Horusstele Chicago OIM E 10738

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Nordamerika » U.S.A. » (Städte A-Ch) » Chicago (IL) » Oriental Institute Museum

Inventarnummer: E 10738

Das Oriental Institute Museum wurde umbenannt in The ISAC Museum (ISAC: Institute for the Study of Ancient Cultures).

Erwerbsgeschichte

Im Kunsthandel angekauft.

Herkunft
(unbekannt)
Datierung
von: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Dritte Zwischenzeit » 22.–23. Dynastie bis: (Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Spätzeit » 26. Dynastie

Die Datierung basiert auf einer orthographischen Studie des Personennamens Esenchebis aus dem Jahr 1947 (ob heute noch zutreffend?) in Kombination mit einer textgeschichtlichen Studie von Horusstelentext B sowie auf typologischen Merkmalen. Die Stele war für einen König (Name verloren), geboren von der Frau Esenchebis/Asetencheb, bestimmt. Seele (1947, 49–52) schließt aus der Orthographie des Namens Esenchebis (mit der Orthographie n für die Präposition m und mit der alphabetischen Schreibung ḫb für den Ortsnamen Chemmis), dass sie in die spätere 23. bis 25. Dynastie (oder bis in die frühe 26. Dynastie?) zu datieren sei (die von Seele herangezogenen Quellen für die Orthographie reichen von der 22. bis in die 27. Dynastie). Welcher König genau gemeint war, lässt sich nicht rekonstruieren, weil nicht alle Königsmütter der betreffenden Zeit bekannt sind, aber Seele setzt ihn in die Zeit zwischen der Eroberung Ägyptens durch Piyi/Pianchi (ca. 730 v. Chr.) und der Vertreibung der Assyrier durch Psammetichus I. (ca. 653 v. Chr.). (Die Jahreszahlen von Seele sind im Licht neuerer Forschung leicht zu korrigieren.) Gutekunst 1995, 335 übernimmt den Datierungsvorschlag von Seele als „Anfang 25. Dyn. – Anfang 26. Dyn. (!!?)“, aber fügt ein Fragezeichen hinzu. Denn Gutekunst erkennt textgeschichtlich eine Version der „P-R-Gruppe“ bzw. „Paris-Rechts-Version“ von Horusstelentext B, die in seine textgeschichtliche „Mittelphase“ gehört, die der Zeit der 26.–28. Dynastie entspricht. Es gibt allerdings individuelle Abweichungen der normalen „P-R-Gruppe“ (Gutekunst 1995, 269 , 275), weshalb er diese Textversion an den Anfang seiner textgeschichtlichen „Mittelphase“ setzt. Sternberg-el Hotabi 1999, I, 96 platziert die Stele in ihrer Objekttypologie bei „Typus I d“ ihrer typologischen „Mittelphase“ (26.–29. Dyn., ca. 660–400 v. Chr.). Sie übernimmt zwar die Argumentation von Seele für die „25.–26. Dynastie“, berücksichtigt aber zugleich die Angabe von Gutekunst, dass die Textversion von Spruch B auf den „Beginn der 26. Dynastie“ hinweise (Sternberg-el Hotabi 1999, I, 93 mit Anm. 26). Typologische Merkmale für die Zeit vor der Blütezeit der Horusstelen (30. Dynastie und Ptolemäerzeit) sind: Der Kindgott schreitet seitwärts (nicht mehr ab der 30. Dynastie belegt); Göttervignetten und/oder ein Bildregister auf der Rückseite fehlen; der Begünstigte wird namentlich genannt (nur noch selten [!,?] ab der 30. Dynastie). Fazzini 1988, 11 thematisiert diese Horusstele in seiner ikonographischen Studie der 22.–25. Dynastie, hält die Datierung allerdings für unsicher.

Textsorte
Rezitation(en) » Beschwörung(en)
Inhalt

Die Inschriften gehören zu zwei Horusstelentexten, B und C. Horusstelenspruch B (eine P-R-Version) nimmt fast die ganze Rückseite ein. Am Ende der letzten Zeile fängt dort Horusstelenspruch C an, der auf der Unterseite fortläuft und dann an allen freien Stellen auf der Vorderseite weitergeführt wird. Am Anfang von Horusstelentext B ist der Name des Begünstigten in der Lücke zu ergänzen. Interessant an dieser Version von Horusstelentext B ist die Tatsache, dass die Hilfe des Sonnengottes nicht für die „ich“-Person, sondern für eine dritte Person („er“) eingeholt wird. Ein Teil von Horusstelenspruch C auf dieser Stele ist noch nicht publiziert.

