pCarlsberg 475

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Europa » Dänemark » Kopenhagen » Carlsberg Papyrus Collection

Inventarnummer: 475

Erwerbsgeschichte

Als Teil der Carlsberg Collection besteht die berechtigte Annahme, dass der Papyrus im Jahr 1931 als Teil der Tempelbibliothek von Tebtynis angekauft wurde, s. dazu rezent Hagen – Ryholt 2016, 178–180. Allerdings äußert Quack 2006, 53 einige Zweifel an der gemeinsamen Herkunft, als Argumente dienen ihm: die vom Duktus der sonstigen Tebtynis-Papyri abweichende Handschrift, die Zuordnung zu einigen ptolemäischen Dokumenten durch gemeinsame Rahmung und Nummerierung sowie die Abwesenheit von zugehörigen Fragmenten in anderen Sammlungen mit Tebtynis-Material. Daher könnte der Papyrus auch bei früheren Ankäufen von H.O. Lange nach Kopenhagen gekommen sein; zu diesen s. Hagen – Ryholt 2016, 164–178.

Herkunft
(unbekannt)

Sollte der Papyrus Teil des Tebtynis-Konvoluts sein, stammt er aus der Bibliothek des Sobektempels dieses Ortes im Fayum. Sollten sich die bei der Erwerbsgeschichte geäußerten Zweifel bewahrheiten, muss die Herkunft als unbekannt gelten.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Griechisch-Römische Zeit » Hellenistische Zeit » Ptolemäerzeit bis: (Epochen und Dynastien) » Griechisch-Römische Zeit » Römische Zeit

Quack 2006, 53–54 vergleicht die Paläographie dieses Papyrus mit derjenigen einer Reihe weiterer später magischer Texte und datiert Carlsberg 475 „in frührömische oder allenfalls spätptolemäische“ Zeit.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Der Text beinhaltet einen Spruch zum Neunköpfigen Bes, einer pantheistischen Gottheit, und stellt damit eine Teilparallele zu Papyrus Brooklyn 47.218.156, Zeile 2,7-3,8 dar. Eigentlicher Zweck des Spruches ist der Schutz Pharaos, wobei pCarlsberg 475 vielleicht eher für eine nichtkönigliche Person vorgesehen war. Im – hier nicht erhaltenen oder vielleicht auch gar nicht mitkopierten – Anfang des Textes werden verschiedene Gefahren genannt, vor denen der König geschützt werden muss.

Der erhaltene Teil setzt mit einer Aktion am „Ufergebirge“ oder „Gebirgskliff“ ein, in dessen Zusammenhang um den Schutz des Königs gebeten wird, der immerhin das „Abbild“ des Gottes sei. Mit der Schifffahrt wird eine weitere Situation angesprochen, in der Schutz vonnöten ist. Laut der Brooklyner Parallele geht die Bedrohung hierbei von verschiedenen Menschengruppen, inklusive der Untoten, aus, wohingegen der Carlsberger Papyrus „Gift“ erwähnt und daher wohl auf giftige Tiere, wie Schlangen und Skorpione, abzielt. Anschließend folgt eine Passage, in der, wohl zur argumentativen Untermauerung des Schutzes, die Identität des zu schützenden Königs und des Gottes beschrieben wird.

Im Kolophon wird der neunköpfige Bes erwähnt, d.h. eine Zeichnung desselben, über der dieser Spruch zu rezitieren ist. Der Brooklyner Parallele kann man entnehmen, dass diese Zeichnung auf einem neuen, d.h. unbeschriebenen, Papyrusblatt angebracht werden soll, das dann als Amulett um den Hals zu tragen ist. Es folgt noch ein Hinweis auf den Anwendungsbereich – nämlich „vor jedem Verrat, jedem Schrecken, jeder Furcht, jedem Biss und jeder Krankheit“ – sowie ein Nützlichkeitsvermerk.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Das Format und das Kolophon sprechen dafür, dass der Text als Amulett gebraucht war. Der Inhalt des Kolophons zeigt hierbei, dass der Anwendungsbereich relativ unspezifisch ist, trotz des speziellen Fokus auf Gifttiere in Zeile 4. Laut dem Kolophon der Brooklyner Variante handelt es sich um ein Amulett spezifisch für Frauen und Kinder, s. Quack 2006, 64 und dazu S. 61, Anm. 21.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schreibblatt
Technische Daten

