Papyrus London BM EA 9961

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
Papyrus Hay Trismegistos 381244
Aufbewahrungsort
Europa » Großbritannien » (Städte K-N) » London » British Museum

Inventarnummer: BM EA 9961 

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Ursprünglich in der Sammlung von Robert Hay (17991863), der ihn sicherlich während seines ersten oder zweiten Aufenthalts in Ägypten (18241828 und 18291834) erstanden hat. Die Sammlung von ca. 5000 Inventarnummern wurde 1865 verkauft; 529 Einheiten, darunter dieser Papyrus, wurden vom British Museum erworben. Im Jahr 1868 kam er ins Museum (Vandenbeusch 2018, 178).

Herkunft
(unbekannt)

Die Herkunft ist unbekannt, aber die wahrscheinlichsten Fundorte sind Theben und Saqqara. Vandenbeusch schließt nicht aus, dass der Papyrus in der Umgebung von Memphis oder Unterägypten produziert worden ist (Begründung: Papyrusjagd- und Ernteszenen sind bekannt aus den memphitischen AR-Nekropolen und die Mehrheit der Textvertreter der Geschichte von Isis und den sieben Skorpionen auf Horusstelen und Heilstatuen stammen aus dem Delta bis Heliopolis), aber dies ist eine reine Hypothese und schließt nicht aus, dass der Papyrus später in Theben landete, wo Hay einen Großteil seiner Sammlung erworben hat (Vandenbeusch 2018, 192).

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Spätzeit

Die Datierung ist schwierig, weil weder die Paläographie von kursivhieroglyphischen Texten im Allgemeinen noch der Zeichenstil schon ausreichend untersucht worden sind. Mehrere indirekte Argumente sprechen für eine Datierung in die Spätzeit und vor der Ptolemäerzeit.

(1) Kunsthistorisches Argument: Das Kopieren von Bildvorlagen des Alten Reiches (die Papyrusszenen) ist für die Spätzeit ab der 25. Dynastie belegt (Vandenbeusch 2018, 192).

(2) Paläographisches Argument: Vandenbeusch (2018, 191) verweist auf die Form der Schwalbe (G36, in Z. 14), die auf den Stelen des Taharqa belegt ist und vielleicht für eine paläographische Datierung in die Napatanische Zeit sprechen könnte (vgl. 2018, 192: Paläographie der Vögel [Schwalbe und Spatz] "with their characteristic long tails" spricht für die Zeit um die 25. Dynastie).

(3) Argument der Textüberlieferung: Der Text "Isis und die sieben Skorpione" gehört zu den magischen Sprüchen, die sich auf Heilstatuen und Horusstelen von der Ramessidenzeit bis in die ptolemäische Zeit finden. Die älteste Handschrift von "Isis und die sieben Skorpione" stammt aus der Ramessidenzeit (Ostrakon Gardiner 333), die zehn übrigen aus der Spätzeit oder (frühen) Ptolemäerzeit.

(4) Orthographisches Argument: Im Vergleich zu der datierten Handschrift von "Isis und die sieben Skorpione" auf der Metternichstele (Zeit Nektanebos’ II.), zeigt die Orthographie der Wörter auf Papyrus Hay Ähnlichkeiten mit verwandten magischen Sprüchen, die auf einer Heilkultkapelle im Mutbezirk von Karnak aus der Zeit von Psammetichus I. stehen (Vandenbeusch 2018, 191). Tatsächlich sind die Schreibungen ausführlicher als auf der Metternichstele und wird niemals die Hieroglyphe Aa56 für das Phonogramm m verwendet. Bezüglich der Orthographie ist vor allem die Schreibung jḥty für klassisches ḥty.t: "Kehle" wichtig, die nach momentanem Forschungsstand erst ab der 26. Dynastie belegt ist (in einer Mischschreibung jḥy.tj zwischen ḥty.t und späterem jḥty). Hyperkorrekte Schreibungen wie ntr (für nṯr.t), dsr (für ḏsr) und sdg mit dem Klassifikator A30 (statt des Mannes, der sich hinter einer Schutzwand versteckt) sowie die Verwendung des Schlangenklassifikators I12 (statt des jüngeren I64) passen besser zu "archaisierenden" Tendenzen der 25.-26. Dynastie als zu der späten 30. Dynastie oder der Ptolemäerzeit.