Horusstelentext B (1–18):
Der sogenannte „Spruch B“ der Horusstelen und Heilstatuen hat zum Ziel, einen Reisenden auf dem Wasser zu schützen, insbesondere vor Krokodilen. Er fängt mit einer Anrufung an den Sonnengott/Schöpfergott an, der Thoth schicken möge, um das Krokodil Nehaher für den Patienten/Schutzbedürftigen abzuwehren. Dann wird gesagt, dass Osiris auf dem Wasser sei und das (schützende) Horusauge bei sich habe. Die gefährlichen Wassertiere, die also Osiris oder jeden sonst, der auf dem Wasser ist, angreifen wollen, werden es mit dem Horusauge zu tun bekommen. Anschließend spricht der Zauberer/Beschwörer die gefährlichen Wassertiere, insbesondere das Krokodil Nehaher, direkt und in imperativischer Form an. Sie sollen Osiris nicht angreifen oder ihnen werde der Kopf zum Rücken hin umgedreht bzw. ihnen drohe die Vernichtung. Er sagt, dass eine Vierergruppe von Göttern Osiris und den Reisenden beschütze, denn sie haben Maul, Schlund, Zunge und Augen der Wasserbewohner unwirksam gemacht (Abweichungen auf dieser Horusstele). Der Zauberer identifiziert sich anschließend mit Chnum und befiehlt dem Angreifer zurückzuweichen, sonst werde er zerstückelt. Zwei mythologische Passagen mit einem lauten Schrei in Heliopolis, in der ein Kater und der Abdu-Fisch eine Rolle spielen, und mit einem zweiten lauten Schrei in Nedit, wo Osiris ermordet wurde, werden eingeflochten, weil Re in diesem Zusammenhang sehr wütend geworden sei und die Zerstückelung des Rebellen auf dem Wasser befohlen habe.

Horusstelentext C (18–34):
Der Spruch setzt Horusstelenspruch B fort und ist ebenso hauptsächlich zum Schutz vor Krokodilen gedacht. Zunächst wird der Sonnengott, der aus der Unterwelt und dem Urwasser hervorgekommen ist, angesprochen, dass seine Barkenmannschaft zu ihm geeilt sei und Freude vorherrsche. Dann wird das Krokodil Maga aufgefordert, sich zurückzuziehen unter Androhung eines Übels, das in einem mythischen Ort Wadjwadj gegen das Krokodil gemacht werde. Anschließend wird erneut das Krokodil Maga aufgefordert, sich diesmal Osiris, der auf dem Wasser ist, nicht zu nähern, ansonsten werde das Krokodil geblendet und zurückgetrieben. Wenig später ist Maga gefallen und hat keine Macht über irgendwelche Pferde und weiteres Vieh, wenn es auf dem Wasser ist. Es folgen zwei unklare mythologische, auf Heliopolis bezogene Passagen mit einem lauten Schrei im Haus der Neith und einem Wehklagen des Katers wegen etwas, das Maga getan habe und das vom Schöpfergott nicht angeordnet worden sei. An dieser Stelle hört der Text dieser Horusstele auf. In anderen Handschriften werden dem Rebellen (Maga) seine Zerstücklung und sein zweites Mal (die endgültige Vernichtung?) angedroht. Der Magier identifiziert sich anschließend mit den Göttern Chnum (der mit einer Botschaft von Sepa aus Heliopolis kommt) und Iniaf. Die Götter Ruti und Mechentienirti werden angerufen. Sie sollen ihre Aufmerksamkeit auf einen Zwerg aus Fayence, der ins Wasser gefallen sei, richten (in anderen Handschriften identifiziert sich der Magier mit dem Zwerg). Zwei weitere Krokodile namens Imeny und Senemra erscheinen im Text. Sie sollen sich vom Gott fernhalten, wenn dieser sich im Wasser reinige, und sich vor dem Gottesleib hüten, ansonsten drohe der Tod oder die Verschleppung.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Wegen der geringen Größe und der Durchbohrung oben ist diese kleine Horusstele vermutlich als ein Amulett für den privaten Gebrauch zu verstehen (Seele 1947, 49), wobei in diesem Fall der persönliche Gebrauch eines Königs gemeint ist.