Das erhaltene Fragment ist 15 cm breit und 8,4 cm hoch. Am oberen und unteren Rand ist jeweils eine doppelte Begrenzungslinie erhalten, sodass die erhaltene Höhe mehr oder weniger der originalen Höhe des Papyrus entspricht. Das Format entspricht damit dem Viertel einer vollen Blatthöhe und passt zu Blatthöhen anderer Amulette der Spätzeit (Quack 2006, 53 mit Anm. 2).

Erhalten sind noch die Reste von acht Zeilen, wobei die letzte nur noch ungefähr zur Hälfte vollgeschrieben war und zwischen ihr und der unteren Begrenzungslinie ein Freiraum ist – das Fragment bietet also das Ende des Textes.

Der rechte und linke Rand des Textes ist weggebrochen. Die Zeilen lassen sich zwar teilweise, aber nicht vollständig anhand der Parallelen rekonstruieren.

„An verschiedenen Stellen macht der Papyrus einen etwas verwaschenen Eindruck, allerdings mehr im Sinne von Wasserflecken, als daß es sich um ein Palimpsest handeln würde“ (Quack 2006, 53).

Schrift
Hieratisch

Der Text ist in einem späten Hieratisch der frührömischen oder allenfalls spätptolemäischen Zeit geschrieben worden (s. oben zur Datierung). Quack 2006, 53 ordnet den vorliegenden Papyrus „einer Tradition von Handschriften [zu], die relativ flüchtig und kursiv sind, dabei jedoch neben Abnormalhieratisch und Demotisch eine weitere ganz eigene Entwicklungslinie darstellen“.

Die Schriftfarbe ist schwarz.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » spätes Mittelägyptisch mit neuägyptischen Einflüssen, Ägyptisch-Koptisch » Demotisch » Frühdemotisch

Der Text bietet eine Mischung aus mittelägyptischen bis archaisierenden Formen (jptn) sowie sprachlich jüngeren Elementen, wie den Konjuntiv mtw=, neuägyptische Artikel und Possessivpronomen, und die erst in der 25. Dynastie üblich werdende periphrastische Bildung j:jri̯ sḏm bei einem perfektiven Partizip eines Verbs mit weniger als drei Radikalen (s. Quack 2006, 54 und zu Letzterem auch Quack 1995, 119).

Bearbeitungsgeschichte

Die Editio princeps stammt von Quack 2006.

Editionen

- J. F. Quack, Monumental-Demotisch, in: L. Gestermann – H. Sternberg-el Hotabi (Hrsg.), Per aspera ad astra. Wolfgang Schenkel zum neunundfünfzigsten Geburtstag (Kassel 1995), 107–121.

Literatur zu den Metadaten

- Hagen – Ryholt 2016: F. Hagen – K. Ryholt, The Antiquities Trade in Egypt 1880-1930. The H.O. Lange Papers, Scientia Danica. Series H, Humanistica, 4, 8 (Copenhagen 2016).

- Quack 1995: J. F. Quack, Monumental-Demotisch, in: L. Gestermann – H. Sternberg-el Hotabi (Hrsg.), Per aspera ad astra. Wolfgang Schenkel zum neunundfünfzigsten Geburtstag (Kassel 1995), 107–121.