Die Website des British Museum spricht von "Late Period", d.h. die Zeit der 26.30. Dynastie. Trismegistos nennt "Dynasty 25 - 2nd Persian rule: BC 721 332". Vandenbeusch tendiert zu einer Datierung in der Mitte oder der zweiten Hälfte des 1. Jahrtausends mit einer Präferenz für die 25.26. Dynastie (Stil, Paläographie, archaisierende Tendenzen) (Vandenbeusch 2018, 192). Die Verwendung des Stativs 1. Pers. Sg. ist kein Argument, um eine deutlich frühere Datierung für die Abfassung des Textes anzunehmen (anders Vandenbeusch 2018, 191 und 192: "at a relatively early date", etwa als noch Altägyptisch genutzt wurde oder zumindest vor der Ramessidenzeit), denn die Form ist im Spätmittelägyptischen gut belegt (Jansen-Winkeln 1996, 362363, § 585589).

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Der Papyrus ist auf der Vorderseite mit Zeichnungen, auf der Rückseite mit einem magischen Spruch gegen Skorpione versehen. Die Zeichnungen von Sumpflandschaftsszenen (Papyrusernte und Papyrusverwendung in Netzen und Seilen; Vogeljagd mit hexagonalem Klappnetz) auf der Vorderseite wurden niemals vollendet, die ausführlichsten Darstellungen stehen merkwürdigerweise am linken Ende (d.h. im Prinzip am hinteren Ende der Zeichnung). Diese sind über die volle Höhe des Papyrus gezeichnet, weiter nach rechts ist der Papyrus in zwei Register unterteilt und nur ein Stück des oberen Registers wurde dekoriert. Es ist möglich, dass dies eine Kopie von Darstellungen des Alten Reiches ist. Bei einem Gabenträger mit einem Vogel, Mitglied der Vogeljagdszene, steht der Segenswunsch: "(Diese Gabe ist) für deinen Ka jeden Tag!".

Rückseite: Die vordere (d.h. rechte) Hälfte ist undekoriert (bis auf zwei isolierte Hieroglyphen in einer kurzen Kolumne, die der Länge der Rolle nach angebracht sind und deren Bedeutung unklar ist), die linke Hälfte enthält einen Text in kursiven Hieroglyphen in 52 Kolumnen geschrieben, der als Spruch 6 der Metternichstele und Spruch 1 des Socle Béhague bekannt ist, von dem jedoch mittlerweile insgesamt 11 Textversionen vorliegen. Nur auf dem Papyrus Hay hat der Text eine Überschrift: "Spruch für die Beschwörung eines Skorpions." Es ist die mythologische Erzählung von Isis und den sieben Skorpionen. Diese Erzählung gilt als mythologischer Präzedenzfall für einen Schutz gegen Skorpionstiche. Isis erzählt in der ersten Person, dass Thoth ihr empfohlen habe, mit dem Baby Horus zu fliehen. Sie flieht zu den Sümpfen von Chemmis und wird von sieben Skorpionen begleitet. Sie warnt die Skorpione, niemanden zu bedrohen, aber als eine reiche Frau die Tür vor Isis und Horus verschließt und nur eine arme Frau den beiden hilft, schlüpft einer der Skorpione unter der Tür hindurch und sticht das Baby der reichen Frau mit dem gesammelten Gift der sieben Skorpione. Isis bekommt Mitleid mit der Frau und macht als Zauberin mit einer Beschwörung das Gift unschädlich. Auf Papyrus Hay endet der Text mit einer Handlungsanweisung, welche Lebensmittel (Brot aus Emmer, Salz? und Zwiebeln/Knoblauch) als Heilmittel zusammen mit dem Spruch verabreicht werden sollten. Auf der Metternichstele ist der erzählerische Text etwas länger: Nachdem Isis das Baby gerettet hat, bringt die reiche Frau als Ausgleich für ihr Fehlverhalten ihren Besitz der armen Frau. Am Ende des Textes legt ein anonymer Erzähler eine Parallele zwischen der Rettung des Babys, der Rettung des Horus und der Rettung von jedem, der gebissen oder gestochen wurde.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Ein gemeinsamer Nenner für die Zeichnungen der Papyrusszenen und für den magischen Spruch ist schwer zu erkennen. Vandenbeusch erwägt für den magischen Text mehrere Verwendungsmöglichkeiten (2018, 190, 192193):

(1) eine Gedächtnisstütze für einen Magier/Heiler;

(2) eine Kopie für eine Werkstatt, die Horusstelen oder Heilstatuen produzierte;

(3) ein Bibliotheksexemplar eines Tempels oder einer Privatbibliothek mit einer Kopie älterer Darstellungen und Texten.

