14) mit dem Substantiv nꜥbꜣ als erstem Glied. Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 279 äußert sich nicht zur Konstruktion.
Die Existenz eines vierradikaligen Wortes nꜥbꜣ oder eines mit dem Präfix n- gebildeten Wortes ist fraglich. Grundriß IV/2, 153, Anm. 6 zu Fall 46 und MedWb I, 137 nehmen das Negationsverb tm als Anlass, auch in dem n vor ꜥbꜣ eine Negation zu erkennen und in zwei Wörter n und ꜥbꜣ aufzuspalten; dabei ist ꜥbꜣ ein Verb in der negativen n sḏm=f-Konstruktion. Die Parallele mit nbjbj, das mit dem Verb nbi̯: „brennen“ zusammenhängt, spricht dann für das Verb ꜥbꜣ: „leuchten, funkeln“. In der Glosse steht n ꜥbꜣ.n jrtjw=sn, mit einer n sḏm.n=f-Konstruktion und Westendorf, Grammatik, 170, § 237 und 253, § 344 vermutet, dass auch bei n ꜥbꜣ eigentlich n ꜥbꜣ⟨.n⟩ zu lesen ist (mit Zusammenfall der lautverwandten Konsonanten und n). Grundriß IV/2, 154, Anm. 20 zu Fall 46 und Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 86, Anm. 4 und 87, Anm. 17 übersetzen ꜥbꜣ an dieser Stelle mit „glühen“ (als Farberscheinung, ohne Hitzeausstrahlung) und „funkeln“. Hannig, HWB, kennt kein Lemma nꜥbꜣ und erwähnt unter ꜥbꜣ (S. 148) das Funkeln oder Leuchten einer Geschwulst, d.h. er ordnet die Edwin Smith Stellen unter ꜥbꜣ ein.
7 sẖ.t: Die Identifikation von sẖ.t als eine Art von Gerste beruht auf der Tatsache, dass Töpfe aus einem Grab der Qubbet el-Hawa in Assuan mit der Aufschrift sẖ.t Gerste enthielten (Germer, Handbuch Heilpflanzen, 122).
8 nṯr.t: Breasted, Surgical Papyrus, 412 sagt, dass es eine nicht-identifizierte Droge ist. Er vermutet, dass es vielleicht eine Bereitung von Natron ist (Natron = nṯr.j). Ebenso sagt DrogWb 319. Lefebvre, Médecine égyptienne, 162, Anm. 9 zu nṯr.yt: „probablement quelque ingrédient à base de natron“. Harris, Minerals, 194 folgt der Ableitung von nṯrj: „Natron“ und glaubt an die Definition als „a species of natron or something prepared from it“. Hannig, HWB, 471: „e. Mineral (*Varietät od. Nebenprodukt des Natrons)“.
9 dbn: Breasted, Surgical Papyrus, 412 übersetzt mit „mortar“, ohne dies weiter zu begründen. Weil in der Lehre des Cheti vom Töpfer gesagt wird, dass seine Kleidung steif (nḫt) vor dbn ist, nimmt Harris an, dass dbn Lehm/Ton oder Tonschlicker („clay or slip“) und nicht „mortar“ sein muss (Harris, Minerals, 207). Holthoer, New Kingdom Pharaonic Sites. The Pottery (Scandinavian Joint Expedition to Sudanese Nubia, 5.1), Lund 1977, 40 fragt sich, ob es ein Produkt zum Magern des Tons ist und entscheidet sich dann für „trockner Ton“. Westendorf, Handbuch Medizin, 510 hat „Mergelton“ mit Verweis auf Dorothea Arnold, in: LÄ III, 395 (Arnold betrachtet ꜣḥ.t oder qꜣḥ als Nilton und dbn als Mergelton; sjn ist frischer Ton, mit dem Bierkrüge ausgeschmiert wurden; sie äußert sich nicht zu den übrigen Tonbezeichnungen ꜥmꜥm.t, jwtn und sjn).
10 Zur möglichen pharmazeutischen Wirkung dieses Kühlmittels siehe Sanchez, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 281.

(2. Untersuchung und Behandlungsvorgabe:) Wenn aber (?) diese kühlenden Mittel abgewiesen11 werden (oder: Wenn es Widerstand (?) gegen (?) diese kühlenden Mittel gibt; oder: Wenn diese kühlenden Mittel daran (d.h. an die Brust?) angebracht (?; wörtl.: angenähert) sind),
dann wirst du daraufhin jene Heilmittel überwachen (?; oder: aufbewahren?, zurückhalten?)12, bis / sodass alle Flüssigkeit (wörtl.: Wasser), die in ⟨dieser⟩ sḥr-Schwellung {auf} (oder: in der sḥr-Schwellung auf ⟨der sꜥr-Verletzung⟩)13 ist, abläuft/hinunterläuft.
(2. Behandlung:) Du sollst ihn mit einer Wundversorgung versorgen/pflegen
(und / d.h.) mit Mitteln zum Entziehen der srf-Hitze aus der Öffnung der Wunde in seiner Brust.

(Kühlmittel 1:) Blätter der Dornakazie, Blätter der Sykomore, Wasser:
⟨(es) werde damit/darüber verbunden.⟩
(Kühlmittel 2:) Blätter des jmꜣ-Baumes, bnf-Galle des Rindes, ḥnj-tꜣ-Pflanze (ḥnj-Binse? des festen/trockenen Bodens?):
(es) werde damit/darüber verbunden.14
Dann bereitest du daraufhin für ihn ein Austrocknungsmittel [16.10] ⟨der / für die Wunde⟩15 an seiner Brust zu:
(Austrocknungsmittel 1:) (grüne) Fritte von Malachit, Johannisbrotfrucht, Terpentin (wörtl.: Fett) der Konifere, Öl/Fett:
⟨(es) werde damit/darüber verbunden.⟩
(Austrocknungsmittel 2:) Unterägyptisches Salz, Fett des Steinbocks:
(es) werde damit/darüber verbunden.16
Dann bereitest du daraufhin für ihn ein Pulver/Puder zu:

Samen/Körner der špn-Pflanze, (rote) dšr-Körner/Samen, ⟨Blätter der⟩17 Sykomore:
(es) werde zerrieben, (es) werde darauf gelegt.

11 ḫsf: Breasted, Surgical Papyrus, 555 versteht ḫsf als das Substantiv „resistance“ und scheint anschließend das s zu tilgen: jr ḫsf r{=s} nn{t} zp.w qb.w: „if there is resistance to these cooling applications“ (gefolgt von Bardinet, Allen). Eine weitere Möglichkeit ist r=s als Partikel aufzufassen (man erwartet jedoch r=f) und ḫsf als Verbum Passiv zu verstehen (so vielleicht Allen). Meltzer, in: Sanchez/Meltzer erwägt noch „if these cooling medications contend against it (?)“; dann kann =s sich nur auf qꜣb.t beziehen (eine allergische Reaktion?), denn die kühlenden Mittel werden sich nicht der Behandlung widersetzen. Grundriß IV/1, 198 und MedWb II, 668 versteht ḫsf nicht als konfrontatives/adversatives „abwehren, zurückweisen“, sondern als positives „entgegengehen, (sich) nähern“ und übersetzt mit „Wenn diese Kühlmittel daran angenähert werden“ (Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 85: „Wenn diese Kühl-Mittel daran angebracht sind“).
12 zꜣw: bedeutet zuerst „bewachen“, dann auch „aufbewahren“, „abwehren“ und „sich hüten, vermeiden“. Breasted, Surgical Papyrus, 410 übersetzt mit „to avoid“; Ebbell: „in Acht nehmen“; Grundriß IV/1, 198: „behutsam umgehen“; Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 85: „zurückhalten“; Westendorf, Handbuch Medizin, 740: „warten“; Allen, 103: „delay“.
13 sḥr {tp}: Laut Westendorf, Handbuch Medizin, 75, § 113 ist tp „offensichtlich ein Fehler für pf“, wie es richtig in Kol. 16.3–4 steht: zp.w qꜣb.w r sḥr pf n.tj m qꜣb.t=f. Ansonsten müsste man tp tilgen oder ⟨sꜥr⟩ ergänzen.
14 Grundriß IV/1, 198 und IV/2, 154, Anm. 12 zu Fall 46 meint, dass hier eigentlich zwei Kühlmittel vorliegen, so wie auch zuvor zwei Kühlmittel und ebenso in Fall 41 jeweils zwei Mittel genannt wurden. Das erste Kühlmittel enthält Blätter der Dornakazie, Blätter der Sykomore und Wasser; dann ist „(es) werde damit/darüber verbunden“ ausgefallen. Mit „Blätter der Dattelpalme“ setzt das zweite Kühlmittel ein. Dies würde die Position von „Wasser“ inmitten von Pflanzenblättern erklären. Die Textstelle wird ähnlich aufgefasst von Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 85; Westendorf, Handbuch Medizin, 740; Bardinet, Papyrus médicaux, 516.
Zur möglichen pharmazeutischen Wirkung dieses Kühlmittels, siehe Sanchez, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 282.
15 s(w)šr.w ⟨n wbnw⟩: Weil das Determinativ von s(w)šr und die abgekürzte Schreibung von wbn.w beide die Strahlensonne sind, ist das Wort wbn.w ausgefallen (so Grundriß IV/1; Westendorf; Bardinet; Sanchez/Meltzer).
16 ⟨wt ḥr=s⟩: in Fall 41 fängt mit ḥmꜣ.t mḥ.t ein zweites Austrocknungsmittel an. Diese Ergänzung erklärt, weshalb nach Terpentin und Öl/Fett erneut ein Mineral genannt wird (so Grundriß IV/1; Westendorf; Bardinet).
17 ⟨ḏrḏ⟩ nh.t: Siehe für die Ergänzung das Rezept in Fall 41 (Kol. 14.6–7), das ebenfalls ein Puder ist und neben špnn und dšr noch ns-š und ḏꜣr.t enthält.

(Glosse A:) Was (die Textstelle) „eine sḥr-Schwellung auf einer Schlagverletzung an seiner Brust“ angeht:
das bedeutet, dass es Sachen gibt, die stark angeschwollen (oder: angeschwollen und groß) sind wegen des jh-Leidens, das an seiner Brust ist,
(wobei sie) weich/nachgiebig wie Wasser unter ⟨deiner⟩18 Hand sind.

18 ḏr.t=⟨k⟩: Ergänzung durch Grundriß, Westendorf, Bardinet; vgl. bꜣq mj mw ẖr ḏr.t=k im gleichen Fall 46 (Kol. 16.1). Die übrigen Bearbeitungen verzichten auf das Possessivpronomen.

(Glosse B:) Was (die Textstelle) „ihre (Plural!) Farbe/Färbung/Beschaffenheit funkelt (?) nicht (?)“ (oder: „die Bleichheit/Klammheit (?) ihrer (Plural!) Farbe/Färbung/Beschaffenheit“) angeht:
[16.15] das bedeutet, dass ihre (Plural!) Haut nicht glüht/glänzt19.

19 nbjbj ist ein Hapax legomenon und wird mit dem Feuertopf determiniert. Breasted, Surgical Papyrus, 414 erkennt eine Ableitung des Verbs nbj: „to burn, be hot“ (Wb 2, 244.3: „brennen, in Brand sein“; MedWb I, 456: „brennen, heiß sein“) und übersetzt nbjbj ebenfalls mit „to be hot“. Wb 2, 245.3 äußert sich nicht zu einer Übersetzung „Verbum (von der Haut des kranken Körpers)“. Grundriß IV/1, 198 hat „glühen“; Grundriß IV/2, 154, Anm. 20 zu Fall 46 schreibt dazu: „glühen‘ als Farberscheinung, nicht als Hitze zu deuten, die nach dem Text nicht vorhanden ist.“ Dagegen hat MedWb I, 456 „glühen“ mit der Beobachtung „Hier Beschreibung einer Farb-Beschaffenheit (da Hitze in der Geschwulst vorhanden ist)“. Tatsächlich ist im Text die Rede von „kühlenden Mitteln“ und von „Mitteln zum Herausziehen der srf-Hitze“ aus einem Geschwulst. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 86, Anm. 4 schreibt zu ꜥbꜣ: „Es mag wohl mehr die Farbe als die Temperatur gemeint sein“ und zu nbjbj: 87, Anm. 17: „Das Wort hängt mit dem Terminus für ‚Gold schmelzen‘ zusammen“. Allerdings sind Schreibungen des Verbs nbi̯/nbj und des Substantivs nbj.t: „Flamme“ kaum je mit der Goldhieroglyphe geschrieben.

(Glosse C:) Was (die Textstelle) „es gibt keine Rötung darauf“ angeht:
das bedeutet, dass es keine Sache darauf gibt, die rot ist.

Fall 47: Klaffende Wunde an der Achsel

(Titel:)1 Erfahrungswissen über eine klaffende Wunde in/an seiner Achsel/Achselhöhle2.
(Untersuchung 1:) Wenn du einen Mann (d.h. Patienten) mit einer klaffenden Wunde an seiner Achsel untersuchst
– aufgeworfen3 ist sein (des Patienten oder der Wunde) Hautgewebe
(und) auseinandergetrennt sind seine (der Wunde?) Seiten4 –,
wobei er (der Patient) an st.t-Schleimstoffen in seinem Schulterblatt leidet,
{dann musst du folglich sagen: „seine Wunde ⟨...⟩n“} ⟨dann musst du folglich⟩ seine Wunde ⟨(durch Abtasten) erforschen/absuchen⟩5;
(und) wenn du ihre (der Wunde) Klaffungen6 auseinandergezogen(?) vorfindest,
(wobei/nachdem) ihre (der Wunde) Seiten an/aus (?) seiner Wunde abgewendet (?)7 worden sind,
wie wenn ꜥꜣ.t-Leinen8 entrollt (?)9 wird
– es fällt ihm aufgrund dessen schwer, [16.20] seinen Arm hochzuheben (wörtl.: es ist schwer/schwierig, dass er seinen Arm hochhebt wegen es) –,
dann musst du folglich für ihn seine/ihre (des Mannes oder der Wunde) Klaffungen durch Nähen/Näharbeit (oder: mit einem Faden?) zusammenfassen/festhalten.
(Diagnose 1:) Daraufhin sagst du über ihn:
[17.1] „Einer mit einer klaffenden Wunde an seiner Achsel
– aufgeworfen ist sein/ihr (des Patienten oder der Wunde) Hautgewebe
(und) auseinandergetrennt sind seine/ihre (der Wunde?) Seiten –,
wobei er (der Patient) an st.t-Schleimstoffen in seinem Schulterblatt leidet:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“

(Behandlung 1:) Dann musst du sie/ihn (d.h. die Wunde oder den Patienten) folglich am ersten Tag über (oder: zusammen mit) frischem Fleisch verbinden.

