Heilkultkapelle im Mutbezirk von Karnak
Übersetzung und Kommentar
Fassadeninschrift
[A.1] Ein königliches Totenopfer (für) Amun-Re, den Herrn der Throne der Beiden Länder, ein Invokationsopfer von allen guten Dingen für den Ka des Erbfürsten und Grafen, des [... ...], des Leiters des Palastes, des Großen der Seher von Heliopolis, Horudja, den Gerechtfertigten.
[Er] sagt (?): ... König ... Amun ... er beugt den Arm [seiner (?)] Gottesverehrerin für (?) den Grafen, den Kammervorsteher, den Großen der Seher von Heliopolis, Horudja, den Gerechtfertigten.
[B.1] Ein königliches Totenopfer (für) Mut, [die Herrin von Ischeru (?), ... ... ...
...] der Erbfürst und Graf, [... ... ...
Götterfries (innen)
...] [C.1] jede [...], jede [..., ... ... ...], alles Gewürm [...
...] [D.1] , alles Gewürm [...
Rettung des Horus vor Schlangen- und Skorpiongift (innen)1
[1] [Ich bin Isis, die mit ihrem „Küken“ schwanger war, die guter Hoffnung war] mit dem göttlichen Horus.
Im Vogelsumpf von Chemmis2 habe ich Horus, den Sohn des Osiris, geboren.
[Darüber] freute ich mich [wirklich sehr, weil/als (?) ich den, der für seinen Vater eintritt, erblickte.]
(oder: [Darüber] freute ich mich [wirklich sehr, mit den Worten: „Ich werde den sehen, der für seinen Vater eintritt!“]).
[Ich verbarg ihn, ich versteckte] ihn aus Angst vor Jenem-dort (d.h. vor Seth).
Ich durchstreifte (das Gebiet der Stadt) Tell Nebescheh (?)3 〈unter〉 (?) den Bettlern (?), aus Angst vor dem, der [Böses/Übles] tut.
[Ich verbrachte den Tag damit, das Kind zu suchen (oder: mich nach dem Kind zu sehnen?) und für seinen Bedarf zu sorgen.
Als ich zurückgekehrt bin, um] meinen Sohn [in meine Arme zu schließen], da fand ich ihn, den schönen Horus aus Gold, das unmündige Kind [ohne] Vater, (folgendermaßen) vor: Er begoss die Häuser4 [mit dem Wasser seines Auges und mit dem Speichel seiner Lippen, sein Leib war kraftlos/müde,] sein [Herz war matt/ermattet; (und) die mt.w-Stränge/Gefäße] seines Körpers pochten (wörtl.: flatterten) nicht.
1 Ergänzt nach Metternichstele, Spruch 14 (Z. 168–251). Weiterhin als Parallele Socle Béhague, Spruch 4.
2 zš n(.j) Mḥ.w oder zš n(.j) Ꜣḫ-bj.t: Die Kombination zš Mḥ.w ist seit dem Alten Reich einige Male belegt (z.B: Saqqara, Grab des Mehu; auch Mammisi Edfou 119 = DZA 28.778.310); vgl. ein Nest im Sumpfland Unterägyptens (ẖꜣ.t n.t Tꜣ-mḥw in der Prophezeiung des Neferti). In unserem Fall ist jedenfalls das Sumpfgebiet von Chemmis gemeint, das als zš n.j Ꜣḫ-bj.t überliefert ist (Nauri-Dekret, Z. 19 = KRI I, 49.2). Weitere Belege für zš n.j Ꜣḫ-bj.t sind DZA 28.778.330 (Hatschepsut, Deir el-Bahari = K. Sethe, Urkunden der 18. Dynastie [IV,1-314], Urkunden des Ägyptischen Altertums IV/1-4 (Leipzig 1907), 239.10), DZA 28.778.350 (Magischer Papyrus Turin = pCGT 54050, Rto 4.5-6 = W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869); S. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011)) und DZA 28.778.360 (Edfou I, 133). Wb. 3, 484.17 nennt weitere genitivische Verbindungen: „Nest von Chemmis, Nest des Falken u.ä. als Bez. des Ortes, wo Horus im Delta aufwuchs“.
