Pfeiler des „Sanatoriums“ von Dendara
Übersetzung und Kommentar
Spruch 1 (Vorderseite)
[1] (Isis spricht:) Komm zu mir, (oh Du) dessen Name vor den Göttern verborgen ist,1 der den Himmel gemacht hat, der die Erde erschaffen hat, der alle Leute (wörtl.: jedes Gesicht) geboren hat.
Dein Sohn Horus ist gekommen.
Seine Feinde gibt es nicht.
Kein einziges böses Auge aus der Bande des (Sethtiergottes) Nehes2 wird ihm begegnen3.
(Der Erzähler/Zauberer spricht:) Derjenige, der das, was existiert, erschaffen hat, er öffnete seinen Mund (und antwortete):
(Der zur Hilfe gerufene Universalgott spricht:) Hab keine Angst, hab keine Angst, (oh) Isis, (du) Göttin!
Deinem Sohn/Kind Horus wird nichts Böses geschehen. (oder: Deinem Sohn/Kind Horus ist nichts Böses geschehen.)
Ich habe den gefunden, der gegen ihn vorgegangen ist.
Ich habe ihn mit der Spucke, die aus meinem Mund kommt, beschworen, mit dem Speichel, der von meinen Lippen kommt.
Nichts Böses wird ihm passieren / gegen ihn entstehen. (oder: Nichts Böses ist ihm passiert / gegen ihn entstanden.)
Ich habe den wiederbelebt, den ich liebe.
Ich bin das Wasser.
Ich bin der Himmel.
Ich bin die Erde.
Ich bin der Wind.
Ich bin Tatenen, der von der Maat/Wahrheit lebt.
– Es/Das ist Schai (der Schicksalgott)4 bei jedermann, der den Lebensatem dem gibt, den er liebt. –
Ich bin der große Pfeiler(hafte), der inmitten des Horizonts ist, bei dessen Leuchten jedes Auge hell erstrahlt.5
Ich bin der Ba der Bau, [5] der Ansehnliche der Ansehnlichen, der mit großer Ba-Macht unter den Göttern.
Ich bin der, dessen Name verborgen ist,6 dessen Statue/Bildnis für (?) die Göttern der Erde (oder: des Landes) glänzt/glitzert.7
– Das ist Horus, der Sohn der Isis und der Sohn des Osiris.
Das ist mein Sohn, der aus mir hervorgekommen ist. –
1 jmn rn =f r nṯr.w: Daumas 1957, 42 und Quack 2002, 53 übersetzen intransitiv: „toi dont le nom est caché aux dieux“. Eine aktiv-transitive Übersetzung „der seinen Namen vor den Göttern verbirgt“ ist ebenfalls möglich. Vgl. weiter unten in Z. 5 jnk jmn rn=f, wo Quack 2002, 53 transitiv übersetzt: „Je suis celui qui cache son nom.“
2 nhs: Daumas 1957, 42 übersetzt den Namen mit „le Malin“.
3 n ḫpi̯ s(w) jr.t nb(.t) ḏw(.t): Lesung ḫpi̯ „begegnen“ gemäß Quack 2002, 64, Anm. 47. Das Determinativ G37 stammt von ḫpi̯ „sterben“.
4 šꜣj: Ist dies eine Glosse zum Universalgott, zu Tatenen oder zu Maat? J. Quaegebeur. Le dieu égyptien Shaï dans la religion et l’onomastique, Orientalia Lovaniensia Analecta 2 (Leuven 1975), 98 listet keine Verbindungen von Schai zu Maat. Er kommentiert diese Textstelle bei Osiris, aber sie könnte auch zu Ptah als Urgott Ptah-Tatenen passen (S. 99–100) und an anderer Stelle thematisiert er Schai als Urgott und als Universalgott (S. 166–170). Letzteres passt am besten, denn der Gott, der spricht, ist ein solarer und pantheistischer Schöpfergott (s. Quack 2002, 64, Anm. 46).