1 Der Aufbau dieses Falles ist sehr kompliziert. Für Breasted, Surgical Papyrus, 415–416 werden zwei Situationen beschrieben, einmal ohne Entzündung der Wunde, einmal mit Entzündung und Fieber. In der ersten Situation finden zwei Untersuchungen und zwei Behandlungen statt, in der zweiten Situation drei Untersuchungen und zwei Behandlungen. Aus den Überschriften zur Übersetzung von Allen, Art of Medicine, 103–105 geht hervor, dass er dieselben zwei Situationen wie Breasted erkennt, aber in beiden Fällen findet jeweils nur eine Untersuchung, eine Diagnose und eine Behandlung statt (ähnlich wahrscheinlich Westendorf, Handbuch Medizin, 740–741, der keine Zwischenüberschriften verwendet). Meyerhof, in: Deutsche Zeitschrift für Chirurgie 231, 1931, 678 erkennt nach der normalen Wundbehandlung vier Verlaufsarten (Lockerung der Wundnaht; Entzündung; Kontinuierliches Fieber; Fieberabfall). Für Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 286–292 gibt es ebenfalls vier verschiedene Verlaufsarten/Situationen (normale Wundbehandlung; Wiederaufgehen der Wundnaht; Infektion; Besserung nach Infektion) für diese Verletzung, die sie seitlich und rückwärts am Brustkorb unterhalb der Achselhöhle verorten („posterior lateral torso musculature slash wound“). Stephan, Altägyptische Medizin, 151 erkennt drei Phasen in der Verletzung, die er „auf der Schulter“ lokalisieren möchte: normale Wundbehandlung und Wundbehandlung bei aufgeganger Naht; Wundinfektion; Sepsis mit abwartender Therapie bzw. mit spontaner Besserung. Chapman, in: JARCE 50, 2014, 74, Anm. 31 nennt den normalen Verlauf und zwei alternative Diagnosen (Wundinfektion und Sepsis).
2 ḥṯṯ.t: Breasted, Surgical Papyrus, 417 folgt einer Deutung von ḥṯṯ.t, die er auf E. Dévaud zurückführt, als „shoulder“ und verweist auf das Verb ḥṯṯ in PT 2171.b mit einem Determinativ des Arms mit dem hakenförmigen Schulterblatt, das er als „to carry on the shoulder“ übersetzt. Auch Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 28, § 30 versteht ḥṯṯ.t mit Breasted als „épaule“. Allen, Art of Medicine, 103 übersetzt mit „shoulder blade area“ und spricht von einer Wunde „above the shoulder blade“. Dévaud, in: RecTrav 39, 1921, 161–163 ist sich der ursprünglichen Bedeutung jedoch nicht sicher: „soit l’épaule, soit l’aisselle, soit même le haut du bras, cf. le latin ala. Le sens ‚aisselle‘, peut-être à la faveur de la création d’un mot pour ‚épaule‘, aurait finalement prévalu.“ Wb 3, 204.15–17 hat sowohl „Achsel“ als auch „Schulter“. Neben „Achsel“ allgemein wird konkret für die „Achselhöhle (unter dem Arm)“ in Wb 3, 204.16 auf Zaubersprüche für Mutter und Kind (Spruch E, Kol. 3.6) verwiesen (DZA 27.548.850): schöne Frauen haben Myrrhe auf den Haaren und frischen Weihrauch an den ḥṯṯ.t gelegt bekommen. Den Grund dafür findet man bei Grapow, Anatomie und Physiologie, 50: Weil die Achselhöhle Schweiß absondert (und dadurch Geruchsbelästigung verursacht, der vom Weihrauch neutralisiert wird), wird mit ḥṯṯ.t hier nicht der Bereich von Schulterblatt und Schlüsselbein (genauer: der Bereich zwischen Schulter und Brustwand) gemeint sein, sondern konkret die Achselhöhle dieser Frauen. In MedWb II, 640 steht ausschließlich die Bedeutung „Achsel“. Caminos, Literary Fragments, 15, Anm. 1 bestätigt die Bedeutung „armpit“ mit Verweis auf pChester Beatty III, Rto, Kol. 11.3, wo in einer stark beschädigten Passage mit der Beschreibung eines Anhängers von Seth šny n.j ḥṯṯ.t: „Haare der ḥṯṯ.t“ steht, was nur zu „Achselhöhle“ und nicht zu „Schulter“ passt. Auch Lacau, Noms des parties du corps, 106–107, § 276–278 erkennt „aisselle“; ebenso Weeks, Anatomical Knowledge, 48 und Walker, Anatomical Terminology, 273. Angenommen wird, dass sich ḥṯṯ.t in Koptisch ϫo (S) und ⲁϭⲟ (B), Arabisch ʾibṭ: „Achsel“ fortsetzt: Dévaud, in: RecTrav 39, 1921, 161–163; Černý, CED, 309; Westendorf, KHWB, 412; Osing, NB, II, 596, Anm. 540. Für die Bedeutung „Achselhöhle“ vgl. auch ḥṯṯ.t: „Mastschuh“ als Schiffsteil (Dürring, Materialien zum Schiffbau, 71).
Für das entsprechende Verb ḥṯṯ, das in Wb 3, 204.14 als „jem. hochheben“ übersetzt wird, gibt Caminos, Literary Fragments, 15, Anm. 1 die Bedeutung „to carry (something) under one’s arm“ an (daher: Hannig, HWB, 616: „tragen (unter dem Arm)“. Dies lehnt Osing, NB, 596, Anm. 540 ab, weil Nut in PT 2171.b dem König im vorherigen Satz ihre Arme gibt (rḏi̯ ꜥ.w), sodass hier seiner Meinung nach nur „hochheben, tragen“ zutreffen kann; dieses Gegenargument ist jedoch nicht unbedingt stichhaltig.
3 ḫꜣꜥ: Das Verb bedeutet „werfen, wegwerfen; legen, zurücklassen, verlassen“. Unklar ist, welche Situation in Zusammenhang mit ḥꜥw beschrieben wird. Breasted, Surgical Papyrus, 417 übersetzt mit „its flesh being laid back“. Ebbell, 70 hat „ihr Fleisch nach außen herausgewälzet“. Grundriß IV/1, 198 hat „aufgeworfen ist ihr (der Wunde) Fleisch“. Bei Bardinet, Papyrus médicaux, 516 findet man „alors que son (= de la plaie) revêtement externe est déchiqueté (littéralement: «rejeté»)“. Allen, Art of Medicine, 103 hat „whose flesh has been removed“. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 286: „whose flesh has been laid back / flayed open“. Wb 3, 228.22 und Hannig, HWB, 625 geben für ḫꜣꜥ in medizinischem Zusammenhang: „aufgeworfen sein, bloß liegen (Fleisch bei Wunde)“.
4 šw.t: ist mit 3 Punkten (Kol. 16.17) bzw. mit drei Pluralstrichen (Kol. 16.19, 17.1 und 17.6) geschrieben, was möglicherweise auf einen Plural hinweist. Mit einem Plural übersetzen Breasted, Ebbell, Grundriß, Allen, wobei Breasted, Surgical Papyrus, 418 es sinngemäß als einen Dual versteht. Bei Bardinet findet man die Wiedergabe mit einem Dual, Sanchez/Meltzer haben einen Singular. In einer parallelen Passage in pEbers (Eb 436, Kol. 64.12) steht gmm=k sw ḫꜣꜥ jwf=f wḏꜥ šw.tj=fj mit šw.t im Dual. Die meisten Bearbeiter beziehen šw.wt auf die Seiten der Wunde (explizit Ebbell), was zur Parallele in pEbers passt (die Seiten der Wunde sind sonst sp.tj: „Lippen, Ränder“). Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 286 haben dagegen „the side of whose rib cage has been severed“, was impliziert, dass =f sich auf den Patienten bezieht und dass šw.t ein Singular sein muss.
5 ḏd: wird schon von Breasted, Surgical Papyrus, 419 zu ḏꜥr verbessert. Der Schreiber hat selber gemerkt, dass er ḫr vergessen hat, und dieses dann nachgetragen, dabei aber die Korrektur zu ḏꜥr übersehen. Westendorf, Grammatik, 31, § 47.4 bzw. Westendorf, Handbuch Medizin, 740, Anm. 76 vermutet als Ursache des Fehlers eine ähnlich lautende Aussprache von ḏd und ḏꜥr: vgl. ϫⲉ und ϫⲱ oder ϫⲟⲟ=.
6 kf.wt: Ist dies ein Plural, ein Kollektiv oder ein Abstraktum? jptf in Kol. 9.17 spricht für einen Plural. Breasted, Surgical Papyrus, 417 übersetzt die Stelle 16.19 mit dem Singular „gash“ (aber vgl. S. 421: Breasted erklärt den Plural als die beiden Seiten der Klaffung), ebenso Allen, Art of Medicine, 103: „gap“.
7 fr.w: Breasted emendiert zu sꜣ.tj r fw mit einer Vertauschung der phonetischen Zeichen, weil sꜣt mit der Präposition r verwendet wird, und er setzt ein unbekanntes Substantiv fw an, ohne dafür eine Übersetzung zu liefern. Grundriß IV/1, 198 und IV/2, 154, Anm. 2 zu Fall 47 fragt sich, ob statt fr.w nicht ft.w zu lesen ist, das in Wb 1, 580.12 in der Wendung ft jb als krankhafter Zustand in medizinischen Texten belegt ist (= Eb 855f, eingetragen unter ft: „sich ekeln, überdrüssig werden“). Dieses Verb ft wird in Grundriß IV/1 als „abgewendet(?)“ übersetzt; ebenso MedWb I, 308: „sich abwenden o.ä.“ Die Kombination von ft mit m wbn.w wird dabei teils als „indem ihre Seiten abgewendet sind an seiner Verletzung“ und teils als „indem ihre Seiten abgewendet sind von seiner Wunde“ verstanden (Westendorf, Grammatik, 52, § 84.10 mit Anm. 2). Bardinet, Papyrus médicaux, 516 hat dagegen „s’enrouler“ und Allen, Art of Medicine, 103: „pushed away“. Meltzer, in: Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 288 kennt den Lesungsvorschlag ft vom Grundriß nicht und fragt sich, ob fr mit fn: „to be weak, faint“ zusammenhängt, was ihn zu der Übersetzung „so that he is weak/faint(?)“ führt.
8 ꜥꜣ.t: Breasted, Surgical Papyrus, 419 übersetzt mit „roll of linen“ und schreibt, dass es ein sehr altes Wort ist, das schon in der 3. Dynastie in der Mastaba von Hesire belegt ist. In Wb 1, 166.6 wird es nur „Art Leinen“ genannt, das noch Koptisch als ⲉⲓⲁⲁⲩ (S) und ⲓⲁⲩ (B) (ein Maskulinum!), Arabisch katan: „Leinen“ belegt ist. MedWb I, 129 spezifiziert nicht weiter als ein generisches „[Leinenstoff]“ und schreibt, dass es als Verbands-Stoff und im Sinne von „Stoffballen“ (pEdwin Smith, Fall 47) verwendet wird. Der Verweis von Breasted auf Hesire bezieht sich auf das maskuline Wort (j)ꜥꜣ.w, das schon in der 2. Dynastie belegt ist und eine Stoffqualität bezeichnet (Edel, in: ZÄS 102, 1975, 13–17; Kahl, Frühägyptisches Wörterbuch, 14; Scheele, Die Stofflisten des Alten Reiches, MENES 2, Wiesbaden 2005, 16–18). Wie sich das ältere (j)ꜥꜣ.w zum jüngeren (j)ꜥꜣ.t verhält, ist unklar. Für Osing, NB, 426, Anm. 96 sind beide gleichbedeutend. Dass ꜥꜣ.t/ꜥꜣ.w die Form eines Stoffballens haben sollte, wird nur aus dieser unklaren Stelle des pEdwin Smith abgeleitet.
9 nfnfn: Hapax legomenon (Wb 2, 252.11: ohne Übersetzung). Kommt nur an dieser Stelle im pEdwin Smith vor. Breasted, Surgical Papyrus, 419 vermutet als Bedeutung „entrollen“ wegen des Zusammenhangs (vgl. die Verben ḫꜣꜥ und sꜣt) und des Determinativs der Schnur (V1). Ähnlich steht in MedWb I, 459 „entrollen“. Die Übersetzung „aufwickeln“ in Westendorf, Grammatik, 317, Anm. 1 ist zweifellos ein Versehen, denn Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 87 und Westendorf, Handbuch Medizin, 740 haben „entrollen“.

(Untersuchung 2:) Wenn du jene Wunde aufgegangen/offenstehend vorfindest,
indem ihre Naht sich gelockert/gelöst hat,
(Behandlung 2:) dann fasst du ⟨daraufhin⟩ für ihn (den Mann) seine/ihre (der Wunde?) Klaffungen mit einem ꜣj.wj-Doppelverband/Kreuzverband (?) aus Leinenstoff zusammen, ⟨die gelegt werden/sind (?)⟩ auf/über jene Klaffungen.
Du sollst ihn (den Mann) danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, [17.5] Honig und Faserbausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.
Wenn du eine Wunde vorfindest, (indem) ihr (d.h. der Wunde) Hautgewebe aufgeworfen10 ist und ihre Seiten auseinandergetrennt sind, in irgendeinem (anderen) Körperteil eines Mannes,
dann sollst du ihn (d.h. den Mann) gemäß diesen Wissenserfahrungen/Informationen/Lehrtexten untersuchen
11.

10 ḫꜣꜥ: ist hier mit einer Muschel (Gardiner L6, Lautwert ḫꜣ) und dem Arm abgekürzt. Die Transkription in Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 286 und 289 wbnw-⟨n⟩-qrḏn scheint dies falsch verstanden zu haben; qrḏn ist ein kupfernes/bronzenes Tullenbeil (mit dem Zeichen N34), aber das bei ḫꜣꜥ vorliegende Zeichen ist kein „blade“.
11 ḫꜣi̯: Dieselbe Phrase ⸮ḫꜣi̯?=k sw ḫft šsꜣ.w jpn steht in den Fällen 41 (Kol. 14.7), 45 (Kol. 15.16) und 47 (Kol. 17.6). In Fall 41 wird das Verb mit dem normalen Arm (D36) geschrieben, in Fall 45 mit dem schlagenden Arm (D40) und in Fall 47 ist das Verb als ḫꜣi̯: „untersuchen“ ausgeschrieben. MedWb. II, hat alle drei Stellen unter dem Verb ḫꜣi̯ aufgelistet und Grundriß IV/1 übersetzt alle drei Stellen auch mit „untersuchen“, fragt sich aber (Grundriß IV/1, 199 mit IV/2, 154, Anm. 6), ob die ausgeschriebene Version von Fall 47 keine falsche Komplementierung einer abgekürzten Schreibung mit dem schlagenden Arm ist und in Wirklichkeit srwḫ: „behandeln“ zu lesen sei. Westendorf, Handbuch Medizin, 741 nimmt dies als wahrscheinlich an und übersetzt die drei Stellen mit „behandeln“. Breasted, Surgical Papyrus 99 erkennt in den Fällen 41 und 45 eine abgekürzte Schreibung des Verbs srwḫ, in Fall 47 bleibt er bei dem Verb ḫꜣi̯. Meltzer (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 252) liest in Fall 41 ebenfalls srwḫ, in Fall 45 hingegen ḫꜣi̯ (Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 270). Allen, Art of Medicine, 99 übersetzt Fall 41 mit „give“ und erkennt demzufolge das Verb rḏi̯. In Fall 45 übersetzt er mit „to treat“ (Allen, Art of Medicine, 101; Allen übersetzt sonst sowohl srwḫ als auch ḫꜣi̯ mit „to treat“), während in Fall 47 „to evaluate“ für ḫꜣi̯ steht (Allen, Art of Medicine, 105). Das Standardformular der Fälle mit šsꜣw + Krankheitsbezeichnung im Titel, gefolgt von jr ḫꜣi̯=k z + Krankheitsbezeichnung in der Untersuchung spricht dafür, dass auch hier dreimal ḫꜣi̯ zu lesen ist. Dabei steht ḫꜣi̯ in diesen Fällen nicht ausschließlich für die Untersuchungsphase, sondern steht pars pro toto für die ganze medizinische Prozedur, einschließlich der Therapie.

(Untersuchung 3:) Aber wenn du jene Wunde vorfindest,
indem/nachdem sein/ihr (des Patienten oder der Wunde) Hautgewebe srf-Hitze entwickelt (wörtl.: ergriffen) hat aufgrund jener Wunde, die an seiner Achsel ist,
und jene Wunde außerdem nsr-entflammt (d.h. entzündet?) und
aufgegangen/offenstehend ist,
indem ihre Naht sich gelockert/gelöst hat,
dann legst du daraufhin deine Hand auf sie (die Wunde);
(und) wenn du eine srf-Hitze vorfindest, die (wörtl.: indem sie) aus der Öffnung seiner Wunde gegen deine Hand herausströmt,
– die Menge/Ansammlung (an Flüssigkeit), [17.10] die davon/daraus (ständig) hinunterläuft, ist kühl wie Rosinen-/Weintraubenwasser12 –,13
(Diagnose 3:) Dann sagst du daraufhin über ihn:
„Einer mit einer klaffenden Wunde an seiner Achsel,
die sich als nsr-enflammt (d.h. entzündet?) herausstellt,
(wobei) ihm (dem Patienten) aufgrund dessen (ständig) heiß ist (Fieber?):
eine Krankheit, mit der ich kämpfen werde.“

12 wnšj: wird von Stern im Glossar zum Ebers-Papyrus (S. 56) noch als „grana quaedam“ beschrieben und dann von Brugsch, Wb V, 322 als „Beere“, insbesondere „Weinbeere“ identifiziert, weil es in griechisch-römischen Texten parallel zu jrp: „Wein“ verwendet wird. Chassinat, Papyrus médical copte, 1921, 248–255: „un des noms du Raisin en général ou celui des fruits d’une espèce particulière de Vigne“, zumindest in der griechisch-römischen Zeit. Keimer, Gartenpflanzen I, 1924, 41 und 159: „Beeren oder Früchte, aus denen man Wein bereitet, wahrscheinlich die Weintraube selbst“ bzw. „eine essbare Frucht, Beere, in der Spätzeit sicher für Wein, Weintraube, Weinbeere gebraucht“. Wb I, 325. 5–7 beschränkt sich auf „eine essbare Frucht“ und gibt erst für die griechisch-römische Zeit die Bezeichung „Weintraube“ an. Breasted, Surgical Papyrus, 422 lässt die Identifikation ebenfalls offen. DrogWb 136–137 nennt sie „Weinbeere“ oder „Rosine“, d.h. die getrocknete Weintraube. MedWb I, 195 spricht von „Rosinen“. Die Übersetzung „Rosine“ findet sich bei Ebbell, Papyrus Ebers, 132 mit Fragezeichen (!), bei Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 70 ohne Fragezeichen, beide Male ohne weitere Begründung. Sie ist seitdem akzeptiert (z.B. Germer, Handbuch Heilpflanzen, 54–55), aber der Nachweis des Getrocknetseins steht aus (vielleicht wird wnš nur als „Rosine“ übersetzt zur Abgrenzung von jꜣrr.t: „Weintraube“). Die Formulierung mw n.j wnšj könnte sogar dagegen sprechen. Für Meeks, in: Amouretti/Brun, La production du vin et de l’huile en Méditerranée (BCH Suppl. 26), 1993, 17 ist „Rosine“ auf äg. jꜣrr.t šw, während für wnšj gilt: „Il est maintenant pratiquement assuré qu’il s’agit d’une variété aux grains plus petits et moins sombres que le raisin habituel“. Laut Meeks verbirgt sich hinter der wnšj-Traube das Wort des wnš-Tieres, das er als „le loup“ übersetzt.
Schon früh verworfen ist eine Deutung von Loret als Koriander (Coriandrum sativum), der wnšj in Koptisch ⲃⲣⲉϣⲏⲩ (S), ⲃⲉⲣϣⲏⲟⲩ (B): „Koriander“ (Crum, CD, 44a) wiederzuerkennen meinte, was phonetisch sehr problematisch ist (Loret, Flore, 2. Aufl., 1892, 72, Nr. 122 und ausführlich in: RecTrav 15, 1893, 105–111; abgelehnt von Keimer, Gartenpflanzen I, 1924, 41 [Nr. 29.C], 101 [Anm. 10], 159; Chassinat, Papyrus médical copte, 250–252). Den Zusammenhang mit Wein erklärte er dadurch, dass für ihn Koriander in Wein getrunken wurde.
13 mw n wnšj: Als Erklärung für das Kühlsein von „Rosinen(?)-Wasser“ vermutet H. von Deines, dass es sich bei „Wasser von Rosinen/Weintrauben“ um „Alkohol handelt, der sich aus gegorenen Weinbeeren entwickelt hat und dessen Verdunstung die Kühlwirkung hervorbringt“ (Grundriß IV/2, 155, Anm. 8 zu Fall 47: „in Wasser gelegte Rosinen, die in Gärung geraten sind und Alkohol entwickelt haben, dessen Verdunstung das Wasser kühl werden lässt“; ähnlich Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 89, Anm. 8 [mit wnšj als „Weinbeeren“]; Westendorf, Handbuch Medizin, 741, Anm. 79).

(Untersuchung 4:) Aber wenn du (oder: ⟨Sobald⟩ du ⟨also⟩)14 jenen Mann vorfindest, indem ihm (ständig) šmm-heiß ist,
und jene Wunde außerdem nsr-enflammt (d.h. entzündet?) ist,
(Behandlung 4:) (dann) darfst du ihn/sie (den Patienten oder die Wunde) nicht verbinden.
(Er) werde auf den Boden auf seine Anlegepflöcke(?) / sein Ruhebett(?) gelegt, sodass / bis der Höhepunkt / die kritische Phase seines jh-Leidens vorübergeht.

14 jr swt gmi̯=k: Laut Grundriß IV/2, 155, Anm. 9 zu Fall 47 müsste hier statt jr swt gmi̯=k eigentlich jr ḏr gmm=k stehen, weil hier der Gedankengang, der mit jr swt gmi̯=k wbnw pf angefangen hat, wieder aufgenommen wird. Sonst hätte Untersuchung 3 zwar eine Diagnose, aber keine Behandlungsangabe. Außerdem leitet swt anderswo Abweichungen vom Bisherigen ein und das ist hier nicht der Fall. (ebenso Westendorf, Handbuch Medizin, 741, Anm. 80). Dann hätte man hier also nicht die 4. Untersuchung. Auch Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 288 ordnen diesen Satz noch unter der Untersuchung ein, die mit jr swt gmi̯=k wbnw pf angefangen hat.

(Untersuchung 5:) Aber wenn seine šmm.t-Erhitzung sich verringert (wörtl.: verstümmelt worden ist),
und die srf-Hitze aus der Öffnung seiner Wunde zu Boden strömt (= sich senkt, weggeht)15,
dann sollst du ihn danach täglich ⟨mit⟩ Öl/Fett, [17.15] Honig und Faserbausch versorgen/pflegen, bis es ihm besser geht / sodass er sich (wieder) wohl fühlt.

15 r tꜣ: wörtlich „zu Boden“. Breasted, Surgical Papyrus, 154 versteht diese Formulierung als „gänzlich weg“ („away, off; completely“), was jedoch kaum zutrifft (so jedoch gefolgt von Bardinet, 517 und – mit Fragezeichen – von Sanchez/Meltzer, 288).

