Papyrus Chester Beatty V

Metadaten

Alternative Namen
TM 381088
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte K-N) » London » British Museum

Inventarnummer: BM EA 10685

Erwerbsgeschichte

Der Papyrus Chester Beatty V gehörte zuerst zur Papyrussammlung des amerikanischen Großindustriellen Alfred Chester Beatty (1875–1968), der die Papyri II–XIX im Jahre 1930 dem British Museum in London schenkte (Hall 1930, 46–47), während er den Papyrus Chester Beatty I in der Chester Beatty Library in Dublin unterbrachte.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Die genauen Erwerbsumstände sowie der originale Fundzusammenhang des Papyrus sind ungewiss. G. Posener (in: Černý 1978, VI–VIII) gibt an, dass die 19 Chester-Beatty-Papyri mit dem Fund von 17 (?) Papyri aus Deir el-Medineh zu vergesellschaften sind, die im Jahre 1928 von B. Bruyère in einem schmalen, trapezförmigen Bereich mit gestampftem Boden zwischen dem Gewölbe einer Grabkapelle und dem Fundament einer Grabpyramide in Deir el-Medineh entdeckt wurden: „Il est permis de dire à présent que la découverte dépassa en importance les papyrus recueillis par le fouilleur le 20 février 1928. (...) On saura plus tard que les papyrus Chester Beatty proviennent de la même trouvaille.“ (Posener, in: Černý 1978, VIII; Plan des Fundorts: Bruyère 1929, Plan I: unten rechts, zwischen den Schächten P.1165 und P.1169). Darüber hinaus verweist er auf den Eintrag in B. Bruyères Grabungstagebuch vom 21. Februar 1928, in dem es heißt, dass ihm zu Ohren gekommen sei, dass er von drei Arbeitern bestohlen wurde. Der Papyrus Chester Beatty V ging demnach möglicherweise als Diebesgut in den Antikenhandel, wo er von A. Chester Beatty erworben wurde (Černý 1978, VIII). Zu dem Papyrusfund scheinen, abgesehen von den 19 Chester-Beatty-Papyri und den 17 von J. Černý gemeinsam veröffentlichten Deir-el-Medineh-Papyri (für die wenigsten der 17 Papyri liegen genaue Fundbeschreibungen vor), auch zwei Naunachte-Papyri in Kairo zu gehören, eventuell noch zwei Naunachte-Papyri in Oxford sowie ein Genfer Papyrus (P. Geneva MAH 15274), also insgesamt mindestens 40 Papyri (Pestman 1982, 155–172). Falls dies stimmt, wurden also alle Papyri im oberirdischen Bereich einer Grabanlage gefunden, dessen oder deren Besitzer bei der Grabung nicht bestimmt werden konnte(n). P. W. Pestman ermittelte die aufeinanderfolgenden Eigentümer der Papyri als Ken-her-chepesch-ef den Älteren, seine Frau Naunachte und ihre Söhne aus zweiter Ehe, Amun-nacht und Pa-maa-nacht-ef. Möglicherweise ist einer der Papyri (Papyrus Chester Beatty IX) irgendwann nass geworden, entrollt und nach der Trocknung wieder aufgerollt worden (Gardiner 1935 I, 78). Y. Koenig verweist auf den Brief Papyrus BM EA 10326 (= LRL, Nr. 9), in dem nassgeregnete Papyri inspiziert und später in einem Grab mit oberirdischen Räumen deponiert wurden, und er erkennt Analogien zwischen den dort geschilderten Vorgängen und dem Fundzusammenhang des Fundes von B. Bruyère von 1928 (Koenig 1981, 41–43).

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Die Datierung beruht auf paläographischen Kriterien, durch die der Papyrus wohl am ehesten in der Mitte oder der zweiten Hälfte der 19. Dynastie (Merenptah oder Sethos II., ca. 1213–1198) zu verorten ist (Gardiner 1935 I, 46). Gardiner erkannte keine spezifischen „late forms“, d.h. solche aus der 20. Dynastie. Quack (1994, 10) tendiert zur späten 19. Dynastie.