5 sšp: Daumas 1957, 43, Quack 2002, 53 und C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Band VI. ẖ – s, Orientalia Lovaniensia Analecta 115 (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002), 612c übersetzen transitiv: „illuminant tout oeil lorsqu’il brille.“
6 jmn rn =f: Daumas 1957, 43 übersetzt intransitiv „Je suis Celui-dont-le-nom-est-caché“, Quack 2002, 53 transitiv „Je suis celui qui cache son nom.“
7 ṯḥn sšm,w =f n.w nṯr.w tꜣ: Die Präposition n ist merkwürdig geschrieben. C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Band VII. š – ḏ, Orientalia Lovaniensia Analecta 116 (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002), 483c übersetzt mit „für (?)“. Daumas 1957, 43 hat „dont la statue est brillante parmi les dieux de la terre“ (Schreibung von n.w für m/m-m?). Quack 2002, 53 übersetzt mit einer Genitivkonstruktion „dont la statue des dieux de la terre est brillant.“
Spruch 2 (rechte Seite)
Siehe doch Isis, die (du) auf seiner rechten Seite stehst, Thoth, der (du) auf seiner linken Seite stehst, wobei sie ihre Hände auf alle seine Glieder legen1 beim Mundöffnungsritual. (oder: Siehe, Isis steht ja auf seiner rechten Seite, Thoth steht auf seiner linken Seite, wobei sie ihre Hände auf alle seine Glieder legen bei der Mundöffnung.)
Ihr öffnet (ihm den Mund?),2 wenn er (es) sagt (?).
Die beiden Schwestern, die in ihm sind (?), (d.h.) die beiden Uräen erheben seine Vollkommenheit3.
1 jw=sn (ḥr) wꜣḥ: Wird als nachträglich eingefügte Glosse im (neuägyptischen) Umstandssatz des Präsens gedeutet (Quack 2002, 65, Anm. 51). Falls man Ꜣs.t ꜥḥꜥ.tj und Ḏḥw,tj ꜥḥꜥ.tj als Präsens-I-Konstruktionen auffasst, kann auch das Ganze eine nachträgliche Änderung sein. Der Übergang zu jw wpi̯=tn ist so oder so unklar.
2 r/jw wpi̯=tn: Der ganze Satz ist unklar. Liegt hier ein mittelägyptischer jw sḏm=f vor? Die Partikel jw wäre dann wie r geschrieben. Tatsächlich wird in der ganzen anschließenden Gliedervergottung die Partikel jw jedes Mal wie r geschrieben. Quack 2002 macht von sn.tj jm.j=f das direkte Objekt von jw wpi̯=tn: „Vous ouvres quand il dit les deux soeurs qui sont en lui.“ Daumas 1957, 44 übersetzt an unserer Stelle „...la bouche afin que vous l’ouvriez“ und denkt möglicherweise an die Konstruktion r + sḏm=f im Konsekutivsatz. Das direkte Objekt wäre ungeschrieben. Oder liegt hier eine präfigierte Relativform vor: ... m wp.t rʾ j:wpi̯=tn m ḏd=f: „bei der Öffnung des Mundes, den ihr öffnet, wenn er spricht/sagt (oder: gemäß seiner Rede).“?
3 wṯs nfr.w=f: So mit Quack 2002, 65, Anm. 52 gegen wṯs sꜣ=f von Daumas 1957, 44 „les deux uraeus élèvent sa protection“.
Gliedervergottung
Dein Kopf ist der Kopf des Atum, des göttlichen Gottes1 im Haus der beiden Kolleginnen/Weberinnen (?)2.
Deine Augenbrauen sind die Schlangen/Reptilien (wörtl.: die, die auf ihrem Bauch sind).
Deine beiden Augen sind Hormerti – das Öffnen des Visus ist das, was sie gemacht haben.
Sachmet und Bastet sind dort auf deinem Kopf.
Deine Nase ist Horus,-der-Unterweltliche3, der Stier der Stiere, der die Götter erzeugt (wörtl.: geboren) hat.
Deine Ohren sind (der Sehgott) Ir und (der Hörgott) Sedjem.
Dein Scheitel (?)4 ist Amun-Re 〈in?〉 der Neschmet-Barke.
Dein Hinterkopf ist die Fürstin der Götterkörper.
[linke Seite] Dein Mund ist mit der Maat gefüllt (oder: voll der Maat).
Deine Lippen sind Ptah.
Deine Zunge ist Tho〈th〉, Hu/Aussage und Sia/Einsicht.
Dein Hals ist Month.
Deine Kehle ist der Uräus, die Erste/Kobra des Re.
