Papyrus Turin Cat. 1942
Übersetzung und Kommentar
Papyrus Turin Cat. 1942
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[x+1] [Ich werde] seine Ba-Seele [ausreißen, ich werde seinen Leichnam vernichten, ich werde an jedes] der ihm zugehörigen [Gräber Feuer legen!]2
Was diesen Kasten aus Nilakazienholz angeht, der sich unter {Athribis} 〈dem Großen Schwarzen〉 (?)3 der Nekropole befindet [und von dem man] den Namen dessen, was in seinem Inneren ist, [nicht nennen kann]: es ist das ḥꜣ.tj-Herz, es ist die Lunge, [es ist] die Milz, es ist das [mn]ḏr-Organ4, es ist das erlesene (Organ?) des Osiris5, also das Innere des Osiris.
Es bin doch nicht 〈ich〉, der es gesagt hat, [es bin doch] ⸢nicht⸣ [ich, der es wiederholt hat.6 Es ist (vielmehr) der Fein]d usw.7, der gekommen ist, um den König von Ober- und Unterägypten, Nebmaatre Meriamun8, [er lebe, sei heil und gesund, zu befallen9, der es gesagt und wiederholt hat].10
1 Die Vorderseite des kleinen Papyrusfragments enthält Reste der unteren fünf Zeilen einer Kolumne. Rechts und unten sind freigelassene Ränder erhalten: Letzterer ist mit ziemlicher Sicherheit der untere Kolumnenrand (wobei der Versotext weiter nach unten reicht). Der Freiraum rechts dürfte eher ein Interkolumnium zwischen einer heute ganz zerstörten Kolumne und dem erhaltenen Text sein als das – oft freigelassene – Protokollon (auf dem Verso geht der Text über diese Bruchkante hinaus).
Die erhaltenen Textreste bilden weitestgehend eine Parallele zu Papyrus Chester Beatty VIII vso., 4,8–11. Der Abschnitt, zu dem die erhaltenen Zeilen gehören (s. Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 13.03.2024), ist dort überschrieben mit: „Anfang der Schriftrolle zum Entfernen eines Feindes.“
2 Ergänzungen mit Roccati 1969, Taf. Ia auf Basis der Parallele.
3 Die Parallele schreibt Km-wr: „Athribis“. Die Übersetzung „der sich im Athribis der Nekropole befindet“ ergibt jedoch wenig Sinn. J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 100, Anm. 24 vermutet zwar, dass mit dem „Athribis der Nekropole“ eben die Nekropole der Region von Athribis gemeint sei, doch wäre diese Wortbildung ungewöhnlich, da Nomen regens und Nomen rectum gegenüber dem Erwarteten vertauscht wären.
Die übernächste parallele Sentenz von Papyrus Chester Beatty VIII (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 13.03.2024)) schreibt nach n.tj ẖrj: „der sich unter ... befindet“ einen Götternamen. Die dazwischenliegende Sentenz (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 13.03.2024)) schreibt nur n.tj + Gottesname (?: jm.j-H̱rj-ꜥḥꜣ: „das in Cher-aha ist“), ist aber wohl mit A. H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 1. Text (London 1935), 73, J. F. Borghouts, a.a.O., 8 und Fischer-Elfert 2018, 51 ebenfalls zu n.tj ⟨ẖrj⟩ jm.j-H̱rj-ꜥḥꜣ: „der sich ⟨unter⟩ dem in Cher-aha Verantwortlichen (Gott) befindet“ zu emendieren. Analog dazu ist vielleicht auch in der Chester-Beatty-Parallele zum hiesigen Satz von Papyrus Turin (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 13.03.2024)) gar nicht „Kem-wer / Athribis der Nekropole“ zu lesen, sondern zum „Großen Schwarzen der Nekropole“ zu verbessern. Die Stelle auf dem Turiner Fragment muss ohnehin in jedem Fall verbessert werden.
4 [mn]ḏr: Im Fall von Papyrus Chester Beatty VIII hatte A. H. Gardiner, Hieratic Papyri in the British Museum. Third Series: Chester Beatty Gift. Bd. 1. Text (London 1935), 73 mit Anm. 6 offenbar zunächst mnḏ.t: „Wange“ (Wb 2, 93.10, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.03.2024)) erwogen, wohingegen Faulkner ihn auf den mnḏr-Körperteil (Wb 2, 94.1–2, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.03.2024)) hinwies. Letzten Endes erschien ihm anscheinend beides als zu unsicher, so dass er in seiner eigentlichen Übersetzung der Stelle nur drei Punkte setzte. Dagegen haben J. F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 8 und Fischer-Elfert 2018, 51 an das Wort mnḏ: „Brust“ gedacht (Wb 2, 92.11–93.8, in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.03.2024)). Für Papyrus Turin Cat. 1942 entscheidet sich Roccati 1969, 8 für den mnḏr-Körperteil.
