Papyrus Ramesseum XII
Übersetzung und Kommentar
Recto
Kolumne 1
[1,1]1 Leben für dich,2 [der (du) ---]; (Leben für dich), [der (du) ---]; (Leben für dich) [der (du) ---], [der (du)] diesen Mann unter meine Finger [gibst (o.ä.)] (???); (Leben für dich), [der (du) ---] zusammen mit den beiden Armen3, die für dich lebenskräftig sind (???)4; [1,5] (Leben für dich), [der (du) ---], (du) Steuermann auf dem Gottesschiff;5 [---], mir geben durch [---] ... (?) [---] ... (?) [---].
1 Ganz am Rand des rechten, ansonsten unbeschriebenen Fragments dieser Kolumne, direkt an der Abbruchkante, sind einige wenige blass-schwarze Farbspuren erkennbar, die vielleicht zum Zeilenende einer vorangehenden Kolumne gehören.
2 ꜥnḫ n=k: Zu dieser Übersetzung im Sinne einer Invokation s. A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), 14 für die zweite Kolumne. Dem folgt auch das LGG, vgl. bspw. C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. II. ꜥ-b, Orientalia Lovaniensia Analecta 111 (Leuven 2002), 407c, s.v. wnm-bꜣ.w (= pRamesseum XII, 2,1). P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 89 und 90 vermutet dagegen hierin die Schwurformel „so wahr mir ... lebt“: „Aussi vrai que vit pour toi“, wobei er annimmt, dass der Text vom Magier rezitiert werden solle und sich das n=k auf den Patienten beziehe. Für diese Übersetzung fehlt aber eigentlich die Fortsetzung, was passieren soll oder nicht passieren darf. Diese müsste man dann in den nicht mehr erhaltenen unteren Zeilen der beiden Kolumnen rekonstruieren.
3 ꜥ.wj: P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 89 und 90 vermutet hierin eine Bezeichnung der armförmigen Klappern, wie sie u.a. auch unter den Objekten der Ramesseumskiste gefunden wurden (a.a.O., Taf. 1, Nr. 17). Da der Kontext aber letztlich zu stark zerstört ist, wird hier bei einer wörtlichen Übersetzung geblieben.
4 ꜥnḫ n=k: In Zeile 1,4 steht noch einmal ꜥnḫ n=k am Ende der Zeile, dieses Mal schwarz geschrieben. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 89 übersetzt es ebenso wie das ꜥnḫ n=k am Anfang von 1,1 und 2,1. Hier wird dagegen vorgeschlagen, es als Partizip auf die vorherigen Arme zu beziehen, wobei sicher ein sprachliches Spiel mit der Einleitung intendiert ist.
5 ḥm.y m dp.t-nṯr: Mit dem „Steuermann auf dem Gottesschiff“ ist ein evtl. ein Mitglied des Gefolges des Horus oder Horus selbst gemeint, vgl. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 90.
Kolumne 2
[2,1] Leben für dich, Brüllender, der (du) die Ba-Seelen frisst,1 der (du) gerecht richtest (oder: Richter der Maat); (Leben für dich), der (du) den Esel fesselst, der (du) den Phönix oben auf dem Erdgott einfängst;2 (Leben für dich), Kahler vom Uferrand3, der (du) an der Spitze der Barke des Re bist; (Leben für dich), Denu(?), der nachtblind(?) aus dem Leib seiner Mutter hervorkam;4 [2,5] (Leben für ich), der (du) in der Erde bist, Herr der Ewigkeit, (du) Biene, Sohn seines Auges; (Leben für dich), der (du) wütend aus dem Leib deiner Mutter herauskamst, kampfbereit in/mit [---]; (Leben für dich), der (du) umherziehst [---], der du herumwanderst [---]; [---]
1 wnm bꜣ.w wḏꜥ mꜣꜥ.t: Diese beiden Epitheta spielen sicherlich auf einen Angehörigen des Totengerichts an, vielleicht sogar schon konkret auf die „Fresserin“, die im späteren Totenbuchspruch 125 eine entsprechende Funktion einnimmt, vgl. Meyrat, Papyrus magiques du Ramesseum, 91–92.
