Ostrakon Deir el-Medineh 1215

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
Ostrakon DeM 1215, oIFAO 2249
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Kairo » Institut Français d'Archéologie Orientale

Inventarnummer oIFAO 2249

Erwerbsgeschichte

Das Ostrakon wurde am 13. März 1949 bei den Grabungen des Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO) in Deir el-Medineh, im „Grand Puits“, gefunden. Seitdem lagert es im IFAO in Kairo.

Die Tafel trägt zudem die Sequesternummer 1050 (Posener 1951-1952-1972, 29), die sie infolge der Suezkrise von 1956 erhielt.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Das Ostrakon trägt die moderne Aufschrift „13.3.49 (GP)“ (Posener 1951-1952-1972, 29 und https://www.ifao.egnet.net/bases/archives/ostraca/?inv=1215&os=10), d.h., es wurde am 13. März 1949 im Grand Puits gefunden, dem „großen Brunnen“ nördlich der Siedlung von Deir el-Medineh, der den Bewohnern als Abfall-Loch für Ostraka diente.

Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 19. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Der Fundkontext spricht für eine Datierung in die Ramessidenzeit, auch die Handschrift ist in einem ramessidenzeitlichen Hieratisch gehalten, aber die Zeichenformen sind nicht signifikant genug für eine weitere Eingrenzung. In der grammatischen Konstruktion Futur III im Umbruch von Zeile rto 4 zu rto 5 ist die Präposition r noch mitgeschrieben, was tendenziell eher für die frühere als die spätere Ramessidenzeit sprechen könnte.

Textsorte
Liste, Rezitation(en) » Beschwörung(en), Rezitation(en)
Inhalt

Der Text bietet einen magischen Spruch gegen einen bestimmten Typ (bestimmter Artikel!) von ḫzd-Geschwulst, die den Sonnengott befallen hat und sich von ihm entfernen soll, so wie Wasser auf dem Land verdunstet u.ä. Die Autorschaft wird Thot persönlich zugesprochen, der hier vielleicht weniger in seiner Funktion als Gott der Weisheit und des Wissens erscheint, sondern eher in derjenigen als Mondgott. Denn der Mond und seine Götter werden mit Hautkrankheiten und Erkrankungen der Körperoberfläche in Verbindung gebracht, s. Fischer-Elfert 2015, 320 mit Verweis auf Fischer-Elfert 2005, 42 mit Anm. 34, und rezent auch Schiødt 2023, 33–35 und 40–42.

Material
Nicht Organisch » Stein » Kalkstein
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Das Ostrakon ist 11,5 cm hoch und 10,2 cm breit (Posener 1951-1952-1972, 29 und https://www.ifao.egnet.net/bases/archives/ostraca/?id=19665). Rechts und links ist es leicht abgebrochen, aber es scheint nicht sehr viel vom Text zu fehlen. Nachdem der Schreiber die Vorderseite mit Text gefüllt hat, hat er das Ostrakon für den restlichen Text über die horizontale Achse gewendet und zusätzlich um 90° im Uhrzeigersinn gedreht, d.h. der rechte Rand der Vorderseite ist der obere Rand der Rückseite.

Schrift
Hieratisch

Die Handschrift ist ein schönes literarisches Neuhieratisch. Es gibt keine Rubra, aber rote Verspunkte.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch, Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Einige v.a. formelhafte Phrasen sind eher mittelägyptisch gehalten. Außerhalb dieser Formeln zeigt sich v.a. in vso 2 mit dem augmentierten j:jri̯=f eine neuägyptische Konstruktion.