Deine beiden Schultern sind [10] der lebende Falke, Horus persönlich.
Deine beiden Oberarme sind die Ruder in (?)5 der Barke des Re.
Deine Unterarme (?)6 sind die vier Pfeiler des Himmels7.
Deine Finger sind die Sand-/Staubkörner aus Gold des Auges des Re.
Dein Herz ist Re-Harache.
Deine Brust ist Neith.
Dein Rücken/Rückgrat ist Geb.
Deine (beiden) Seiten/Rippengegenden sind die sieben Hathoren.
Dein Bauch ist Nut.
Deine Eingeweide sind der Allherr.
Dein Scham/Unterleib ist Nephthys.
Dein Phallus ist Min.
Deine Hoden sind die Samen/Früchte der $mꜣt.t$-Pflanze (Sellerie oder Calotropis procera/Sodomsapfel).
Dein Hintern ist Month.
Deine beiden Schienbeine8 sind [... und ...].
Deine beiden [Füße]9 sind Heqet und Selkis.
Deine Zehen10 sind die Götter des Himmels11.
Komm hinaus!
Vertrieben (?) ist/wurde das Unrecht (?),12 das in jedem Körperteil des lebenden Achom-Falken und (?) des lebenden Bik-Falken war, ewiglich.
1 nṯr nṯr.j m ḥw.t-rḥ.tj: Die ersten beiden Hieroglyphen sind sicherlich als nṯr und nicht als Determinativ von Atum zu lesen, denn die Kombination nṯr nṯr.j m + Toponym ist gängig. Daumas 1957, 44 hat „le dieu divin dans la demeure-de-Hehenet“ (so auch C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Band IV. nbt – h, Orientalia Lovaniensia Analecta 113 (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002), 434c), während Quack 2002, 53 „Atum, le divin dans la maison des deux blanchisseuses“ übersetzt.
2 ḥw.t-rḥ.tj oder ḥw.t-rḫ.tj ist ein sehr seltenes Toponym (nicht in C. Leitz, Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen (Leuven/Paris/Dudley, MA 2002) oder H. Gauthier, Dictionnaire des noms géographiques contenus dans les textes hiéroglyphiques I (Le Caire 1925–1928). Daumas 1957 liest vorläufig ḥw.t-ḥḥn.t. Die Belege in É. Chassinat, Le mammisi d’Edfou, Mémoires publiés par les membres de l’Institut français d’archéologie orientale 16 (Le Caire 1910–1939), 13.16, 13.18 und 14.5–6 betreffen alle dieselbe Szene und verbinden Atum und Chepre mit der Gebäudebezeichnung bzw. dem Toponym ⸮bnb〈〈n〉〉? bzw. ḥw.t-⸮bnb〈〈n〉〉? oder rḥ.tj bzw. ḥw.t-rḥ.tj. Daumas 1957, 44, Anm. 3 fragt sich wegen des Zusammenhangs mit Atum, ob ein Fehler für ḥw.t-bnbn vorliegen kann. D. Kurth, Einführung ins Ptolemäische. Eine Grammatik mit Zeichenliste und Übungsstücken I (Hützel 2007), 321, Anm. 37a mit Anm. 211 listet mehrere Belege aus dem Mammisi von Dendara für hier vorliegende Schreibung mit der Lesung bnbn, aber es betrifft jedesmal das Mammisi von Edfu (!) und die drei Belege wurden schon von Daumas aufgelistet. H. W. Fairman, Ptolemaic notes, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 44, 1944, 263–277, hier: 263–268, der die Lesung rḥ.tj bzw. (jünger) rḫ.tj für die beiden Wäscherinnen entdeckt hat, listet die drei Belege aus dem Mammisi von Edfu nicht auf. B. Backes, Von nun an sollt ihr Rḥ.tı͗ heißen: die „Beiden Kolleginnen“ von Sais, in: Göttinger Miszellen, 2001, 23–28, 23–28 wählt die Lesung rḥ.tj und die Übersetzung „die beiden Kolleginnen“, eventuell „die beiden Stoffherstellerinnen, Weberinnen.“ und schließt rḫ.tj „die beiden Wäscherinnen“ für die beiden Stoffherstellerinnen aus Sais und für das Kolleginnenpaar Isis-Nephthys aus.
