Ostrakon Deir el-Medineh 1059
Übersetzung und Kommentar
Listen mit magischen Requisiten (?)
Abschnitt 1
[rto 1] [---] [rto 2] [---] …1 [---] [rto 3] [---] Neith den Namen [des …, der todkrank ist,]2 in der Schrift. [rto 4] Erhaben ist der Name der Konstellation(?) an seiner(?) Decke.3 [rto 5] Zwei Mal gemäß der Aussage der Schrift (zu rezitieren).
Abschnitt 2
Werde genommen:
Häcksel vom sw.t-Wildweizen [rto 6] für/von … (?),4
ein Mann, der noch nicht gegangen ist,5
Milch einer Erstgebärenden (oder: Mutterkuh (?))6 [rto 7] am Tag des Gebärens.
Abschnitt 3
Der Name der Göttin der sieben Tage des [rto 8] Choiak-Festes.7
Ein Mann, der nicht gehen kann,
Klaue (und?) Fett eines Schweins,
[rto 9] (Fett?)8 einer weißen/hellen Graugans,
die Brothälfte eines Untoten9 gemäß (?) seinem Ausspruch,10 mit dem man einen Gott lobpreist.
Erhaben ist [rto 10] ⟨der Name⟩ der Konstellation(?) an seiner(?) Decke.
Abschnitt 4
Brot gemäß der Aussage der Schrift,
Augenbrauen [rto 11] eines Mädchens,11
ein Mann, der nicht [vso 1] gehen kann.
[vso 2] Ein Mann12, der unter Schmerzen (leidet) und der [vso 3] ⟨auf der⟩ Sitzbank (?) der Rudermannschaft (?) erscheint.13
Abschnitt 5
Ein Kalb [vso 4] unter seiner Mutter hervorreißen (?)14 ⟨zur/auf der (?)⟩ schönen Futterwiese.15
Augenbrauen [vso 5] eines Mädchens,
ein Mann, der nicht gehen kann,
Blüte [vso 6] von Schilfrohr, nḏf-gemacht,16
sw.t-Wildweizen einer Müllerin, geknetet/zerkleinert (?),
[vso 7] ⟨… der (?)⟩ Neith,17
Vogel mit lauter Stimme in der Nacht.18
[vso 8] Feststimmung [vor dem] Antlitz seines Gottes, [vso 9] [dem/für den/durch den/…(?) ein den Mann, der] nicht [vso 10] gehen kann, erscheint.19
1 H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 82 fragt sich, ob hier ḥꜣ.wtj: „Antlitz eines Gottes“ gestanden haben könnte.
2 H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 82 erwog eine Ergänzung zu „Untoter“. Alternativ (mdl. Mitteilung) hält er auch eine Ergänzung zu „Todkranker“ für denkbar, v.a. weil die Lücke etwas größer ist, als der „Untote“ in Zeile 9 benötigt.
3 Im Original steht dort qꜣi̯ rn s.t r tꜣy=s hꜣy(.t). Dieselbe Sentenz erscheint noch ein weiteres Mal in rto 9-10, wobei dort – vermutlich durch den Zeilenumbruch verursacht – das Wort rn ausgefallen ist. Oder darf man in rto 4 qꜣi̯-rn als lexikalisiert auffassen, etwa im Sinne von „hochberühmt“? Dann könnte man das hiesige qꜣi̯-rn und das allein stehende qꜣi̯ in rto 9-10 als Textvarianten auffassen. Strukturell liegt bei diesem Satz – zumindest hier, und infolgedessen wohl auch in rto 9-10 – eher das Ende eines Textabschnitts vor. Denn die in rto 4 hieran anschließende Notiz „zwei Mal (zu rezitieren?)“ wird diesen Textabschnitt/Spruch abschließen.
Die Aussage des Satzes ist jedoch kaum verständlich, nicht zuletzt, weil in rto 4 der vorangehende Text weitgehend zerstört ist und in rto. 9-10 nur eine Liste von Materia magica voranzugehen scheint. Auch in sich selbst wirkt der Satz sehr kryptisch:
– Das Substantiv s.t kann kaum so unvermittelt im Text vorkommen, man erwartet einen Rückbezug auf irgendetwas, d.h. s.t tn o.ä., s. bereits H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 87-88. Daher ist weder klar, auf welchen Ort oder welche Stelle sich das Wort bezieht, noch überhaupt, welche Subbedeutung vorliegt. Aufgrund eines fehlenden Rückbezugs interpretiert Fischer-Elfert, a.a.O. s.t versuchsweise und unter Verweis auf die Sargtexte als Schreibfehler für das Suffixpronomen =s.
