Stele Kestner-Museum 1935.200.445
Übersetzung und Kommentar
Giebelfeld
[Über Seth:] Das Schlagen ⟨mit⟩ den beiden Messern1.[Kolumne:] Sachmet, die Oberste der Richtstätte.
Seine Flamme ist gegen dich – (nämlich die) des Großen-(Horus)Auges. (?)2
1 Eine in der ptolemäischen Hieroglyphenschrift mögliche Lesung Dsds: „Bahriya“ oder Dsds(.j): „Der von Bahriya“ (als Lemma nicht belegt) ist hier wohl ausgeschlossen, somit auch eine Interpretation als „Das Schlagen von Bahriya“ bzw. „Das Schlagen dessen, der zu Bahriya gehört“.
2 Der Satz ist schwer zu verstehen. Es gibt drei Leseprobleme: das Feuerbecken am Anfang (Substantiv oder Verb), das Zeichen k (Teil eines Substantivs oder Suffixpronomens) und der anschließende Vogel (G36-Phonogramm oder G37-Klassifikator). Der Satz präsentiert sich als Beischrift zur Göttin Sachmet, was zunächst eine Übersetzung in der 3. Person und keine direkte Rede in der 2. Person vermuten lässt. Derchain 1964, 20 übersetzt „Sekhmet (...) brûle celui qui est hostile à l'œil“ und merkt S. 21, Anm. a an: „La fin de la ligne est traduite d’après une suggestion de G. Posener“ ohne dies weiter zu kommentieren. Diese Übersetzung setzt eine Lesung wie ⸮nsr?=s ⸮rqw? r jr.t o. ä. mit einer Subjekt + sḏm=f-Konstruktion voraus: „Sachmet, sie verbrennt den Gegner des Auges“. Allerdings wäre rk (mit G37 als Determinativ) dann eine Schreibung für rqw, außerdem wird rqw normalerweise anschließend nicht mit der Präposition r gebildet. Eine andere mögliche Lesung für G37 ist ḫ.t=s r=k ⸮sbj? r jr.t, aber dann ist dies schon eine Anrede an den zu beschwörenden Dämon und kein Epitheton der Sachmet mehr. Falls der Vogel nicht der Spatz G37, sondern die Schwalbe G36 ist, könnte vielleicht auch wr.t: „das Große (Auge)“ gelesen werden.
Tatsächlich scheint etwas zu fehlen, da so, wie es steht, zunächst an „Sie verbrennt/kocht gegen dich das wr.t-Horusauge“ o.ä. zu denken ist, was im Kontext ziemlich unwahrscheinlich wirkt und somit eine Emendation erzwingt. Möglichkeiten wären bspw.: ḫ.t|nsr=s r=k ⟨ḫft.j⟩ wr.t „Ihre Flamme ist gegen dich, (du) ⟨Feind⟩ des (Horus)Auges“ oder ḫ.t|nsr=s r k⟨ꜣi̯⟩ r jr.t „Ihre Flamme ist gegen den, der (Böses) ersinnt gegen das Auge“.
Möchte man ohne Emendation auskommen, dann bietet sich mit wr.t eine Übersetzung mit Epexegese an (siehe W. Schenkel, Tübinger Einführung in die klassisch-ägyptische Sprache und Schrift, 7. Auflage (Tübingen 2012), 367–368), d.h. das feminine Suffixpronomen =s am Anfang bezieht sich nicht auf die davor stehende Sachmet, sondern wird erst später mit dem wr.t spezifiziert. Dies erscheint insofern sinnvoll, als dass im untenstehenden Text zwei Seth-strafende Entitäten genannt sind. Zunächst ist dies Sachmet und weiter unten das Horusauge (dort jr.t-Ḥr), das zudem u.a. mit seiner Flamme gegen Seth vorgeht.
Für die Lösung von Derchain spricht hingegen, dass Sachmet besonders in der Spätzeit häufig in Verbindung mit der „Flamme“ auftritt (H. Sternberg, s.v. Sachmet, in: Lexikon der Ägptologie V (Wiesbaden 1984), Sp. 328).
Textfeld
[1] Zu Boden, zu Boden, Abscheu des Sokar1!Du hast deinen Speichel (?)2 gegen das Udjat-Auge des Re geworfen (und) du hast die Kinder des Horus fortgetragen.3
(Nun) sollst du in die Richtstätte der Sachmet eintreten.