Textsorte
Inhalt

Der Papyrus wurde mit sehr heterogenen Texten beschriftet (Gardiner 1935 I, 45). Von der ersten noch vorhandenen Kolumne sind nur einige Zeilenenden erhalten. In der letzten Zeile fängt eine Kopie des sogenannten Nilhymnus (rt. 1,12–5,5) an. Welcher Text voranging oder wie lang dieser war, ist unbekannt (Quack 1994, 11 erwägt eine Berufssatire – mit Fragezeichen). Mitten in Zeile 5 von Kolumne 5 ist der Nilhymnus zu Ende und geht der Papyrustext nahtlos weiter mit 13 kleinen Texten, je in Form eines (Modell)-Briefes, die zum Teil Parallelen in den Late Egyptian Miscellanies aufweisen (rt. 5,5–vs. 2,11). In der letzten Zeile der Vorderseite ist ein Brief gerade zu Ende, der nächste fängt in der ersten Zeile auf der Rückseite an. Der Abschnitt mit den Modellbriefen hört in der elften Zeile der zweiten Kolumne auf, das Ende der Kolumne blieb leer. Der letzte dieser Texte (vs. 2,6–11) besteht aus zwei Auszügen aus der Lehre des Ani (Quack 1994). Der Inhalt der dritten Kolumne des Versos wird von Gardiner als „brief jottings“, d.h. kurze Notizen, bezeichnet. Zuerst stehen zwei Zeilen, die die Überschrift eines Zauberspruchs zum Schutz vor Skorpionen enthält, dann aber nach den ersten Worten des Spruchs aufhört (vs. 3,1–2). Sie erwecken den Eindruck, dass der Schreiber hier mit einem thematisch neuen Abschnitt in üblicher Zeilenlänge anfangen wollte, aber gleich in Zeile zwei abbrach. Nach einem kleinen unbeschrifteten Spatium folgen drei kurze Zeilen (vs. 3,3–5), die nicht ganz zu deuten sind, aber wohl ebenfalls zu einem magischen Spruch gehören. Der Rest der Kolumne blieb leer. Kolumne vier fängt mit einer roten Überschrift an. Es folgen fünf (oder ursprünglich mehr) Kolumnen mit mediko-magischen Sprüchen (vs. 4,1–8,x), die sich vermutlich alle gegen verschiedene Leiden am Kopf richten und in drei Gruppen unterteilt werden können. Zunächst gibt es zwei längere Kompositionen. Diese sind gegen gs-tp und gs-mꜣꜥ („halber Kopf“ bzw. „halbe Schläfe“) (vs. 4,1–9 bzw. 4,10–6,4) gerichtet – letzterer zusätzlich mit einer Vignette versehen. Der zweite Text hat eine Parallele im Papyrus Deir el-Medineh 1 (vs. 7,5–8,8) (Černý 1978, 11–12 und Taf. 15–16a). Die dritte Gruppe besteht aus verschiedenen Beschwörungen, die gegen eine hḳ genannte Erscheinung an der Schläfe helfen sollen (Gardiner 1935 I, 46–52). Die achte und letzte erhaltene Kolumne enthielt mit Sicherheit noch das Ende des letzten Spruchs von Kol. 7. Was danach folgte, ist unbekannt (vermutlich weitere mediko-magische Sprüche), denn von der ganzen achten Kolumne haben sich insgesamt nur zwei Zeichen (vs. 8,12) erhalten.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Das Papyruskonvolut, zu welchem auch der Papyrus Chester Beatty V zählt, gehörte zum Familienbesitz einer thebanischen Familie. Während der ursprüngliche Besitzer unidentifiziert bleibt, ist bekannt, dass es zu einem bislang unbekannten Zeitpunkt an den Schreiber Ken-her-chepesch-ef übergegangen ist. Durch seine Frau Naunachte wurde das Korpus schließlich an die Kinder aus zweiter Ehe weitervererbt. Zunächst ging der Papyrus in den Besitz des Amun-nacht und dann über weitere unbekannte Hände, bis er schließlich zusammen mit den anderen Stücken im oberirdischen Bereich einer Grabanlage deponiert wurde (Pestman 1982, 160–172; siehe auch Koenig 1981, 41–43).