Im vorliegenden Satz sind zuvor drei innere Organe genannt. Daher hat es eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass auch der vierte Körperteil ein solches Organ ist, was tatsächlich gegen „Brust“ oder „Wange“ und für den mnḏr-Körperteil spricht, wie auch immer dieser zu identifizieren ist. Nicht zuletzt wurden hierfür aufgrund ähnlicher Überlegungen die Bedeutungen „Gallenblase“ und „Magen“ vorgeschlagen, die aber beide aufgrund der ungenügenden Beleglage als unsicher gelten müssen, s. auch den Wortkommentar zum TLA-Lemma 71750 (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.03.2024)).
Die parallele Satzsequenz auf Papyrus Chester Beatty VIII, die in eine Folge ganz vergleichbarer Sequenzen mit weiteren Göttern und weiteren Körperteilen des Osiris eingebettet ist, scheint zunächst nicht auszuschließen, dass hier auch ein ganz anderer Körperteil stehen kann. Denn dort bieten die umliegenden Sequenzen ebenso ungewöhnliche Kombinationen von Körperteilen. Allerdings ist auch dort die Lage komplizierter, als sie zunächst scheint:
(1) In vso 4,5 werden ḫpš und mjz.t, „Schlagarm“ und „Leber“, genannt. Jedoch weicht die Schreibung des Rinderschenkels von den üblichen Formen ab, so dass gewisse Zweifel an der Lesung bleiben. Wenn man zudem in pn nicht das Zweitnomen des Nominalsatzes sehen möchte, sondern, wie es die meisten Übersetzer tun, das Demonstrativpronomen, müsste man zudem die Genusinkongruenz zwischen dem maskulinen pn und dem femininen mjz.t erklären. Hier käme bspw. die Option in Betracht, den Genuswechsel vom vordemotischen (tꜣ) mjz.t zum demotischen (pꜣ) mws schon für die Ramessidenzeit zu postulieren. Insgesamt bleibt die Passage daher diskutabel.
(2) In vso 5,3 werden gꜣb.t, sp.tj und šnj, „Oberarm“, „Lippen“ und „Haar“ genannt. Unter der Annahme, dass möglichst semantisch ähnliche Begriffe miteinander kombiniert sind, könnte man überlegen, ob gar nicht gꜣb.t: „Oberarm“, sondern gꜣb.tj: „Wimpernbogen“ (?; zur Bedeutung des Begriffes s. den Kommentar zu sꜣ in Eb 340 in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.03.2024)) gemeint ist. gemeint ist. Und daran anschließend könnte man überlegen, ob sp.tj: „Lippen“ ein Textfehler sein könnte, umso mehr, als das Wort hier allein mit Gardiner Sign-list D25, den beiden Lippen, geschrieben ist, d.h. ohne jegliche Klassifikatoren oder Phonogramme. Könnten hier ursprünglich die jnḥ.wj: „Augenbrauen“ gestanden haben, deren geschwungene Klassifikatoren (evtl. nach einem Wegfall der Phonogramme?) als Lippen uminterpretiert wurden? Infolgedessen könnte an dieser Stelle ursprünglich die semantisch einheitlichere Aufzählung „Wimpernbögen“, „Augenbrauen“ und „Haar“ gestanden haben.
(3) In vso 5,8 werden ns, jr.tj und ꜥšꜥš, „Zunge“, „Augen“ und „Kehle“ genannt. Obwohl nicht unmittelbar zusammengehörig, sind diese drei Organe doch zumindest für das Sehen und Sprechen notwendig, also für zwei wesentliche Mittel der Kommunikation und Orientierung. Darüber ergibt sich also doch ein Tertium comparationis.
(4) In vso 6,6 werden mit ḫpd, ḥn(n), rd.wj und pḥ.wj, „Hinterbacken“, „Penis“, „Beine“ und „Hintern“ anatomisch benachbarte Körperteile aufgezählt. Es verwundert zwar zunächst, wieso der Hintern in Gestalt von ḫpd und pḥ.wj doppelt aufgezählt wird, aber hierfür könnte bspw. ein Streben nach lexikalischer Vollständigkeit zugrunde liegen.
5 stp(.t) pn n.t Wsjr: Das Substantiv stp.t meint eigentlich ein „ausgelöstes“ und/oder „auserlesenes“ Fleischstück, wobei normalerweise kein spezifisches Stück gemeint ist. Hier dagegen muss es ein ganz bestimmtes Organ o.ä. sein. Dass damit das „beste Stück“ des Osiris, d.h. sein Phallus, gemeint ist, ist allerdings unwahrscheinlich, weil in der vollständigeren Parallele Papyrus Chester Beatty VIII gleich mehrere Körperteilaufzählungen mit stp.t pn enden (Gardiner liest jedes Mal ḥp, kann dem aber keinen echten Sinn abgewinnen). Dadurch gewinnt man eher den Eindruck, dass der Begriff metonymisch noch einmal für jeweils zuvor genannten Körperteile bzw. Organe steht.
