Heilkultkapelle im Mutbezirk von Karnak

Metadaten

Wissensbereiche
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Karnak » Mutbezirk

Wiedererrichtet vor dem Ostturm des 1. Pylons des Muttempels (Fazzini 2010, 13; Fazzini und Bryan 2021, 22–24).

Erwerbsgeschichte

Sieben Blöcke der kleinen Kapelle sind bislang bekannt. Der Türsturz der Kapelle wurde von G. Legrain im Jahr 1916 als wiederverbaut im Sockel eines Sphinxes des Mutbezirks erwähnt (Legrain 1916, 160; Fazzini & Peck 1981, 120). Fünf Blöcke wurden als Ecke einer spätptolemäer- oder frührömerzeitlichen Lehmziegelmauer wiederverwendet, welche 1978/1979 entdeckt wurde. Dank der Rekonstruktion von Traunecker (publiziert 1983) wurde einige Zeit später der Zusammenhang zwischen dem Türsturz, einem weiteren Block der Fassade (nach 1983 gefunden) und den übrigen fünf Blöcken erkannt (Fazzini 2010, 13).

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » östliches Ufer » Karnak » Mutbezirk

Alle Blöcke wurden in einem Zusammenhang der Wiederverwendung im Vorfeld des sog. Tempels A (Tempel des Chonsu-dem-Kind oder Mammisi des Muttempels) des Mutbezirks von Karnak entdeckt. Dieses Vorfeld ist zugleich die östliche Erweiterung des Hofes zwischen dem Propylon und dem ersten Pylon des Muttempels. Wegen des wiederverwendeten Zusammenhangs ist die exakte Herkunft nicht bekannt. Allerdings wird davon ausgegangen, dass sich diese kleine Kapelle für Heilzwecke irgendwo im Vorfeld des Muttempels befunden hat, sei es entlang des Zugangswegs zum Muttempel, sei es entlang der Querachse zum Mammisi, so wie sich der Komplex nach den Baumaßnahmen unter Taharqa präsentierte. Eine Fassadeninschrift der Kapelle nennt jedenfalls die Göttin Mut.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Spätzeit » 26. Dynastie » Psammetich I. Wahibre

Die Kapelle wurde von Horudja (Sohn des Harwa), Hohepriester von Heliopolis geweiht. Diese Information geht aus dem Türsturz hervor (Fazzini 2010). Er war Hohepriester von Heliopolis unter der Regierung von Psammetichus I. (Jansen-Winkeln 2014, 184 und 186, Nr. 53.320 und 53.321). Bevor erkannt worden war, dass der Türsturz zur Kapelle gehört, hatte Traunecker schon aufgrund der Bearbeitungsspuren der Steinwände (Glättungstechnik), des allgemeinen Eindrucks der hieroglyphischen Beschriftung und der paläographischen Form mancher Zeichen sowie der belegten Bautätigkeit an Tempel A unter Taharqa an eine Datierung in der 25. Dynastie, eventuell noch in der 26. Dynastie gedacht (Traunecker 1983, 73–74).