Das Papyrusarchiv hat mindestens 40 Papyri umfasst, die heute in verschiedenen europäischen Sammlungen untergebracht sind (Pestman 1982, 155), und die folgende Textarten enthalten: private Urkunden und Verwaltungstexte (u.a. Briefe, Memoranda), (Schul-)Übungen, „semi-literarische“ Texte (medizinische, magisch-medizinische, mantische) und „rein“ literarische Texte (Pestman 1982, 165).

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schriftrolle
Technische Daten

Der Papyrus hat eine rekonstruierte Länge von 1,85 m mit einer Höhe von 20,5 cm und besteht aus einem ca. einen Meter langen, fast vollständig erhaltenen Streifen und zahlreichen, zum Teil winzigen, Fragmenten, vor allem in den vorderen drei Kolumnen. Diese konnten nur deshalb weitestgehend wiederhergestellt werden, weil der dort geschriebene Text als Kopie des Nilhymnus schon bekannt war. Das Ende der Rolle (aus der Perspektive der Vorderseite) ist erhalten, der Anfang fehlt, so dass die ursprüngliche Gesamtlänge unbekannt ist. Der linke Rand des Rectos (d.h. das Ende) enthält einen ca. 5 cm breiten Schutzstreifen (= innerster Bereich), ist also vollständig. Wie viel vom rechten Rand (d.h. vom Anfang) fehlt, kann nicht entschieden werden. Insgesamt haben sich sieben komplette Blätter von je 25–26 cm Breite erhalten, die jeweils mit einer Kolumne (sowohl Recto als auch Verso) von in der Regel 10–14 Zeilen gefüllt sind (Gardiner 1935 I, 45); davor ist gerade noch der Ansatz der „ersten“ Kolumne vorhanden.

Schrift
Hieratisch

Die Leserichtung verläuft von rechts nach links. Es wurde schwarze und, zur Markierung von Textanfängen, rote Tinte genutzt. Generell bediente sich der Schreiber (es handelt sich trotzt der inhaltlichen Heterogenität nur um einen Schreiber) einer „squat, rather heavy handwriting giving an unusual, but not wholly unpleasing, impression.“ Er hatte zudem „a marked preference for elaborate hieroglyphic forms“. Zudem beherrschte er auch einen kursiveren Schreibstil, denn die Notizen von Verso 3 sind in „a fine cursive style“ geschrieben. Die magischen Texte des Versos sind weniger gedrängt geschrieben als das Vorangehende. Auffällig sind die zahlreichen Korrekturen auf dem Recto, die mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit vom selben Schreiber stammen wie der Haupttext. Der Schreiber hat eine Vorliebe für Punkte über manchen Zeichen (Gardiner 1935 I, 45–46). Ungefähr in der Mitte der sechsten Versokolumne befindet sich – am Ende eines magischen Spruches – eine Vignette.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch, Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Die magischen Texte sind in Mittelägyptisch mit Neuägyptizismen abgefasst, was man als „Égyptien de tradition“ oder „néo-égyptien partiel“ (Winand 1992, 13) oder frühes Neuägyptisch definieren könnte.
- 3.1–2: Grammatisch liegen in dem kurzen Text keine neuägyptischen Einflüsse vor. Orthographisch sind das Pronomen =s und der Imperativ mit der Femininmarkierung neuägyptisch beeinflusst.
- 3.3–5: Die Futur-III-Formen, der Konjunktiv und der Possessivartikel sind Merkmale des Neuägyptischen.
- 4.1–9: Der Text ist sprachlich und orthographisch Mittelägyptisch. Der Vorläufer des Konjunktivs mit ḥnꜥ + Infinitiv (Z. 7; oder ist es ein zweiter Infinitiv nach jw=tw ḥr ⸮ṯꜣz??) sowie der Possessivartikel (Z. 9) sprechen für eine Abfassung des Textes in einer jüngeren Phase des Mittelägyptischen, frühestens das Ende der 12. Dynastie. Allerdings ist wꜥ mit der Funktion eines Indefinitartikels (Z. 9 in wꜥ twt, sicherlich hier nicht als "EINE (einzige) Statue" zu verstehen) erst in der 19. Dynastie belegt (Zöller-Engelhardt 2016, 132–134) und somit ein Zeichen neuägyptischen Einflusses.
- 4.10–6.4: Mittelägyptisch mit moderaten neuägyptischen Einflüssen. Das Futur-III wird teilweise ohne die Präposition r geschrieben (Vso 5.3–4), was sich erst im Laufe der 19. Dynastie bemerkbar macht. Das gleiche gilt für die Präposition ḥr, die einmal vor dem Infinitiv fehlt (Vso 6.3). Der Possessivartikel wird gelegentlich verwendet (Vso 5.4 und 5.5), ebenso der Definitartikel (Vso 5.8 und 5.9, 6.1, 6.2, 6.3); das absolute Personalpronomen der 3. Person singular ist mntk geschrieben (Vso 5.4) und der Status Pronominalis der Präposition m lautet einmal m-jm= (Vso 5.3).
- 6.5–8.12: Der stark zerstörte Text besteht aus vier oder mehr Sprüchen, die weitestgehend Mittelägyptisch mit gelegentlich neuägyptischen Einflüssen anmuten. Im ersten Spruch wird einmal der Possessivartikel pꜣy=k verwendet (Vso 6.6), im zweiten Spruch hat das Suffixpronomen =s eine neuägyptische Orthographie (Vso 7.1), am Ende des dritten Spruchs erscheinen plötzlich zwei Konjunktive und der negative Aorist (Vso 7.6–7), im vierten Spruch sind keine eindeutigen Neuägyptizismen erkennbar.