- Quack 2006: J. F. Quack, Ein neuer Zeuge für den Text zum neunköpfigen Bes (P. Carlsberg 475), in: K. Ryholt (Hrsg.), The Carlsberg Papyri 7. Hieratic Texts from the Collection, CNI Publications 30 (Copenhagen 2006), 53–64.

Autoren
Dr. Lutz Popko
Mitwirkende (Metadaten)
Dr. Lutz Popko

Übersetzung und Kommentar

Schutzamulett gegen gefährliche Tiere und andere Gefahren unter Verwendung des neunköpfigen Bes

[1][---] Wende dein Gesicht zum Ufergebirge! Mögest du ⟨seine⟩1 Stimme hören! Mögest du die große Flamme löschen, die aus [deinen]2 Augen gekommen ist [---]! [---] [Er ist [2]---, geboren aus dem Flu]ss.3 Er ist dein Abbild, das auf Erden ist. Mögest du ihn ⟨in⟩ dein Inneres geben! Mögest du ⟨ihn⟩ mit deinem Flügel beschirmen! Mögest du ihn mit Leben und Stärke beschützen [---]4 [3][---] [Mögest du für ihn]5 deine Arme sich öffnen lassen! Mögest du das (ganze) Land zu ihm kommen lassen, wenn er auf dem Fluss im Binnenland6 übersetzt! Mögest du ihn das Meer befahren lassen! [---] [4][---] Mögest du sie seinetwegen [zurückhalten]!7 Mögest du sie seinetwegen umschließen! Mögest du das Gift aus ihren Mäulern zurückhalten.8 Mögest du sie wie Schlamm(?)9 machen [---] [---] [5][---] an ihm. Mögest du [nicht] zulassen, dass irgendetwas Übles ihn zerstört! Sie sollen sich nicht seiner bemächtigen können! Dein Fleisch ist sein Fleisch, und umgekehrt. Sein(e) Knochen sind dein(e) Knochen, und umgekehrt. [Sein] K[örper ist dein Körper, und umgekehrt.]10 [6][---] [Mögest] {er} ⟨du⟩ ihn vor dem Feind und [Jenem], (vor) einem Untoten und einer Untoten, etc., [retten]!11 Worte zu sprechen über einem Bes mit neun Köpfen auf einem Hals, wobei jede seiner Gestalten v[ollkommen ist an ---]12 [7][---]13 [Das bedeutet, ihn zu retten vor] jedem Verrat, jedem Schrecken, jeder Furcht, jedem Biss, und jeder Krankheit ebenso. Werde getan und erkannt (wörtl.: gesehen) als etwas wirklich Vortreffliches, Millionen [Mal] (erprobt). [---] [8][---] alle guten [Dinge] für/in Bezug auf (?) [diese] Tiere14, wobei diese Götter [für ihn] Schutz ausüben.

1 Ergänzung nach der Parallele pBrooklyn 47.218.156, Zeile x+2,7.

2 Ergänzung nach der Parallele pBrooklyn 47.218.156, Zeile x+2,7.

3 Ergänzung nach der Parallele pBrooklyn 47.218.156, Zeile x+2,8.

4 Auf pBrooklyn 47.218.156, Zeile x+2,8-9 ist umgekehrt nur die zweite Hälfte des Satzes erhalten, die lautet: n[.tj] jm.jw ꜥ.wj=k: „die auf deinen Armen sind“.

5 Ergänzung nach der Parallele pBrooklyn 47.218.156, Zeile x+2,9.

6 jm.j tꜣ: Zur Übersetzung „im Binnenland“ s. Quack, in: Ryholt, Carlsberg Papyri 7, 56, Anm. n.

7 st: Das pluralische Objektspronomen bezieht sich auf die in der Lücke zu ergänzenden negativen Entitäten, die hier neben Menschen und Untoten wohl auch giftige Tiere einschließt, wie der übernächste Satz zeigt.