Textsorte
Rezitation(en)
Inhalt

Die Texte auf der Fassade sind Hetep-di-nesut-Dedikationsformeln für Amun-Re und für Mut und nennen den Bauherrn Horudja. Der einzige im Innern der Kapelle erhaltene Text ist bekannt als Spruch XIV der Metternichstele, ist jedoch kein Spruchtext im eigentlichen Sinn. Es ist eine mythologische Erzählung über das Baby Horus, das durch einen Schlangenbiss oder einen Skorpionstich vergiftet wurde und das durch Thot in Auftrag des Sonnengottes Re-Harachte mit Zauberkraft und Beschwörungen geheilt wird. Die Protagonisten der Erzählung sind Isis, Mutter des Horus, und Thot. Er fängt als Narrativ der Göttin Isis in der ersten Person Singular an und entwickelt sich dann zu Dialogen zwischen Isis und Thot. Isis ist vor ihrem Bruder Seth, dem Mörder ihres Mannes Osiris, in die Sümpfe von Chemmis geflohen und hat dort ihren Sohn Horus geboren. Eines Tages kommt sie von einem Bettelzug (?) heim und findet das Baby reglos und apathisch vor. Sie befürchtet, dass Seth dem Baby etwas angetan haben könnte, aber eine weise Frau unter den herbeigeeilten Einwohnern von Chemmis beruhigt sie und meint, dass eine andere Ursache vorliegen müsse. Isis untersucht das Baby und erkennt, dass es von einer Schlange gebissen oder einem Skorpion gestochen wurde. Sie hebt eine Klagelitanei mit dem wiederkehrenden Element „Horus wurde gebissen!“ an. Die Göttinnen Nephthys und Selkis kommen herbei und empfehlen Isis, den Sonnengott Re in der Sonnenbarke anzurufen. Isis schreit hinauf zum Himmel und verursacht so eine kosmische Störung: Die Sonne bleibt in ihrer Bahn stehen und es wird oder bleibt dunkel. Re schickt Thot hinunter auf die Erde, um nachzuschauen. Thot kann Isis beruhigen und hebt eine Schutzlitanei an mit den wiederkehrenden Elementen „Der Schutz des Horus ist XY.“ und „Der Schutz des Gebissenen (ist XY) ebenso.“ Dann ruft Thot Horus auf, aufzuwachen, und befiehlt dem Gift, aus dem Körper zu weichen. Er beschreibt oder droht mit kosmischem Chaos (es bleibt dunkel, die Gottesopfer hören auf, die Jahreszeiten kommen nicht, die Überschwemmung bleibt aus) und endet jeden Absatz mit dem Refrain „bis Horus für seine Mutter Isis geheilt ist und bis der Gebissene für dessen Mutter gleichfalls geheilt ist.“ Als es ihm so gelingt, Horus zu heilen, und er die Einwohner von Chemmis heimschicken will, bittet Isis ihn darum, dass er die Einwohner beauftragt, in Zukunft für Horus zu sorgen und über das Baby zu wachen. Nachdem Thot dies getan hat, will er zur Sonnenbarke zurückkehren. Die Geschichte endet damit, dass der anonyme Erzähler sagt, dass man Thot deshalb für seine Taten preist, weil dieser dem Sonnengott berichten kann, dass Horus lebt. Eingeflochten in die Erzählung ist die Parallele zwischen Horus und einem menschlichen Patienten, aber der Textaufbau enthält keine konkreten Hinweise, wie die Erzählung in eine Heilungsprozedur eingebunden werden muss. Der Text auf der Heilkultkapelle ist nur bis zu der Ankunft von Nephthys und Selkis erhalten.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Kapelle für Heilzwecke, welche sicherlich im öffentlich zugänglichen Vorhofsbereich des Muttempels als kleine Kammer in einer 1,50 m dicken Lehmziegelwand eingebaut war. Diese Lehmziegelwand könnte entweder eine Trennmauer zwischen dem für die Bevölkerung zugänglichen und dem sakralen Bereich des Mutbezirks, oder vielleicht die Fassade einer Dienstwohnung eines Sachmet- oder Selkis-Priesters, zuständig für Schlangenbisse und Skorpionstiche, gewesen sein. Die Kapelle wurde abgebrochen und ihre Blöcke wiederverwendet, als der Bereich zwischen Tempel A und Muttempel in der Ptolemäer- oder Römerzeit umgebaut wurde (frühestens in Zusammenhang mit dem Bau der großen Umfassungsmauer unter Nektanebo II.). Der Sphinx, in dessen Sockel der Türsturz wiederverwendet wurde, stammt wahrscheinlich von Ramses III. und wurde seinerseits ebenfalls zu einem unbekannten Zeitpunkt neu aufgestellt, zusammen mit zwei Widdersphingen unbekannter Datierung (Cabrol 2001, 259–260, 271–278). Die Gruppe von fünf Sphingen und Widdern wurde teilweise von M. Pillet in den 1920er Jahren restauriert, teilweise vom Brooklyn Museum in den Jahren 2005 und 2006 (Fazzini 2007, 107 und 114 [Abb. 10.a–b]; Fazzini 2008, 75 und 86 [Abb. 15.a–b]). Ob die Fundamente der Sockel oder des Erdreichs unter den Sockeln Indizien für die Chronologie enthalten, ist bislang nicht publiziert. Auch eine Rekonstruktion des architekturellen Ensembles, wie es sich seit den Baumaßnahmen von Taharqa präsentierte und in das die Kapelle irgendwie einzupassen ist, ist bislang nicht veröffentlicht.