Bearbeitungsgeschichte

Im Rahmen seiner Untersuchung zu den hieratischen Papyri des British Museum legte A. H. Gardiner im Jahre 1935 eine Erstbearbeitung des Textes vor. Er gibt eine hieroglyphische Umschrift aus dem Hieratischen, einen Überblick über den Inhalt und die bis dahin unbekannten Texte in Übersetzung. Die späteren Bearbeitungen des Nilhymnus, der Briefe und Miscellanies sowie der Ani-Auszüge werden hier nicht weiter verfolgt.
Die beiden Sprüche gegen Kopfkrankheiten wurden von Fischer-Elfert 2005 neu übersetzt. Eine weitere Übersetzung des Spruches gegen gs-dp findet sich bei Popko 2018, gegen gs-mꜣꜥ bei Frandsen 1998, 998. Kurze Teilübersetzungen der magischen Texte gegen Kopfleiden stehen bei Westendorf 1999, 69. Erwähnung findet der magische Teil des Papyrus bei Bardinet 1995, 478. Die magischen Sprüche finden sich zudem mit Transkription und deutscher Übersetzung in DigitalHeka.

Editionen

- Gardiner 1935 I: A. H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. I. Text (London 1935), 45–52.

- Gardiner 1935 II: A. H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. II. Plates (London 1935), Taf. 23–29.

Literatur zu den Metadaten

- Bardinet 1995: T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’égypte pharaonique. Traduction intégrale et commentaire (Paris 1995), 478.

- Bruyère 1929: B. Bruyère, Rapport sur les fouilles de Deir el-Médineh (1928), Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 6,2 (Le Caire 1929).

- Černý 1978: J. Černý, Papyrus hiératiques de Deir el-Médineh. I. Nos I–XVII, Documents de Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 8 (Le Caire 1978), 11–12 und Taf. 15–16a.

- Fischer-Elfert 2005: H.-W. Fischer-Elfert, Altägyptische Zaubersprüche, Reclam Universal-Bibliothek 18375 (Stuttgart 2005), 39–41, 132–133 (Nr. 6–7).

- Frandsen 1998: P. J. Frandsen, On the Avoidance of Certain Forms of Loud Voices and Access to the Sacred, in: W. Clarysse – A. Schoors – H. Willems (Hrsg.), Egyptian Religion the Last Thousand Years. Part II. Studies Dedicated to the Memory of Jan Quaegebeur, Orientalia Lovaniensia Analecta 85 (Leuven 1998), 975–1000.