Sie wird dein Fleisch verbrennen und deine Finger abschneiden.
Sie wird deine Füße wegreißen aus Ägypten, (sodass) dein Sohn nicht auf deinem Platz sein wird.4
(Aber) wenn du (nach (?)) [5] Djesdjes5 gehst (oder: wenn du Djesdjes betrittst), (dann) wirst du den ‚Feind‘ des Horusauges6 verschlingen.
Seine (= Horusauge) Flamme ist in deinem Leib und sein Messer in deinem Fleisch.7
Schlecht ist deine Lebenszeit auf Erden, die (noch) vor dir liegt!
Nicht wird dein Unheil gegen den Gottesvater und Gottesdiener, den mḥy-Priester (?)8 und ‚Kahlen‘8, Harsiese, Sohn des Gottesvaters und Gottesdieners Pa-scheri-Isis, geboren von der Hausherrin Qeris9, gerichtet sein.
1 Sokar steht hier als Form des Osiris (Derchain 1964, 21, Anm. b). Durch den „Abscheu des Sokar“ ist somit eindeutig Seth als zu bekämpfender Widersacher gemeint, auch wenn er nicht expressis verbis genannt wird.
2 ꜥꜥ: Übersetzung mit Derchain 1964, 21, Anm. c. Die früheren Bearbeiter haben eine Variante von wdi̯=k ꜥ.wj=k „den Arm darbieten“ i.S. von „angreifen“. Derchain macht darauf aufmerksam, dass eine Kombination von wdi̯ und ꜥ im Dual jedoch nicht im Wb verzeichnet ist (stets nur im Singular) und schlägt daher vor, ꜥꜥ „Speichel; Schweiß“ zu lesen. Zum aggressiv-schädigenden Spucken in magischen Sprüchen siehe R. K. Ritner, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice, Studies in Ancient Oriental Civilization 54, 4. Auflage (Chicago 2008), 82–88, speziell zu Seth S. 84.
3 rmn: Bedeutet üblicherweise „tragen“ und wird deshalb von Derchain als eine Strafe eingestuft. Allerdings gesteht Derchain 1964, 21–22, Anm. d, dass die Strafe „n'a pas encore été expliqué“. Er vermutet, dass es eine Anspielung auf ein astronomisches Phänomen ist, wie es bspw. in Tb 17 beschrieben wird (die vier Horuskinder als die Bewacher des im Nordhimmel angeketteten sethischen Schenkelgestirns, in anderen Kontexten auch bezogen auf die vier in einem Rechteck angeordneten Sterne des Großen Wagens).
Manchmal hat rmn jedoch auch die Bedeutung „forttragen, wegbringen“ (Wb 2, 419.14), sodass es eventuell auch ein weiterer Frevel sein könnte (so Guentch-Ogloueff 1941, 128 und 130). (Vielleicht handelt es sich hierbei um eine semantische Annäherung an mnmn, dass transitiv die reguläre Bedeutung „etw. fortbewegen/fornehmen“ hat (Wb 2, 81.9–15; vgl. auch R. A. Caminos, A tale of Woe. From a Hieratic Papyrus in the A. S. Pushkin Museum of Fine Arts in Moscow. Papyrus Puschkin 127 (Oxford 1977), 26, Anm. zu 2,4 und J. F. Quack, Ein neuer Versuch zum Moskauer literarischen Brief, in: Zeitschrift für ägyptische Sprache und Altertumskunde 128, 2001, 175)). Der Interpretation Guentsch-Ogloueffs wird hier gefolgt, da so zum einen eine eindeutigere/einfachere Interpretation entsteht und es zum anderen dem in der ägyptischen Literatur häufig verwendeten Parallelismus membrorum entspricht.
4 D.h. der Sohn (vielleicht Maga, siehe C. Leitz (Hrsg.), Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen. Bd. III. p – nbw, Orientalia Lovaniensia Analecta 112 (Leuven 2002), 459) wird ihm nicht im seiner Position nachfolgen/ihn beerben.
5 Ḏzḏz: Die Oase el-Bahriya. Sie befindet sich westlich vom Niltal (fast direkt westlich von Hermopolis) und damit genau entgegengesetzt zur „Hinrichtungsstätte der Sachmet“ (die am Ort des Sonnenaufgangs, d.h. Osten, postiert ist) (Derchain 1964, 22, Anm. g).