– Infolge der Unsicherheit bei s.t ist auch unklar, ob die Präposition r lokal zu verstehen ist oder einen Komparativ ausdrückt.
– Unter der hꜣy.t versteht Fischer-Elfert, a.a.O. sowie S. 84, Anm. a ein Portal oder eine Vorhalle (bzw. im Kontext von Felsgräbern des T-Schemas: die vordere Querhalle) sowie eventuell die Decke. Davon abgeleitet, kann hꜣy.t aber auch den Himmel bezeichnen.
– Ebenfalls unklar ist das Bezugswort des Suffixpronomens von tꜣy=s. In rto 4 liegt es zunächst nahe anzunehmen, dass es sich auf die zuvor genannte Göttin Neith bezieht. Das ist in rto 9-10 allerdings kaum möglich, dort kommt eher die „Göttin der sieben Tage des Choiak-Festes“ in Frage. Oder ist das Bezugswort gar keine Person, sondern eine grammatisch feminine Gebäudebezeichnung?
Den vielen Möglichkeiten entsprechend lautet Fischer-Elferts Hauptübersetzung (S. 82): „Erhaben ist der Name/Ruf des Ortes/ihres Ortes(?) an seiner Decke.“ Auf S. 88 bietet er zudem weitere Alternativübersetzungen: „Erhabener ist ihr (der vorweg genannten Göttin Neith) Name als der ihrer Decke/ihres Portals“ sowie „erhaben ist ihr Name an ihrem Portal“. Hiermit könnte, wie er schreibt, auf den architektonischen Kontext des Fundortes des Ostrakons angespielt worden sein. Das heißt: Ist eine Darstellung der Neith (auf S. 87, Anm. f hält Fischer-Elfert es auch für möglich, dass Nut gemeint sein könnte) an der Decke der Kapelle oder des Hypogäums gemeint?
Wenn tatsächlich auf eine Deckendarstellung angespielt wird, lässt sich ferner fragen, ob s.t hier die Konstellationen einer astronomischen Decke meint: „Erhaben ist der Name / die Liste (?) von Konstellation(en) an ihrer Decke“?
4 mrjt: Ein unklares Wort, der Schreibung zufolge wohl ein Fremdwort. H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 85, Anm. c überlegt, ob es mit dem ugaritischen mal’atu: „(Tag) des Vollmondes“ zusammenhängen könnte.
5 z bw šmi̯.ṱ=f: An den anderen Stellen im Text steht z bw šmi̯{.t}.n=f. H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 85, Anm. d vermutet in Ersterem die Entsprechung eines mittelägyptischen n šmi̯.t=f: „ein Mann, bevor er gehen kann“ oder „ein Mann, bevor er wieder gehen kann“. Allerdings weist er auch mit Referenz auf W. Westendorf, Grammatik der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VIII (Berlin 1962), §§ 244 und 269cc auf einen gelegentlichen Wechsel von sḏm.t=f und sḏm.n=f nach der Negation n in den medizinischen Texten hin und stellt damit infrage, dass es überhaupt eine „grundlegende Bedeutungsdifferenzierung“ zwischen den beiden Schreibungen auf oDeM 1059 gibt. Dessen ungeachtet versucht er dem in der Übersetzung Rechnung zu tragen, indem er die Verbindung in rto 6 mit „Ein Mann/Patient kann nicht gehen / der noch nicht gegangen ist“ und an den übrigen Stellen mit „ein Patient, der nicht gehen kann“.