6 Ergänzungen weitestgehend nach Roccati 1969, Taf. Ia.
7 jn ḫft.j ḥmw.t-rʾ: So nach Roccati. Die Parallele auf Papyrus Chester Beatty VIII vso. 4,10 (in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.03.2024)) schreibt stattdessen pꜣy ḥkꜣ: „(es ist) dieser Zauber …“.
Davon abgesehen wäre zu überlegen, ob Roccatis Ergänzungsvorschlag vollständig ist, oder ob man noch ein zweites Subjekt ergänzen sollte. Denn nach Ausweis der Belege ist es in derartigen Aufzählungen ungewöhnlich, dass der Platzhalter ḥmw.t-rʾ: „usw.“ schon nach nur einem einzigen Begriff steht. Meist steht er nach mw.t mwt.t: „Untoter und Untote“ oder nach ḏꜣ.yw ḏꜣ.ywt: „Widersacher, Widersacherin“, also nach einer mindestens zwei Glieder umfassenden Minimalliste. Könnte man hier die noch erhaltene Wortendung [___].tj daher zu [ḫft.j ḫf]t.t: „[Feind und Fein]din“ oder zu [ḫft.j pf]tj: „[Feind und Fein]din (oder: jener Feind)“ ergänzen könnte? (Zu letzterem Wort s. den Wortkommentar in: Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.03.2024); die Zeichenanordnung wäre allerdings abweichend von den üblichen Schreibungen.)
8 Roccati lässt die Wunschformel hinter dem Namen weg, aber es liegt nahe, dass ursprünglich eine gestanden hat – umso mehr in einem Text wie dem vorliegenden, in dem es immerhin gerade das Ziel ist, die Gesundheit des Betroffenen wiederherzustellen.
Bei dem genannten König handelt es sich um Ramses VI. und nicht um Amenophis III., wie A. Fabretti, Regio Museo di Torino. Antichità egizie. Vol. 1, Catalogo generale dei musei di antichità e degli oggetti d’arte raccolti nelle gallerie e biblioteche del Regno 1.1 (Torino 1882), 252 und H. Gauthier, Le livre des rois d’Égypte. Recueil de titres et protocoles royaux, noms propres de rois, reines, princes et princesses et parents de rois, suivi d’un index alphabétique. Bd. 2. De la XIIIe à la fin de la XVIIIe dynastie, Mémoires publiés par les membres de l’Institut français d’archéologie orientale 18 (Le Caire 1917), 307, Anm. 3 noch vermuteten. (Anzahl und Reihenfolge der letzten Ramessiden waren zu Fabrettis Zeit noch nicht so gut bekannt.) Auch Roccati 1969, 8–9 sieht den König noch als Amenophis III. an und versteht diesen als historische Referenz innerhalb der Geschichte des Spruchs, wie auch in anderen magischen oder medizinischen Texten. Allerdings wäre in einem solchen Fall wohl eher eine Findeformel („dieser Spruch wurde gefunden unter König Nebmaatre“ o.ä., vgl Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 15.03.2024)) oder ein Nützlichkeitsvermerk („es war effektiv/nützlich zur Zeit des Königs Nebmaatre“ o.ä., vgl. Thesaurus Linguae Aegyptiae (Zugriff am: 14.03.2024)) zu erwarten. In pTurin Cat. 1942 steht dagegen der Königsname genau an der Stelle, an der die Parallele einen Platzhalter für den Nutznießer des Spruches enthalten würde, wenn sie schon mit dieser Passage enden würde statt mit weiteren Passagen fortzufahren. Zudem führt J. von Beckerath, Handbuch der ägyptischen Königsnamen, Münchner Ägyptologische Studien 49, 2 (Mainz 1999), 140–143 unter den Thronnamen Amenophis’ III. keinen Beleg mit dem Zusatz Meriamun mehr auf.
Daher liegt es nahe anzunehmen, dass der Text in seiner vorliegenden Form tatsächlich für eine Verwendung durch Ramses VI. angepasst wurde. Das widerspricht natürlich nicht der Option, dass diese individualisierte Fassung erneut den Weg zurück in eine Sammelhandschrift fand, denn mindestens der Textträger Papyrus Turin Cat. 1942 wurde tatsächlich wiederverwendet, wie der von anderer Hand stammende Text auf der Rückseite (noch unpubliziert) beweist.
Der Umstand, dass hier nicht nur überhaupt ein König, sondern konkret Ramses VI. der Nutznießer eines magischen Amuletts ist, verdient umso größere Betonung, als dessen Vater Ramses III. durch eine Verschwörung ums Leben kam, bei der auch Magie angewendet wurde.
9 Die Parallele schreibt: „die kommt über …“.
10 Ergänzungen nachh Roccati 1969, 8 und Taf. Ia.