2 spḥ Bn.w ḥr-dp Ꜣkr: A. H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), 14 übersetzt mit: „lassoer of the benu-bird on the head of Aker“. Dem folgen C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. VI. ẖ-s, Orientalia Lovaniensia Analecta 115 (Leuven 2002), 276b: „Der den Phönix mit dem Lasso auf dem Kopf des Aker einfängt“ und P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 89: „qui prend au lasso ke Bénou au sommet d’Aker“. Meyrat, a.a.O., 92–93 vermutet in dieser unklaren mythologischen Anspielung einen Hinweis auf die Verbindung zwischen dem Phönix und dem Krokodil, das laut A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts VII. Texts of spells 787-1185, Oriental Institute Publications 87 (Chicago 1961), 96n-o auf den Zähnen des Aker = dem Papyrus sitze. Vielleicht dient Aker hier aber auch nur als Personifizierung des Erdbodens; zu „Aker“ als Name für den Erdboden selbst vgl. C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd I. ꜣ-y, Orientalia Lovaniensia Analecta 110 (Leuven 2002), 83b, s.v. ꜣkr, Rubrik E.a mit einem Beleg aus A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts II. Texts of Spells 76-163, Oriental Institute Publications 49 (Chicago 1938), 25d: Šw m-ẖnw Nw n ṯs.t ꜣkr.w: „Schu war im Inneren des (personifizierten) Urgewässers, bevor die Erde zusammengefügt war“ (anders dagegen die Deutung der Stelle bei R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. I. Spells 1-354 (Warminster 1973), 82: „Shu was within the Abyss when the Earth-gods had not yet been knitted together“, und s. S. 83, Anm. 5, wo er in den „Earth-gods“ eine Bezeichnung der beiden Götter Aker und Geb vermutet).
3 jꜣs jdb: A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), 14 hatte das zweite Wort noch unübersetzt gelassen. P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 89 und 93 denkt an $jdb$. Da er in dem „Kahlen“ eine Bezeichnung für den Krokodilgott Sobek vermutet, passt ein Wort für „Ufer“ sehr gut in den Kontext.
4 Dn.w pri̯ šꜣ m ẖ.t n.t mw.t=f: Das erste Schreibquadrat der Zeile ist zerstört. A.H. Gardiner, The Ramesseum Papyri. Plates (Oxford 1955), 14 übersetzt „Denu(?) who came forth blear-eyed(?) from the body of his mother“. So übernimmt es auch C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. VII. š-ḏ, Orientalia Lovaniensia Analecta 116 (Leuven 2002), 550a: Dnw (?)-pr-šꜣ-m-ḏt[sic]-nt-mwt.f „...?..., der fehlsichtig (o.ä.) aus dem Leib seiner Mutter herauskommt“. Dagegen ergänzt P. Meyrat, Les papyrus magiques du Ramesseum. Recherches sur une bibliothèque privée de la fin du Moyen Empire, Bibliothèque d’étude 172 (Le Caire 2019), 335 vor dem halb zerstörten dn noch ein s und liest [s]dnw. In diesem Wort vermutet er S. 89 und 95 eine Schreibung für sṯn.w: „erhoben; bekrönt“: „[Cou]ronné qui est sorti héméralope du ventre de sa mère“. A.a.O., 95 verweist er dafür auf den ptolemäerzeitlichen pLouvre N. 3079, Zeile 112,2 (J.-C. Goyon, Le cérémonial pour faire sortir Sokaris. Papyrus Louvre I. 3079, col. 112-114, in: Revue d’égyptologie 20, 1968, 63–96, hier 65, 70, 89, Anm. 2 und Taf. 4; zum Papyrus s. auch Totenbuch-Projekt): j sdn.w pri̯(.w) m ẖ.t: „ô Celui qui est couronné dès la naissance“. Es ist jedoch unsicher, ob sṯn.w schon im Mittleren Reich mit d statt ṯ geschrieben werden kann. Außerdem sind die noch erhaltenen $n$s in diesem Papyrus so breit, dass man sich fragt, ob in der kleinen Lücke am Beginn von 2,4 überhaupt ein zusätzliches s gepasst hätte.
Verso
Notiz (unpubliziert)
[---]1
1 Auf der Rückseite von Fragment 1, gegenüber dem Recto auf dem Kopf stehend, befinden sich die Reste von fünf Zeilenanfängen. Von den ersten vier Zeilen sind nur Wortreste erhalten; in der letzten steht mit ḥḏ.t ein Mitglied der Wortfamilie „hell“.