Material
Nicht Organisch » Stein » Serpentin
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Stele » Horusstele / Horuscippus
Technische Daten

10,1 cm x 6 cm x 0,6 cm (Seele 1947, 43, Anm 1; ebenso Homepage OIM). Die Stele ist aus „grayish-green talcose serpentine“ (Seele 1947, 43, Anm 1). Seitwärts schreitender, nackter Kindgott mit frontal dargestelltem Gesicht. Er trägt eine Jugendlocke und hat ein Amulett um den Hals. Er steht auf den Köpfen zweier antithetisch angeordneter Krokodile, deren Köpfe rückwärts gedreht sind. Er hält zwei Schlangen, einen Skorpion und eine Antilope in der vorderen (rechts aus Zuschauerperspektive), zwei weitere Schlangen, einen Skorpion und einen Löwen in der hinteren Hand. Ein Falke (nach außen hin orientiert, nicht zum Kindgott) auf einem Papyrusstängel (vor dem Kindgott, d.h. rechts aus Zuschauerperspektive) und ein Nefertemsymbol (hinter ihm) rahmen die Kindgottdarstellung. Über dem Kopf des Kindgottes findet sich eine Besmaske. Oberhalb der abgerundeten Stele befand sich ursprünglich noch eine hinaufragende Öse (mit einer Durchbohrung), die jedoch abgebrochen ist. Die Rückseite ist mit 17[+1] Zeilen eingraviertem hieroglyphischem Text versehen, der sich auf der Unterseite (1 Zeile), auf der Vorderseite des Sockels (1 Zeile) und auf der Vorderseite an freien Stellen zwischen den Darstellungen (14 Kol.) fortsetzt.

Schrift
Hieroglyphen

Mit viel Mühe eingraviert (17 Zeilen auf 10,1 cm Höhe, macht 6 mm pro Zeile, in der bis zu drei Hieroglyphen übereinander eingepasst werden mussten): „it is so crudely engraved as to be virtually illegible in places, especially in the continuation on the front“ (Seele 1947, 46). Wenn man jedoch den Wortlaut der Texte kennt, lassen sich die meisten Zeichen mit einiger Mühe richtig deuten. Gerade bei den Textstellen von Horusstelentext C, die im Laufe der Zeit umformuliert wurden, entstehen größere Probleme.

Seele ist mit der Qualität des überlieferten Textes nicht zufrieden: „so corrupt in places as to be virtually incomprehensible“ (Seele 1947, 46).

Bearbeitungsgeschichte

Im Jahr 1947 von Seele in Foto und mit Beschreibung veröffentlicht. Er hat weder eine hieroglyphische Abschrift noch eine Übersetzung angeboten, weil er die Inschrift für sehr fehlerhaft und teilweise unleserlich hielt. Fazzini 1988 berücksichtigt das Stück wegen der Datierung in seiner ikonographischen Studie. Gutekunst 1995 behandelt das Stück in seiner textgeschichtlichen Bearbeitung von Spruch B (der Text gehört zu seiner „P-R-Gruppe“), hat jedoch die Inschrift auf der Vorderseite nicht als Spruch C erkannt. Sternberg-El Hotabi 1999, I, 96 platziert die Stele in ihrer Objekttypologie bei „Typus I d“ ihrer Mittelphase. Bislang sind keine Fotos von den Schmalseiten oder von der Unterseite publiziert und es liegt keine hieroglyphische Abschrift vor.

Editionen

- Seele 1947: K. C. Seele, Horus on the Crocodiles, in: Journal of Near Eastern Studies 6, 1947, 43–52 und Taf. I–III, hier: Taf. II.

Literatur zu den Metadaten

- Fazzini 1988: A. Fazzini, Egypt. Dynasty XXII–XXV, Iconography of Religions XVI, Fasc. 10 (Leiden/New York/København/Köln 1988), 1011, 3334, Taf. XXXI.1.

- Gutekunst 1995: W. Gutekunst, Textgeschichtliche Studien zum Verjüngungsspruch (Text B) auf Horusstelen und Heilstatuen (Trier 1995), 66, 84, 89, 258, 269, 275, 280, 284, 334–335.

Sternberg-el Hotabi 1999: H. Sternberg-el Hotabi, Untersuchungen zur Überlieferungsgeschichte der Horusstelen, 2 Bände, Ägyptologische Abhandlungen 62 (Wiesbaden 1999), Bd. 1: Textband, 93, 96, 253 (Abb. 46); Bd. II: Materialsammlung, 21–22.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Rückseite 