8 m rʾ=sn: Die Adverbialphrase ist vielleicht weniger vom Verb als vom direkten Objekt abhängig. Das pluralische Suffixpronomen =sn bezieht sich hier, wie das st der vorigen beiden Sätze auf eine Aufzählung von gefährlichen Entitäten, die in der Lücke im Zeilenwechsel von 3 zu 4 gestanden haben. Die Parallele auf pBrooklyn 47.218.156, Zeile x+2,9-3,1 nennt hier verschiedene Menschengruppierungen und Untote). Dazu passt aber nicht das Gift im Maul von pCarlsberg 475, weswegen Quack, in: Ryholt, Carlsberg Papyri 7, 56, Anm. o vermutet, dass dort in der Lücke auch Schlangen, Skorpione und ähnliche Tiere genannt waren.

9 qbb: Die Parallele auf pBrooklyn 47.218.156, Zeile x+3,2 schreibt stattdessen qbqb und fährt fort mit pri̯ m nw.y: „der/das mit/aus der Nilflut kommt“. Sauneron, Papyrus magique illustré, 19 übersetzt unkommentiert mit „noyés“, vielleicht abgeleitet von gbgb.t: „Leichenhaufen“ (Wb 5, 165,4-8 = TLA WCN 167090), s. Quack, in: Ryholt, Carlsberg Papyri 7, 56, Anm. q. Dagegen übersetzt Feder die Parallelstelle im TLA als „Treibholz“ und versteht das dortige Substantiv als Vorläufer des koptischen ϭⲉⲃϭⲓⲃ: „Stücke, Splitter“, das Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 447 wiederum von gbgb: „niederwerfen, hinstrecken“ (Wb 5, 165.3 = TLA WCN 167050) ableitet, es also derselben Wortfamilie zuordnet wie Sauneron. Quack, a.a.O. möchte das qbb von pCarlsberg 475 dagegen mit dem Wort gbb: „Felder“ o.ä. (Wb 5, 164.12-13 = TLA WCN 167030) verbinden. Aufgrund einer ähnlichen Aussage in der Metternichstele, Zeile 118, in der Horus gebeten wird, die feindlichen Wesen zu einem jꜥr n ḫꜣs.t zu machen (Quack: „Kiesel der Wüste“, Dils, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 30.5.2024): „Kieselstein des Gebirges“), schlägt er für pCarlsberg 475 „eine etwas speziellere Verwendung des Wortes gbb“ vor und übersetzt es a.a.O., 55 mit „Schlamm(?)“.

10 Zur Ergänzung s. Quack, in: Ryholt, Carlsberg Papyri 7, 55, 57, Anm. u und die Synopse mit der – ebenfalls fast ganz zerstörten – Parallele S. 64.

11 Lesung des Satzanfangs mit Quack, in: Ryholt, Carlsberg Papyri 7, 55 und 57, Anm. w.

12 ꜥ[pr]: Ergänzungsvorschlag von Quack, in: Ryholt, Carlsberg Papyri 7, 57, Anm. z. Zur Bedeutung „vollkommen sein“ o.ä. gegenüber dem üblicherweise angenommenen „ausgestattet sein“ s. Jansen-Winkeln, in: ZÄS 121, 1994, 55.

13 In der Parallele, die hier in der Nachschrift im Detail abweicht, ist noch genug erhalten, um inhaltlich zu ergänzen: „werde auf ein neues Papyrusblatt gezeichnet und an den Hals von NN gegeben“.

14 ꜥ.wt: Die Lesung ist unsicher, s. Quack, in: Ryholt, Carlsberg Papyri 7, 57, Anm. ff. Er schreibt: „träfe sie zu, müßte man einen Anakoluth annehmen.“ Möglicherweise ließe sich dieses Problem auflösen oder zumindest um weitere Lösungsmöglichkeiten erweitern, wenn man das jw – das zudem auch noch tlw. ergänzt ist! – als Schreibung für die Präposition r auffasst, so wie in Zeile 1.