Material
Nicht Organisch » Stein » Sandstein
Objekttyp
Architektur » Gebäude & Konstruktionen » Kapellen
Technische Daten

Die Kapelle war links und rechts in Lehmziegelmauerwerk eingefasst (ungeglättete Außenseiten der Blöcke), die Rückseite war sichtbar (geglättete Außenseite der Blöcke). Traunecker rekonstruiert die Kapelle mit 90 x 90 cm Innenfläche und einem Eingang von 59 cm Breite und 175 cm Durchgangshöhe. Die Außenmaße betragen 134 x 150 (Breite x Tiefe). Die Außenhöhe der wiederaufgebauten Kapelle ist bislang nicht publiziert, wird aber ca. 2,25 bis 2,30 m betragen. Der Zugang der Kapelle wurde durch eine zweiflügelige Tür verschlossen, deren obere Befestigungslöcher im Türsturz erhalten sind. In geöffnetem Zustand blieb eine Nutzfläche von 70 cm Tiefe verfügbar, auf der eine Heilstatue oder eine Horusstele aufgestellt gewesen sein wird. Traunecker rekonstruiert das Dekor der drei Innenwände als jeweils bestehend aus zehn Textkolumnen (die zehn Kol. der linken Wand sind verloren), wobei die vier linken Kolumen der Rückwand eine eigene Disposition im Bereich der repetitiven Textlitanei haben (daher nicht Kol. 17–20, sondern Kol. 17–30). Oberhalb der Textkolumnen verlief wahrscheinlich ein Bildband mit magischen Darstellungen, von dem nur wenige Reste auf der linken Wand erhalten sind (nach links orientierte Figuren, jeweils mit Beischrift). Die Fassade hat zwei Textkolumnen auf jeder Laibung und zwei Textzeilen auf dem Türsturz. Die untere Zeile des Türsturzes wurde bei der Wiederverwendung um wenige Zentimeter gekürzt.

Schrift
Hieroglyphen

Eingeschnitten.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch
Bearbeitungsgeschichte

Traunecker hat die meisten Blöcke zu einem Kapellenbau rekonstruiert, einen Plan mit Maßangaben rekonstruiert und die Inschriften publiziert, mit Zeichnungen von Françoise Le Saout (Traunecker 1983). Die Texte der Fassade, vor allem des Türsturzes, sind bislang nur in Foto zugänglich (Fazzini 2010).

Editionen

- Traunecker 1983: C. Traunecker, Une Chapelle de magie guérisseuse sur le parvis du temple de Mout à Karnak, in: Journal of the American Research Center in Egypt 20, 1983, 65–92 und Taf. 19–24.

Literatur zu den Metadaten

- Cabrol 2001: A. Cabrol, Les voies processionnelles de Thèbes, Orientalia Lovaniensia Analecta 97 (Leuven 2001).

- Fazzini 1999: R. A. Fazzini, s.v. Karnak, precinct of Mut, in: Kathryn A. Bard (Hrsg.), Encyclopedia of the Archaeology of Ancient Egypt (London/New York 1999), 399.

- Fazzini 2007: R. A. Fazzini, Report on the Brooklyn Museum’s 2006 Season of Fieldwork at the Precinct of the Goddess Mut at South Karnak, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 81, 2007, 101–115.

- Fazzini 2008: R. A. Fazzini, The Brooklyn Museum’s 2007 Season of Fieldwork at the Precinct of Mut, South Karnak, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 82, 2008, 67–87.

- Fazzini – Bryan 2021: R. A. Fazzini – B. M. Bryan, The Precinct of Mut at South Karnak. An Archaeological Guide (Cairo/New York 2021), 23–24.

- Fazzini – Peck 1981: R. A. Fazzini – W. Peck, The Precinct of Mut During Dynasty XXV and Early Dynasty XXVI: A Growing Picture, in: Journal of the Society of the Study of Egyptian. Antiquities 11/3, 1981, 115–126.

- Jansen-Winkeln 2014: K. Jansen-Winkeln, Inschriften der Spätzeit. Teil IV: Die 26. Dynastie. Band 1: Psametik I.–Psametik III. (Wiesbaden 2014), 59.

- Legrain 1916: G. Legrain, Une statue de Horoudja, Fils de Haroua, provenant de Dendérah, in: Annales du Service des Antiquités de l’Égypte 16, 1916, 159–160.