Fall 48: nrw.t-Zerrung/Verstauchung (?) an einem Rückenwirbel

(Titel:) Erfahrungswissen über eine nrw.t-Zerrung/Verstauchung ⟨an⟩ einem Wirbel seines Rückgrats1.
(Untersuchung:) Wenn du ⟨einen Mann (d.h. Patienten) mit⟩ einer nrw.t-Zerrung/Verstauchung an einem Wirbel seines Rückgrats untersuchst,
dann sagst du daraufhin zu ihm:
„Strecke doch/bitte deine Beine2 aus (wörtl.: führe vor)!
Gebeugt/angezogen3 sind sie (oder: Beuge sie / ziehe sie (wieder) ein!4)“.
Dann muss er sie folglich ausstrecken; (aber) dann muss er sie folglich sofort (wieder) beugen/anziehen (oder: So wie er sie folglich ausstrecken muss, so muss er sie folglich sofort (wieder) beugen/anziehen),
weil (es) schwierig ist, dass er (es, d.h. das Ausstrecken) tut mit (d.h. wegen) dem Wirbel seines Rückgrats, an dem er leidet.
(Diagnose:) Daraufhin sagst du über ihn:
„Einer mit einer nrw.t-Zerrung/Verstauchung an einem Wirbel seines Rückgrats:
eine Krankheit, die ich behandeln werde.“

Dann musst du ihn folglich hinlegen, ausgestreckt (auf den Rücken).
Dann musst du folglich für ihn zubereiten/herstellen ⟨...⟩5

1psḏ: ist laut Breasted, Surgical Papyrus, 426 der „Rücken“, aber an erster Stelle das „Rückgrat“. Auch Wb 1, 556.1 listet nebeneinander „das Rückgrat, der Rücken“ auf. Gardiner, AEO II, 242*, Nr. 586 spricht bei psḏ nur von „back“ (im Index S. 281 ist jꜣ.t auch als „back“ aufgelistet). Lefebvre, Tableau des parties du corps, 29, § 31 schreibt, dass psḏ und jꜣ.t beide ursprünglich das Rückgrat bezeichneten („l’épine dorsale“) und dass beide Wörter später für „le dos en tant que partie postérieure du tronc“ stehen, wobei jꜣ.t isoliert gebraucht weiterhin für „Rückgrat“ verwendet werden kann. Für Grapow, Anatomie und Physiologie, 55–57 haben jꜣ.t und psḏ beide die Grundbedeutung „Rückgrat“ gemeinsam, aber müssen ursprünglich etwas Verschiedenes bezeichnet haben; jꜣ.t ist Teil des psḏ in manchen Texten; Grapow nennt psḏ als „das anatomische Wort für ‚Rücken‘“ und vielleicht „im besonderen der untere Teil des Rückens“. Für MedWb I, 299 ist psḏ „wahrscheinlich die Bezeichnung für die gesamte Rückenfläche“, die das Rückgrat jꜣ.t (MedWb I, 16–17) mit einschließt. Lacau, Noms des parties du corps, 75–76, § 189–192 fragt sich, ob jꜣ.t ursprünglich „le côté intérieur de la colonne vertébrale“ und psḏ ursprünglich „le côté externe de cette colonne“ war, bis die Bedeutungen sich vermischten. Laut Weeks, Anatomical Knowledge, 42 war jꜣ.t vielleicht beschränkt auf die „thoracic vertebra“ wegen des Determinativs F37A „which shows both a part of the vertebral column and some of the ribs“ (d.h. für ihn ist jꜣ.t die Brustwirbelsäule im Gegensatz zu bqs.w als Lendenwirbelsäule), während psḏ zuerst die gesamte Wirbelsäule und später die gesamte Wirbelsäule mit umgebendem Gewebe bezeichnete, aber nicht den gesamten Rücken, der als sꜣ bezeichnet wird (sꜣ kommt jedoch in den medizinischen Texten nicht als anatomischer Begriff vor!). Walker, Anatomical Terminology, 265: jꜣ.t ist „spinal column, spine“; 269: psḏ ist „back of chest, upper back“. Westendorf, Handbuch Medizin, 180: jꜣ.t ist das Rückgrat, psḏ der (menschliche) Rücken. Sanchez/Meltzer, Edwin Smith Papyrus, 294 und 296–297 fragen sich, ob psḏ den unteren Rücken bezeichnet, denn Fall 48 bezieht sich ihrer Meinung nach auf einen Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule. Für Nyord, Breathing Flesh, 136–139, der psḏ und sꜣ in den Sargtexten beide als „back“ wiedergibt, liegt der Unterschied zwischen beiden darin, dass psḏ „back‘ in the sense of the ‚dorsal spine‘“ bezeichnet, während sꜣ „denotes the back primarily as a two-dimensional surface“. jꜣ.t und psḏ sind noch belegt im Demotischen, im Koptischen sind sie ausgestorben (jꜣ.t erscheint nur noch im Status Pronominals der Präposition ϩⲓ-: ϩⲓⲱⲱ= < ḥr-jꜣ.t) und ersetzt durch ⲥⲟⲓ: „Rücken“ (< sꜣ: „Rücken“) und ϫⲓⲥⲉ: „Rücken, Rückgrat“ (< ṯꜣz: „Wirbel“).
2wꜥr.t gehört zu den Bezeichnungen der unteren Gliedmaßen. Wb 1, 287.4–6 gibt als Bedeutungen: „das Bein“ sowie „das Bein ohne den Fuss, d.h. Ober- und Unterschenkel mit Knie (Gegs. qꜥḥ)?, auch der Mutterschoß aus dem das Kind hervorkommt“ und „vorher nur Pyr. vielleicht noch in etwas anderer Bedeutung“ (vgl. Hannig, HWB, 199: „Bein (ohne Fuß)“; im Dual: „Beine; Schoß“). Die Abwesenheit des Fußes geht auf das Determinativ von wꜥr.t in der Biographie des Weni zurück (Urk. I, 103.1), wo das Bein (D56) ohne Fuß gezeichnet ist. In mehreren Texten gibt es einen Parallelismus zwischen qꜥḥ und wꜥr.t, wodurch die Ecke des Armes (zuerst als Ellenbogen, später als Schulter gedeutet) mit der Ecke des Beines verknüpft und wꜥr.t als Kniebeuge vermutet wird. Die in den Pyramidentexten vermutete andere Bedeutung betrifft Pyr 1867a, wo wꜥ.t (Pyramide der Neith) bzw. wꜥr.t (Pyr. von Pepi I.: MIFAO 118/2, P/F/E, Taf. 3, Kol. 37) mit einer Art Fleischstück oder Gelenk als Determinativ steht – eine Hüfte? (vgl. auch CT V, 103c, CT III, 3f; CT VII, 102j mit Determinativ F22). Grapow, Anatomie und Physiologie, 91–92 nennt wie Wb 1 die allgemeine Bedeutung „Bein“, das mögliche Fehlen des Fußes sowie die Bedeutung „Oberschenkel“ als Ort der Geburt. Auch für MedWb I, 170 ist wꜥr.t „das ganze Bein“, aber „eigentlich nur die Partie zwischen Fuß und Oberschenkel“ (weil beim Bein-Determinativ der Fuß fehlen kann und in pEbers, Eb 206a die mn.tj-Oberschenkel von wꜥr.tj unterschieden werden). Ähliches hat Westendorf, Handbuch Medizin, 222: wꜥr.tj sind „die Beine als Ganzes“, aber wꜥr.t ist auch „das Bein ohne den Fuß“ und betrifft teilweise den Oberschenkel, teilweise wird gerade der Oberschenkel ausgeschlossen. Dann blieben nur das Knie und der Unterschenkel übrig. Gardiner, Egyptian Grammar, 560 hat tatsächlich „leg; shank“, d.h. „Bein“ und „Unterschenkel“ und auch Ebbell, Alt-ägyptische Chirurgie, 72 übersetzt mit „Wade“. Vgl. auch Faulkner, CDME, 58: „leg; lower leg; foot“. Van der Molen, Hieroglyphic Dictionary, 89: „leg; lower-leg; lap“. Laut Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 52–54, § 60 bedeutet wꜥr.t ursprünglich das Femur und der Oberschenkel, danach das ganze Bein. Weeks, Anatomical Knowledge, 58 spezifiziert den Oberschenkelbereich noch genauer als die Innenseite am oberen Bereich des Oberschenkels: wꜥr.t war ursprünglich „the superior medial aspect of the thigh“, während mn.t „thigh in general, i.e. that portion of the lower limb between hip and knee“ war; für die spätere Zeit gilt (S. 59): wꜥr.tj und mn.tj „came to refer to the lower limb as a whole“. Walker, Anatomical Terminology, 71–78 untersucht die Belege erneut und insbesondere den Zusammenhang mit qꜥḥ: „Schulter“. Er beschließt: „The primary meaning of wꜥrt is likely to be the entire leg below the hip joint, but as a secondary nuance, it may also denote the hip joint itself or the anatomical region surrounding the joint.“ In seiner Tabelle dreht Walker die Reihenfolge um (S. 267): „1. hip joint; 2. whole leg from hip joint downwards“, was zu den frühen Determinativen passen könnte. In den Sargtexten ist wꜥr.t laut Nyord, Breathing Flesh, 275–276: „(upper) leg“. Lacau, Noms des parties du corps, 132, § 349: beschränkt sich auf die Bedeutung „jambe“, mit einer Bedeutungsverengung in der späteren Wortgeschichte zu „pied“ und selten „jambe“. Tatsächlich geht Koptisch ⲟⲩⲉⲣⲩⲧⲉ auf wꜥr.tj zurück und bedeutet „Fuß“ und „Bein“ (Crum, CD, 491a).
3qrf: Wb 5, 60.7–8: „krümmen, biegen (Gegs. gerade machen, ausstrecken)“; Breasted, Surgical Papyrus, 427: „contract, draw in, constrict“, im Gegensatz zu dwn: „ausstrecken“; MedWb II, 889: „zusammenziehen; krümmen“; Faulkner, CDME, 280: „contract, draw together“; Hannig, HWB, 931: „krümmen, biegen“. Die Bedeutung ergibt sich aus dem Gegensatz mit dwn: „ausstrecken“ und mꜣꜥ: „leiten; (Opfer) darbringen; (Hand) ausstrecken“.
4qrf sj: Breasted, Surgical Papyrus, 426 versteht diesen Satz als einen Imperativ (ebenso Ebbell, Bardinet, Allen, Sanchez/Meltzer). So auch Grundriß IV/1, 199, der aber zugleich (Grundriß IV/2, 155, Anm. 2 zu Fall 48) qrf sj als eine Ersatzkonstruktion von qrf.tj: „die verkrümmt sind“ für eine bessere Lesung hält. Westendorf, Grammatik, 125, § 170.b: „die gekrümmt sind“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 89 und Westendorf, Handbuch Medizin, 742 hat entsprechend „die (jetzt) angezogen sind“.
5 Der Schreiber hört mitten in der vermutlich letzten Zeile der Kolumne auf und schreibt auch nicht auf der nächsten Kolumne weiter. Möglicherweise war seine Binse kaputt (vgl. die letzten Striche mit den Ausfaserungen) und er hatte keine Lust mit einer neuen Binse weiter zu schreiben.

Ab hier beginnt das Verso des pEdwin Smith, das inhaltlich nicht zum vorangehenden Text gehört, jedoch teilweise vom selben Kopisten geschrieben wurde (Kol. 18–22.10 = Sprüche gegen die „Seuche des Jahres“, Rezept zu einer Menstruationsstörung, zwei Rezepte zur Hautpflege). Die Kolumnen 21.9–22.14 wurden von einem zweiten Kopisten mit einem Salbenrezept für eine Verjüngungskur und einem Rezept für eine Beschwerde am After beschriftet.

Beschwörungen der Seuche des Jahres

[Übersetzung: K. Stegbauer]

Spruch 1

[18.1] Abwehrspruch für die Miasmen1 der Seuche des Jahres:
Oh Feuergesicht, Vorsteher des Horizontes, sage doch zum Vorsteher des Hauses der Hemesut (?)2:
„Lasse Osiris, den Vorsteher der Erde, gedeihen!“
(Oh) Nechbet, die die Erde zum Himmel hebt (?) für ihren Vater, komm doch und knote die beiden Federn hinter mir, zweimal, damit ich lebe und prosperiere, denn mir gehört diese weiße Krone, erstens (?)3 (ist sie) der Große, der sich in [18.5] Heliopolis befindet, zweitens Isis, drittens Nephthys.
Ich gehöre zu dir! (?)
(Oh) Packender der Großen, Sohn der Sachmet, Mächtiger der Mächtigen, Sohn des Unholds, Metzler, Sohn der Hathor, der Herrin der Wasserflut (?)4, die die Kanäle flutet, mögest du auf dem Nun dahinfahren, mögest du in der Morgenbarke segeln, nachdem du mich bewahrt hast vor jeglicher Bitternis-Krankheit usw. des Jahres, als etwas, das irgendein übler Lufthauch herbeibläst.
Horus, Horus, das Papyrusamulett der Sachmet, umgibt meinen Körper, der vollständig für das Leben ist.
Werde rezitiert über [18.10] einem Geierfederpaar, womit der Mann bestrichen wird; werde als sein Schutzamulett überall angebracht, wohin er geht.
Das ist ein Schutz(amulett) des Jahres; das ist eine Seuchenabwehr in einem Pestjahr.

1 ṯꜣw: kann sowohl „Luft“ als auch „Wind“ (d.h. bewegte Luft) und „Atem“ (d.h. ein- und ausgeatmete Luft) sowie „Hauch“ (sichtbarer oder fühlbarer Atem; leichter Luftzug) bedeuten. Der Wind oder die Luft konnte also entweder eine Begleiterscheinung der dämonischen Plagen (MedWb II, 965: „krankheitserregender Hauch“; vgl. „Miasma“) oder ein Transportmedium für die Dämonen, die die Seuche-des-Jahres verursachten, sein. Man darf daraus jedoch nicht schließen, dass die Ägypter wussten, dass sich Krankheiten durch die Luft übertragen können. Siehe: P. Vernus, Une theórie étiologique de la médicine égyptienne: les souffles vecteurs de maladie, in: RdE 34, 1982–1983, 121–125.
2 Ḫnt.j-pr-⸮ḥmws.t?: Das letzte Wort ist logographisch mit der Hieroglyphe T62 geschrieben. Breasted, 474 übersetzt „chief of the Hemesut-house“, wobei er für ḥms.wt von Personifikationen im Plural spricht. Ähnlich Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 92 mit Anm. 3: „Gebieter des Hemesut-Hauses“. Borghouts, 14 hat „Foremost One of the House of the Birth-genius(es?) (ḥmws.t)“ und scheint sich zu fragen, ob Pluralmarkierungen fehlen. Westendorf, Handbuch, 742 übersetzt mit einem Plural: „Gebieter des Hause〈s〉 der Hemesut-Göttinnen“. Allen, 107 liest die Hieroglyphe T62 als „Neith“, denn er übersetzt „Foremost-of-Neith-Town“.
3 tp.jt: Breasted, 474 erkennt die Ordinalzahl tp.j. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 92 hat „die auf dem (Kopfe des) Großen ist“, d.h. er geht vom Nisbe-Adjektiv tp.j aus (so auch Borghouts, Allen). Bezogen auf Nechbet als Personifikation der Weißen Krone macht dies Sinn, aber Westendorf (93, Anm. 10) weist extra daraufhin, dass mit beiden Bedeutungen „befindlich auf“ und „erste“ gespielt wird. Die beiden Feder, mit denen Isis und Nephthys gleichgestellt werden, können sowohl die beiden Federn hinter der Sonnenscheibe des Sonnengottes, als auch die beiden Federn seitlich der Weißen Krone sein (d.h. die Atefkrone des Osiris und oft auch der Nechbet). Gegen tp.jt als „Erste“ könnte sprechen, dass dann ein weiblicher Begriff mit dem „Großen in Heliopolis“ (d.h. dem Sonnengott) gleichgesetzt wird.
4 nb.t n.t: Das Substantiv n.t ist nur mit einem Götterdeterminativ versehen. Breasted, 474 hat mit der n.t-Krone übersetzt. Dies wird von Allen, 107 als „lady of the Red Crown“ aufgenommen. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 92 mit Anm. 16 liefert die Alternative „Herrin des Urwassers (?)“, mit Verweis auf Hathor als Kuh, die aus dem Nun-Gewässer auftaucht und das Sonnenkind zwischen den Hörnern trägt. Diese Interpretation wird (ohne Fragezeichen) von Borghouts, 14 übernommen als „mistress of the stream“. Dies würde den Übergang zum Anschluss ḫfḫf.t jtr.w besser als einen für Hathor nicht selbstverständlichen Zusammenhang mit der Roten Krone erklären.

Spruch 2

Ein anderer (Spruch) der Abwehr der Krankheitsmiasmen der Messerdämonen, der Brandstifter(?)-Dämonen und der Boten der Sachmet:
Verschwindet, (ihr) Messerdämonen!
Die Winde werden mich nicht erreichen, so dass die vorbeiziehen, die vorbeiziehen in der Absicht, gegen mein Gesicht zu wüten.
Ich bin Horus, der an den Vagierern der Sachmet vorbeizieht, Horus, Horus, Papyrusamulett der Sachmet!
[18.15] Ich bin der Einmalige, der Sohn der Bastet!
Ich werde nicht wegen dir (d.h. Bastet oder Sachmet?) sterben!
Werde rezitiert von einem Mann, der einen Sesbanienzweig (?) in seiner Hand trägt, wobei er nach draußen geht und sein Haus (in einem magischen Kreis?) umrundet.
Er kann nicht an der Jahresseuche sterben.

Spruch 3

Ein anderer Schutz vor der Jahresseuche:
Ich bin das Tabu, das aus Buto stammt, die (Geburtsgöttin) Meschenet, die aus Heliopolis stammt!
Menschen, Götter, Geister, Untote, haltet euch von mir fern!
Ich bin tabu!

Spruch 4

Ein anderer (Spruch/Schutz):
Ich bin unversehrt auf dem Weg des (dämonischen) Herumstreuners!
Soll ich etwa geschlagen werden, obwohl ich unversehrt bin?
[19.1] Ich habe das große Wüten gesehen.
O jene Fieber(?)flamme, befalle mich nicht!
Ich bin einer, der dem Wüten entkommen ist! Bleibt mir fern!