Sowohl auf der Metternichstele als auch auf diesem Papyrus wird die Anwendung des Spruchs mit Gerstenbrot und Salz genannt. Diese Angabe ergibt auf dem Papyrus mehr Sinn als auf der Metternichstele, die durch die Natur des Textträgers eher mit Wasserritualen in Zusammenhang steht.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schriftrolle
Technische Daten

Der Papyrus ist bis auf wenige Beschädigungen am Rand und verschieden große Lücken vollständig erhalten und wird heute in zwei Glasframes aufbewahrt (Inv. EA 9961-1 und EA 9961-2). Die Unterseite der Vorderseite ist die Oberseite der Rückseite. Die Papyrusrolle bestand ursprünglich aus mindestens 10 Seiten/Blättern von 15 bis 16,8 cm Breite. Die aktuelle Länge beträgt noch 146,2 cm und die Höhe 11,5 bis 11,8 cm. Anzunehmen ist, dass die Rolle bei der Herstellung die vierfache Höhe hatte (Vandenbeusch 2018, 181). Die Bruchlinien und die Beschädigungen lassen vermuten, dass der Papyrus von rechts nach links aufgerollt war (Vorderseite = Innenseite der Rolle; rechtes Ende = innen;) und dass die Rolle ca. 2,8 cm dick war (Vandenbeusch 2018, 182).

Schrift
Hieroglyphen » Kursivhieroglyphisch

Die Schrift wird als "cursive hieroglyphs" beschrieben. Die Form der wenigen Hieroglyphen auf der Vorderseite weicht ein wenig von denen auf der Rückseite ab, was vermuten lässt, dass zwei verschiedene Schreiber tätig waren (Vandenbeusch 2018, 191).

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch » traditionelles Mittelägyptisch

Die Sprache ist (traditionelles) Mittelägyptisch und enthält noch weniger neuägyptische Einflüsse als die Parallelhandschrift der Metternichstele. Neuägyptischer Einfluss findet sich beim Imperativ mj.t mit ausgeschriebener Femininmarkierung (Z. 4, 31, 32, 36, 38).

Bearbeitungsgeschichte

Kurze Zeit nach dem Ankauf durch das British Museum publizierte Samuel Birch (1870) den Titel des magischen Spruchs. Ihm waren die Namen der Skorpione von der Metternichstele bekannt, die zu dieser Zeit jedoch noch nicht publiziert war, so dass er nicht bestätigen konnte, ob die Sprüche identisch sind. Birch teilte auch den Verwendungshinweis für den Spruch mit. So erfuhr Wladimir Golenischeff von dem Papyrus, den er für seine Edition der Metternichstele (1877) berücksichtigte. Adolf Klasens (1952) konnte den vollständigen Spruchtext dank eines Fotos in seiner hieroglyphischen Textsynopse des Spruchs aufnehmen. Eine Komplettpublikation von Vorder- und Rückseite erfolgte erst durch Marie Vandenbeusch (2018).

Editionen

- Vandenbeusch 2018: M. Vandenbeusch, Evidence of an Ancient Archive? The Papyrus British Museum EA 9961, in: Journal of Ancient Egyptian Archaeology 104/2, 2018, 177194.

Literatur zu den Metadaten

- Birch 1870: S. Birch, Varia, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 8, 1870, 6669, hier: 6667, Nr. 4.

- Golenischeff 1877: W. Golenischeff, Die Metternichstele (Leipzig 1877), 810.

- Jansen-Winkeln 1996: K. Jansen-Winkeln, Spätmittelägyptische Grammatik der Texte der 3. Zwischenzeit, Ägypten und Altes Testament 34 (Wiesbaden 1996).

- Klasens 1952: A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Behague) in the Museum of Antiquities at Leiden, Oudheidkundige Mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden te Leiden 33 (Leiden 1952), 9-20, 52-53, 64-78 (Spell I: Z. a 1–5, b 1–2).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Recto

Vogeljagd mit einem Klappnetz1

[Rto. 1] (Dieses ist) für deinen Ka jeden Tag!