- Traunecker 1987: C. Traunecker, Une pratique de magie populaire dans les temples de Karnak, in: A. Roccati – A. Siliotti, La magia in Egitto ai Tempi dei faraoni. Atti Convegno internazionale di studi. Milano 29-31 Ottobre 1985 (Milano 1987), 221–242, hier: 221–222.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Online-Ressourcen

- Fazzini 2006: R. A. Fazzini, Report on the Brooklyn Museum’s 2006 Season of Fieldwork at the Precinct of the Goddess Mut at South Karnak (2006), 7 und 11, Abb. 10.a–b. (20.10.2022)

- Fazzini 2010: R. A. Fazzini, The Brooklyn Museum’s 2010 Season of Fieldwork at the Precinct of the Goddess Mut at South Karnak (2010), S. 13 und 37–38, Abb. 4043. (20.10.2022)

Autoren
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Fassadeninschrift

[A.1] Ein königliches Totenopfer (für) Amun-Re, den Herrn der Throne der Beiden Länder, ein Invokationsopfer von allen guten Dingen für den Ka des Erbfürsten und Grafen, des [... ...], des Leiters des Palastes, des Großen der Seher von Heliopolis, Horudja, den Gerechtfertigten.
[Er] sagt (?): ... König ... Amun ... er beugt den Arm [seiner (?)] Gottesverehrerin für (?) den Grafen, den Kammervorsteher, den Großen der Seher von Heliopolis, Horudja, den Gerechtfertigten.
[B.1] Ein königliches Totenopfer (für) Mut, [die Herrin von Ischeru (?), ... ... ...
...] der Erbfürst und Graf, [... ... ...

Götterfries (innen)

...] [C.1] jede [...], jede [..., ... ... ...], alles Gewürm [...
...] [D.1] , alles Gewürm [...

Rettung des Horus vor Schlangen- und Skorpiongift (innen)1

[1] [Ich bin Isis, die mit ihrem „Küken“ schwanger war, die guter Hoffnung war] mit dem göttlichen Horus.
Im Vogelsumpf von Chemmis2 habe ich Horus, den Sohn des Osiris, geboren.
[Darüber] freute ich mich [wirklich sehr, weil/als (?) ich den, der für seinen Vater eintritt, erblickte.]
(oder: [Darüber] freute ich mich [wirklich sehr, mit den Worten: „Ich werde den sehen, der für seinen Vater eintritt!“]).
[Ich verbarg ihn, ich versteckte] ihn aus Angst vor Jenem-dort (d.h. vor Seth).
Ich durchstreifte (das Gebiet der Stadt) Tell Nebescheh (?)3 〈unter〉 (?) den Bettlern (?), aus Angst vor dem, der [Böses/Übles] tut.
[Ich verbrachte den Tag damit, das Kind zu suchen (oder: mich nach dem Kind zu sehnen?) und für seinen Bedarf zu sorgen.
Als ich zurückgekehrt bin, um] meinen Sohn [in meine Arme zu schließen], da fand ich ihn, den schönen Horus aus Gold, das unmündige Kind [ohne] Vater, (folgendermaßen) vor: Er begoss die Häuser4 [mit dem Wasser seines Auges und mit dem Speichel seiner Lippen, sein Leib war kraftlos/müde,] sein [Herz war matt/ermattet; (und) die mt.w-Stränge/Gefäße] seines Körpers pochten (wörtl.: flatterten) nicht.

1 Ergänzt nach Metternichstele, Spruch 14 (Z. 168–251). Weiterhin als Parallele Socle Béhague, Spruch 4.

2 zš n(.j) Mḥ.w oder zš n(.j) Ꜣḫ-bj.t: Die Kombination zš Mḥ.w ist seit dem Alten Reich einige Male belegt (z.B: Saqqara, Grab des Mehu; auch Mammisi Edfou 119 = DZA 28.778.310); vgl. ein Nest im Sumpfland Unterägyptens (ẖꜣ.t n.t Tꜣ-mḥw in der Prophezeiung des Neferti). In unserem Fall ist jedenfalls das Sumpfgebiet von Chemmis gemeint, das als zš n.j Ꜣḫ-bj.t überliefert ist (Nauri-Dekret, Z. 19 = KRI I, 49.2). Weitere Belege für zš n.j Ꜣḫ-bj.t sind DZA 28.778.330 (Hatschepsut, Deir el-Bahari = K. Sethe, Urkunden der 18. Dynastie [IV,1-314], Urkunden des Ägyptischen Altertums IV/1-4 (Leipzig 1907), 239.10), DZA 28.778.350 (Magischer Papyrus Turin = pCGT 54050, Rto 4.5-6 = W. Pleyte – F. Rossi, Papyrus de Turin (Leiden 1869); S. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011)) und DZA 28.778.360 (Edfou I, 133). Wb. 3, 484.17 nennt weitere genitivische Verbindungen: „Nest von Chemmis, Nest des Falken u.ä. als Bez. des Ortes, wo Horus im Delta aufwuchs“. 