Spruch 5

Eine Kopie eines weiteren (Spruchs):
Jubel und Jauchzen, Jubel und Jauchzen!5
Du (d.h. ein männlicher Dämon) sollst nicht dieses mein Herz, diesen meinen Verstand für Sachmet stehlen!
Du sollst nicht meine Leber für Osiris stehlen!
Die verborgenen Dinge, [19.5] die im Innern von (der Stadt) Buto sind, sollen nicht aufhören (d.h. zugrunde gehen), am Morgen des Zählens des Horusauges.
Die Residenz wird zu meinem Sitz werden!6
(Oh) jeglicher männliche Geist, jeglicher weibliche Geist, jeglicher Untoter, jegliche Untote, Gestalt irgendeines Tieres, (oh,) der vom Krokodil gerissene, (oh,) der von der Schlange gebissene, (oh,) der gewaltsam (wörtl. vom Messer) [getötete]7, (oh,) der in seinem Bett verschiedene, (oh,) ihr Unholde, die im Gefolge des Jahres und seiner Epagomenen sind: wahrlich, Horus, Horus, das Papyrusamulett der Sachmet, 〈umgibt (schützend)〉 meinen Körper, der vollständig ist für das Leben.
(Dieser Spruch) werde rezitiert [19,10] über einer (Abbildung der) Sachmet, einer Bastet, einem Osiris und einem Nehebkau, die mit Myrrhe auf eine Binde aus feinem Leinen gezeichnet sind.
(Das Amulett mit Spruch und Abbildungen) werde dem Mann an seinen Hals gegeben.

5 h hn.w: Der Magier identifiziert sich in Vso. 20.3 mit einem Gott Hn.y „der Jubelnde“ und einem Gott Jhhy: „der Jauchsende“. In Vso 19.2 sind jedoch keine Determinative vorhanden, die auf Götterbezeichnungen hinweisen. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 97 und Handbuch der Medizin, 744 mit Anm. 96 denkt trotzdem an eine Götterbezeichnung „Jubelnder“, vielleicht eine Bezeichnung des morgendlichen Sonnengottes.
6 ẖnw „Residenz“ und p(j) „Thronsit“: Wortspiel mit ẖnw „Inneres“ und P(j) „[eine Bezeichnung für Buto]“ im vorherigen Satz.
7 Unklares Zeichen am Wortanfang. Breasted, 480 übersetzt mit „the one which has ⸢perished⸣ by the knife“. Borghouts, 16 hat „who has died (?) by the knife“. Allen, 109 „one condemned to the knife“. Westendorf, Handbuch der Medizin, II, 744 „der duch das Messer 〈Umgekommene〉“ mit Anm. 98: „ob jꜣd ‚geschädigt‘ (Wb. I 35, 12)?“

Spruch 5bis8

Nicht zulassen, dass Esel zu ihm eintreten:
O Neferi, die bsbs-Ente ist gegen mich und die Grünbrustgans, aber der Lebensschutz der Neith umgibt mich, der Vorsteherin dessen, der den Sämann entkommt (?)!
Hält Bastet vom Haus des Patienten ab (?).
Ein Mann soll (es) sprechen als Lebensschutz (?) des Jahres.

8 Wird normalerweise nicht als ein neuer Spruch aufgefasst, sondern als Teil von Spruch 5 verstanden (Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 99, Anm. 13 fragt sich, ob tm rḏi̯ ... ein Spruchtitel sein könnte). Der Text enthält viele Schwierigkeiten.

Übersetzungen:
- Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 98: „(Es) werde nicht zugelassen, daß Esel zu ihm treten. / (O) Nefer-Dämon (?), die Weißkopfente ist bei mir (und) die Grünbrustente. Der lebendige Schutz der Neith ist hinter mir, der Gebieterin über den, der dem Sämann entgleitet. / Ein Abweisen der Bastet [ist das] vom Hause des Mannes.“ (als letzte Handlungsanweisung, gefolgt von einer Beschwörung)
- Borghouts, 16: „To be applied to a man’s throat, 〈in order〉 not to let an ass enter him on account of the Beautiful One (Nfrı͗), a a green-breast jump up (? bsbs) to me. The life-protection (sꜣw-ꜥnḫ) of neith is behind me and before 〈me〉. The (fire-)spewing of Bastet will fail against the house of a man. A man will say (this spell) with bunches (? ꜥnḫ.w) of fresh plants (? rnp.t).“
- Westendorf, Handbuch Medizin, 745: „Fürwahr (?), (du) Nfr-Dämone („Guter“) (?), die Weißkopfente ist bei mir (und) die Grünbrustente. Der lebendige Schutzzauber der (Göttin) Neith ist hinter mir, der Gebieterin über den, der dem Säman entgleitet (?). Ein Abweisen der Bastet 〈ist das〉 vom Hause des Mannes. Es spreche der Mann (diesen Spruch) als Lebenszauber der Jahreszeit (der Seuche).“
- Allen, 109: „(To be recited:) Donkeys, those of Neferi, or a green-bronted mallard are not to be allowed to enter to me, for the life-protection of Neith is around me, she who preceds the one who is escaped sowing. (It is a way of) stopping Bastet from (entering) a man’s house, which a man should say in the year’s oaths.“

Spruch 6

Spruch zum Reinigen einer Fliege:
Der Mund dieses Mannes [19.16] unter meinen Fingern (d.h. der von mir behandelt wird) usw.9 ist der Mund eines/des saugenden (?) Kälbchens, wenn es aus dem Leib seiner Mutter kommt.
(Oh) dieses Insekt (wörtl.: „fliegendes Tier“), das in seinen Leib hier eingetreten ist, tritt ein und komm aus ihm heraus, indem er lebt!10
Es soll zu Boden kriechen als Erde oder als Ausfluss, ohne seinem Körper zu schaden(?)11!
Komm heraus als sein Ausfluss aus ihm!
Sei (dem Erdgott) Aker übergeben!

9 ḥm.wt-rʾ: Gemeint sind auch alle anderen zutreffenden Körperteile des Patienten, die ebenso jeweils mit einer Gottheit verbunden werden (Gliedervergottung).
10 ꜥq r ẖ.t=f tn ꜥq pri̯ n=f: Andere Interpretationen dieses Satzes sind denkbar:
- Borghouts, 16: „This insect (?) that has thoroughly (?) entered this belly of his – as soon as it has left, alive, it will creep to the earth.“ Er scheint das zweite ꜥq etwa wie ein Komplementsinfinitiv in der Figura etymologica zu verstehen. Anschließend ist pri̯ ein sḏm.n=f.
- Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 99 hat „Diese Fliege, die in diesen seinen Leib eingedrungen ist, ist (zwar) eingedrungen; sie soll (aber) lebendig herausgekommen sein“ (erstes ꜥq ist Partizip, zweites ꜥq ist Stativ, pri̯ ein sḏm.n=f). Er erwägt auch eine weitere Konstruktion (S. 100 Anm. 5): „Dies Fliege ist eingedrungen in diesen seinen Leib ein Eindringen.“ (mit dem ersten ꜥq als Stativ und dem zweiten ꜥq als Komplementsinfinitiv).
- Westendorf, Handbuch Medizin, 745 hat noch eine andere Lösung: „Diese Fliege ist in diesen seinen Leib eingedrungen; die Eingedrungene, sobald sie lebendig (wieder) herausgekommen ist, soll sie sich fortschleichen ...“ (erstes ꜥq ist Stativ, zweites ꜥq ist selbständig verwendetes Partizip).
- Allen, 109 hat: „This insect that has entered this belly of his has entered and come forth from him alive“ (erstes ꜥq ist Partizip, zweites ꜥq ist Stativ, pri̯ ist Stativ mit Präposition n für m).
11 jf: Verb mit G37 (dem sog. negativen Vogel) als Determinativ: Breasted, Surgical Papyrus, 483 übersetzt „injuring“ ohne weitere Kommentierung. Im Index (S. 514) nennt er Kol. 1.6 als weiteren Beleg, aber dort ist nichts zu finden. Das transitiv verwendete Verb steht in MedWb 47 als „Verbum unklarer Bedeutung“ mit pEdwin Smith als einzigem Beleg. Als mutmaßliche Übersetzungen werden „to injure“ (Breasted), „Schaden nehmen (?)“ (Westendorf), „to be defiled“ (Borghouts) vorgeschlagen. Es findet sich nicht in Faulkner, CDME oder in Hannig, HWB. Ein unklares jf in CT IV, 21a ist vielleicht zu jzf.t zu emendieren (Faulkner, Ancient Egyptian Coffin Texts I, 1973, 209, Anm. 14). Liegt ein Wortspiel mit ꜥff „Fliege“ vor?

Spruch 7

Spruch für das Desinfizieren aller Dinge von der Seuche:
Verbrenne (?)12 deine Boten, o Sachmet!
[19.20] Treibe deine Unholde zurück, Bastet!
Das Jahr ist nicht vorbeigezogen, [20.1] um gegen mein Gesicht zu wüten!
Deine Miasmen werden mich nicht erreichen!
Ich, Horus, bin den Vagierern der Sachmet überlegen (?)!13
Ich bin dein Horus, Sachmet!
Ich bin dein Einziger/Einmaliger, Wadjet!
Ich werde nicht wegen dir sterben! Ich werde nicht wegen dir sterben!
Ich bin der Jubelnde, ich bin der Jauchzende.
Sohn der Bastet, befalle mich nicht!
Die, bei denen Messer sind (?)14, befallt mich nicht!
Greift mich nicht an!
Ich bin der König [20.5] in seinem Licht (?)15.
Ein Mann möge diesen Spruch über dem Vorderteil (?)16 einer Kronen-Wucherblume (?) sprechen; werde an ein Stück Sesbanie (?) gebunden; werde mit einem Lappen aus feinem Leinen umwickelt (?)17; werde veranlasst, dass sie an den Sachen entlang streichen.
〈Das ist〉 ein Austreiben der Seuchen und ein Verhindern des Vorbeiziehens der Krankheitserreger in Bezug auf irgendwelche essbaren Sachen und ebenso in Bezug auf die Betten.

12 nḏsḏs: Die Bedeutung „verbrennen“ ist nach dem Determinativ erraten (Breasted, Surgical Papyrus, 485; MedWb I, 501). Unklar ist, ob der Imperativ eines transitiven Verbs vorliegt (mit wpw.tjw=ṯ als Objekt), oder der Subjunktiv eines intransitiven Verbs (mit wpw.tjw=ṯ als Subjekt). Im nächsten Satz ist ḫti̯ überwiegend „zurückweichen“ (intrans.), kann gelegentlich auch „zurückweisen, zurücktreiben“ (trans.; ob erst spät?) bedeuten.
13 ḥr šmꜣ.w: Vgl. Spruch 2, Kol. 18.14: jnk Ḥr.w swꜣi̯ ḥr šmꜣ.yw Sḫm.t: „Ich bin Horus, der an den Wanderdämonen der Sachmet vorbeigeht.“ In den vorangehenden und nachfolgenden Sätzen finden sich weitere Parallelen zu Spruch 2, so dass eine Ergänzung von 〈swꜣi̯〉 erforderlich erscheint.
14 Jm.jw-spsp.w oder Wnm.w Spsp.w: Lesung und Abtrennung unsicher. Breasted, Surgical Papyrus, 484 hat zunächst einen Singular angesetzt Jm.j-spsp.w: „Dweller in the Sepsepu“. MedWb II, 745 hat ein Lemma spsp.w in der Verbindung jm.j.w-spsp.w „als Bezeichnung von Dämonen“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 101 übersetzt „die, in denen Messer sind“ und (Anm. 7) nimmt an, dass gemeint sein wird „in deren Händen Messer sind“ oder „die aus Messern bestehen“ (ähnlich Westendorf, Handbuch Medizin, 745; „in denen (d.h. deren Händen) Messer sind“). Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts, 17 trennt in zwei Lemmata auf: ⸮Wnm(.w)?: „Devourer“ und Spsp.w: „Tousled ones“, d.h. die „Zerzausten“. Weil Meeks, ALex auf Borghouts basiert, hat er das Lemma ALex 78.3476 spsp.w: „une catégorie de démons“ = WCN 133140 angesetzt, ebenso ALex 78.0988 wnm.w „le dévoreur“ = WCN 46820. Allen, Art of Medicine, 111 übersetzt mit „You in disarray“.
15 ḥꜣy.t: Breasted, Surgical Papyrus, 485 kennt das Wort nicht und errät nach dem Kontext „shelter (?)“. MedWb II, 582 hat es s.v. ḥꜣj.t aufgenommen, lässt es jedoch unübersetzt. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 101-102 mit Anm. 8 übersetzt mit „Lichthof (?)“, erwägt jedoch auch „Lichtauge“ und „Licht“. Westendorf, Handbuch Medizin, 745 mit Anm. 108 entscheidet sich für „Lichtauge“ als Auge des Sonnengottes. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts, 17 hat „shrine (?)“. Allen, Art of Medicine, 111 übersetzt mit der Augenkrankheit „glaucoma“.
16 ḥꜣ.t nfr.t: Zunächst von Breasted, Surgical Papyrus, 485 als m-ḥꜣ.t nfr.t: „before a nefret-flower“ verstanden. DrogWb 332 und 302 erkennt in ḥꜣ.t einen unbekannten Pflanzenteil und in nfr.t eine unbekannte Pflanze. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 101 spricht von einer ḥꜣ.t-nfr.t-Pflanze und kommentiert (S. 102, Anm. 9): „Eine unbekannte Pflanze, deren Name aus den Elementen ‚Vorderteil/Anfang/Bestes‘ und einer Ableitung von ‚gut/schön‘ gebildet ist.“ Westendorf, Handbuch Medizin, 746 entscheidet sich für eine „nfr.t-Pflanze von bester Qualität“ und verweist auf Hannig, Handwörterbuch, 434 s.v. nfr.t: „e. Pflanze (*Kronen-Wucherblume, Chrysanthemum coronarium)“ {15633}. Allen, Art of Medicine, 111 übersetzt mit „daisies“, d.h. „Gänseblümchen“, was möglicherweise auf Hannig zurückgeht, denn eng. „daisy“ ist ein umgangsprachlicher Begriff für die Korbblütler, zu denen Chrysanthemum gehört. Im demotischen magischen Papyrus London-Leiden, Vso II.4 wird eine Pflanze demot. nfr-ḥr und griech. mit χρυσάνθεμον wiedergegeben und als „die goldene Blume des Kranzverkäufers“ bezeichnet (Vgl. Keimer, Gartenpflanzen, 10-12 und 129). Anscheinend wurde die Identifikation dieser Pflanze nfr-ḥr auf das nfr.t des Papyrus Edwin Smith übertragen.
17 nb(ꜣ): Lesung nb(ꜣ) nach Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts, 17, der die Bedeutung „einrollen (?)“ ansetzt. Breasted, Surgical Papyrus, 485 hat „to tie“, was er sicherlich aus dem Zusammenhang (vorher wird ṯꜣz „knoten“ verwendet) und dem Determinativ (V1) erraten hat. MedWb I, 452 verzichtet auf eine Übersetzung, hält den Vorschlag von Breasted in Anbetracht des Determinativs allerdings für gut passend. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 101 und Handbuch Medizin, 746 übernehmen entsprechend „anbinden (?)“. Faulkner, CDME, 128: „to tie“ (ohne Fragezeichen). Meeks, ALex 78.2060 übernimmt Transkription und Übersetzung „enrouler (?)“ von Borghouts mit Verweis auf das Lemma nbꜣ: „fuseau“. Hannig, Handwörterbuch, 428 s.v. nb/nb(ꜣ): „wickeln, aufwickeln“ {15392} (ohne Fragezeichen). Vgl. Hannig, Handwörterbuch, 428 s.v. nbꜣ: „*(Haar)nadel; *Spindel“ {15403} (* = unsicher).

Spruch 8

Ein anderer (Spruch):
Bertramblüten (?) sind bei mir, der Abscheu deiner Gefolgsleute!
Deine Vagierer sollen mich verschonen, [20.10] die Falle deines Netzes soll mich verschonen!
Ich bin der Geflohene18 deiner Vögel!
Horus, Horus, das Papyrusamulett der Sachmet umgibt meinen Leib, der vollständig für das Leben sei!
Ein Mann soll den Spruch sprechen, während ihm Bertramblüten (?) in seine Hand gegeben werden.

18 wtḫ: Für eine mögliche mythologische Einbindung siehe Leitz, Tagewählerei, 42.

Heilmittel für Menstruationsprobleme

Wenn du eine Frau untersuchst, die an Magen-/Brust(?)schmerzen1 leidet, die Menstruation2 kommt nicht zu ihr, und in/an der Oberseite (oder: oberen Hälfte)3 ihres Bauchnabels4 findest du etwas (wörtl.: eine Sache),
(...)
Dann musst du über sie (d.h. die Frau; oder: darüber, d.h. über dieses „etwas“) sagen:
„Das ist/bedeutet eine Verstopfung/Blockierung
5 von/aus Blut [20.15] auf ihrer Gebärmutter6.“
Dann musst du für sie zubereiten:
Frucht/Samen der wꜣm-Pflanze7: 1/16 (Viererheqat/Oipe) [= 1200 ccm], Öl/Fett: 1/8 (Dja) [= 37,5 ccm], süßes Bier: 1/8 (Viererheqat/Oipe) [= 2400 ccm].8
(Es) werde gekocht; (es) werde getrunken an 4 Tagen.
Und du musst für sie etwas, das das Blut hinuntergehen lässt (wörtl.: ein Abgehenlassen des Blutes), zubereiten:
sfṯ-Koniferenharz, Kreuzkümmel, Bleiglanz, süße/aromatische Myrrhe.
(Es) werde zu einer einzigen Masse (wörtl.: Sache) gemacht; die Schamgegend/Unterleibsregion (?)9 werde damit sehr oft gesalbt.
Dann musst du die Pflanze (namens) Ohr-der-Wildsau(?)/Wüstenspringmaus(?)10 auf/in Öl/Fett geben.
Nachdem es (d.h. das Heilmittel) verfault11 ist, musst du [21.1] es verreiben12 (oder: Nachdem sie (d.h. die Patientin) einen Verwesungsgeruch verbreitet, musst du sie ein-/abreiben) und ihre beiden Leistenbereiche(?)13 sehr oft damit salben/eincremen.
Dann musst du Myrrhe und Weihrauch zwischen ihren Schenkeln14 geben/stellen (d.h. verbrennen für eine Räucherbehandlung)15; (Es) werde veranlasst, dass der zugehörige Rauch16 in ihr Fleisch (d.h. ihre Vagina)17 eintritt.