Fraglich ist indessen nicht nur die genaue grammatische Konstruktion und damit temporale Nuance, sondern ob überhaupt eine Personenbezeichnung vorliegt. Zunächst scheint eine winzige graphische Besonderheit dies zu bestätigen: Außer in rto 6 steht dort, wo das Ende dieser Phrase erhalten ist, ein winziger Haken hinter dem =f bzw. unter dem n, den Posener stets mit einem „sic“ versehen hat. Sollte dieser Haken als ein ganz klein geschriebener sitzender Mann zu interpretieren sein? Dann läge an dieser Stelle tatsächlich eine Personenbezeichnung und sogar ein Kompositum vor. (Derselbe Haken steht übrigens auch hinter dem nicht übersetzbaren Fremdwort(?) mrjt). Jedoch steht keiner dieser Männer, die nicht gehen können, an einer Stelle zu finden, an der semantisch oder syntaktisch eine Personenbezeichnung zu erwarten ist, etwa als Agens oder Patiens einer Handlung. Vielmehr scheint die Phrase an mehreren Stellen zwischen Produktnamen zu stehen: hier zwischen Weizenhäcksel und Milch, in rto 8 vor Huf und Fett eines Schweins und(?) einer Gans, in rto 11 nach den „Augenbrauen eines Mädchens“, ebenso in vso 5, wo dem noch Blütenrispen des Schilfrohrs u.a. folgen. Die Stelle in vso 9-10 ist zu zerstört, um etwas Sicheres zu sagen. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass auch der „Mann, der nicht gehen kann“ eine Produktbezeichnung ist, vielleicht ein Deckname oder auch ein – nur für uns die Bedeutung verbergend erscheinender – Trivialname für eine Pflanze oder einen Pflanzenbestandteil. Man denke hier nur beispielhaft an die menschenähnlich aussehende Wurzel der Alraune/Mandragora.
6 bkꜣ.t: Zunächst scheint hier ein Substantiv vorzuliegen, das üblicherweise als „Schwangere“ verstanden wird. Selbstverständlich könnte in diesem Fall nur das Kolostrum, die Erstmilch, gemeint sein. H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 82 sowie 85-87, Anm. e vermutet jedoch, dass bkꜣ.t hier gar nicht die „Schwangere“ meint, sondern eine „Erstgebärende“, und verweist dafür auf semitisches bukru (u.ä.): „erstgeboren“. P. Dils (mdl. Mitteilung) schlägt als weitere Alternative vor, das hiesige Wort als Schreibung für die „Mutterkuh“ aufzufassen.
7 Bei der Göttin der sieben Tage des Choiak-Festes dürfte es sich um Hathor handeln, s. H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 87, Anm. f. Unklar bleibt, wie diese Phrase in den hier vorliegenden Kontext einzubinden ist. Davor und danach scheinen Ingredienzien genannt zu sein (zum Mann, der nicht gehen kann, s. den Kommentar zum vorigen Satz). Die hier vorliegende Phrase ebenfalls zu einer Ingredienz zu erklären, ginge aber nur, wenn man ein realweltliches Äquivalent für den „Namen“ dieser Göttin findet, also vielleicht ein Amulett in Form des Namens der Hathor, oder ein Gebäck in dieser Form. Andererseits wird sowohl in der vorangegangenen Liste als auch in der folgenden Liste der „Mann, der nicht gehen kann“ genannt. Und wenn (a) es sich dabei wirklich um eine Ingredienz handelt statt um den Patienten, und (b) die Regel der medizinischen Texte, dass nicht dieselbe Ingredienz mehrfach im selben Rezept vorkommt (H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 418), auch in diesem Spruch Geltung hat, können die vorige und die anschließende Sentenz nicht Teil derselben Liste sein. Infolgedessen bildet der „Name der Göttin der sieben Tage …“ die sinnvollste textstrukturelle Grenze zwischen beiden Listen.
8 sr.t ḥḏ.t: H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 90, Anm. g vermutet, dass sich das zuvor genannte Fett auch auf die Gans bezieht, weil kaum ein ganzes Tier gemeint sein kann.