3 Jm〈ꜣ.w〉 oder Jm.t/Jm.tj/Jmm.t: Anschließend steht jm mit Stadtdeterminativ auf der Metternichstele, Jmm.t auf der Version des Mutbezirks. Die verkürzte Schreibung der Metternichstele, Spruch 14 (Z. 169) könnte eine defektive Schreibung von Jꜣmw/Jmꜣw „Tell el-Hisn“ sein, das nicht allzu weit von Chemmis/Buto entfernt liegt (so A. Klasens, A Magical Statue Base (Socle Behague) in the Museum of Antiquities at Leiden, in: Oudheidkundige mededelingen uit het Rijksmuseum van Oudheden 33 (Leiden 1952), 2, 22–34, 54–58, 81–98 und Taf. 2-5 (Spruch 4: Z. c 1–4, d 1–10, e 1–9, f 1–40, g 1). Die ausführlichere Schreibung des Mutbezirks passt besser zu der Stadt Jm.t „Tell el-Faraun/Tell Nebescheh“ im Ostdelta (so Traunecker 1983). Dann wäre Isis aus Angst, dass Seth über sie ihren Sohn finden könnte, weit weg gewandert. 

4 Auf der Metternichstele, Spruch 14 (Z. 170) steht „die Ufer“.


Ich stieß einen Schrei aus mit (den Worten): „Ich (bin es), ich (bin es)!“
[5] [(Aber) das Kind war (zu) geschwächt, um zu reagieren (wörtl.: antworten).
Die Brüste (der Isis) waren angeschwollen/überquellend; der Bauch (des Kindes) war] geleert, (und) der Mund [(des Kindes) war voller Verlangen] nach seinem Essen.
Der Brunnen war zum Überlaufen voll; (und trotzdem:) das Kind [hatte Durst.
Mein Herz wollte kommen wegen seines Schutzes (d.h. um es zu schützen).
Das Leid/Unglück] stellte sich als groß heraus: Das unmündige Kind [widersetzte sich (?)] wegen des Leidens.
(Zu) lang [war das Alleinsein (?).
Wie groß war (meine) Angst in Ermangelung von jemandem, der auf] meine Stimme [herbeikommen würde (um zu helfen)]! Mein Vater (= Geb) ist in der Unterwelt; meine Mutter (= Nut) ist im [Reich-der-Stille]; mein älterer Bruder (= Osiris) ist im Sarg; [der andere (Bruder) (= Seth) ist ein Widersacher, der fortwährend aggressiv im Herzen gegen mich ist; Die-jünger]-als-ich-ist (wörtl.: die Kleine im Vergleich zu mir = Nepththys) ist in seinem (des Bruders) Haushalt.


Zu [wem unter den Men]schen soll ich also rufen, dass [ihre Herzen sich mir daraufhin zuwenden] werden? [Ich werde also zu denen rufen, die in] den Deltasümpfen [wohnen], damit sie sich mir auf der Stelle zuwenden.
[Die tꜣḥ-Leute („Schlammmenschen“)] kamen [zu mir aus ihren [10] Häusern; sie sprangen meinetwegen auf meine Stimme hin auf.] Sie alle [trauerten/wehklagten] und (sagten): „(Wie) groß ist dein (wörtl.: mein) Schmerz!“
[(Aber) es gab dort keinen, der ihn (den Schmerz?, Horus?) mit seinem Spruch beschwören konnte.] Ein [jeder] von ihnen jammerte wirklich sehr; [(aber) es gab dort keinen Weisen, um (jemanden) wiederzubeleben.
Eine Frau kam zu mir, eine Heilerin/Wahrsagerin (wörtl.: eine Wissende) in] ihrer Stadt, eine Edelfrau an der Spitze ihres Bezirks. Sie kam zu mir, (indem) ihr Mund/Spruch (?) das Leben (in sich) trug. Sie war voller Vertrauen (wörtl.: ihr Herz war entsprechend voll) [bezüglich ihrer Sache.
Habe keine Angst, habe keine Angst, (du) Sohn, Horus! Verzweifle nicht, verzweifle nicht, (du) Gottesmutter!] Das Kind ist [unbefleckt (wörtl.: klar, hell)] vom Bösen seines Onkels (wörtl.: „Bruder“). Das Dickicht liegt versteckt; [der Tod] wird nicht hinein[gehen].