- Koenig 1981: Y. Koenig, Notes sur la découverte des papyrus Chester Beatty, in: Bulletin de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale 81, 1981, 41–43.

- Pestman 1982: P. W. Pestman, Who Were the Owners, in the „Community of Workmen“, of the Chester Beatty Papyri, in: R. J. Demarée – J. J. Janssen (Hrsg.), Gleanings from Deir el-Medîna, Egyptologische Uitgaven 1 (Leiden 1982), 155–172.

- Popko 2018: L. Popko, Some Notes on Papyrus Ebers, Ancient Egyptian Treatments of Migraine, and a Crocodile on the Patient's Head, in: Bulletin of the History of Medicine 92/2, 2018, 352–367, hier: 356–358.

- Quack 1994: J. F. Quack, Die Lehren des Ani, Orbis Biblicus et Orientalis 141 (Freiburg/Göttingen 1994), 10–11, 146–147, 284–285, 297–299.

- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I 36,1 (Leiden/Boston/Köln 1999), 68–69.

- Zöllner-Engelhardt 2016: M. Zöllner-Engelhardt, Sprachwandelprozesse im Ägyptischen. Eine funktional-typologische Analyse vom Alt- zum Neuägyptischen, Ägyptologische Abhandlungen 72 (Wiesbaden 2016), 132–134.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Katharina Stegbauer
Mitwirkende
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Verso 3,1–3,2: Zauberspruch gegen einen Skorpion

[vs. 3,1] Ein weiterer Spruch zum Ergreifen eines Skorpions, um ihn an seinem Maul1 zu packen, nicht zuzulassen, dass er beißt:
Halt still, Skorpion!

1 : Westendorf 1999, 69 fragt sich, ob mit "Mund" das Stachelende gemeint sein könnte.

Verso 4,1–4,9: Zauberspruch gegen sogenannte Migräne

[vs. 4,1] Amulettrolle einer Migränebeschwörung:
O Re, o Atum, o Schu, o Tefnut, o Geb, o Nut, o Anubis, Vorsteher der Gotteshalle, o Horus, o Seth, o [Isis], o Nephthys, o große Neunheit, o kleine Neunheit, kommt und betrachtet eueren Vater, der mit Fayence umgürtet eintrat, um den Hornbogen (?; oder: die Infektion)1 der Sachmet zu betrachten, der gekommen ist gegen sie (Plural!), um zu vertreiben einen Feind, Jenen (eine Feindin?), einen Untoten, [vs. 4,5] eine Untote, einen Widersacher oder eine Widersacherin, welche in diesem (?)2 Gesicht des NN., geboren von NN., sind.
Werde rezitiert über einem Tonkrokodil, indem [Weizen]körner in seinem Maul sind und sein Auge aus Fayence [in] seinen Kopf eingelassen (?) ist,3 indem man (es) [verknotet] (?) und das Abbild der Götter in Schrift verfertigt (d.h. als Vignette) auf eine Binde von feinstem Leinen.
Werde an seinen Kopf gegeben.
Werde (außerdem) rezitiert ⟨über⟩ einem Bild des Re, des Atum, des Schu, der Mehyt, des Geb, der Nut, des Anubis, des Horus, des Seth, der Isis, der Nephthys (und dem Bild) einer Oryx-Antilope, auf deren Rücken ein Bildnis ⟨des Horus⟩ steht, der seinen Speer hält.

1 ꜥb.w: Gardiner (1935 I, 50 mit Anm. 10) hat zunächst das Wort für "Horn" oder für "Bogen" vermutet (mit Fragezeichen!) und hält die Determinative von Messer und schlagendem Arm für falsch. Fischer-Elfert 2005 und Popko 2018 wählen die Übersetzung "Unreinheit, Infektion".
2 tn: Statt einer Emendation von pn zu tn vorzunehmen, ist das t vielleicht auch ein misslungenes Fleischzeichen zum Wort "Gesicht" und ist nur m ḥr n.j "im Angesicht von" zu lesen.
3 Popko (2018, 357 mit Anm. 17) übersetzt diese Stelle als "(to be) placed [on] his head (?)" wobei sich wꜣḥ nicht auf das Auge bezieht, sondern auf das Krokodil aus Ton, das als Heilmittel auf dem Kopf des Patienten gesetzt werden soll.