9 Es steht psš ꜥq.w m(w)t. Die ersten beiden Wörter bezeichnen nach H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier, 90, Anm. i die „Brothälfte“. Eine Deutung von psš als Verb der Drogenverarbeitung lehnt er ab, weil dieses in den medizinischen Texten nur einmal (nämlich im Rezept Eb 392) belegt und dort dem Bezugswort nachgestellt sei. Gleichzeitig könnte man jedoch genau diese Tatsache, dass dieses Verb in medizinischen Kontexten dermaßen selten vorkommt, als Hinweis nehmen, dass es in Beschreibungen von Heilverfahren nicht auf bestimmte, feste Phrasen beschränkt ist. Angesichts der auch sonst extrem ungewöhnlichen Phraseologie und Lexik des vorliegenden Ostrakons ist daher eine Auffassung von psš als „austeilen“ o.ä. (Wb 1, 553.1-15) nicht auszuschließen. Könnte ꜥq.w hier die zuvor genannten Ingredienzien, oder ein daraus hergestelltes Produkt bezeichnen? Dann könnte man u.U. psš ꜥq.w ⟨n⟩ mwt lesen und dies verstehen als: „Das ‚Brot‘ (i.S.v.: das aus dem zuvor Genannten Hergestellte) werde dem (scil.: hier verantwortlich gemachten) Untoten überwiesen“.
Auch die Bedeutung des anschließenden Wortes mwt ist unsicher. Falls man in Zeile rto 3 ebenfalls einen „Untoten“ ergänzen kann, könnte an beiden Stellen derselbe gemeint sein. Allerdings ist dort die Ergänzung nicht sicher. Alternativ könnte man noch überlegen, ob mwt in Zeile rto 9 eine Form des Verbs „sterben“ ist und als Attribut zur Brothälfte genannt ist. Vgl. zu dieser Option das Rezept Eb 519, worin u.a. sieben „abgestorbene“ (mwt) Zwiebel- bzw. Knoblauchkügelchen (ḥḏ) verordnet werden. Eine solche attributive Interpretation würde zwar die Frage vereinfachen, wessen „Mund“ oder „Spruch“ im Folgenden gemeint ist, weil eine Option wegfallen würde. Sie würde die Passage insgesamt aber dennoch nur wenig erhellen.
10 rʾ=f: H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 90-91, Anm. i sowie 92 übersetzt als „sein Mund“, was sich ihm zufolge nur auf den „Mann, der nicht gehen kann“ = den Patienten beziehen könne. In seiner Anmerkung überlegt er ferner, ob der erwähnte Untote Besitz vom Patienten ergriffen habe und mit dem Brot, „womit man eine Gottheit lobpreist“, zum Verlassen des Patienten aufgefordert werden solle.
Hier wird als weitere Option vorgeschlagen, rʾ nicht als „Mund“, sondern als „Ausspruch“ zu verstehen. Dieser wäre dann das nächststehende logische Bezugswort des Relativsatzes n.tj … jm=f. Ist m rʾ=f hier analog zu dem m ḏd (n) zẖꜣ in rto 5 und rto 10 zu interpretieren? Dies beantwortet aber zugegebenermaßen nicht die Frage, worauf sich wiederum das Suffixpronomen von rʾ=f bezieht. Wenn man hinter dem „Mann, der nicht gehen kann“ eine weitere Ingredienz vermutet, statt den Patienten, fällt er jedenfalls als Bezugswort aus.
11 jnḥ.wj n šr.t: H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 91-92, Anm. k und 96 vermutet hierin einen Pflanzennamen und verweist dafür auf die parallelen Bezeichnungen „Augenbraue des Re“ und „Augenbraue des Mondes“ in demotischen magischen Texten.
12 An dieser Stelle setzt die Parallele auf oBerlin P 14291 ein, s. H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 92, Anm. l und 109, Abb. 4. Dort steht vor dem z noch der Rest von md.t: „Worte, Rede“. Während Fischer-Elfert mit gebotener Vorsicht dazu tendiert, dieses Wort und ggf. Davorstehendes noch an die vorangehende Sentenz anzuschließen (vgl. seine Positionierung der Fußnote l am Ende des „Patienten, der nicht gehen kann“), wäre ebenso ein Anschluss an diesen Satz denkbar. Könnte die Phrase [ḏd] mdw{.t} ⟨jn⟩ z …: „Werde wörtlich [rezitiert] ⟨durch⟩ den Mann/Patienten …“ vorliegen?
Weitere Abweichungen von oDeM 1059 sind: Beide n.tjs fehlen; nach wbn folgt die Präposition m und darauf ein mit p beginnendes Wort – Fischer-Elfert, a.a.O., 93 denkt an p[.t], denkbar wäre aber auch pj, die „Sitzbank“, als Variante zum s.t-ḥms von oDeM 1059.
