Milchfett

Ägyptisch smj.

smj ist eine Flüssigkeit, die in medizinischen Texten von Rindern und einmal, in Eb 642, von „einer (Frau), die einen Knaben geboren hat“, vorkommt. Laut Eb 642 = H 111 entsteht es folgendermaßen: „Milch (...) werde stehen gelassen (...), damit/bis dessen smj entsteht“ (r ḫpr smj jr.j).

H. Brugsch, Hieroglyphisch-demotisches Wörterbuch. Bd. IV (Leipzig 1868), 1227-1228, der nur smj vom Rind kannte, glaubte, dass es Galle sei. L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1-63, hier 39a legt sich apodiktisch, wenn auch sicher durch Eb 642 beeinflusst, auf „flos lactis“, d.h. „Rahm, Sahne“, fest. In einer Liste mit Lieferungen für den Tempel erscheint smj in pChester Beatty V, Rto., 8,11 nach zwei verschiedenen Sorten Olivenöl (bꜣq), frischem ꜥḏ-Fett und vor mrḥ.t-Öl/Fett genannt; in pAnastasi IV, Rto. 15,10 wird es in einer Liste mit Produkten für den Königsaufenthalt nach Honig, Olivenöl (dort nḥḥ), ꜥḏ-Fett der Gans und vor sfṯ-Öl genannt. In pHarris I, 15a3-9 und 63c,10-64a,1 erscheint es erneut nach Honig, drei Sorten von nḥḥ-Olivenöl, zwei Sorten von ꜥḏ-Fett; in letzterer Stelle folgt auf smj noch sfṯ-Öl. Vergleichbare Kombinationen nennen noch drei weitere ramessidische Texte; in pTurin 1888, 1,1 dient es ferner dazu, Lampen auszuschmieren; s. die Zusammenstellung und Diskussion bei B. Koura, Die „7-Heiligen Öle“ und andere Öl- und Fettnamen. Eine lexikographische Untersuchung zu den Bezeichnungen von Ölen, Fetten und Salben bei den alten Ägyptern von der Frühzeit bis zum Anfang der Ptolemäerzeit (von 3000 v.Chr. - ca. 305 v.Chr.), Aegyptiaca Monasteriensia 2 (Aachen 1999), 199-201. Als Bedeutung für die Belege im pHarris I gibt K. Piehl, Dictionnaire du Papyrus Harris no. 1, publié par S. Birch, d'après l'original du British Museum (Vienne 1882), 80 ebenso apodiktisch „beurre“. In den Bearbeitungen der medizinischen Texte hat sich dagegen Sterns „Sahne, Rahm“ lang gehalten, so pars pro toto bei B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 39: „fresh cream“. Dagegen wenden sich H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 439: „Aber Sahne aus Frauenmilch hergestellt ist schwer vorstellbar. Es handelt sich wohl eher um eine durch stehenlassen dick gewordene Milch.“ Bestätigung hierin findet DrogWb im Rezept H 111, der Paralelle von Eb 642, wo dem smj noch Salz zugegeben werden soll, „das den Gerinnungsvorgang beschleunigt“. Auch R. Germer, Sauermilch, in: W. Helck – W. Westendorf (Hrsg.), Lexikon der Ägyptologie. Bd. V. Pyramidenbau-Steingefäße (Wiesbaden 1984), 494-495, s.v. „Sauermilch“ lehnt die Bedeutungen „Sahne“ und „crème“ ab und sieht in smj, vergleichbar zum DrogWb, das ägyptische Wort für „Sauermilch“; die Zugabe von Salz, wie in H 111, bewirke ihr zufolge, dass „quantitativ mehr Eiweiß und Fett aus der Milch ausgeflockt werde“. J. Černý, The Valley of the Kings. Fragments d’un manuscrit inachevé, Bibliothèque d’étude 61 (Le Caire 1973), 45 mit Anm. 7 [non vidi, s. P. Grandet, Le Papyrus Harris I (BM 9999), Bibliothèque d’étude 109 (Le Caire 1994), Bd. 2, 81, Anm. 293) vermutet aufgrund der Verwendungsweise von smj darin eher das Wort für Butter, womit er Piehls alten Vorschlag wieder aufgreift. Diesem Vorschlag folgt auch Grandet, a.a.O., der diese Übersetzung aber immerhin mit Fragezeichen versieht (vgl. Bd. 1, S. 243). Koura, a.a.O. vergleicht das Wort mit hebräisch und akkadisch šmn und arabisch سمن (samn), was sie als „gesalzene verdunstete Butter“ wiedergibt. Sie gibt aber zu bedenken, dass die Quellenlage keine Auskunft darüber erlaubt, ob die Ägypter sprachlich und sachlich überhaupt zwischen verschiedenen fetthaltigen Milchprodukten unterschieden. Zumindest Butter im heutigen (deutschen) Wortsinn ist allerdings auszuschließen, denn diese entsteht unter Zerschlagen des Rahms, dem Buttern, wohingegen laut Eb 642 smj allein dadurch entsteht, dass Milch stehengelassen wird. R.-A. Jean – A.-M. Loyrette, La mère, l’enfant et le lait en Egypte ancienne. Traditions médico-religieuses. Une étude de sénologie égyptienne (textes médicaux des papyrus Ramesseum nos III et IV), Collection KUBABA, Série Antiquité (Paris 2010), 156-157 übersetzen in ihrer Besprechung von Eb 642 smj konkret mit „surnageat“, einem biologischen Terminus technicus. Dabei handele es sich nicht einfach nur um Sauermilch, sondern um die unregelmäßigen Inselchen von leicht bläulich schimmernde Milchhaut, die sich auf der Milch bildet und abgeschöpft werden kann, „une forme intermédiaire de demi-vie courte d’un produit humain“. Ob aber die Ebers-Stelle wirklich eine derart präzise und semantisch eingeschränkte Übersetzung des Begriffes zulässt, ist fraglich. Es scheint wohl eher angebracht, mit Koura an ein allgemeineres „Milchfett“ zu denken.

Dr. Lutz Popko