1rʾ-jb: Das Kompositum „Mund/Öffnung des Herzens“ wird fast immer als die Bezeichnung für den „Magen“ übersetzt (Wb 2, 393.14; Grapow, Anatomie, 64; MedWb I, 545–518; Lefebvre, Parties du corps, 34–35, § 39; Gardiner, AEO II, S. 250*; Walker, Anatomical Knowledge, 71); vgl. für den lexikalischen Zusammenhang zwischen Magen und Herzen die Bezeichnung „Cardia“ für den „Magenmund“; Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 296–297 hat rʾ-jb zu Unrecht als „Magenmund, Cardia“ identifiziert, was mit seiner falschen Identifikation von jb als „Magen“ zusammenhängt (siehe ibid., 293–296). Der vorliegende Fall in Papyrus Edwin Smith führte zu einer mutmaßlichen Bedeutungserweiterung von „Magen“ zu „Abdomen, Bauch“, weil man bei Menstruationsproblemen zuerst an die Körperregion Uterus oder Unterleib denkt (so Breasted, 487; akzeptiert von Lefebvre, Parties du corps, 35). Laut Walker ist das jedoch nicht nötig, denn seiner Meinung nach würde das „Auffinden von etwas an der Oberseite / oberhalb von ihrem Bauchnabel“ (gmi̯ ḫ.t m gs-ḥr.j ẖpꜣ) eine sehr große Vergrößerung des Uterus implizieren, die den Magen beeinträchtigen kann, so dass eine Bedeutungsausweitung von „Magen“ auf „Abdomen“ oder „Uterus“ nicht nötig sei. Allerdings kommt Walker, Anatomical Terminology, 127–146 nach einer erneuten Untersuchung der Texte mit rʾ-jb insgesamt zu einer ganz anderen Interpretation: für ihn bedeutet rʾ-jb „Brustraum/Brusthöhle“ und insbesondere „Brustkorb“ („thorax, chest“), vielleicht auch die Einfassung des kompletten Rumpfes („frame of the whole torso“). Für die Wortetymologie setzt dies voraus, dass nicht nur „Mund, Mundöffnung“, sondern auch „Mundhöhle“ und dadurch in übertragenem Sinne auch andere Hohlräume bezeichnen kann (Walker, 129 und 145: rʾ-jb bedeutet in etwa „the cave of the jb“). Walker, 145 erklärt die im Text formulierten Schmerzen im rʾ-jb, für ihn die Brustgegend, durch Sodbrennen (reflux ösophagitis) als Folge der Einwirkung des stark vergrößerten Uterus auf den Magen. Argumente zugunsten der Interpretation von Walker sind die rʾ-jb umgebenden Wörter in einigen Körperteillisten (in Gliedervergottungstexten), die zum Brustbereich gehören, sowie die Tatsache, dass eine „Seite“ oder „Hälfte“ des rʾ-jb als Magen keinen Sinn ergibt. Ein Problem ist, dass bei einer Umdeutung von rʾ-jb im Brustbereich kein Terminus für „Magen“ mehr verfügbar ist. Walkers Auffassung, dass das seltene und ungedeutete Wort mnḏr der Magen sei, wird angezweifelt (z.B. von Nunn, in: JEA 85, 1999, 258). Walkers Umdeutung von rʾ-jb wird bislang in der Ägyptologie nicht gefolgt.
2ḥsmn: Ist abgeleitet von ḥzmn: „Natron“ und ḥzmn: „(mit Natron) reinigen“. Mit dem Determinativ des spuckenden Mundes versehen, bedeutet es konkret die „Menstruation, Monatsblutung“ oder euphemistisch die „(Monats)reinigung“ (siehe ausführlich J.P. Frandsen, The Menstrual „Taboo“ in Ancient Egypt, in: JNES 66, 2007, 81–106, hier: 82–84). Die Auffassung von J.J. Janssen, dass ḥzmn für die „Reinigung“ der Frau zwei Wochen nach der Geburt steht, ist abzulehnen (Janssen, in: SAK 8, 1980, 141–143). Im Papyrus Westcar (Kol. 11.18–19) wird dafür wꜥb: „reinigen“ verwendet. In Fall Ebers 808 (Kol. 95.1–3; Grundriss IV, 285; Grundriss V, 491) wird Blut von einer Frau, deren Menstruation zum ersten Mal gekommen ist (znf n.j jwi̯(.t) ḥzmn=s m tp jr=f), in einem Rezept verwendet. In der Krankheitsbeschreibung Ebers 832b (Kol. 96.20–21; Grundriss IV, 271; Grundriss V, 465) bleibt die Regelmäßigkeit (mꜣꜥ.w) aus. Und in der demotischen Erzählung von Setne Chaemwaset ist Ahweret schwanger, wenn sie nicht mehr menstruiert (jri̯ ḥsmn).
3gs ḥr.j: Bedeutet „obere Hälfte“ oder „obere Seite, Oberseite“. Das nächste Wort ist logographisch mit dem „Schlechten Paket“ (Gardiner, Signlist Aa2) geschrieben. Breasted hat hier die Lesung ḥm.t und die Bedeutung „Vulva“ vorgeschlagen, das im nächsten Satz jedoch ausgeschrieben und anders determiniert ist. Ausgehend von Breasteds Lesung und Übersetzung „upper part of her vulva“ versteht Dawson, in: JEA 22, 1936, 108 diesen Körperbereich als cervix uteri (Gebärmutterhals). In Ebers 792 (Kol. 94.2–3; Grundriss IV, 283; Grundriss V, 487) wird in einem gynäkologischen Rezept ein Heilmittel in den ẖpꜣ bzw. in die obere Hälfte davon gegeben (rḏi̯ m ẖpꜣ bzw. rḏi̯ m gs ḥr.j jr.j); ẖpꜣ hat dort das „Schlechte Paket“ als Determinativ. Deshalb wird das logographisch geschriebene Wort von pEdwin Smith 20.14 ebenfalls ẖpꜣ: „Bauchnabel“ gelesen (seit Grundriß IV/2, 206, Anm. 2 zu Sm 20). Was gs ḥr.j ẖpꜣ genau bedeutet, ist unklar: „die obere Hälfte des Bauchnabels“, „die Oberseite des Bauchnabels“ oder „die Seite/Hälfte, die über dem Bauchnabel ist“. Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 1966, 104, Anm. 2 fragt an, ob mit „Oberseite ihres Nabels“ die „Bauchdecke“ gemeint sein könnte. Für Walker, Anatomical Terminology, 145 bedeutet es den Bereich oberhalb des Nabels („above her navel“). Der Bereich des Bauches zwischen Bauchnabel und Rippenbogen wird Epigastrium, Oberbauch oder Magengrube genannt.
4 ẖpꜣ: Bedeutet „Bauchnabel“ und „Nabelschnur“ (Wb 3, 365.14–16; MedWb II, 682; Grundriss I, 62; Lefebvre, Tableau des parties du corps humain, 32, § 36; Weeks, Anatomical Knowledge, 54). Die wichtigste Quelle für die Begründung dieser Bedeutung ist der Papyrus Westcar: der Neugeborene wird gewaschen, nachdem ihm die Nabelschnur (ẖpꜣ) durchgeschnitten (šꜥd) wurde. Das Wort ist auch im Demotischen ẖlpy und bis ins koptische ϩⲗⲡⲉ (S), ϧⲉⲗⲡⲓ (B) (dort feminin) mit der Bedeutung „Nabel“ überliefert (griech. u.a. ὀμφαλός). Schon Brugsch, Wörterbuch 3, 1868, 1045 hat die Bedeutung „Bauchnabel“ vorgeschlagen. Der Versuch von B. Ebbell, Ein missverstandenes ägyptisches Wort, in: ZÄS 65, 1930, 61–63, ẖpꜣ als „genitalia, pudenda“ (äußere Geschlechtsorgane; weiblicher Genitalbereich, Scham) zu verstehen (erneut Ebbell, in: AcOr 15, 1937, 297) und im Falle des Papyrus Westcar von der männlichen Beschneidung auszugehen, ist aus grammatischen, philologischen und kulturellen Gründen abzulehnen: siehe A.H. Gardiner, in: ZÄS 66, 1931, 71 (vgl. für ẖpꜣ schon Blackman, in: JEA 3, 1916, 202–205). Die Interpretation von Ebbell geht zurück auf Stern (Papyros Ebers II, 61), der für die mutmaßliche Bedeutung „weiblicher Schamgegend“ einen Zusammenhang mit ϣⲓⲡⲉ (S), ϣⲓⲡⲓ (B): „sich schämen; Schande“ vermutet hat.
5šnꜥ.w: hängt mit der Wurzel šnꜥ: „abwehren, abhalten von, zurückweisen“ zusammen und wird deshalb als „Verstopfung“ (MedWb II, 859–860), „obstruction“ (Breasted, 488), „accumulation“ (Walker, 137, 140) übersetzt. šnꜥ.w n.j snf kann sowohl als „Behinderung des Blutes“ (Objektsgenitiv) als auch „Behinderung bestehend aus Blut“ (Genitiv des Materials: so MedWb I, 435) übersetzt werden. Als Diagnose der Ursache des Leidens kommt eher ein Objektsgenitiv in Betracht, als Identifizierung des gefundenen „Etwas“ eher eine Materialangabe.
6ḥr jd.t: Es ist auffällig, dass die Verstopfung „auf/über“ (ḥr) und nicht „in“ (m dem Uterus ist. Das Wort jd.t (teilweise auch ḥm.t gelesen) bedeutet wohl nur „Uterus, Gebärmutter“ (MedWb II, 597–600; Lefebvre, Tableau, 41, § 47; Weeks, Anatomical Knowledge, 67; Walker, Anatomical Terminology, 266; Westendorf, HdO, 221; vgl. aber auch demot. ꜣt.t/ꜥt.t [Westendorf, HdO, 220] und kopt. ⲟⲟⲧⲉ (S) und ⲟϯⲓ (B) für „womb“ [Crum, Coptic Dictionary, 257a]) und nicht auch noch „Vulva, weibliche äußere Geschlechtsorgane“ (so Wb 3, 76.1–3; Breasted, Edwin Smith, 488; Grapow, Grundriss I, 88–89; Gardiner, AEO, II, 258*–262*; Hannig, Handwörterbuch, 129).
7wꜣm: Wb 1, 251.12–13: eine Pflanze und deren Frucht.
8 Für die Maßangaben wird T. Pommerening, Altägyptische Rezepturen metrologisch neu interpretiert, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26, 2003, 1–16 gefolgt: die Fraktionen des Horusauges sind Fraktionen des Oipe-Maßes, d.h. des Viererheqat/Vierfachheqat-Maßes (19200 ccm), die normalen Fraktionen sind Fraktionen des Dja-Maßes (300 ccm), das 1/64 des Horusauges entspricht. Falls diese Interpretation der Maßangaben zutrifft, liegt hier eine Flüssigkeitsmenge von etwas mehr als 3,6 Liter vor. Unklar ist, ob diese Menge über einen Zeitraum von 4 Tagen zu trinken ist oder ob an jedem Tag diese Menge getrunken werden muss.
9 k⟨n⟩s: Der Text ist fehlerhaft. Die einfachste Korrektur ist k⟨n⟩s; laut Grundriss IV/2, 206 (zu 272, Anm. 3) erwartet man sogar kns=s. Eine Emendation zu {k}⟨jd.t/kꜣ.t⟩=s: „ihre Vulva“ (Sander-Hansen, in: Firchow (Hg.), Ägyptologische Studien, VIO 29, Berlin 1955 [Festschrift Grapow], 288, Nr. 12: mit Sign-List F143 statt V31) passt nicht zur Anordnung der Zeichen. kns bedeutet einen Körperteil oder eine Körperregion im Genitalbereich, sowohl beim Mann als auch bei der Frau belegt. Ältere Deutungen als „Damm, Perineum“ (Loret, in: RT 18, 1896, 179–181; Wb 5, 134.7–8; Grapow, Grundriss I, 83–85) und „Vagina“ (Gardiner, Chester Beatty Papyri, 122, Anm. 2; Allen, 2005, 111) sind unhaltbar. Dawson, in: ZÄS 62, 1927, 22 und Id., in: JEA 22, 1936, 107–108 kommt nach einer erneuten Analyse zu der Bedeutung „pubic region, pubes, hypogastric region“, u.a. weil in einem Text dieses Wort zwischen den Wörtern Nabel und Penis genannt wird und das Salben der Vagina medizinisch unsinnig wäre. Weitere Untersuchungen (u.a. Lefebvre, Tableau, 38–39, § 44; MedWb II, 907–908; Weeks, Anatomical Knowledge, 54–55; Walker, Anatomical Terminology, 231–232 und 277) kommen zu der gleichen Schlussfolgerung, wobei Westendorf, HdO, 202–204 meint, dass „Schamgegend“ noch zu eng gefasst und „Unterleibsregion“ mehr angemessen sei. Das Wort kommt häufig neben npḥ.w(j) vor, dessen Bedeutung ebenfalls nur annähernd bestimmt ist.
10msḏr-ḥḏr.t: Eine Pflanzenbezeichnung (Pflanzendeterminativ am Wortende) die als Genitivverbindung des Wortes „Ohr“ mit einem Tiernamen ḥḏr.t aufgebaut ist. Eine ähnliche Wortbildung für Pflanzenbezeichnungen im Deutschen ist z.B. Löwenzahn. Die Pflanze ist nicht identifiziert, u.a. weil die Tierbezeichnung unsicher ist. V. Vikentiev identifiziert die Pflanze als Silphium, weil er das Tier für einen Luchs hält und weil Silphium und msḏr-ḥḏr.t im Bereich Frauenheilkunde/Fruchtbarkeit eine Rolle spielen (Le silphium et le rite du renouvellement de la vigueur, in: BIE 37/1, 1954–1955, 123–150, hier: 130). Die Argumentation ist jedoch wenig überzeugend. Er erkennt in dem ḥḏr.t-Tier den Luchs (ohne dies weiter zu begründen), den er als Felis libyca oder mehr spezifisch den Karakal (Felis caracal, eig. Caracal caracal) benennt (Luchs und Karakal wurden früher als verwandt eingestuft), welcher typische lange Haarpinsel an den Ohren hat. Und er meint, dass mit der msḏr-ḥḏr.t-Pflanze die ehemals in der Gegend von Kyrene (Kyrenaika) wachsende Gewürz- und Allheilpflanze Silphium gemeint sei (für ihn eine Pflanze der Gattung der Steckenkräuter (Ferula)), weil diese besonders charakteristische hochblattartige Tragblätter hat, die er (als Benennungsmotiv) mit den Haarpinseln des Karakals in Verbindung bringt, zumal Silphium und msḏr-ḥḏr.t beide im Bereich der Frauenheilkunde/Fruchtbarkeit eingesetzt werden.
ḥḏr.t: Ist ein nicht sicher identifiziertes Säugetier. Vorausgesetzt, dass ḥḏr.t die weibliche Entsprechung des ḥḏr-Tieres (ursprünglich ḥḏrr) und nicht ein ganz anderes Tier ist (für die Gleichheit spricht das Determinativ bei den Personennamen ḥḏr und ḥḏr.t), wird das Tier auf der Grundlage des Determinativs, des Tierverhaltens und der Tiergröße (in manchen Texten beschrieben) als „Erdwolf“ (Proteles cristata, eine kleine Hyänenart), „Wüstenspringmaus“ (Jaculus) und „Schwein/Keiler“ identifiziert. Mindestens eine Darstellung (Mastaba des Nefermaat und Rahotep in Meidum: Theis, in: ZÄS 138, 2011, Taf. 4: Toponym ḥḏrr) sowie die möglicherweise gleiche semitische Wurzel ḫzr/ḥzr und ḫnzr/ḥnzr könnten für „Schwein/Keiler“ sprechen (ausführlich: C. Theis, Erdwolf oder Schwein?, in: ZÄS 138, 2011, 79–88 und Taf. 4). Aber andere Determinative (z.B. in den AR-Domänennamen sḫ.t-ḥḏr.t und ḥḏr.t [Junker, Giza II, Abb. 20; LD II, Taf. 28]; in den Personennamen ḥḏr und ḥḏr.t/ḥḏr.wt auf Stelen CG 20055, 20066, 20105, 20260: Lange & Schäfer, Grab- und Denksteine des Mittleren Reiches, IV, Berlin 1902, Taf. 6, 7, 11 [längliches kleines Tier mit kurzem Kopf auf kurzen Beinen und mit langem Schwanz]; Schlacht von Dapur im Ramesseum: KRI II, 173.7 mit Fotos in Wreszinski, Atlas zur altäg. Kulturgeschichte, II, Taf. 108 und Daumas, La civilisation de l’Égypte pharaonique, Paris 1965, Taf. 59, rechts [Böckchen?, Kalb?, Springmaus im Sprung?]) sowie die Glosse n qd pn: „Art Maus“ bei ḥḏr oder ḥḏr[.t] im späthieratischen Glossar von Tebtynis pCarlsberg 180.9+PSI I 76a (Osing, Hieratische Papyri aus Tebtynis, CNI 17, Bd. I, S. 123 und 124 Anm. (n) und Bd. II, Taf. 10A, Kol. O2, Zl. 11: inmitten einer Gruppe von Tieren, bei denen man Schlangen, Würmer, Ungeziefer und Insekten erkennt, aber keine größeren Tieren) sprechen eher für eine Wüstenspringmaus oder ein ähnliches kleines Tier mit langem Schwanz. Für „Wüstenspringmaus“ sprechen sich z.B. Gardiner (HPBM III. Chester Beatty Gift, I, 16, Anm. 3 [vgl. 47, Anm. 15]), Meeks, AL 79.2123 und Vernus (Vernus & Yoyotte, Bestiaire des pharaons, 66–67, 141–142) aus, wobei Vernus hieroglyphisch ähnlich aussehende Tiere wie Wiesel, Schliefer, Erdhörnchen, Ziesel oder Mangust nicht gänzlich ausschließt (66–67, 133, 134, 141–142, 184, 610). Die Interpretation als „Erdwolf“ beruht eigentlich nur auf der Tatsache, dass verschiedene Autoren dem Tierdeterminativ eine Hyänen-ähnliche Form bescheinigen, wobei allerdings ḥṯ.t schon „Hyäne, Streifenhyäne“ bedeutet, daher ein anderes Tier vorliegen muss: „Ein Tier, das mehrheitlich als Hyäne gedeutet wird, weil es in der überwiegenden Zahl der Belege, besonders mit seiner Rückenmähne der Streifenhyäne ähnelt, sollte das nicht der Erdwolf (Proteles cristatus) sein?n“ (so Störk, in: WdO 15, 1984, 72–74). Bei der Hyänen-ähnlichen Form mit Rückenmähne bzw. beim Schwein mit Borsten auf dem Rücken ist außerdem zu berücksichtigen, dass es sich dabei um Druckhieroglyphen und nicht um Facsimile-Zeichnungen oder Fotos handelt. Als Hyänen-ähnliche Bezeichnungen sind weitere Deutungsversuche wie Luchs, Karakal und eine Fuchsart einzustufen (eine Auflistung von Deutungsversuchen bei Theis, in: ZÄS 138, 2011, 80–82). Im Augenblick spricht die Quellenlage gegen eine Interpretation als „Erdwolf“ oder ein Schakal- oder Hyänen-ähnliches Tier.
11ḥwꜣ=s: Das Personalpronomen 3. Pers. Fem. bezieht sich entweder auf die Patientin oder auf das vorbereitete Heilmittel aus Pflanze und Öl/Fett (das Wort für „Heilmittel“, pẖr.t, ist ein Femininum). Spätestens bei npḥ.wj=s kann nur die Patientin gemeint sein, aber das unmittelbar folgende jm kann nur auf die Mischung bzw. das Heilmittel zurückverweisen. Breasted, Lefebvre und Allen beziehen alle Personalpronomina auf die Patientin. Der Grundriss der Medizin und Westendorf beziehen ḥwꜣ=s und sj auf die Mischung / das Heilmittel. ḥwꜣ bedeutet „faulen, verwesen“. Ob es auch „stinken (⟨ Verwesungsgeruch verbreiten)“ bedeutet (Faulkner, CD, 166: „smell offensive“; Hannig, HWB, 552 {19999}: „stinken“) ist unsicher, denn die Textquelle bei Faulkner ist unsere Textstelle und Hannigs Quellen sind noch nicht publiziert. Das Substantiv ḥwꜣ wird mit dem in Anschluss genannten Körperteil npḥ.w in den Zaubersprüchen für Mutter und Kind (pBerlin P. 3027, Kol. 4.8; von Westendorf, HdO, 203 als „stinken“ aufgefasst) genannt. Tatsächlich übersetzt Breasted, auf den sich Faulkner vermutlich bezieht, mit „If afterward she has an evil odor“ (gefolgt von Lefebvre, 1956, 96). Für Walker, Anatomical Terminology, 253 bedeutet dies, dass die Vagina eine übelriechende Substanz infolge einer Infektion in der Gebärmutter abscheidet. Aber Allen übersetzt ebenfalls mit der Patientin als Subjekt: „After she begins bleeding“, wobei die Übersetzung „zu bluten anfangen“, d.h. „zu menstruieren anfangen“ vermutlich aus dem Zusammenhang abgeleitet wird (Frandsen, in: JEA 66, 2007, 81–106 nimmt ḥwꜣ nicht als ein Verb mit der Bedeutung „menstruieren“ auf). Ganz anders verstehen die Autoren des Grundrisses der Medizin, darunter W. Westendorf, diese Stelle: für sie ist der Faulungsprozess eine Phase in der Zubereitung der Arznei: „Nachdem es verfault / faulig geworden ist“ (Westendorf, 1966, 104; Westendorf, HdO, 746; schon Grundriß IV/1, 272; gefolgt von Bardinet, 453).
12zjn: Bedeutet zuerst „reiben“ und kann je nach Zusammenhang sowohl „abreiben“, als auch „einreiben“ und „ver-/zerreiben“ meinen. In der Auffassung von Breasted wird die Patientin abgerieben, d.h. gereinigt, weil sie stinkt („wipe her off“). Bei Allen wird sie gerieben („to rub her“), wenn sie angefangen hat zu bluten, ohne dass klar wird, was damit gemeint sei (massieren?; laut Dawson, in: JEA 22, 1936, 108 soll das Einreiben des Heilmittels den Schmerz lindern und die Monatsblutung durch Massage auslösen.). Nach Bardinet wird die Patientin mit dem Heilmittel eingerieben („tu devras l’en frotter“), nachdem es verfault ist. Für Westendorf und seine Kollegen wird die Pflanzen- und Ölmischung verrieben, womit sie eine Phase in der Drogenbereitung meinen (eindeutig in: MedWb II, 716, unter (1.a)): Drogen können zu einer Masse verrieben oder in andere Drogen eingerieben werden, wobei es sich um Flüssigkeiten handelt (Bedeutung etwa: verrühren?, mixen?). Gegen „die Patientin abreiben“ spricht, dass normalerweise angegeben wird, welcher Körperteil abgerieben und/oder womit abgerieben wird. Gegen „die Patientin einreiben“ spricht, dass auch dann der betreffende Körperteil fehlt und man erwartet die Wiederaufnahme des Einreibemittels durch das Adverb „damit“.
13npḥ.wj=s: Das Wort erscheint als Singular, als Dual und als Plural sowie regelmäßig zusammen mit dem Körperteil kns. Es ist ein Bereich im Unterleib in der Nähe der Genitalien, der doppelt vorkommt (Dualformen). Ältere Deutungen als Labia/Schamlippen (Breasted, 490, nur als unsicher gekennzeichnet) und Kreuzbeingegend (Bereich des Os sacrum) (Ebbell, in: Acta Orientalia, 15, 1937, 305–308) werden heute abgelehnt. Die meisten Untersuchungen nehmen an, dass es die Leiste oder die Leistengegend (Eng.: inguinal region, groins; Fr.: aines) (Grapow, Anatomie, 83–84; Lefebvre, Tableau, 33, § 37; Walker, Anatomical Terminology, 251–256: „groin, inguinal region“, aber möglicherweise auch beschränkt auf die Leistenlymphknoten; Westendorf, HdO, 202–205: „Leistengegend/Beckenraum“) und/oder den Beckenraum (MedWb I, 457–458: Beckenraum, vielleicht das kleine Becken; Allen, 2005, 113: „pelvis“ [ohne Kommentar]) und nicht die gerade darüber gelegene Lendenregion ist (Faulkner, CD, 130: „iliac region“, mit Verweis auf Dawson, in: JEA 20, 1934, 185, der jedoch von „groins“ spricht [ohne Kommentierung]; vgl. ebenso Dawson, in: ZÄS 62, 1927, 22: „groins“ [ohne Kommentierung]). Für Weeks, Anatomical Knowledge, 55–56 scheint es ein allgemeiner Terminus für den Bereich um die Genitalien herum zu sein, wobei die Übersetzung „groin“ zwar dem Dual gerecht wird, aber der Begriff eher mit dem Genitalbereich („genital region proper“) als mit der Leistengegend („inguinal region“) zusammen hängen könnte.
14mn.tj: Wurde von Breasted noch mit „loins“ übersetzt, d.h. „Lenden“, aber es bedeutet mit Sicherheit „Oberschenkel“ bei Menschen bzw. „Hinterschenkel“ bei Tieren (Wb 2, 68.8–15; Grapow, Anatomie, 92; MedWb I, 370–371; Lefebvre, Tableau, 47–48, § 54; Westendorf, Handbuch, 222).
15ꜥntjw ḥr snṯr: Myrrhe und Weihrauch werden in einer Räucherschale bereitgestellt und angezündet, wie aus Parallelstellen und aus dem Rauch im nächsten Satz hervorgeht.
16ḥtj: Der Zweck der Räucherbehandlung wird nicht mitgeteilt, so dass unbekannt ist, ob sie zum Ziel hat, den Verwesungsgeruch der Frau (falls ḥwꜣ=s so zu deuten ist) entgegenzuwirken (so Walker, Anatomical Terminology, 253, Anm. 8).
17jwf: Das Wort „Fleisch“ wird in manchem Zusammenhang als Euphemismus für die Vagina verwendet (MedWb I, 30–32; so schon vermutet von Iversen, Pap. Carlsberg No. VIII, 22, Anm. 3 und 23, Anm. 3). Unklar ist, ob das Wort neben dem weiblichen Geschlechtsteil auch für das männliche Geschlechtsteil verwendet werden kann (MedWb I, 30, Anm. 9 und 31, Anm. 2; vgl. Lefebvre, Tableau, 43, § 48, der das Fleischzeichen jedoch manchmal kꜣ.t statt jwf liest). Ein Heilmittel kann in das „Fleisch“ der Frau (ein)gegossen (wdḥ m) und in das „Fleisch“ (ein)gegeben (rḏi̯ m) werden. Einmal wird dafür gesorgt, dass der Rauch ins Innere des „Fleisches“ der Frau eintreten kann (pEbers 793: ꜥq r ẖnw jwf=s [Grundriss IV, 283; Grundriss V, 487]).