3 Jm〈ꜣ.w〉 oder Jm.t/Jm.tj/Jmm.t: Anschließend steht jm mit Stadtdeterminativ auf der Metternichstele, Jmm.t auf der Version des Mutbezirks. Die verkürzte Schreibung der Metternichstele, Spruch 14 (Z. 169) könnte eine defektive Schreibung von Jꜣmw/Jmꜣw „Tell el-Hisn“ sein, das nicht allzu weit von Chemmis/Buto entfernt liegt (so A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Behague) in the Museum of Antiquities at Leiden, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33 (Leiden 1952), 2, 22–34, 54–58, 81–98 und Taf. 2-5 (Spruch 4: Z. c 1–4, d 1–10, e 1–9, f 1–40, g 1). Die ausführlichere Schreibung des Mutbezirks passt besser zu der Stadt Jm.t „Tell el-Faraun/Tell Nebescheh“ im Ostdelta (so Traunecker 1983). Dann wäre Isis aus Angst, dass Seth über sie ihren Sohn finden könnte, weit weg gewandert.
4 Auf der Metternichstele, Spruch 14 (Z. 170) steht „die Ufer“.
Ich stieß einen Schrei aus mit (den Worten): „Ich (bin es), ich (bin es)!“
[5] [(Aber) das Kind war (zu) geschwächt, um zu reagieren (wörtl.: antworten).
Die Brüste (der Isis) waren angeschwollen/überquellend; der Bauch (des Kindes) war] geleert, (und) der Mund [(des Kindes) war voller Verlangen] nach seinem Essen.
Der Brunnen war zum Überlaufen voll; (und trotzdem:) das Kind [hatte Durst.
Mein Herz wollte kommen wegen seines Schutzes (d.h. um es zu schützen).
Das Leid/Unglück] stellte sich als groß heraus: Das unmündige Kind [widersetzte sich (?)] wegen des Leidens.
(Zu) lang [war das Alleinsein (?).
Wie groß war (meine) Angst in Ermangelung von jemandem, der auf] meine Stimme [herbeikommen würde (um zu helfen)]! Mein Vater (= Geb) ist in der Unterwelt; meine Mutter (= Nut) ist im [Reich-der-Stille]; mein älterer Bruder (= Osiris) ist im Sarg; [der andere (Bruder) (= Seth) ist ein Widersacher, der fortwährend aggressiv im Herzen gegen mich ist; Die-jünger]-als-ich-ist (wörtl.: die Kleine im Vergleich zu mir = Nepththys) ist in seinem (des Bruders) Haushalt.
Zu [wem unter den Men]schen soll ich also rufen, dass [ihre Herzen sich mir daraufhin zuwenden] werden? [Ich werde also zu denen rufen, die in] den Deltasümpfen [wohnen], damit sie sich mir auf der Stelle zuwenden.
[Die tꜣḥ-Leute („Schlammmenschen“)] kamen [zu mir aus ihren [10] Häusern; sie sprangen meinetwegen auf meine Stimme hin auf.] Sie alle [trauerten/wehklagten] und (sagten): „(Wie) groß ist dein (wörtl.: mein) Schmerz!“
[(Aber) es gab dort keinen, der ihn (den Schmerz?, Horus?) mit seinem Spruch beschwören konnte.] Ein [jeder] von ihnen jammerte wirklich sehr; [(aber) es gab dort keinen Weisen, um (jemanden) wiederzubeleben.
Eine Frau kam zu mir, eine Heilerin/Wahrsagerin (wörtl.: eine Wissende) in] ihrer Stadt, eine Edelfrau an der Spitze ihres Bezirks. Sie kam zu mir, (indem) ihr Mund/Spruch (?) das Leben (in sich) trug. Sie war voller Vertrauen (wörtl.: ihr Herz war entsprechend voll) [bezüglich ihrer Sache.