Bearbeitungsgeschichte

Das Ostrakon wurde von Posener mit Faksimile, hieroglyphischer Transliteration und knapper Beschreibung publiziert (Posener 1952, Taf. 49 und 49a, Posener 1972, 29). Wegen der Erwähnung einer ḫzd bjn, einer „schlimmen ḫzd-Geschwulst“, wird das Ostrakon gelegentlich dort erwähnt, wo dieselbe Wortkombination erscheint, v.a. bei Arbeiten, die oBerlin P 9696 oder oBerlin P 1269 thematisieren. Auch Westendorf 1999, 294-295 spricht das Ostrakon kurz in seinem Kapitel zu ḫzd-Geschwulst an, gibt aber nur eine Übersetzung der Zeile rto 3. Fischer-Elfert 2015, 116 gibt eine erste, vorläufige Übersetzung als Teil seines Kommentar zu pBerlin P 14387-d und P 14393a., weil dort, wie auf oDeM 1215, die Wortverbindung mj ꜥḫm + Gewässer: „wie Gewässer xy versiegt“ vorkommt. Auf S. 320 bespricht er kurz den Grund, warum dieser Spruch gerade Thot zugeschrieben wird.

Editionen

- G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh. Tome II. Nos 1109-1266, DFIFAO 18 (Le Caire 1951-1952-1972), 29 und Taf. 49+49a

- H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015), 116

Literatur zu den Metadaten

- Fischer-Elfert 2005: H.-W. Fischer-Elfert, Abseits von Ma’at. Fallstudien zu Außenseitern im alten Ägypten, Wahrnehmungen und Spuren Altägyptens 1 (Würzburg 2005).

- Fischer-Elfert 2015: H.-W. Fischer-Elfert, Magika Hieratika in Berlin, Hannover, Heidelberg und München, Ägyptische und Orientalische Papyri und Handschriften des Ägyptischen Museums und Papyrussammlung Berlin 2 (Berlin 2015).

- Posener 1951-1952-1972: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh. Tome II. Nos 1109-1266, Documents de fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 18 (Le Caire 1951-1952-1972).

- Posener 1952: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el Médineh (nos 1168 à 1226), Documents de fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 18 (Le Caire 1952).

- Posener 1972: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el Médineh. Tome II. Nos 1227-1266, Documents de fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 18 (Le Caire 1972).

- Schiødt 2023: S. Schiødt, Contending with Swellings in Ancient Egypt. Notions of Skin Disease and Disease Causation in Papyrus Louvre-Carlsberg, in: S. Schiødt – A. Jacob – K. Ryholt (Hrsg.), Scientific Traditions in the Ancient Mediterranean and Near East. Joint Proceedings of the 1st and 2nd Scientific Papyri from Ancient Egypt International Conferences, May 2018, Copenhagen, and September 2019, New York (New York 2023), 23-56.

- Westendorf 1999: W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999).

Online-Ressourcen
Autoren
Dr. Lutz Popko
Autoren (Metadaten)
Dr. Lutz Popko

Übersetzung und Kommentar

oDeM 1215

Magischer Spruch gegen eine „schlimme ḫzd-Geschwulst“

rto 1 Ein anderer Spruch, den Thot selbst verfasst hat, um den Feind von Re-Harachte [abzuwehren (o.ä.)], nachdem er sich geschüttelt hat und all seine Glieder unter der schlimmen ḫzd-Geschwulst leiden:1 O Feind, der (du) aus dem Verborgenen komm(s)t, um zu tun, was Re erniedrigt2 (o.ä.): Ich werde rto 5 dich3 (?) von deinem Platz [entfernen (o.ä.)], so wie Wasser auf dem Land verdunstet (?, wörtl.: verbrennt), [wie ---], wie der Nil versiegt im [Hause(?) ---] [---] du sollst essen [---] vso 1 stehen [---] sein Spruch; flute4 nicht (o.ä.) [---] des Thot ist es, der den Schutz ausübt zugunsten von [---]5 (?) Re damit. Sagen / Gesagt [---]

1 Die Interpretation der Syntax der Zeilen 2 und 3 folgt Westendorf, Handbuch Medizin, 294-295 und Fischer-Elfert, Magika Hieratika, 116.