1 In der Klappnetzszene: Vier Männer (rechts) ziehen an einem Seil, um das Klappnetz (links) zu aktivieren. Die vier Männer schauen in Richtung Klappnetz. Ein fünfter Mann (ganz rechts), der mit dem Rücken zur Klappnetzszene steht, hält einen Vogel mit beiden Händen (am Nacken und an den Flügeln) in Richtung eines nicht abgebildeten Opfergabenempfängers. Hinter dem Mann mit dem Vogel steht eine Beischrift.

Verso

Isolierte Gruppe1

...?...2

1 17,7 cm vom Anfang der Papyrusrolle entfernt; 47 cm vom Anfang des Skorpionsspruch entfernt; zwei Hieroglyphen untereinander in einer Kolumne; Anfang der Kolumne zum hinteren Ende der Rolle hin.

2 Lesung unklar. Vandenbeusch 2018, 187 erwägt einen Personennamen, eine unvollständige Schreibung der Partikel m=k: "Siehe" und eine Notiz.

Verso

Isis und die sieben Skorpione = Metternichstele Spruch 6 = Socle Béhague Spruch 1

[Vso. 1] Spruch zur Beschwörung eines Skorpions.
Worte zu sprechen:
Ich bin Isis.
Ich bin aus der Weberei (o.ä.) weggegangen, in die mein Bruder Seth mich gesteckt hatte.
Thoth, der [große/alte Gott], der ⸢Vorsteher der Maat im⸣ Himmel und auf Erden, hat nämlich zu mir gesagt:
"Komme du doch, Isis, (du) Göttliche!
Es ist tatsächlich etwas Gutes1, zuzuhören!
[Vso. 5] (Denn/damit) einer (d.h. Isis oder Horus) lebt, wenn ein anderer (d.h. Thoth) ihn führt.
Verstecke (dich) doch mit dem nḫn-kindlichen Sohn (oder: den kleinen Sohn tragend)!
Er soll (erst) zu uns kommen, wenn sein Körper fest ist und seine ganze Kraft sich manifestiert/entwickelt hat.
Ich werde (dann) veranlassen, dass er auf dem Thron seines 〈Vaters〉 ruht, nachdem ihm das Amt des Herrschers der Beiden Länder verliehen/bestätigt wurde."
Ich (d.h. Isis) kam hinaus zur Zeit der Abenddämmerung.
Mein (?) Herauskommen bedeutete (?), dass meine (?) Siebenergruppe (von Skorpionen) hinter mir war.
Tefenet und Befenet waren ganz kurz (?, oder: die eine und die andere) hinter mir;
Mestet und [Vso. 10] Mestetef waren unter meinem/r {Schlafzimmer} 〈Trage(?)-Bett/Sänfte〉;
Petet, Tschetet und Matet hielten meinen Weg frei (oder: schirmten meinen Weg ab).
Ich befahl ihnen eindringlich (wörtl.: in großem Maße),
(mit dem Ergebnis, dass) meine Worte in ihre Ohren Eingang fanden.
"Kennt2 keinen Schwarzen3 (einen Bewohner der schwarzen Erde des Niltals?) (intim)!
Sprecht keinen Roten (einen Bewohner des roten Sandes der Wüste?) an!
Gewinnt keine Erkenntnisse über den Sohn eines (wohlhabenden) Mannes (oder: über einen Wohlgeborenen), nicht eher als (über den Sohn) eines Armen/Geringen!
Eure Gesichter [Vso. 15] nach unten auf den Pfad!
Hütet euch, den, der mich (oder: das Meinige?)4 sucht, herbeizuführen, so dass wir Per-sui (das Haus des swy-Krokodils) erreichen können, (zwischen? dem) Anfang des Papyrus (?; oder: der Deltasümpfe) (und dem) Pehu-Gewässer (oder: Ende) von Deb (Buto?)."
Als ich dann tatsächlich die Häuser der/von verheirateten Frauen erreicht hatte, da beobachtete mich eine Edeldame (schon) von Weitem.
[Vso. 20] Als sie ihre Türflügel vor/wegen mir zugezogen (wörtl.: eingeholt) hatte,
war nach Meinung derer, die bei mir waren, ein Leiden für sie bestimmt.
Sie (d.h. die begleitenden Skorpione) berieten sich deswegen.
Sie haben ihr Gift [alle zusammen] oben auf das Kind (?)5 von (dem Skorpion) Defen(et) gelegt.
Ein „Schlammmädchen“ (?) öffnete 〈mir〉 ihr Tor, damit man in ihr heruntergekommenes/schäbiges (wörtl.: "mattes") Haus (oder: in das Haus des Unglücks) eintreten konnte.