3 Ḥr.w-dwꜣ.tj: Daumas 1957, 45 mit Anm. 3 übersetzt „Horus, le triomphateur (?)“, denn er meint wegen des t, dass die Lesung Ḥr.w dwꜣ.y „dieu du matin“ nicht möglich ist, und er fragt sich, ob dwn.tj gelesen werden sollte. Quack 2002, 53 hat „Horus, le matinal“. In der Sonnenlitanei (E. Hornung, Das Buch der Anbetung des Re im Westen (Sonnenlitanei). Nach den Versionen des Neuen Reiches. 2 Bände, Aegyptiaca Helvetica 2–3 (Genève 1975–1976), 209) ist die Nase (fnḏ) des Sonnengottes die Nase des Ḥr.w-dwꜣ.tj, wobei dwꜣ.tj mit dem Hausgrundriss determiniert wird, was für eine Interpretation als „Horus, den Unterweltlichen“ spricht.
4 ⸮wp.t?: Lesung unsicher. Steht das Horn pars pro toto für das Kuhgehörn wp.t? Jedenfalls ist wp.t ein gängiger Körperteil in den Gliedervergottungslisten und wird mehrfach mit dem Gott Re verbunden (s. Walker 1996, 290–341).
5 wsr.w m wjꜣ: Daumas 1957, 45 und Quack 2002, 54 übersetzen mit Genitiven „les rames de la barque de Rê“. Dann ist m eine Allographie für n (vgl. die umgekehrte Situation in jw jm.jw-ẖ.t=k n Nb-(r-)-ḏr „Deine Eingeweide sind der Allherr“ in Z. 11).
6 ⸮mḥ?.w =k: Lesung unsicher. In der Reihenfolge der Körperteile erwartet man die Hände (so Quack 2002, 54 und 65, Anm. 55). Daumas 1957, 45, Anm. 7 erwägt die Lesung ꜥn.t „Nagel, Kralle“ und übersetzt mit „pouces (?)“, d.h. „Daumen“. Als Alternative denkt er an das „volle Horusauge“ mḥw, dass dann eine Schreibung für mḥ „die Elle“ wäre. Entsprechend transkribiert Walker (1996, 333, Nr. 16) mḥ.w und übersetzt mit „forearms“. Das Udjatauge kann noch die Lesung mn haben und mnjꜣ ist die Stelle am Arm, wo der Puls gemessen wird. Dann wären mn.w vielleicht die Handgelenke.
7 sḫn.t 4 n.t p.t: Daumas 1957, 57, Anm. zu S. 46 übersetzt „quatre piliers de Nout“ oder „quatre piliers du ciel“.
8 sḏḥ.wj: Lesung aus der Reihenfolge der Körperteile erschlossen. Die Oberschenkel fehlen.
9 rd.wj oder sst.wj: Daumas 1957, 46 denkt an sst.wj: „Waden“, aber weil schon sḏḥ.wj vorangeht und ein Wort für „Zehen“ folgt, kann hier auch ohne weiteres rd.wj gestanden haben, dass sich ebenfalls häufig in den Gliedervergottungen findet.
10 ⸮ꜥn.t/ḏbꜥ/sꜣḥ?: Das gängige Wort nach den Füßen in der Gliedervergottung ist sꜣḥ.w, das sich so jedoch nicht schreiben lässt. In der Gliedervergottung von pChester Beatty VII, Vso 5.5 steht ꜥn.t: „Kralle, Nagel“. Daumas 1957, 46, Anm. 6 erwähnt die Verwendung von ḏbꜥ: „Finger“ mit der Bedeutung „Zehe“ im koptischen ⲧⲏⲏⲃⲉ (vgl. W. E. Crum, A Coptic Dictionary (Oxford 1962), 397b).
11 nṯr.w n.w p.t: Walker 1996, 333 liest nṯr.w Nw(.t). Vgl. weiter oben sḫn.t 4 n.t p.t oder sḫn.t 4 nw.t.
12 ⸮dr? ⸮b[tꜣw]/b[w.t]?: Ergänzung unsicher. Daumas 1957, 46 mit Anm. 7 erwägt jri̯ b[sꜣ] n.t(j) m [ꜥ].t nb(.t): „Faites la protection qui est dans tout membre ...“, aber dann bleibt ein Zeichen über dem mutmaßlichen Auge unerklärt.