Verso 4,10–6,4: Zauberspruch gegen Kopfschmerzen

[vs. 4,10] Eine weitere Amulettrolle zum Vertreiben von halbseitigen Kopfschmerzen (wörtl.: einer halben Schläfe):
Was den Kopf des
NN., geboren von NN., betrifft, (d.h.) den Kopf des [vs. 5,1] Osiris-Wennefer: die 377 Gottesuräen sind auf sein Haupt gegeben, indem sie ihren Gluthauch spucken, um zu veranlassen, dass du verlässt den Kopf des NN., geboren von NN., wie (den des) Osiris.
Wenn du die Schläfe des NN., geboren von NN., nicht [verlässt], werde ich deinen ⸢Ba⸣ (?)1 zerkochen, werde ich deinen Leichnam verbrennen, werde ich dein Ohr taub sein lassen2 [wegen(?)] Bitten von (?) dir, und [ich werde] veranlassen, dass du gepackt wirst [...]3.
Wenn ⟨du⟩ ein ⟨an⟩derer Gott bist, werde ich [deinen] Wohnsitz niederreißen, werde [ich] hinter [vs. 5,5] deinem Grab [her] sein,4 um nicht zuzulassen, dass du Weihrauch [und Myrrhen (?)] empfängst, und um nicht zuzulassen, dass du Wasser zusammen mit den wirkmächtigen [Totengeistern] empfängst, und um nicht zuzulassen, dass du dich in das Gefolge [des Horus] einreihst.
[Wenn] du nicht auf ⟨meine⟩ Worte hören wirst, [werde ich] den Himmel umstürzen, ich werde Feuer an die Herren von Heliopolis legen, ich werde einer Kuh den Kopf abschlagen, die vom Tempelhof der Hathor geraubt (?)5 wurde, ich werde den Kopf eines Nilpferdes abschlagen auf dem Tempelhof des Seth, ich werde Sobek in [vs. 5,10] eine Krokodilshaut gehüllt dasitzen lassen, und ich werde Anubis in eine [vs. 6,1] Hundehaut gehüllt dasitzen lassen, ich werde veranlassen, dass der Himmel sich in seiner Mitte spaltet, ich werde veranlassen, dass die 7 Hathoren auffliegen zum Himmel als Rauch.
Ich werde [die Hoden des Horus (?)]6 abschneiden, ich werde das Auge des Seth blenden!
Wenn du aber aus der Schläfe des NN., geboren von NN., herauskommst, werde ich [nicht?] machen [für/gegen?] dich [ihre? ...]7 [...] der Schutz und ihre Namen heute nennen.
Werde rezitiert über diesen (d.h. folgenden) Götter(bilder)n, die auf eine Leinenbinde gezeichnet sind.
Werde [auf die Schläfe (?)]8 des Mannes gelegt.