Als Defenet unter den Türflügel des Tores eingetreten war,
stach sie zugleich [Vso. 25] den Sohn der Wosret (oder: reichen/mächtigen Frau).
Ein Feuer, es trat heraus aus (oder: brach aus in) dem Haus der Wosret (oder: reichen/mächtigen Frau)6.
(Und) es gab dort kein Wasser, um es zu löschen.
Der Himmel, er gewitterte/regnete im Haus der Wosret (oder: reichen/mächtigen Frau),
(obwohl) [es ja] nicht die betreffende Jahreszeit war.
Als sie ihre Stadt im Wehklagen durchstreift hatte,
gab es keinen, der auf ihre Stimme herbeigekommen ist.
Mein Herz war [Vso. 30] bezüglich des Kleinen betrübt (oder: traurig, krank vor Sorge).
Meine Aufmerksamkeit galt dem Wiederbeleben dessen, der unschuldig (wörtl.: frei von seinem Verbrechen) war.
Ich rief zu ihr (d.h. zu Wosret/der reichen Frau) (mit den Worten):
"Komme zu mir, komme zu mir!
Komme zu mir, die (ich) das Leben innehabe!7
Ich bin die Tochter einer Heilerin/Wahrsagerin (wörtl.: einer Wissenden) in ihrer Stadt,
die die bṯw-Giftschlange (oder: unheilbare Krankheit/Vergiftung) mit ihren Formulierungen vertreibt.
Mein Vater hat mich zum Wissen erzogen.
Ich bin seine geliebte, leibliche Tochter."
Isis legte [Vso. 35] ihre Hände auf ihr (d.h. der reichen Frau) nḫn-Kind, um den mit beengter Kehle (d.h. der in Atemnot war) wiederzubeleben. (Sie sprach:)
"(Oh) Gift der Defnet, komme auf den Boden, ohne herumzuziehen, ohne zu fliegen/herumzuschreiten8!
(Oh) Gift der Befenet, komme auf den Boden!
Ich bin Isis, die Göttliche, die Herrin der Zauberkraft, die Zauberkraft ausübt.
Auf mich hört [Vso. 40] jede beißende -Schlange.
Matet wurde getötet(?).9
Falle hinunter, (oh) Gift der Mestet!
〈Du〉 wirst dich nicht erheben, (oh) Gift der Mestetef!
Du wirst nicht herumreisen, (oh) Gift der Petet und Tschetet!
Falle hinunter, Mund der/des Beißenden (?),
gemäß dem, was gesagt wurde von Isis, der Göttlichen, der Zauberin an der Spitze der Götter,
[Vso. 45] der Geb seine Verklärungssprüche gegeben hat, um das Gift kraftvoll (wörtl.: mit Macht) abzuwehren.
"Ziehe dich zurück! Weiche! Nach hinten mit dir, (oh) Gift!
Springe nicht hinauf!"
gemäß dem (oder: ist das), was Meritre (wörtl.: die Geliebte des Re) gesagt hat.10
Es lebe das nḫn-Kind, es sterbe [das/dieses] Gift!
Dann wird Horus (zwangsläufig) wieder gesund werden für seine Mutter Isis!
Es ist Brot aus Gerste (?)11, [Vso. 50] das das Gift besprechen/bezaubern/fortnehmen (?)12 wird.
Es wird zurückgetrieben werden durch das Salz.13
Dieser Spruch werde gesprochen über Brot aus Gerste (?), gemischt mit 〈unterägyptischem〉 (?)14 Salz.
(Es werde) darüber bandagiert.

1 nfr.w ꜣ: Vgl. u.a. Horusstele Leiden A 1053 und Heilstatue Moskau. A. H. Gardiner, Egyptian Grammar. Being an Introduction to the Study of Hieroglyphs, 3. Auflage (Oxford 1957), 184, § 245, Beisp. 1a s.v. listet die Wortfolge nfr.w(j) ꜣ in den Pyramidentexten (R. Weill, Formule énigmatique dans un texte religieux du Nouvel Empire, in: Bulletin de l’Institut français d’archéologie orientale 32, 1932, 5363, hier: 60 mit Pyramidentext 476, 546, 939, 992, 1472, 1980). J. F. Borghouts, Egyptian. An introduction to the writing and language of the Middle Kingdom, 2 Bände, Egyptologische Uitgaven 24 (Leuven 2010), Bd. I: 133, § 33.b.26 beschreibt die Partikel als "even, just", bzw. "a reinforcer which ... often occurs in situations where disbelief, irritation or impatience transpires." Hier hätten wir dann einen Fall von Irritation oder Ungeduld.