13 Zu den Emendationen s. H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 92-94. Zu s.t-ḥms listet er verschiedene Bedeutungen als Wohnraum, Sitzplatz oder für verschiedene Möbelstücke auf und vermutet schließlich hierin eine Anspielung auf die Sitzbänke in der Kapelle, in der das Ostrakon gefunden wurde. Zu ẖnn.yt erwähnt er einen Vorschlag von S. Bickel, hierin Verschreibung für die ẖn.tj: „Prozessionsstatue“ zu sehen. Dem steht er skeptisch gegenüber, übernimmt ihn aber zunächst mangels einer besseren Alternative. Eine Übersetzung als ẖnn.w: „Störung“ oder verwandte Begriffe schließt er wegen des fehlenden Seth-Tier-Klassifikators aus.
In seiner in Vorbereitung befindlichen Neubearbeitung von oBorchardt 1 vermutet er in der hier diskutierten Passage von oDeM 1059 dagegen die Sitzbank der Rudermannschaft. Der Wunsch des gehbehinderten Mannes, auf der Sitzbank einer Rudermannschaft zu erscheinen, begründe sich ihm zufolge vielleicht darin, dass die Bewegungen beim Rudern seinen Beschwerden entgegenwirken könnten. Die in der vorliegenden Bearbeitung vorgeschlagene Umdeutung des „Mannes, der nicht gehen kann“ als Produktbezeichnung erfordert allerdings auch eine neue Deutung für den Wunsch, auf der Sitzbank einer Rudermannschaft Platz nehmen zu können.
14 nqf: „hervorreißen (?)“: H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 94-96, Anm. o diskutiert verschiedene Lösungen:
(1) Zunächst erwähnt er D. Meeks, Année lexicographique. Égypte ancienne. Tome 2. 1978 (Paris 1981), 78.2253: „meurtrir“, der seinerseits auf das hiesige Ostrakon DeM 1059 verweist sowie auf J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 29, Nr. 41 = pBudapest 51. 1961, 2,6-3,1: „who knocks on (…) the temple“ (vgl. Stegbauer im TLA: „der die Schläfe schädigt (?)“).
(2) Im Totenbuch „bewirkt [es] eine ‚Beeinträchtigung‘ des ḥꜣtı͗-Herzen“ und erscheint parallel zu jṯi̯.
(3) Das arabische Wort naqafa: „einem den Schädel spalten“ passt ihm zufolge sehr gut zu der Stelle im pBudapest. Die zweite Bedeutung dieses Wortes als „jemandem einen Nasenstüber geben“ scheint ihm zufolge gut zu der Stelle auf oDeM 1059 zu passen, und er vermutet, dass das Kalb seine Mutter anstoßen könnte, um zum Feld zu gelangen. Dies könne ihm zufolge eine Umschreibung für die Entwöhnung des Kalbes von der Milch sein. Hierzu passt auch seine Beobachtung, dass Bata im pd’Orbiney 1,9 die Rinder aufs Feld „stößt“ (thm).
(4) Er verweist auf das Hebräische des Alten Testaments, wo es ein nḳf in der Bedeutung „(Gestrüpp) abhauen; schinden, zerfetzen (der Haut)“ sowie ein zweites in der Bedeutung „umkreisen, umzingeln“ gibt.
Statt der von ihm präferierten Erklärung (3) wäre auch Erklärung (2) mit im Wesentlichen derselben Aussage denkbar, dass das Kalb entwöhnt wird – in Erklärung (2) aber mit Druck von außen, nicht, wie bei (3), auf eigene Initiative. Wie dieser Satz inhaltlich in den Kontext passt, ist bei keiner der Optionen klar. Wenn der vorige Satz tatsächlich eine Rezitationsanweisung darstellt (s. den Kommentar dort), dann steht die hiesige Sentenz an einer Stelle, an der man entweder die Überschrift eines neuen Spruchs erwartet oder ggf. eine nochmalige Zusammenfassung des Zwecks des aktuellen Spruchs (s. bspw. pTurin CGT 54051, rto 5,5, s. hier, oder pTurin CGT 54050, vso 2,5, s. hier). Angesichts der anderen Passagen auf dem Ostrakon wird in der Liste, zu der dieser Satz gehört, aber kaum eine simple Futtermischung zur Entwöhnung des Kalbes gemeint sein. Fischer-Elfert, a.a.O., 106 überlegt, ob dieses Bild des Jungtieres, das zur Futterwiese zieht, eine Metapher für den in Deir el-Medineh ansässigen Patienten sein könnte, den es zu seinem „Feld“, dem Tal der König als seiner Einkommensquelle, zieht.