Habe keine Angst, habe keine Angst, (du) Sohn, Horus! Verzweifle nicht, verzweifle nicht, (du) Gottesmutter!] Das Kind ist [unbefleckt (wörtl.: klar, hell)] vom Bösen seines Onkels (wörtl.: „Bruder“). Das Dickicht liegt versteckt; [der Tod] wird nicht hinein[gehen].
[Die Magie des Atum, des Vaters der Götter, dessen, der im Himmel ist, ist das, was dein/mein Leben ermöglicht.]
Seth wird diesen Bezirk nicht betreten; er kann Chemmis nicht durchstreifen.
Horus ist unbefleckt (wörtl.: klar, hell) [vom Bösen seines Onkels (wörtl.: „Bruder“) (= Seth). (Und) die, die in seinem (des Seth) Gefolge sind, werden ihn nicht schädigen können.
Suche die Angelegenheit (d.h. die Ursache),] [15] weswegen dieses [passiert!] (Dann) wird Horus für seine Mutter leben.
Vielleicht ist ja ein Skorpion dabei, [ihn] zu stechen, [(oder) ist eine Habgierige (Schlange) dabei, ihn zu beißen.
Isis legte ihre Nase an] seinen [Mund] und erkannte [den zugehörigen Geruch] in seinem „(Schädel)Kasten“1. Sie diagnostizierte das Leiden des göttlichen Erben, nachdem sie 〈ihn〉 ja voller Gift vorgefunden hatte.
[Sie] nahm [ihren Sohn eiligst] in die Arme [und hüpfte (?) mit ihm herum, wie Fische, die auf die Holzkohle gelegt worden sind.]
1 Dieser „Kasten“ kann sich in übertragener Bedeutung sowohl auf den Sarg als auch auf die Schädelhöhle und das Leibesinnere beziehen.
Horus wurde gebissen! (Oh) Re, dein Sohn wurde gebissen!1
Horus wurde gebissen! Horus wurde gebissen2, [der Erbe] deines Erben, der das Königtum des Schu fortführt (wörtl.: anknüpft).
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen 〉〉, [der Jugendliche] von/in Chemmis, das Kind des Fürstenhauses.
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [20] das schöne [Kind] aus Gold, der unmündige Wicht, der keinen Vater hat.
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der Sohn] des Onnophris, den Isis, die Göttin/Göttliche, geboren hat.
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der ohne Sünde/Verbrechen ist, der jugendliche Sohn der (oder: unter den) Götter(n).]
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der, dessen Bedarf ich dauerhaft einrichtete beim Anblick dessen, der für seinen Vater einstehen wird.]
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der, um den man sich (schon) im Mutterleib Sorgen machte und der (schon) im Leib seiner Mutter gefürchtet wurde.]
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der, auf dessen Anblick ich gewartet habe (oder: herbeigeeilt bin) und um dessentwillen ich das Leben herbeiwünschte.]
1 Die beiden Sätze finden sich auch auf Turiner magischen Papyri und auf pLeiden I 349 aus dem Neuen Reich (Synopse bei A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 153, § 324).
2 Dieser Satz ist horizontal über mehrere Kolumnen eingraviert und muss jedesmal wiederholt werden.
[Der Unmündige jammerte] beim Ertrinken (d.h. wie ein Ertrinkender, in großer Not?)1 (oder: Der Unmündige jammerte tränenreich (wörtl.: beim voll Wasser sein)).
Wie sprachlos/ohnmächtig waren [die Betreuer/Gefährten des] Kindes!
Nun kam Nephthys weinend herbei, [ihre Schreie durchzogen] die Deltasümpfe.
Selkis (sagte): [30] [Was (ist los)? Was (ist los)?] Was ist denn mit dem Kind meiner Schwester los?
1 ḥr mḥi̯: Wird hier als Infinitiv verstanden, mit einer abgeleiteten Bedeutung von „beim Ertrinken.“ Auf dem Socle Béhague, Spruch 4 (Z. e.1) steht mḥ mit den Determinativen von „sich sorgen um“, daher „beim Sorgen, Kummer haben“.