1 bꜣ=k: Der Vogel ist fast vollständig verschwunden. Gardiner 1935 I ergänzt "Ba", aber in der Textparallele DeM 1, Vso 7.7 steht zꜣ=k: "dein Sohn" (in der Übersetzung von Černý, in: J. Černý – G. Posener, Papyrus hiératiques de Deir el-Médineh. I. Nos I-XVII, Documents de Fouilles de l’Institut Français d’Archéologie Orientale du Caire 8 (Kairo 1978), 1–12, Taf. 1–16a). In Vso 8.2 steht jw=j r tm [ḏi̯.t] šbn=k zꜣ jqr, wo man bꜣ jqr erwartet (diese Stelle weicht leider in pChester Beatty V, vso 5.6 ab). Wahrscheinlich unterscheidet pDeM 1 Vso nicht klar zwischen bꜣ-Vogel und zꜣ-Vogel. Für den Zusammenhang von bꜣ und ẖꜣ.t in der Götterbedrohung siehe H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin/München/Boston 2015), 234–237 mit weiteren Textstellen.
2 jw=j (r) zḫi̯ msḏr=k: Gardiner 1935 I übersetzt "I (will?) be deaf [to?] thee", d.h. etwa jw=j (r) zẖi̯ [r]=k, wobei das Ohr für ihn Determinativ des Verbs zẖi̯: "taub sein, taub machen" ist. Fischer-Elfert 2005 denkt nicht an das Verb zẖi̯: "taub sein, taub machen", sondern an zḫi̯: "schlagen: "dann werde ich deine Ohren schlagen". In der Textparallele pDeM 1, Vso 7.7 steht hier jw=j r sḫr=k [⸮ḥr?] [⸮ꜣbi̯?] jm=k: "Ich werde dich niederschlagen [wegen? des Verlangens?] bei dir (?)".
3 kfꜥ.w=k: Gardiner 1935 I übersetzt "I [will] cause the to conquer ...". Černý (in: J. Černý – G. Posener, Papyrus hiératiques de Deir el-Médineh. I. Nos I-XVII, Documents de Fouilles de l’Institut Français d’Archéologie Orientale du Caire 8 (Kairo 1978), 1–12, Taf. 1–16a) ergänzt die Textparallele in pDeM 1, Vso 7.7 zu j[w]=j [r] ḏi̯[.t] k[fꜥ]=k [wj] nm[_]: "je te ferai conquérir (?) ...". Fischer-Elfert 2005 hat: "Ich werde dafür sorgen, dass du (von) Bewusstlosigkeit überwältigt wirst." Denkt er an nmꜥ oder nmnm.w?
4 jw=[j m]-sꜣ pꜣy=k jz: Gardiner 1935 II, Taf. 28, Anm. zu Vso 5.4.d schlägt diese Ergänzung vor, aber gesteht ein, dass die Zeichen dann relativ weit auseinandergeschrieben sein müssten. In der Textparallele pDeM 1, Vso 7.7–8.1 steht jw=j r {w}sꜣsꜣ pꜣy=k jz n.tj tw=k m-ẖnw=k: "Ich werde angreifen dein Grab, in dem du dich befindest". Dort ist sꜣsꜣ allerdings mit Determinativen geschrieben, während im pChester Beatty keine Determinierung nach sꜣ vorhanden ist. H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin/München/Boston 2015), 237, Anm. 122 fragt sich, ob gemeint ist, dass der Magier droht, das Grab für seine eigenen Zwecke zu missbrauchen oder es zu entweihen.
5 nḥm(.t): Frandsen 1998, 998 mit Anm. 90 übersetzt "a cow which has been 'saved' [in] the Forecourt of Hathor" und er versteht dies als ein Tier, dass ausgewählt wurde, um im Tempelbezirk zu wohnen als eine Art von heiligem Tier.
6 ... n.j Ḥr.w: Ergänzungsvorschlag von Gardiner (1935 I, 51 mit Anm. 4) wegen des Parallelismus mit dem nächsten Satz.
7 [nn] jw=j r jri̯.t [n]=k: Gardiner 1935 I hat den Satz ohne die Negation rekonstruiert, aber die Lücke könnte größer sein, als von ihm angenommen. Jedenfalls lautet die Textparallele auf pDeM 1, Vso 8.7: [... ... ...] ḥr pri̯ m mꜣꜥ n.j mn msi̯.n mn.t nn jw=j r jri̯.t n=k nꜣy [... ... ...]: "[Wenn du aber] aus der Schläfe des NN., den NN. geboren hat, herauskommst, dann werde ich nicht machen für dich die/ihre (?) [... ... ...]".
8 ḏi̯ r [mꜣꜥ] n.j z: Gardiner (1935 II, Taf. 29 mit Anm. Vso 6.4.a) ergänzt mꜣꜥ: "Schläfe". Allerdings steht in der Textparallele pDeM 1, Vso 8.8 eindeutig ḏi̯.w r ḫḫ n.j z: "Werde um den Hals des Mannes gelegt".