Zusammen mit dem im Satz zuvor erwähnten „Sitzplatz der Rudermannschaft“ – sofern die Übersetzung korrekt ist – evoziert das Hervorziehen des Kalbes unter seiner Mutter zusätzlich auch das Treiben der Rinder durch die Furt. Diese Szene ist v.a. aus Szenen des täglichen Lebens in Gräbern des Alten und Mittleren Reiches bekannt (s. H. Altenmüller, Zur apotropäischen Geste der Hirten in der Furt. Die Reden und Rufe der Hirten im Grab des Wesirs Hesi in Saqqara, in: M. Brose, et al. (Hrsg.), En détail – Philologie und Archäologie im Diskurs. Festschrift für Hans-Werner Fischer-Elfert 1, Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde, Beihefte 7 (Berlin 2019), 11-28 mit älterer Literatur); hierbei wird von der Schiffsmannschaft ein Kalb benutzt, um dessen Mutter und mit ihr die gesamte Herde durchs Wasser zu locken. Abgesehen von dieser generellen Ähnlichkeit der Szenerie lässt sich aber kaum feststellen, wie das vorliegende Ostrakon mit Sprüchen u.a. zu einem „Mann, der unter Schmerzen leidet“ (s. den vorherigen Satz) mit dieser Tätigkeit verbunden werden kann.
15 Auf der Parallele oBerlin P. 1491 (s. vorige Anm.) ist nur noch [sḫ].t nfr(.t) n sm.w erhalten. Ob davor genügend Platz für den ganzen Satz von oDeM 1059 war, ist fraglich.
16 nḏf: Bedeutung unbekannt. H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 97, Anm. q überlegt, ob es etymologisch mit dem Gaunamen Nḏf.t zusammenhängen könnte, und verweist zudem auf ein Wort ḏf: „separér“ (D. Meeks, Année lexicographique. Égypte ancienne. Tome 2. 1978 (Paris 1981), 78.4915 = A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts VI. Texts of spells 472-786, Oriental Institute Publications 81 (Chicago 1956), 404r) als denkbares Simplex zu einem präfigierten *n:ḏf. Dieses Verb aus den Coffin Texts steht parallel zu wḏꜥ: „trennen“, was sicher der Grund für Meeks’ Übersetzungsvorschlag ist. Dagegen verweist R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. II. Spells 355-787 (Warminster 1977), 301, Anm. 20 auf ein Verb ḏfy bei J.H. Breasted, The Edwin Smith Surgical Papyrus. Published in Facsimile and Hieroglyphic Transliteration with Translation and Commentary. Vol. 1. Hieroglyphic Transliteration, Translation and Commentary, Oriental Institute Publications 3 (Chicago 1930), 337 = pEdwin Smith 11,8, s. hier = Wb 5, 569.4-6), das seinerseits parallel zu ꜥq verwendet würde, weswegen Breasted für den pEdwin Smith und, ihm folgend, Faulkner für CT VI, das Verb als „to penetrate“ übersetzen.
An dieser Stelle könnte man der Vollständigkeit halber noch auf ein Verb ḏf in einem Besuchergraffito in Meidum verweisen, wo man lesen kann: (…) ḥwi̯ p.t m ꜥnt.w wꜣḏ ḏf=s m snṯr ḥr tp(.t) n.t ḥw.t-nṯr n.t Ḥr.w 𓍹Snfr.w𓍺: „Der Himmel regnet mit frischer Myrrhe und er … mit Weihrauch auf das Dach den Tempels des Horus Snofru.“ Hier übersetzt W. Spiegelberg, Varia, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 53, 1917, 91-115, hier 99 das fragliche Verb aufgrund der Parallelität mit ḥwi̯ durch „tröpfeln“. Diese Vermutung wird bestätigt durch ein lückenhaftes Graffito in Beni Hassan, wo ḏfḏf statt ḏf steht, s. DZA 31.631.160.