Hautverschönerungsmittel

Rezept 1

Heilmittel/Rezept1 zum Umkehren (d.h. Verschönern)2 der Haut.
Honig: 1 (Maßeinheit); rotes Natron:3 [21.5] 1 (Maßeinheit); unterägyptisches Salz:4 1 (Maßeinheit).5
(Es) werde zu einer einzigen Masse zermahlen/zerrieben6; (es) werde damit gesalbt/eingecremt.

1 Das gleiche Rezept steht auch im Papyrus Ebers (Kol. 87.3–4, Nr. 714) und im Papyrus Hearst (Kol. 10.14–15, Nr. 153). Der Text ist im Grundriss V, 519–520 synoptisch zusammengestellt.
2 spnꜥ: Im pEbers steht k.t n.t spnꜥ jnm: „Ein anderes (Rezept) zum Umkehren der Haut“. Unmittelbar voran geht das Rezept pẖr.t n.t spḫꜣ ḥꜥ.w: „Rezept zum Öffnen des Körpers / der Körperoberfläche/Haut“ (Ebers Nr. 713). Im pHearst geht das gleiche Rezept wie im pEbers voran, dieses Mal mit dem varianten Titel pẖr.t n.t pḫꜣ ḥꜥ.w: „Rezept zum Öffnen der Körperoberfläche/Haut“. In allen drei Papyri folgt anschließend dasselbe Rezept, das in pEbers als k.t n.t snfr ḥꜥ.w: „Ein anderes (Heilmittel) zum Verschönern des Körpers / der Körperoberfläche“, in pHearst mit snfr jnm betitelt wird: „Das Verschönern der Haut“. Auch wenn die Bedeutung des Öffnens der Körperoberfläche/Haut (pḫꜣ ḥꜥ.w bzw. spḫꜣ ḥꜥ.w) nicht auf Anhieb verständlich ist, so bedeutet spnꜥ jnm sicherlich das Umkehren des Prozesses der Hautalterung, d.h. eine Glättung oder Verschönerung der Haut. Grammatisch ist pẖr.t spnꜥ zweifellos als ein Genitiv zu verstehen, obwohl normalerweise ein indirekter Genitiv ausgeschrieben ist (Fälle, bei denen n.t nach pẖr.t fehlt, stehen in MedWb I, 284 mit Anm. 3–4.). Eine Übersetzung wie „Heilmittel. Umwenden der Haut“ ist unwahrscheinlich (so Grundriss IV/2, 228, Anm. 1 zu H 153).
3 ḥzmn dšr: „Rotes Natron“ ist vermutlich ein durch eine Eisenverbindung verunreinigtes Natron (so Harris, Minerals, 195) (für ḥzmn siehe: Wb 3, 162.11–163.2; Harris, Minerals, 195–196; Aufrère, Univers mineral, I, 606–609). Das ägyptische ḥzmn lebt weiter in koptischem ϩⲟⲥⲙ (S), das griech. νίτρον und arab. naṭrūn entspricht (Crum, 713a).
4 ḥmꜣ.t mḥ.t bedeutet „unterägyptisches Salz“ oder „nördliches Salz“ (mḥ.t ist laut Wb 2, 124.6 ein Adjektiv). Angenommen wird, dass es um Salz geht, dass vom nordwestlichen Deltarand stammt, eventuell vom Mareotissee. Es gibt kein entsprechendes *ḥmꜣ.t šmꜥ.t: „oberägyptisches/südliches Salz“ und ḥmꜣ.t jꜣb.t: „östliches Salz“ sowie ḥmꜣ.t n.t ḫꜣs.t: „Wüstensalz“ sind sehr selten belegt. Laut Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 873 wird „nördlich“ hinzugefügt, um das Wort von der homophonen/homographen Pflanzenbezeichnung ḥmꜣ.yt zu unterscheiden. In französischen Übersetzungen wird ḥmꜣ.t mḥ.t des Öfteren mit „Meersalz“ übersetzt (z.B. Bardinet; Aufrère, Univers mineral, II, 636–637; Guiter, in: BIFAO 101, 2001, 231; laut Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 873 wurde Salz vor allem an der Meeresküste gewonnen), aber es ist unklar, ob schon vor der Ptolemäerzeit (Fuchs, s.v. Salz, in: LÄ V, 1984, 371) Meersalz gewonnen wurde. DrogWb, 340–344 vermutet, dass ḥmꜣ.t als Droge in den medizinischen Texten häufig nur eine Verkürzung von ḥmꜣ.t-mḥ.t ist. Das altägyptische ḥmꜣ.t lebt weiter im koptischen ϩⲙⲟⲩ, wo die Bedeutung „Salz“ abgesichert ist. Das Arabische milḥ: „Salz“ ist wahrscheinlich dasselbe Wort mit einer Metathese (ḥmꜣ.t ⟨ *ḥml / *mlḥ), während das in Wb 3, 93 als Vergleich herangezogene arabische ḥamuḍ laut Vycichl nicht verwandt ist (Vycichl, Dictionnaire étymologique, 299).
5 Es ist unsicher, ob die Maßangaben sich auf Verhältniszahlen beziehen (in unserem Fall gleiche Mengen an Honig, Natron und Salz) oder ob eine ungeschriebene konkrete Maßeinheit vorliegt (s. Grundriss IX, 3 und 9; Westendorf, Handbuch, 522–523). Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 105, Anm. 2 bezieht die Zahl 1 auf das „offizinelle Normalgewicht“ von 5 Ro, das er mit etwa 75 ccm ansetzt. Dann hätte die hergestellte Creme ein Volumen von 225 ccm. In den übrigen Übersetzungen wird eine solche Maßeinheit nicht markiert. Außerdem stellt sich die Frage, ob 5 Ro tatsächlich das Standard-Medizinalmaß ist und ob hier Maßeinheiten aus dem Mittleren Reich oder dem Neuen Reich zugrunde liegen (vgl. für die Maßangaben in medizinischen Texten: T. Pommerening, Altägyptische Rezepturen metrologisch neu interpretiert, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26, 2003, 1–16; T. Pommerening, Die altägyptischen Hohlmaße, Kap. 8 zum Dja-Maß).
6 nḏ versus sjn: nḏ bedeutet „mit einem Mühlstein mahlen, zerreiben“, wohingegen sjn eher mit Flüssigkeiten zusammenhängt: etwa „verrühren, mixen, kneten“? (Aufrère, Univers minéral, II, 691, Anm. 171: „l’idée de pétrissage, de malaxage qui a subsisté en sjn“).

Rezept 2

Ein anderes (Heilmittel/Rezept)1 zum Verschönern des Gesichts2.
Kalzitpulver (oder: Pulver von ägyptischem Alabaster)3: 1 (Maßeinheit); Natronpulver: 1 (Maßeinheit); unterägyptisches Salz: 1 (Maßeinheit); Honig: 1 (Maßeinheit).
(Es) werde zu einer einzigen Masse zusammengemischt;4 (es) werde damit gesalbt/eingecremt.5

1 Das gleiche Rezept steht auch im Papyrus Ebers (Kol. 87.4–5, Nr. 715) und im Papyrus Hearst (Kol. 10.15–16, Nr. 154). Der Text ist in Grundriss V, 520–521 synoptisch zusammengestellt.
2 snfr ḥr: In Papyrus Ebers steht k.t n.t snfr ḥꜥ.w: „Ein anderes (Heilmittel/Rezept) zum Verschönern des Körpers (d.h. der Körperoberfläche)“ und in Papyrus Hearst lautet der Titel snfr jmn: „Verschönern der Haut“. Laut Grundriß der Medizin (MedWb II, 614) wird ḥr: „Gesicht“ manchmal (und auch an unserer Stelle) in übertragenem Sinne mit der Bedeutung „Körperoberfläche“ verwendet, weil in Paralleltexten dort ḥꜥ.w oder jnm verwendet wird. Die übrigen Übersetzungen bleiben bei „Gesicht“.
3 dqw n.j šs: Im pEbers steht dq.w n.j šs, in pHearst qꜣ.w n.j šs: „Mehl/Pulver von Kalzit“. In beiden Fällen liegt ein indirekter Genitiv vor. Der Unterschied zwischen dq.w und qꜣ.w ist unklar.
4 ꜣmj: In pEbers und pHearst steht ꜣmj m ḫ.t wꜥ.t ḥr nn bj.t: „(Es) werde zu einer einzigen Masse mit diesem Honig zusammengemischt.“
5 gs jm: In pHearst steht gs jnm jm=f: „Die Haut werde mit ihr (d.h. mit der Masse) eingecremt.“; in pEbers steht gs ḥꜥ.w jm: „Der Körper werde damit eingecremt.“

Verjüngungsmittel

Anfang des Buches / der Buchrolle, um einen Alten/Greis zu einem Jugendlichen zu machen.
Dann/Dazu muss man sehr viel ḥmꜣ.yt-Früchte/Schoten (eine ölhaltige Hülsenfrucht?)1 holen, [21.10] das Äquivalent von 2 Khar-Säcken / 2 Khar-Maß2.
Dann muss man (es) zerstoßen/zerstampfen; (Es) werde in die Sonne gesetzt (wörtl.: dem Sonnenlicht gegeben).
Nachdem (es) durch und durch trocken ist, dann muss man (es) dreschen wie das Dreschen von Gerste (oder: so, wie Gerste gedroschen wird).
Dann muss man (es) worfeln bis zum Rest der zugehörigen Früchte/Samen/Körner (d.h. bis nur noch die Früchte/Samen übrig sind).
Bezüglich allem, was dabei entstanden ist, man muss (es) abmessen und man muss veranlassen, dass der Dreschraumabfall(?) (wörtl.: Abfall(?)3 des Dreschgebäudes(?)4) mit einem Sieb gesiebt wird.
(Es) werde ebenso alles, was aus diesen Früchten/Samen/Körnern entstanden ist (d.h. der gesiebte Abfall?), abgemessen.
(Es) werde zu zwei Teilen gemacht; einer besteht aus diesen Früchten/Samen/Körnern, [21.15] ein anderer besteht aus dem Abfall.
Der eine werde wie der andere gemacht (d.h. beide Teile sind von gleicher Quantität).
Dann muss man (es), indem/nachdem (es) zu einer einzigen Masse gemacht wurde, in Wasser ansetzen5; (Es) werde zu einem weichen/flüssigen6 Teig gemacht.
Dann muss man (es) in einem neuen sbḫ-Topf7 aufs Feuer setzen; (Es) werde durch und durch und gründlich gekocht.
Du erkennst, dass sie (ausreichend) durchgekocht werden, weil das zugehörige Wasser verdampft8 und weil sie austrocknen, so/bis dass (sie) wie trockener Abfall sind, ohne dass es Feuchtigkeit9 darin gibt.
Dann muss man (sie) (vom Feuer) wegnehmen.
Vorausgesetzt, es ist inzwischen abgekühlt, dann muss man (sie) in eine ꜥnḏw-Schüssel10 geben, um sie [21.20] im Fluss zu waschen.
Dann muss man (sie) gründlich waschen.
Man erkennt, dass sie (ausreichend) gewaschen werden, weil man den Geschmack dieses Wassers, das in dieser ꜥnḏw-Schüssel ist, schmeckt:
[22.1] es ist keinerlei Bitterkeit darin (oder: ohne dass noch irgendeine Bitterkeit darin ist).
Dann muss man (sie) in die Sonne setzen (wörtl.: dem Sonnenlicht geben); (Sie) werden ausgebreitet auf einem Tuch des Wäschers11.
Vorausgesetzt, sie sind inzwischen getrocknet, dann muss man (sie) zerreiben auf einem Mühlstein zum Pulverisieren/Zermahlen.
Dann muss man (es) in Wasser ansetzen.
(Es) werde wie ein weicher/flüssiger Teig gemacht.12
Dann muss man (es) in einem sbḫ-Topf aufs Feuer setzen; (Es) werde gründlich gekocht.
Man erkennt, dass ⟨sie⟩ (ausreichend) durchgekocht werden, weil Klümpchen13 Öl daraus hervorgehen.
Mit einer Muschelschale(?)14 (als Schöpflöffel) pflegt ein Mann das Öl, das daraus hervorgeht, abzuschöpfen.
[22.5] (Es) werde in ein Hin-Gefäß15 gegeben, nachdem es (das Gefäß?) mit Ton ausgeschmiert(?)16 wurde.
(Er, d.h. der Ton oder der Hin-Topf) werde geglättet17 und seine Ausschmierung(?) werde verdichtet/verdickt(?).
Dieses Öl werde abgeschöpft; (Es) werde gegeben auf ein Abdecktuch(?)18 in der Hälfte der Oberseite (d.h. an der oberen Seite oder in der oberen Hälfte; oder: des Deckels)19 dieses Hin-Gefäßes.
Danach, dann muss man (es) in ein Henu-Gefäß aus Stein umsetzen (wörtl.: geben).
Es werde der Mann (d.h. der Patient) damit eingecremt.
Das bedeutet ein Beseitigen der Stirn-/Gesichtskrankheit (ein starker Schnupfen oder Katarrh?)
20 im Kopf.
Wenn der Körper damit abgewischt/abgerieben wird, dann kommt eine Verschönerung der Haut (dabei) heraus, (wobei) die nḏꜥ.w-Alterserscheinung
21, jegliche Art von jmš.t-Alterserscheinung22, jegliche Art von tnj-Altersbeschwerde23 und jegliche Art von srf.t-Entzündung (eine Hautkrankheit?)24, [22.10] die im Körper (oder: an der Körperoberfläche) ist, beseitigt worden sind.
Etwas vorzügliches, zahllose Male (erprobt) / millionenfach (angewendet).