2 Die Bedeutung "sexuell kennen" (im übertragenen Sinne) geht aus einer Parallelstelle mit einer Wiederholung dieser Sätze auf der Metternichstele (Z. 64) hervor. Dort ist das Verb mit der Hieroglyphe eines Penis, der in die Vulva eindringt (D280), geschrieben. Es ist jedoch auch möglich, dass der Stich eines Skorpions übertragen als "erkennen" gedeutet und mit dem Eindringen mit einem spitzen Gegenstand verglichen wird.

3 Das Wort ist auf dem Papyrus BM EA 9961 und auf dem Socle Béhague (Z. a3) mit der Haarlocke geschrieben. Keine Haarlocke liegt beim anschließenden dšr.t: "Rote/r" vor (zerstört auf Socle Béhague), so dass man nicht auf eine Haarfarbe schließen darf. Sind ein Ägypter und ein Wüstenbewohner gemeint? Die Femininendung findet sich nur bei dšr.t und nur auf dem Papyrus BM EA 9961 (zerstört auf dem Socle Béhague).

4 So auch auf der Metternichstele (Z. 52) und der Heilstatue Moskau geschrieben. Klasens 1952, 72, Anm. zu M 52 listet noch ein Beispiel aus Petosiris, Text 103.2: "er ließ Osiris sich an mich erinnern".

5 Auf der Metternichstele und der Heilstatue Moskau steht hier : "Horn" im Sinne von "Stachel" des Skorpions.

6 Ist auf dem Papyrus jedes Mal mit der Kobra als Determinativ versehen, als ob es eine Göttin sei. Ein Frauendeterminativ steht einmal auf der Heilstatue Moskau (Z. 76).

7 Zwei Lesungen möglich: "Komme zu mir mit Leben!" oder: "Komme zu mir! 〈Mein Mund〉 enthält das Leben." Hier gemäß der Metternichstele gedeutet.

8 Auf der Metternichstele steht hier: "eintreten, hineingehen".

9 Unklar, ob das Messerzeichen noch zu "beißen" im vorangehenden Satz gehört oder ein eigenes Wort bildet ("töten"). Klasens 1952, 53, Anm. 10 berücksichtigt das Messer als eigenständiges Wort und übersetzt: "Matet has been killed." Auf der Metternichstele fehlt der Satz. 

10 An dieser Stelle lässt der Papyrus BM EA 9961 mehrere Sätze aus, die auf der Metternichstele (Z. 6269) und auf Socle Béhague (a2b2) vorhanden sind.

11 Klasens 1952, 53, Anm. 29 übersetzt "bread of barley" aber er erläutert seine Übersetzung nicht. Dieselbe Übersetzung bei J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 62, bei H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), Bd. I: 378 und bei Vandenbeusch 2018, 189.

12 Die Schreibung erinnert an "lesen, rezitieren; besprechen, bezaubern", aber Klasens 1952, J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978) und Vandenbeusch 2018 erkennen das gleichlautende Verb "fortnehmen". Auf der Metternichstele steht: "vertreiben".

13 J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 62 übersetzt: "It will be dispelled by salt"; ebenso Vandenbeusch 2018, 189; vgl. Klasens 1952, 53, Anm. 29. Alternativ wäre der Ausfall einer Konstruktion wie beim Brot denkbar, so auch auf der Metternichstele.

14 Hier wird davon ausgegangen, dass die Schreibung šd ein Fehler mḥ: "unterägyptisch" ist und unterägyptisches Salz gemeint ist. Klasens 1952, 53, Anm. 29 übersetzt: "to take and to bind on it." (mit dem Verb šdi̯: "fortnehmen"). J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 62 hat: "To recite (?), and a bandage to be made over it." (mit dem Verb šdi̯: "rezitieren"). Vandenbeusch 2018, 189 übernimmt die Übersetzung von Borghouts.