Für das n-Präfix verweist Fischer-Elfert, a.a.O. auf M.T. Derchain-Urtel, Das n-Präfix im Ägyptischen, in: Göttinger Miszellen 6, 1973, 39-54; diese schreibt den damit erweiterten Verben eine Bedeutung zu, die in etwa der Diathese des indoeuropäische Mediums entspricht und die im Prinzip dasselbe wie das Simplex meinen, nur mit dem Unterschied, dass sie diese „Handlung an sich selbst und im eigenen Interesse“ ausdrücken (a.a.O., 43).
Zieht man all dies in Betracht, ließe sich noch am ehesten die erstgenannte Wurzel mit der von Meeks vorgeschlagenen Bedeutung „separér“ zur Erklärung von oDeM 1059 heranziehen: Es wäre dann von irgendwie abgetrennten Blüten die Rede. So auch Fischer-Elfert, a.a.O., 96, der als Übersetzung vorschlägt: „werden gepflückt/zerrieben“. (NB: Fischer-Elfert übersetzt es als subjektloses Passiv; in den medizinischen Texten steht an diesen Stellen ein Partizip oder ein Stativ.) Zugegebenermaßen verleiht dies den Blüten keine sonderlich aussagekräftige Zusatzinformation. Denn wie, wenn nicht in irgendeiner Weise abgetrennt, sind sie als Einzelsubstanz aufzufassen?
Eine weitere Option wäre schließlich noch, das Hieratische nicht nḏf, sondern sḏf zu lesen. Dieses könnte ebenfalls von einer der beiden hier genannten Simplex-Formen abgeleitet sein, nur eben als s-Kausativum statt als n-präfigiertes Verb. Oder es wäre ein weiterer Beleg für das Verb sḏf: „anketten, binden, einfangen“ o.ä. Doch auch eine solche Etymologie erhellt kaum die Bedeutung.
17 Nj.t: Die Bedeutung des Göttinnennamens in diesem Kontext ist unklar. Laut G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el Médineh, I (nos 1001 à 1108), Documents de fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 1 (Le Caire 1938), Taf. 32 fehlt nichts am Ende von Zeile 6. Auch der Anfang von Zeile 7 wirkt vollständig. Sollte dennoch im Zeilenumbruch etwas verlorengegangen sein, so dass hier irgendein mit Neith assoziiertes Produkt vorliegt?
19 ꜣpd qꜣi̯ ḫrw m grḥ: H.-W. Fischer-Elfert, „Ein Mann, der nicht gehen kann“. Erste Annäherungen an das Heilritual aus dem Hypogäum von Kapelle 1190 in Deir el-Medineh (Ostr. DeM 1059 und Ostr. Berlin P. 14291), in: H.-W. Fischer-Elfert – T.S. Richter (Hrsg.), Literatur und Religion im Alten Ägypten. Ein Symposium zu Ehren von Elke Blumenthal, Abhandlungen der Sächsischen Akademie der Wissenschaften zu Leipzig, Philologisch-Historische Klasse 81 (5) (Leipzig 2011), 79-109, hier 98, Anm. s überlegt, ob damit die Eule gemeint sein könnte. Da es bislang keine Verbindung zwischen der Göttin Neith und der Eule gibt, interpretiert er den Namen der Göttin und die Vogelbezeichnung als zwei voneinander unabhängige semantische Einheiten. Dessen ungeachtet weist er auf die späte Interpretatio Graeca hin, die Neith mit der Göttin Athene gleichsetzt, weshalb dann doch ein Link zur Eule, dem heiligen Tier der Letzteren, bestehen könnte.
Vgl. vielleicht auch die sehr späte Bezeichnung von Pfeilen im Allgemeinen und den Pfeilen der Neith im Besonderen als ꜣpd jw.tj šmi̯: „Vogel, der sich nicht bewegen kann“ und ꜣpd nn/jw.tj šw.t(=f): „Vogel, der keine Federn hat“ bei D. von Recklinghausen, Das Land von Pfeil und Bogen. Studien zu Neith und ihren Attributen in der Theologie des Tempels von Esna. Esna-Studien I, Studien zur spätägyptischen Religion 36 (Wiesbaden 2022), 69. Der auf oDeM 1059 stehende „Vogel mit lauter Stimme in der Nacht“ evoziert jedoch ein anderes Bedeutungsspektrum.