6 ḫft.j jr.t-Ḥr „Feind des Horusauges“: Derchain 1964, 22, Anm. h möchte hierin den mythologischen Feind des Sonnenauges erkennen, d.h. die Oryxantilope – ein dem Seth zugeordnetes Tier. Dass Seth also sein eigenes heiliges Tier isst, erscheint Derchain zurecht als „évidemment un comble“.
Entgegen Dechains Vermutung wird es sich hier jedoch eher um eine euphemistische Bezeichnung für das Auge selbst handeln (siehe A. von Lieven, [Review:] V. Altmann, Die Kultfrevel des Seth. Die Gefährdung der göttlichen Ordnung in zwei Vernichtungsritualen der ägyptischen Spätzeit (Urk. VI), Studien zur spätägyptischen Religion 1 (Wiesbaden 2010), in: Die Welt des Orients 42, 2012, 244–256; allg. zu diesem Euphemismus, der sowohl mit ḫft.j als auch ḫr.w gebildet werden kann, siehe G. Posener, Sur l’emploi euphémique de ḫftj(w) «ennemi(s)», in: Zeitschrift für ägpytische Sprache und Altertumskunde 96, 1969, 30–35 und ergänzend J. F. Quack, Sur l‘emploi euphémique de ḫft "ennemi" en démotique, in: Revue d'égyptologie 40, 1989, 197–198). So wird bspw. in der frühdemotischen Erzählung des pVandier immer dann die Bezeichnung „Feind des Pharaos“ genutzt, „sofern für Pharao unangenehme Dinge zur Sprache kommen“ (F. Hoffmann – J. F. Quack, Anthologie der demotischen Literatur, Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 4 (Berlin 2007), 154, Anm. 272; auf unseren Text bezogen, ist von Seth aufgegessen zu werden gewiss unangenehm für das Horusauge). Dazu passt auch, dass das Horusauge selbst im nächsten Satz Leid bei Seth verursacht (das feminine Suffix der 3.P.Sg. kann sich nur auf das Auge als Referenten beziehen).
7 Zur lunaren Deutung (Horusauge als Mondauge) dieser Stelle siehe Derchain 1964, 22, Anm. i. Bei dem Messer handelt es sich um die Mondsichel, die als scharfe Waffe gegen göttliche Feinde eingesetzt wird (vgl. H. Kees, Zu den ägyptischen Mondsagen, in: Zeitschrift für ägptische Sprache und Altertumskunde 60, 1925, 2).
Nach Derchain soll der Stelentext mit diesem Satz ausdrücken, dass Seth, bzw. seine bösen Taten, genau in dem Moment gebannt sind, wenn Sonne und Mond am Firmament in Opposition zueinander stehen. Dies geschieht am frühen Morgen nach der Vollmondnacht: Der Mond ist im Untergehen begriffen und die Sonne erscheint bereits. Der Vollmond im Westen hat sich von diesem Moment an vor seinem Feind Seth zu fürchten, der ihn bedroht und Tag für Tag mehr von ihm verschlingt (abnehmender Mond), bis am Neumond nichts mehr übrig ist.
8 Zur Lesung der Titel mḥ(y) und fk.tj des Harsiese siehe Derchain 1964, 22, Anm. k. Die Lesung mḥ(y) ist unsicher, dieser Titel (s. auch I. Guermeur, Glanures (§ 3-4), in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 106, 2006, 118 Anm. (l)) wird sonst nicht mit Gardiner M16 sondern mit V22-V28-M17-M17 wie das Verb mḥi̯: „im Wasser treiben“ geschrieben. Für die Statue Louvre E 7689 aus Rʾ-nfr (Tell Tibilla) mit dem Titel mḥy siehe K. Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit, Teil IV. Die 26. Dynastie (Wiesbaden 2014), 824–825, Nr. 163. Für den fkty-Priester siehe C. Leitz, Die Gaumonographien in Edfu und ihre Papyrusvarianten. Ein überregionaler Kanon im spätzeitlichen Ägypten. Soubassementstudien III, Studien zur spätägyptischen Religion 9 (Wiesbaden 2014), 316–317.
9 Qrj≡s: Ein weiterer Beleg für den Namen bei K. Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit, Teil IV. Die 26. Dynastie (Wiesbaden 2014), 1091, Nr. 630 (Holzstele London BM EA 22918 = Ranke, PN I, 335.27: geschrieben Qrsj und Qrs).