[Die Magie des Atum, des Vaters der Götter, dessen, der im Himmel ist, ist das, was dein/mein Leben ermöglicht.]
Seth wird diesen Bezirk nicht betreten; er kann Chemmis nicht durchstreifen.
Horus ist unbefleckt (wörtl.: klar, hell) [vom Bösen seines Onkels (wörtl.: „Bruder“) (= Seth). (Und) die, die in seinem (des Seth) Gefolge sind, werden ihn nicht schädigen können.
Suche die Angelegenheit (d.h. die Ursache),] [15] weswegen dieses [passiert!] (Dann) wird Horus für seine Mutter leben.
Vielleicht ist ja ein Skorpion dabei, [ihn] zu stechen, [(oder) ist eine Habgierige (Schlange) dabei, ihn zu beißen.
Isis legte ihre Nase an] seinen [Mund] und erkannte [den zugehörigen Geruch] in seinem „(Schädel)Kasten“1. Sie diagnostizierte das Leiden des göttlichen Erben, nachdem sie 〈ihn〉 ja voller Gift vorgefunden hatte.
[Sie] nahm [ihren Sohn eiligst] in die Arme [und hüpfte (?) mit ihm herum, wie Fische, die auf die Holzkohle gelegt worden sind.]

1 Dieser „Kasten“ kann sich in übertragener Bedeutung sowohl auf den Sarg als auch auf die Schädelhöhle und das Leibesinnere beziehen.


Horus wurde gebissen! (Oh) Re, dein Sohn wurde gebissen!1
Horus wurde gebissen! Horus wurde gebissen2, [der Erbe] deines Erben, der das Königtum des Schu fortführt (wörtl.: anknüpft).
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen 〉〉, [der Jugendliche] von/in Chemmis, das Kind des Fürstenhauses.
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [20] das schöne [Kind] aus Gold, der unmündige Wicht, der keinen Vater hat.
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der Sohn] des Onnophris, den Isis, die Göttin/Göttliche, geboren hat.
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der ohne Sünde/Verbrechen ist, der jugendliche Sohn der (oder: unter den) Götter(n).]
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der, dessen Bedarf ich dauerhaft einrichtete beim Anblick dessen, der für seinen Vater einstehen wird.]
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der, um den man sich (schon) im Mutterleib Sorgen machte und der (schon) im Leib seiner Mutter gefürchtet wurde.]
〈〈Horus wurde gebissen, Horus wurde gebissen〉〉, [der, auf dessen Anblick ich gewartet habe (oder: herbeigeeilt bin) und um dessentwillen ich das Leben herbeiwünschte.]

1 Die beiden Sätze finden sich auch auf Turiner magischen Papyri und auf pLeiden I 349 aus dem Neuen Reich (Synopse bei A. Roccati, Magica Taurinensia. Il grande papiro magico di Torino e i suoi duplicati, Analecta Orientalia 56 (Roma 2011), 153, § 324).

2 Dieser Satz ist horizontal über mehrere Kolumnen  eingraviert und muss jedesmal wiederholt werden.


[Der Unmündige jammerte] beim Ertrinken (d.h. wie ein Ertrinkender, in großer Not?)(oder: Der Unmündige jammerte tränenreich (wörtl.: beim voll Wasser sein)).
Wie sprachlos/ohnmächtig waren [die Betreuer/Gefährten des] Kindes!
Nun kam Nephthys weinend herbei, [ihre Schreie durchzogen] die Deltasümpfe.
Selkis (sagte): [30] [Was (ist los)? Was (ist los)?] Was ist denn mit dem Kind meiner Schwester los?

1 ḥr mḥi̯: Wird hier als Infinitiv verstanden, mit einer abgeleiteten Bedeutung von „beim Ertrinken.“ Auf dem Socle Béhague, Spruch 4 (Z. e.1) steht mḥ mit den Determinativen von „sich sorgen um“, daher „beim Sorgen, Kummer haben“.