Schließlich sei noch erwähnt, dass in pEdwin Smith vso, Spruch 6, eine Fliege (ꜥff) als ꜣpd (logographisch geschrieben) bezeichnet wird, s. hier. Damit eröffnet sich die Option, dass das Wort ꜣpd mitunter auch weiter gefasst werden und Flugtiere allgemein inklusive Insekten bezeichnen kann. Dies passt zu O. Goldwasser, Prophets, Lovers and Giraffes. Wor(l)d Classification in Ancient Egypt. Classification and Categorization in Ancient Egypt 3, Göttinger Orientforschungen IV.38,3 (Wiesbaden 2002), 19 mit Anm. 52 und O. Goldwasser, The Determinative System as a Mirror of World Organization, in: Göttinger Miszellen 170, 1999, 49-68, hier 56, der zufolge die ägyptische Tierkategorie ꜣpd Insekten, oder zumindest einige von ihnen, einschloss – eine Ansicht, die hauptsächlich auf der Klassifizierung von Insektennamen mit Vogelklassifikator beruhte. (Skeptisch dazu allerdings D. Meeks, De quelques ‚insectes‘ égyptiens. Entre lexique et paléographie, in: Z.A. Hawass – P. Der Manuelian – R.B. Hussein (Hrsg.), Perspectives on Ancient Egypt. Studies in Honor of Edward Brovarski, Supplément aux Annales du Service des Antiquités de l’Egypte 40 (Cairo 2010), 273-304, hier 296, der in dieser Klassifizierung eine schlichte Vereinfachung der Schreibung vermutet, d.h. einen schreibtechnischen, keinem taxonomischen Hintergrund dafür sieht; vgl. ferner D. Meeks, La hiérarchie des êtres vivants selon la conception égyptienne, in: A. Gasse – F. Servajean – C. Thiers (Hrsg.), Et in Ægypto et ad Ægyptum. Recueil d’études dédiées à Jean-Claude Grenier, Bd. 3, Cahiers „Égypte Nilotique et Méditerranéenne“ 5 (Montpellier 2012), 517-546, hier 529-530, wonach mindestens der ḫprr-Käfer kein ꜣpd ist.) Falls auch der ꜣpd von oDeM 1059 ein Insekt ist, könnte man unter aller Vorsicht auf den Schnellkäfer, englisch „click beetle“, hinweisen, der eben durch seine Geräusche auffällt. Zu diesem Käfer und seinen Bezügen zur Neith s. L. Keimer, Pendeloques en forme d’insectes faisant partie de colliers égyptiens, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 31, 1931, 145-186 sowie H. Wilde, Grabbeigaben und ihre symbolische Bedeutung anhand eines Konvolutes aus Giza (Mastaba D 208). Überlegungen zum privaten Jenseitsglauben im Alten Reich, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 140, 2013, 172-187, hier 180-182 mit weiterer Literatur.
Andererseits besteht natürlich auch überhaupt kein Zwang, Neith und den Vogel/Insekt(?) miteinander zu verbinden.
Falls dieser ꜣpd eine magische Ingredienz ist, gilt für ihn dieselbe Einschränkung wie für die sr.t ḥḏ.t in rto 9: Es wird kaum ein ganzer Vogel zum Einsatz kommen, so dass man annehmen muss, dass hier eine Quantitätsangabe fehlt oder der Vogel das Attribut einer ausgefallenen Ingredienz war (etwa „Fett“ o.ä., s. erneut die sr.t ḥḏ.t). Oder wäre die fehlende Quanti- oder Qualifizierung ein weiteres Argument für die Annahme, dass ꜣpd an dieser Stelle ein Insekt meint?
20 Es ist unklar, wie viel vom Textende zerstört ist. Da der rechte und linke Rand des Ostrakons aber in diesen letzten Zeilen steil aufeinander zulaufen und rechts wie links nichts vom Text zu fehlen scheint, kann auf die letzte erhaltene Zeile nicht mehr viel folgen.