1 ḥmꜣ.yt: Fehlt in Wb 3 (nicht von ḥmꜣ.t: „Salz“ unterschieden). DrogWb 344–348: „eine Hülsenfrucht“. Die Identifikation der Pflanze ist bislang nicht gelungen. Aus der Verarbeitung in pEdwin Smith geht hervor, dass es eine ölhaltige Frucht bzw. ein ölhaltiger Kern oder Same sein muss. Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 866–876 geht von der Hülsenfrucht Bockshornklee aus (Trigonella foenum graecum L.; Franz. fenugrec; Engl. fenugreek; Arab. ḥelba/ḥulbat). Seine Argumente sind: es wird gedroschen und gewonnen wie Getreide; es schmeckt bitter und dieser Geschmack wird durch gründliches Kochen und Waschen entfernt; die Samen liefern ein fettes Öl in geringer Menge; die medizinische Anwendung von ḥmꜣ.yt ist wie die von Bockshornklee in der Haar- und Gesichtspflege; das ägyptische ḥmꜣ.yt und das arabische ḥulbat sind vielleicht von derselben Wurzel. Gardiner, AEO I, 21 hält die sprachliche Verwandtschaft von ḥmꜣ.yt und ḥulbat für fast sicher falsch. Sein auf Keimer (in: BIFAO 28, 1929, 84) zurückgehendes Argument, dass Bockshornklee erst eine sehr spät importierte Pflanze ist, trifft nicht zu (siehe Germer, Flora, 69). Der Deutung von Loret wird teilweise gefolgt (z.B. Lefebvre, in: Firchow, Ägyptologische Studien, 211; Janssen, in: JEA 49, 1963, 69, Anm. (p); Darby, Ghalioungui und Grivett, Food: The Gift of Osiris, II, 801–802; Manniche, An Ancient Egyptian Herbal, 151–152: „very likely our fenugreek (although ‚bitter almond‘ has also been suggested)“; Charpentier, II, 468–469, 748: „très probablement le fruit de la trigonelle (fenugrec)“). Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 107, Anm. 2 übersetzt mit „Bockshornklee“ und den Pflanzenname mit „Salz- bzw. Bitterkraut“, d.h. er erkennt einen etymologischen Zusammenhang zwischen dem Pflanzennamen und ḥmꜣ.t: „Salz“ (Westendorf, HdO, 502 und 747 übersetzt den Namen mit „Bitterfrucht/Bitterfrüchte“). Breasted, Edwin Smith Papyrus, 406 fragt sich hingegen, ob die ḥmꜣ.yt-Frucht etymologisch mit dem Wort ḥmꜣ: „Ball“ zusammenhängen und eine runde, ballförmige Frucht sein könnte. Germer, Arzneimittelpflanzen, 219–225 wendet gegen Loret ein, dass der Ölertrag zu gering sei, um auf die beschriebene Weise gewonnen zu werden; dass der Bitterstoff nicht nur beim Bockshornklee, sondern auch bei anderen Pflanzen durch ausgiebiges Kochen und Waschen entfernt wird; dass ḥmꜣ.yt vermutlich die Frucht der ḥmꜣ/ḥmꜣw-Pflanze sei, welche möglicherweise ein Strauch oder sogar ein Baum ist, was für Bockshornklee nicht zutrifft. Für Germer, Arzneimittelpflanzen, 224–225 passen die Indizien aus pEdwin Smith für die Verarbeitung der Bittermandel (Prunus amygdalus), aber sie gesteht ein, dass bislang ungewiss ist, ob der Mandelbaum schon vor der 18. Dynastie in Ägypten bekannt war und verarbeitet wurde. Allen folgt mit seiner Übersetzung „bitter almonds“ (Art of Medicine, 2005, 113) diesem Vorschlag von Germer. In einer späteren Publikation hält Germer, Handbuch der altäg. Heilpflanzen, 2008, 94–95 die Pflanze für nicht identifiziert. Hannig, HWB, 571 gibt für die ḥmꜣ.yt-Pflanze zwei mögliche Identifikationen: *Strauchmelde/Meerportulak, Atriplex halimus und *Bittermandel, Prunus amygdalus. Gegen Strauchmelde, deren Blätter salzig schmecken (vgl. etymologische Verwandtschaft mit ḥmꜣ.t: „Salz“?) spricht, dass keine Ölgewinnung aus den Samen belegt ist (Germer, Handbuch, 206–207).
2 ẖꜣr 2: Das Wort ẖꜣr ist sowohl die Bezeichnung für einen Behälter als auch eine konkrete Verpackungseinheit. Die ungenaue Angabe von mj.tt ẖꜣr 2 könnte für den Behälter sprechen. Falls doch eine konkrete Verpackungseinheit gemeint ist, könnte ein Sack/Khar in der Zweiten Zwischenzeit oder dem frühen Neuen Reich das Äquivalent von 20 Hekat oder ca. 96 Liter sein (siehe dazu Pommerening, Hohlmaße, 136–138). Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 854, Anm. 2 kommt für 2 Sack auf 192,9375 Liter. Laut Westendorf (Papyrus Edwin Smith, 107, Anm. 3 und HdO, 747) sind 2 Sack hingegen etwa 150 Liter.
3 sḫr: Das Wort kommt dreimal in pEdwin Smith vor und wird jedes Mal mit Buchrolle und Pluralstrichen determiniert. Breasted hat sḫr noch als das Wort „Plan; Art und Weise“ gelesen. Die Interpretation von sḫr als „Abfall“ oder mehr spezifisch „pflanzlicher Abfall, Abfall von Feldfrüchten, Kleie“ (so Meeks, AL 77.3824: „déchets (végétaux), son“; Hannig, HWB, 812: „Abfall von Feldfrüchten“) geht auf Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 855–857 zurück, der sḫr nicht mit der Buchrolle (Gardiner, Sign-List Y1), sondern mit einem Brotzeichen (Gardiner, Sign-List X4) determiniert und als „débris de gousses tombés“ (also etwa: „Spreu“ oder „Kleie“) identifiziert. Er erkennt in kopt. ⲉϣⲟ: „Kleie“ (Crum, Coptic Dictionary, 63a: „bran“) den Nachfahr von sḫr (gefolgt von Westendorf, KHWB, 43: „Kleie“ und Meeks, AL 77.3824). Die Deutung von Loret findet sich noch nicht im Grundriss der Medizin. In Grundriss IV/1, 302 wird mit „⟨Spreu-⟩Haufen“ übersetzt (daher Buchberger, Transformation, 579 (Nr. 9./46): „(Spreu)haufen“). MedWb II, 791 gibt als Übersetzung „Abfall“, ein Substantiv, abgeleitet von der Wurzel sḫr: „fallen lassen“ (daher: Bardinet, 521: „le résidu“). MedWb verweist außerdem auf Wb 4, 261.5, wo ein Wort sḫr.w (ohne Übersetzung) in der Kombination pr-sḫr.w im Alten Reich in der Ackerverwaltung vorkommt. Hannig, HWB, 299 hat sowohl pr-sḫrw: „e. Verwaltungsbüro“ {10764} als auch HWB, 812: „*Haus des Feldfruchtabfalls“ {29906} (sind es dieselben Textstellen?). Westendorf (Papyrus Edwin Smith, 106 und HdO 747) übersetzt konkret mit „Spreu“ und Allen, 2005, 113 hat „chaff“. In pEdwin Smith 21.18 ist es mit dem Attribut šwi̯: „trocken (sein)“ versehen (MedWb II, 791, Anm. 2 schließt nicht aus, dass hier sḫr: „Art, Zustand“ zu lesen sei.).
4 psḏn: Wb 1, 559.19 (ohne Übersetzung, in der Verbindung skj n(.j) psḏn). Breasted, 495 lässt das Wort untransliteriert und er übersetzt mit „threshing floor(?)“, ohne seine Übersetzung zu begründen. Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 856–857 liest nḫn (wie beim Ortsnamen Nechen / Hierakonpolis) statt psḏn und er erkennt ein Gebäude im Zusammenhang mit Mehl oder mit Brot, wo man sowohl drischt und worfelt als auch Brot backt, eine Art von Tenne-Backstube („aire-fournil“). DrogWb, 208 übersetzt mit „Tenne“, ohne die Übersetzung weiter zu begründen oder auf Breasted oder Loret hinzuweisen. Gerade für die Wortverbindung skj n.j psḏn liegt auch eine ältere Lesung skj n.j psn vor (von Wreszinski, Ebbell, Lefebvre; erwähnt in DrogWb, 466), die jedoch unwahrscheinlich ist. Sofern die Übersetzungshypothese „Tenne“ richtig ist, unterscheidet sich psḏn von anderen Wörtern für Tenne (zp, ḏnw), dem Determinativ des Hauses nach zu urteilen, durch eine eckige Gebäudestruktur, im Gegensatz zu einer runden Fläche oder einer Geländestruktur.
5 smn: Anders als die übliche Schreibung des Verbs smn: „stehen lassen, befestigen“, hat smn hier Stößel (Gardiner, Sign-List U32) und schlagenden Arm als Determinative. Für Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 858 bedeutet dies, dass ein anderes/neues Verb vorliegt, für das sich die Übersetzung „vermischen“ („mélanger“) aus dem Zusammenhang anbietet (smn ḥr mw, ḥr bj.t, ḥr ꜥntjw wꜣḏ: “... mit Wasser, mit Honig, mit frischer Myrrhe“). Laut MedWb II, 753 ist es das bekannte Verb smn: „stehen lassen, befestigen“, das in der Drogenbereitung die besondere Bedeutung „ansetzen“ bekommt. Vgl. aber auch zmn: „jemanden weilen lassen unter Personen; sich verweilen“ (Wb 3, 453.2–3). In Kol. 22.2 steht smn.ḫr=tw ḥr mw / jri̯ mj šd.t gn.t, ohne das eingeschobene jri̯ m jḫ.t wꜥ.t.
6 gn.t: Vom Verb gnn abgeleitet, hat gn.t hier ausnahmsweise die Wasserwellen als Determinativ, was darauf hinweist, dass „weich, schwach sein“ die besondere Bedeutung „flüssig sein“ bekommt.
7 sbḫ: Wird in Wb 4, 92.13 als „Kochtopf“ übersetzt, weil in pEdwin Smith in ihm gekocht wird. MedWb II, 736 schreibt mehr neutral „[Topf]“, d.h. präzisiert nicht was für eine Art Topf es ist (Form oder Funktion). Das Determinativ ist in pEdwin Smith eine geschlossene Topfform bzw. das Standarddeterminativ für Töpfe (Gardiner Sign-List W22: Bierkrug). Die Wurzel sbḫ: „umschließen“ könnte auf eine eher geschlossene Topfform hinweisen. Eine Wortverbindung mit dem Verb sbḫ ist sbḫ šḏ.t, was als: „Teig rühren“ übersetzt wird (zuerst P. Montet, Scènes de la vie privée dans les tombeaux égyptiennes de l’Ancien Empire, Strasbourg 1925, 238; H.T. Mohr, The Mastaba of Hetep-her-akhti, MVEOL 5, Leiden 1943, 44 [mit Fragezeichen]; James, Khentika, ASE 30, London 1953, 70 und Taf. 42, Nr. XII.244; D. Faltings, Die Keramik der Lebensmittelproduktion im Alten Reich, SAGA 14, Heidelberg 1998, 112) und in zwei Gräbern des Alten Reiches belegt ist, in denen ein Bottich abgebildet ist (Faltings spricht von einem Teigmischbottich). Der von Balcz genannte sbḫ-Bottich (in: MDAIK 4, 1933, 217 mit Abb. 67.g auf S. 218) betrifft eine solche Darstellung; es geht dort also nicht um den Namen des Topfes, sondern um das Verb sbḫ in der Wortverbindung sbḫ šḏ.t. Die Gefäßbezeichnung sbḫ ist zu selten, als dass es den normalen „Kochtopf“ bezeichnen kann (das ist wḥꜣ.t oder ktw.t, so dass diese Übersetzung vom Wb zu präzise sein wird. In einer Geschenkeliste im Grab des Sarenput I. in Assuan (E. Edel, Beiträge zu den Inschriften des Mittleren Reiches in den Gräbern der Qubbet el Hawa, MÄS 25, Berlin 1971, 33 und Abb. 10, oberes Register) ist das beschädigte Wort sbḫ mit einer Schale determiniert (Gardiner, Sign-List W3), ähnlich dem ḥb/ḥꜣb-Zeichen (vgl. Alabaster Schale), d.h. mit einer offenen statt einer geschlossenen Form.
8 ꜥḫḫ: In Wb 1, 223.18 und 223.19 werden das spätzeitliche ꜥḫ: „verbrennen(?)“ und das ältere ꜥḫḫ: „vom verdunsten des Wassers beim Kochen“ separat aufgeführt. In MedWb I, 151 wird ꜥḫḫ als III-Inf. unter ꜥḫi̯ abgelegt mit der Bedeutung „verdampfen (vom Wasser)“ (vgl. auch Westendorf, KHWB, 491 für III-Inf.). Hannig, HWB, 170 verzeichnet die Belege unter dem II-Gem. ꜥḫḫ: „verdampfen, verzehren“. Die Bedeutung „verdampfen, verdunsten“ geht auf diese Textstelle in pEdwin Smith zurück.
9 nqw.t: ein Hapax Legomenon, mit dem Wasserdeterminativ versehen. Die Bedeutung wurde aus dem Zusammenhang erschlossen (Breasted, 495 und 596: „moisture“; Wb 2, 343.17: „Feuchtigkeit“). Breasted (S. 596) erkennt in kopt. ⲗⲱⲕ: „zart, weich, frisch sein“ dieselbe Wurzel wie in nqw.t (vgl. Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte, 96). Für ⲗⲱⲕ wird jedoch auch eine andere, semitische Etymologie angeführt (Dévaud, in: Le Muséon 36, 1923, 87; gefolgt von Cerný, Coptic Etymological Dictionary, 70 und Westendorf, KHWB, 76; abgelehnt von Vycichl). Westendorf, KHWB, 464 fragt sich, ob kopt. ϭⲣⲱ, ϭⲁⲓⲣⲓ (B): „Tau, Sprühregen, Feuchtigkeit“ mit nqw.t zusammenhängt (Metathese?).
10 ꜥnḏ.w: Sieht in Abbildungen in Mastabas des Alten Reiches wie eine hochwandige, große Schale, eventuell mit Ausguss aus, die vom Metzger beim Schlachten von Rindern verwendet wird (Grab des Ti: Montet, Scènes de la vie privée, 165, Fig. 29 und DZA 21.889.620; Mariette, Mastabas, D41: DZA 21.889.670; Mariette, Mastabas, D10: DZA 21.889.610). Balcz, in: MDAIK 4, 1933, 28–29 nennt es eine tiefe Schüssel, die als Blutschale verwendet wird.
11 ḥbs n.j rḫtj: Westendorf (Papyrus Edwin Smith, 107, Anm. 6) fragt sich, ob „ein Tuch des Wäschers“ ein frisch gewaschenes Tuch bedeutet, das gerade von der Wäscherei gekommen ist (ebenso Westendorf, HdO 747, Anm. 112, diesmal ohne Fragezeichen). Er vergleicht die Rolle der Sauberkeit des Tuches mit der Verwendung eines neuen Topfes in der vorangehenden Phase der Verarbeitung. Hannig, HWB, 507 {18262} schreibt zur Wortverbindung ḥbsw n rḫtj: „Tuch des Wäschers (auf dem er die Wäsche ausbreitet)“. Die dem Beleg {18262} entsprechende Textstelle, hat Hannig noch nicht publiziert (geht es um eine andere Textstelle als pEdwin Smith?).
12 jri̯ mj šd.t: In der Parallelstelle in Kol. 21.16 steht jri̯ m šd.t: „es werde als ein / zu einem Teig gemacht“.
13 pns.t: Breasted hat angenommen, dass eine Bezeichnung für eine Flüssigkeit vorliegt, weil in der Parallelstelle in Kol. 21.17 Wasser(dampf) als Ergebnis des Kochens aufsteigt (rḫ=k pfss=sn ḥr ꜥḫḫ mw jr.j vs. rḫ=tw pfss⟨=sn⟩ ḥr prr pns.wt jm): „fluids“ (daher Faulkner, CD, 89: „scum(?)“). Auch Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 860–861 versteht dieses Wort als „petite nappe, petite mare, petite flaque“. Bei Bardinet wird dies zu „gouttelette“: „Tröpfchen“. In der Berliner Tradition des Wörterbuchs ist es ein fester Stoff: Wb I, 510.10: „Kugel, Kloss o.ä. (zu dem man ein Heilmittel formt)“; MedWb, I, 267: „Kloß“ (Bezeichnung einer Drogenform); Hannig, HWB, 294: „Kugel, Kloß“.
14 bꜣd.t: Breasted, 495: „dipper“ (daher Faulkner, CD, 79: „dipper“); Wb 1, 432.9: „Schöpflöffel? (auch als Maß)“; MedWb I, 242: „[Topf]“; Hannig, HWB, 260: „Schöpflöffel (zum Schöpfen von Öl); ein Maß“. Das hieratische Determinativ ist eine zweischalige Muschel (Gardiner, Sign-List L6), wie Osing, Nominalbildung, II, 788, Anm. 993 erkannt hat. Ein hieroglyphisch geschriebener Beleg für das Wort steht in einer doppelt überlieferten Inschrift aus der Zeit Thutmosis III. und Amenhotep III. in Medinet Habu bzw. Luxor (Barguet, in: RdE 9, 1952, 6 und 15; als zu bꜣd.t/bꜣḏ.t zugehörig durch Osing identifiziert). Schon Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 861–862 hat einen Zusammenhang zwischen bꜣd.t und dem späten bt: „Model“ (Wb 1, 483.9–12; Wilson, Ptolemaic Lexikon, 336) sowie dem koptischen ⲃⲏⲧⲉ (S): „Schale, Platte“ (Crum, 45b: „scale-like plate“) angenommen (ausführlich auch Osing, Nominalbildung, II, 788–792, Anm. 993). Er verweist außerdem auf Dioskorides, der ein Verfahren beschreibt, in dem beim Kochen auftreibendes Rizinusöl mit einer Muschelschale abgeschöpft wird.
15 hnw: Das Hin-Gefäß ist sowohl eine Gefäßbezeichnung als auch eine Maßeinheit. Hinter dem Gefäßdeterminativ steht ein Strich, bei dem unklar ist, ob die Zahl 1 (Maßeinheit) oder ein überflüssiger Ideogrammstrich (Gefäßbezeichnung) gemeint ist. Auch in Zl. 22.7 steht ein überflüssiger Ideogrammstrich hinter hnw. Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 862 rechnet jedenfalls mit der Quantitätsangabe von 1 Hin im Kommentar, auch wenn er den Satz nicht so übersetzt. Allerdings wäre erstaunlich, weshalb das Produkt in ein Gefäß von exakt einem Hin-Maß eingefüllt werden sollte, da die Quantität bei der Herstellung doch nur annähernd eingeschätzt werden könnte.
16 ꜣd=f: Das Wort ꜣd kommt an dieser Stelle als Verb und im nächsten Satz als Substantiv vor. Breasted, Edwin Smith Papyrus, 495, 498 und 512 hat aus dem Zusammenhang die Übersetzungen „to be of the consistency(?)“ bzw. „consistency(?)“ erraten. In dieser Tradition steht die Deutung von Harris, Minerals, 209 („‚body fabric‘, ‚constituents‘, ‚texture‘ or the like“, der zweimal ein Substantiv erkennt) und auch die Übersetzung von Allen, 2005, 115: „to congeal into“ bzw. „congealing“ (d.h. „verdicken, sich eindicken, erstarren“). Gegen diese Interpretation spricht, dass ꜣd=f auf ein männliches Wort wie hnw verweist und bislang im Text mit pns.t, mrḥ.t oder =sn nur Feminina oder Kollektiva vorliegen. Die Wörterbuchbearbeiter, die ꜣd zuerst behelfsmäßig mit „Beschaffenheit(??)“ übersetzt haben (DZA 20.093.070 und DZA 20.093.080), wählen in Wb 1, 25.1 eine Umschreibung „vom ausschmieren o.ä. eines Topfes mit Ton“. Diese Umschreibung wird nicht weiter kommentiert, aber unter dem Lemma jdꜣ (Wb 1, 152.16) steht: „Ausdruck bei der Töpferei: vom Glattstreichen? Ausschmieren? eines Kruges“ und es wird auf ꜣd verwiesen. Dieses letztere Lemma jdꜣ wurde zuerst/teils als Verb eingestuft (z.B. Faulkner, CD, 35, vielleicht nach Balcz, in: MDAIK 3, 1932, 82, in der Verbindung zḫi̯.t jdꜣ in der Mastaba des Senedjemib Mehi in Giza, LD II, 74a; nicht in der Mastaba des Ti in Saqqara!), aber es ist vermutlich eher ein Substantiv, das sjn: „Ton“ ähnlich ist (P. Montet, Les scènes de la vie privée dans les tombeaux égyptiens de l’Ancien Empire, Strasbourg 1925, 254–255; abgelehnt von Harris, Minerals, 209: jdꜣ ist kein Material, sondern eine Materialmischung oder eine Textur). Vermutet wird, dass es „(formbarer) Ton“ oder ungemagerter Ton mit einer anderen Konsistenz als sjn ist (D. Faltings, Die Keramik der Lebensmittelproduktion, SAGA 14, Heidelberg 1998, 168, Anm. 518 und S. 204; E. Brovarski, The Senedjemib Complex, Giza Mastabas 7, Boston 2001, Bd. I, 149 mit Anm. 191). Ein Zusammenhang zwischen ꜣd und jdꜣ ist somit unsicher.
Die Übersetzung „ausschmieren“ für ꜣd findet sich anschließend in MedWb I, 14 sowie bei Hannig, HWB, 18. Sie ist entweder aus dem Zusammenhang erraten worden oder geht zurück auf Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 863: „étaler, étendre; couvrir recouvri; enduire“. Er hat das gleiche Verb im Schiffbrüchigen (Zl. 112) erkannt, das heute jedoch als ꜣyt: „bleich werden“ lemmatisiert wird (Blackman, in: JEA 16, 1930, 65, Nr. 7; WCN 14; die Stelle ist falsch als Ghostword ꜣj.t in Wb 1, 2.9 eingetragen). Zwei weitere Belege fand er in den Admonitions (9.1 und 14.2), die in Wb 1, 25.4 separat unter ꜣdt eingetragen sind (vgl. Gardiner, Admonitions, 89: „to make ready(?)“; Faulkner, CD, 7: „prepare a sleeping place“), aber jetzt auch von Enmarch, A World upturned, 147 dem Lemma ꜣd: „ausschmieren“ zugeordnet werden. Für Westendorf, Grammatik, 215, § 290.ff.9 ist ꜣd=f kein passives sḏm=f, sondern ein Infinitiv mit Objekt.
17 snꜥꜥ bedeutet sowohl „(eine Oberfläche) glätten, polieren“ als auch „(ein Produkt) fein reiben“.
18 kꜣp.t: Von der Wurzel kꜣp: „bedecken, überdachen“ abgeleitet. Das Wort scheint nur hier belegt zu sein: kꜣp.t: Wb 5, 104.13: „Stück Leinen (über die Öffnung eines Topfes gebreitet)“; MedWb II, 898: „Leinendecke“; Hannig, HWB, 946: „Leinenstück, Leinendecke (zum Überspannen e. Topföffnung)“. Man nimmt an, dass das Tuch als Filtertuch verwendet wird, weshalb Loret ohne weiteres mit „une étamine“ übersetzt.
19 m gs n.j ḥr.j: Kommt nur hier vor. Ansonsten steht m gs-ḥr.j: „an der Oberseite“. Bedeutet dies, dass das Tuch in der Gefäßöffnung durchhängt? Es gibt auch ein Substantiv ḥr.j: „Deckel“ (eines Gefäßes) (Meeks, ALex I, 77.2797). Oder liegt ein Fehler vor und ist n.j zu tilgen?
20 ḫnt: Die ḫnt-Krankheit tritt am Kopf, an den Augen und in der Nase auf und sie verursacht Nackenschmerzen (Wb 3, 308.1–2; Westendorf, Handbuch, 140 und 163, Anm. 135). Sie hängt mit st.t-Schleimstoffen im Gesichtsbereich zusammen. Breasted, 498 und 554 errät auf der Grundlage von pEdwin Smith 22.8 „wrinkles(?)“, ohne dies weiter zu begründen; die Bedeutung „Falten (im Gesicht)“ passt allerdings nicht in den übrigen Zusammenhängen. Ebbell, Altägyptische Krankheitsbezeichnungen, 1938, 42–43 entscheidet sich für „Schnupfen, Katarrh o. ä.“ In MedWb II, 662 und 664, § 2 wird der Interpretation von Ebbell gefolgt, aber werden die Möglichkeiten auf „Schnupfen, Katarrh“ reduziert (so auch Hannig, HWB, 654). Bardinet, 522 hat „l’exsudat-khent“ (Absonderung) und Allen, 2005, 115: „a cold“ (Erkältung). Etymologisch scheint die Krankheitsbezeichnung mit dem Wort ḫnt „Gesicht, Stirn, Vorderseite“ zusammenzuhängen, weshalb Westendorf, 1966, 107 mit „Gesichtskrankheit“ übersetzt. Westendorf, Handbuch, 140 lässt „ḫnt-Krankheit“ unübersetzt stehen, aber er nimmt an, dass hinter dem Krankheitsnamen „offenbar ein Katarrh, verbunden mit Schnupfen, Augenentzündung und Nackenschmerzen“ steht.
21 nḏꜥ.w: Ist ein Hapax. Der Textzusammenhang lässt vermuten, dass es eine Alterserscheinung am menschlichen Körper ist. Wb 2, 377.16 und MedWb I, 497–498 beschränken sich auf diese Umschreibung, Grundriss IV/2, 303 hat ebenso unbestimmt „nḏꜥw-Erscheinung“ (auch Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 107). Breasted, 498 übersetzt mit „blemishes(?)“, Westendorf, HdO, 748 schlägt „Hautflecken(?)“ vor, ebenso Hannig, HWB, 474: „*Altersflecken (der Haut)“, während Allen, 2005, 115 „wrinkles“ hat. Unklar ist, weshalb diese Alterserscheinung im Gegensatz zu den folgenden ohne nb: „jegliche“ auskommt. Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 865 vergleicht als Übersetzungshypothese nḏꜥ mit Arabisch ‚nazi‘ und übersetzt mit „calvitie“, d.h. „Kahlköpfigkeit“ (gefolgt von Lefebvre, 1956, 173). Für „Kahlheit“ gibt es andere Wörter im Ägyptischen und man erwartet das Haar-Determinativ.
22 jmš.t: Ist ein Hapax. Der Textzusammenhang lässt vermuten, dass es eine Alterserscheinung am menschlichen Körper ist. Wb 1, 88.14, MedWb I, 52 und Hannig, HWB, 83 beschränken sich auf diese Umschreibung, Grundriss IV/2, 303 hat ebenso unbestimmt „jmš.t Erscheinung“ (auch Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 107). Breasted, 498 übersetzt mit „disfigurements(?)“, Westendorf, HdO, 748 schlägt „Hautunreinheiten(?)“ vor, ebenso Allen, 2005, 115 mit „age spots“. Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 865 vergleicht als Übersetzungshypothese jmš.t mit Arabisch namaš und übersetzt mit „taches de rougeur“, d.h. „Sommersprossen“ (gefolgt von Lefebvre, 1956, 173).
23 tnj: Ist ein allgemeiner Begriff für Altersbeschwerden (MedWb II, 957). Seine Position inmitten von spezifischen Alterserscheinungen ist unerwartet. Quack, in: ZÄS 126, 1999, 145, Anm. (f) hält es für denkbar, dass tnj kein allgemeiner Begriff, sondern ein konkretes Leiden ist.
24 srf.t: Hängt wahrscheinlich mit der Wurzel srf: „warm sein“ zusammen, ist aber von srf: „Hitze; Fieber“ als Krankheitssymptom zu trennen (Ebbell, Altägyptische Krankheitserscheinungen, 15 trennt beide nicht; auch Allen, 2005, 115 hat „fever“). Wb 4, 196.15 bleibt mit „Erhitzung als Krankheitserscheinung“ unmittelbar bei der Wurzel srf: „warm sein“. Loret, in: Mélanges Maspero, I/2, 865 geht vom gleichen Zusammenhang aus und übersetzt mit „rougeur“, d.h. „Rötung“ (gefolgt von Lefebvre, 1956, 173). Für MedWb II, 781–782 ist es eine Haut-Entzündung, wahrscheinlich ein entzündeter Hautausschlag (Vgl. Westendorf, Handbuch, 315–316; daher Hannig, HWB, 789: „*Hautentzündung, entzündeter Hautausschlag“). Breasted, 498 hat mit „weakness(?)“ keinen Zusammenhang mit srf: „warm sein“ erkannt. Dem Femininum wnn.t nach zu urteilen, wird srf.t nb.t in pEdwin Smith 22.9–10 durch wnn.t m ḥꜥ.w spezifiziert, was möglicherweise eine Implikation für die Bedeutung hat (Westendorf, Grammatik, 80, Anm. 3 hält beides für möglich, dass wnn.t ... sich nur auf srf.t oder auf alles ab nḏꜥ.w beziehen kann). Laut Quack, in: ZÄS 126, 1999, 145, Anm. (f) wird srf.t im Buch vom Tempel in einer Aufzählung von Hautkrankheiten erwähnt.