Horusstelentext B (1–18) = Metternichtstele Spruch 5 = Torso Wien ÄS 40 Spruch 1

[1] [Oh alter Mann, der sich zu seiner Zeit verjüngt, (oh) Greis, der als Jugendlicher agiert (wörtl.: den Jugendlichen spielt), mögest du veranlassen, dass] Thoth ⸢kommt⸣ auf der Stimme [des Königs NN], des Gerechtfertigten, den (Frau) Esenchebis aufgezogen hat, damit er für ihn das Wild[gesicht] (Neha-her) vertreibt.
Osiris ist auf dem Wasser; das Horusauge ist bei ihm. Der große Flügelskarabäus ist in seiner Faust.
[5] Erhebt nicht eure Gesichter, (ihr) Wasserbewohner, bis Osiris 〈an〉 euch vorbeigegangen sein wird! (Denn) siehe, er ist auf dem Weg nach Busiris.
Versperrt wurde euer Maul, blockiert/verstopft wurde euer Schlund! Zurück mit dir, (du) Rebell! Erhebe nicht dein {Herz} 〈Gesicht〉 gegen Osiris, wenn er auf dem Wasser ist.
〈Re〉 steigt hinauf zu seiner Barke1, um die große Neunheit, die Herren von Babylon, zu sehen (d.h. besuchen). Die Herren der Unterwelt stehen bereit, dich zu bestrafen.
Nicht möge das Wild〈gesicht〉 (Neha-her) kommen!2
Euer Kopf wurde von Re persönlich umgedreht (d.h. auf dem Rücken gedreht).3 Euer Schlund wurde von Sachmet verstopft/blockiert. Das Gemetzel an euch wurde von Thoth angerichtet. Eure Augen wurden von Heka geblendet.
Die [10] Vierergruppe dieser großen Götter, die den Schutz für Osiris bereiten, sie sind diejenigen, die den Schutz für den, der heute auf dem Wasser ist, bereiten.
Eine schreiende Stimme ist im Haus-der-Neith; ein großes Wehklagen ist im Maul des Katers (oder: der Katze).
Die Götter (sagen): „Was ist los? Was ist los?“ bezüglich (?) des Abdu-Fisches, als er geboren wird (oder: 〈bei〉 seiner Geburt). Er verhindert dein Voranschreiten, (du) Rebell! Er ist Chnum, der Herr (?) von/in Herwer.
Hüte dich davor, deine Verletzung (oder: dein Leid) bei dir ein zweites Mal zu wiederholen, wegen dessen, was mit dir gemacht wurde (?; oder: was du getan hast) in Anwesenheit der Großen Neunheit! Wende dich doch ab! Weiche doch zurück vor ihm! (Denn) Er ist ein Gott, Sohn einer Göttin.
Hui! [15] Hui!
Oh Re, bekanntlich hast du keine (so) laute Stimme (mehr) gehört seit dem Abend auf jenem Ufer von Nedit.
Ein großes Geschrei/Gebrüll ist 〈im〉 Mund eines jeden Gottes und einer jeder Göttin. Alle Götter sind in Klage wegen des Übels, das der Rebell, der Böses tut, angerichtet hat. Siehe, Re tobt vor Wut deswegen. Er hat befohlen, dass deine Zerstückelung durchgeführt wird.
Zurück mit dir, (du) Rebell!
Hui, hui!

1 Falls man den Text ohne Emendierung beibehalten möchte, könnte alternativ lesen: „wenn er/Osiris auf dem Wasser ist, um seine Barke zu besteigen.“

2 Für diese Version mit dem verkürzten Satz siehe Gutekunst 1995, 116, 191 (Phrase 10.11.e4). Üblicherweise findet man hier: „Falls Nehaher (in feindlicher Absicht) gegen Osiris kommt, dann wird euer Gesicht umgedreht werden, zu eurem Rücken hin gesetzt.“

3 Hier ist ein Stück Text weggefallen, obwohl die vorliegende Version einen Sinn ergibt. Für diese Version siehe Gutekunst 1995, 117 und 193 (Phrase 10.12.d).

Rückseite, Unterseite und Vorderseite

Horusstelentext C (18–34)

Oh (Du), [Unterseite] der [aus] der Unterwelt gekommen ist, der im Nun aufgegangen ist, der die Erde mit seinem Auge erhellt (?): Siehe, deine Schiffsmannschaft ist zu [deiner Barke] geeilt.
[Vorderseite, 20] ... sie beim Nennen des Namens ... bestrafen den, der deinen Namen nicht kennt ...
... ... ...
Du sollst zurückweichen, Rebell, wegen dessen, was du sagst (?), das du in Wadjwadj tun wirst (?). Der Gott dort (wörtl.: in ihm) ist Re.
[25] Dein Gesicht wurde geblendet. [Dein Voranschreiten wurde] zurückgedrängt.
Weiche zurück! Hüte dich, (oh) Maga!
Ich richte (mich) gegen dich auf (?).
Zertrampele (?), Heliopolitaner! [30] Du hast den Rebellen niedergeworfen (?).
Zurück! Du wirst keine Macht haben über irgendwelche Menschen, irgendwelche Pferde (?), irgendwelches Kleinvieh, irgendwelches Großvieh (?), das auf dem Wasser ist.
[Ein großer Lärm] ist im Haus-der-Neith. Ein großes Wehklagen ist im Maul des Katers (oder: der Katze).