2 sjf.t: Sofern danach keine Präposition ausgefallen ist – angesichts des anschließenden Gottesnamens ist etwa r denkbar – muss ein Partizip oder ein Substantiv (dann mit dem Gottesnamen als Genitivus obiectivus) vorliegen.
Das Verb ist sehr selten. Es ist bislang mit dem schlechten Vogel, mit dem Phallus, aus dem Flüssigkeit hervorkommt, oder, wie das Wort auf oDeM 1215, mit dem spuckenden Mund klassifiziert belegt. Den Belegen zufolge ist das grammatische Subjekt das Agens der Handlung und das direkte Objekt deren Patiens.
– Am aussagekräftigsten zur Bedeutung ist eine Stelle aus der Großen Abydosstele Ramses’ IV., Cairo JdE 48831, Zeile 16 (KRI VI, 23.10): nn jri̯.n=j šntj r nṯr nn sjf=j nṯr.t: „Ich führte keine Schmähreden gegen einen Gott, ich machte nicht sjf gegen eine Göttin“. Auf DZA 28.577.520 ist das Verb mit „beflecken“ übersetzt; in Wb 4, 37.3 mit „beleidigen o.ä.“. Kitchen (KRITA VI, 25) übersetzt ebenfalls mit „to insult“.
– In pChester Beatty VIII, vso 7,11-12 steht sjf=k parallel zu dr=k: „dich beseitigen“, bḥn=k: „dich zerschneiden“, rwi̯=k: „dich entfernen“, dr rn=k: „deinen Namen beseitigen“ und sḥtm [ẖꜣ.t=k]: „[deinen Leichnam] zerstören“, s. hier.
– Im spätzeitlichen pLouvre 3129 (DZA 28.929.720 = Urk. VI, 117.5-6) = pBM EA 10252 (s. hier, Sätze 323-324) schließlich wird der Satz sjf.n=k ḥm.tj m ḥꜥḏꜣ: „Du hast unrechterweise einen ḥm.tj-Gegner sjf gemacht“ ins Protodemotische übersetzt mit nk=k ꜥḥꜣ.wtj sḥm(.t) ḥwrꜥ: „Du hast den feminisierten Mann widerrechtlicherweise gefickt“. (Angeredet ist ein „Feind“, d.h. höchstwahrscheinlich Seth.)
Für das koptische Derivat ⲥⲱⲱϥ des Substantivs sjf.t kennt das Coptic Dictionary Online die Bedeutungen:
(En) pollution, abomination, (Fr) impureté, saleté, abomination, (De) Beschmutzung, Gräuel, TLA lemma no. C3945 (ⲥⲱⲱϥ), in: Coptic Dictionary Online, ed. by the Koptische/Coptic Electronic Language and Literature International Alliance (KELLIA), https://coptic-dictionary.org/entry.py?tla=C3945.
Das von dem Verb abgeleitete Substantiv ist ebenso selten. Wb 4, 37.4 kennt nur einen Beleg auf der Stele Cairo CG 42213 des Bakenchons (s. hier; im TLA als Verb gedeutet). In diesem Text ist es mit dem schlechten Vogel klassifiziert; und das sjf m mdw: „sjf in der Rede“ wird ṯꜣz stp: „ausgewählter Redeweise“ gegenübergestellt.

3 jw=j r [___]=k: Lesung des letzten Zeichens mit Posener und Interpretation als Suffixpronomen mit Fischer-Elfert. Die Interpretation ist aber unsicher; für ein Suffixpronomen steht das Zeichen eigentlich etwas zu hoch in der Zeile.

4 mḥw: Fischer-Elfert, Magika Hieratika, 116 schlägt vor: „Bemächtige dich nicht(?) […]“. Die Schreibung von mḥ lässt aber eher an die Wortfamilie mḥi̯: „fluten“ denken.

5 Fischer-Elfert, Magika Hieratika, 116, Anm. 21 fragt sich, ob am Ende von vso 2 überhaupt ein Wort fehlt oder ob nicht Re das Ziel des Schutzes ist.