Heilmittel für Probleme am Hintern

Wenn du dir einen Mann (d.h. Patienten) anschaust, der an seinem Hintern1 leidet, wenn er aufsteht oder sich hinsetzt, (und) der sehr stark an nḏr.wt-Zusammenziehungen(?)2 in seinen beiden Beinen leidet, dann musst du ihm (folgendes) Heilmittel geben:
Öl/Fett, zꜣ-wr-Mineral (Großer-Schutz-Mineral)3, Blätter der Dornakazie.
(Es) werde fein zerrieben (wörtl.: zerrieben, indem es fein/glatt gemacht ist)4; (Es) werde zu einer einzigen Masse gekocht.
Ein stp-Tuch/Lappen5 aus (feinstem) pꜣq.t-Leinen werde damit eingecremt.
(Er/es) werde in den Anus/Mastdarm gegeben, so dass er (d.h. der Patient) sofort gesund wird.

1 pḥ⟨.wj⟩ und pḥ.wyt: In Kol. 22.11 steht pḥ⟨.wj⟩, in Kol. 22.13 wird pḥ.(w)yt genannt. Die Ergänzung pḥ⟨.wj⟩ (und nicht pḥ⟨.wyt⟩) ist durch das folgende Suffixpronomen =fj (statt =f) abgesichert. Das Substantiv pḥ.wj bedeutet laut Wb 1, 535.14–15 allgemein „das Hintere, das Ende“ und als Körperteil sowohl „das Hinterteil“ als auch konkret „der After, der Anus“. Daneben existiert ein weiteres Substantiv pḥ.wyt in den medizinischen Texten, das von derselben Wurzel abgeleitet ist und spezifisch den After bezeichnet (Wb 1, 537.3). Laut Grapow, Anatomie, 81–82 und MedWb I, 273–281 (s.v. pḥwj/pḥwj.t: „After, Anus“) gibt es in den medizinischen Texten jedoch keinen sachlichen Unterschied zwischen beiden Wörtern: beide verweisen in diesen Texten auf den „Anus, After“ (ebenso Lefebvre, Parties du corps, 36, § 42; Breasted, 499–500 übersetzt sowohl pḥ.wj als auch pḥ.wyt mit „Anus“; ebenso Bardinet, 522). Hannig, HWB, 306 übernimmt diese Angaben, erweitert sie jedoch noch um „Rectum“ und er erweitert auch die Bedeutung von pḥ.wyt (pḥ.wj „Hintern, Hinterer, Hinterteil; After; Rückseite“ und medizinisch spezifisch „Anus, After, Rectum“; pḥ.wyt: „Hinterer, After, Rectum“). Andere Autoren möchten hingegen zwischen den beiden Begriffen differenzieren und stellen außerdem teilweise die Bedeutung „Anus, After“ in Frage: Gardiner, AEO I, 18 übersetzt pḥ.wj mit „hind quarters“ und dessen Ableitung pḥ.wyt mit „rectum“. Faulkner, CDME, 92 gibt für pḥ.wj nur die Bedeutung „hinder parts, hind-quarters“, für pḥ.wyt: „rectum“. Weeks, Anatomical Knowledge, 56–57 nennt pḥ.wj „the most general term for the ‚hindquarters‘“ und pḥ.wyt verweist „specifically to the ‚anus‘ (and not, as some have written, to the rectum)“. Walker, Anatomical Terminology, 221–245 gesteht ein, dass pḥ.wj und pḥ.wyt in den medizinischen Texten fast austauschbar erscheinen, er identifiziert pḥ.wj jedoch als einen Bereich im Körper, der keine paarigen/dualen, sondern eine zweiteilige Struktur hat: „pelvic region, pelvis, rear end“ [Beckenbereich, Becken, Hintern]. Für Walker ist pḥ.wyt: „rectum, pelvic intestine (sigmoid colon + rectum), back passage“ [Rektum/Mastdarm, Enddarm im Beckenboden; Mastdarm + Sigmadarm/Ende des Dickdarms], während ꜥr.t „in all probability“ für den Anus/After steht.
2 nḏr.wt: Fehlt in Wb 2 und kommt nur hier in den medizinischen Texten vor. Ein Zusammenhang mit der Wurzel nḏri̯: „fassen, packen“ ist wahrscheinlich. Breasted, 499 leitet aus dem Verb nḏri̯: „to seize“ die Bedeutung „seizures“ ab, d.h. „Anfälle“ oder „Krämpfe“. Das führt Allen, 2005, 115 zu „contractions“. Lefebvre, 141 übersetzt neutraler mit „douleurs“, obwohl er auch das Verb ndr(i̯): „saisir“ zur Rate zieht. In einer anderen Richtung sucht MedWb I, 500: „Zusammenziehung; Zusammenballung“ (daher Hannig, HWB, 476: „*Zusammenziehung, Zusammenballung“): entweder könnte eine „Zusammenziehung“ der Beine, d.h. einer Verkrampfung, vorliegen, oder es geht um eine „Zusammenballung“ von Abfallstoffen, die in die Beine gesunken sind und Schmerzen verursachen. Diese letzte Interpretation, die mit ägyptischen Konzepten von Abfallstoffen als Klumpen von Kot und deren Ausscheidung zusammenhängen, wird von Westendorf, Papyrus Edwin Smith, 108, Anm. 2 und Westendorf, Handbuch, 748, Anm. 115 bevorzugt. Bardinet, 561: ein Typ von „concentrations pathogènes“.
3 zꜣ-wr: Identifikation unbekannt (Wb 3, 415.21; DrogWb 420–421), teils als ein Harz (vor allem Dawson, in: Barns, Five Ramesseum Papyri, 16 zu pRamesseum III, A.1; auch Aufrère, Univers mineral, 254 spricht von einem „résine“), teils als ein Mineral eingestuft. Laut Germer, Arzneimittelpflanzen, 181–183 spricht nichts für ein Harz und in pDem. Mag. London-Leiden (III.25) hat sꜣ-wr das Steindeterminativ. Ein Teil der vorgeschlagenen Mineral-Identifizierungen beruht auf der hypothetischen Gleichsetzung von zꜣ-wr mit der bei Dioskurides, Plinius und Galen überlieferten Mineral-Bezeichnung σωρυ/sory/sori, deren Identifikation jedoch auch umstritten ist.
4 nḏ snꜥꜥ: Kommt häufig gemeinsam als Phase der Heilmittelbereitung vor. Westendorf, Grammatik, 126, § 175 vermutet, dass snꜥꜥ ein Pseudopartizip zum unpersönlichen passiven sḏm ist, daher „fein zerreiben“ (etwas zerreiben, mit dem Ergebnis, dass es fein ist). Alternativ sind nḏ und snꜥꜥ beide unpersönliche passive sḏm-Formen (so z.B. in der Übersetzung von Breasted, 500: „ground, triturated“ und Allen, 2005, 115: „ground, smoothed“).
5 stp: Es ist unsicher, was für eine Stoffbezeichnung vorliegt. Falls es von der Wurzel stp: „auswählen“ stammt, wird es ein höherwertiges Stück Stoff sein. Falls es von stp: „zerstückelt, ruiniert, zerfetzt sein“ kommt (vgl. die umgebenden Wörter in Wb 4, 341.13–15 und Hannig, HWB, 847), wird es ein „Lappen, Fetzen, Lumpen“ oder eine „Binde“ sein. Weitere Zusammenhänge wie in der Lehre des Cheti ( 13.3) sprechen für Letzteres.