Gänsefett

Fett eines nicht genau identifizierbaren Vogels, vielleicht der Gans. Weiterlesen...

Die hier gewählte Übersetzung gibt die beiden ägyptischen Drogennamen mrḥ.t + Vogel sowie ꜥḏ + Vogel wieder. Diese beiden Drogen mrḥ.t wie auch ꜥḏ, die beide Öl und/oder Fett bezeichnen können, kommen in den medizinischen Texten in Kombination mit einem logographisch geschriebenen Vogel vor (Gardiner Sign-list G38, die Blässgans, in älteren Texten, G41, die landende Spießente, in jüngeren Texten). Letzterer ist in der Regel ohne weitere Zusätze geschrieben, in Eb 5, Bln 155 und Bln 158 mit zusätzlicher Pluralmarkierung, gelegentlich mit Ideogramm- oder Füllstrich. Beide Drogen, Vogel-mrḥ.t und Vogel-ꜥḏ, werden ähnlich verwendet und können auch füreinander eintreten, vgl. H. Grapow – H. von Deines, Wörterbuch der ägyptischen Drogennamen, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VI (Berlin 1959), 120, 268-269 und 606-607. Die genaue Lesung des logographischen Vogels ist allerdings unsicher.
In den medizinischen Texten kommt Vogel-ꜥḏ nur in dieser abgekürzten Schreibung vor. Außerhalb der medizinischen Texte gibt es auch noch ꜥḏ-Fett von der -Gans (pHarris I, 15a,8 und 63c,15) sowie von der sr(j)-Gans (pAnastasi IV, 15,10 und oGardiner 25, Zl. 6). Den Anastasi-Beleg nennt auch J.W.B. Barns, Five Ramesseum Papyri (Oxford 1956), 26, Kommentar zu Kolumne C,8, wo er mit Verweis auf Gardiner vorschlägt, den mit dem logographischen Vogel geschriebenen Beleg im pRamesseum IV ebenfalls ꜥḏ sr zu lesen.
Vogel-mrḥ.t gibt es in den medizinischen Texten auch noch von njw: „Strauß“, von s.t: „Spießente“, dem gn.w: „Pirol“ und der ṯrp-Gans (s. DrogWb, 259). Insgesamt sieht jedoch DrogWb, 607 keinen Grund, dass die logographische Schreibung eine Abkürzung für eine dieser spezifischeren Drogennamen ist, und spricht sich auf S. 606 dafür aus, den Vogel vielmehr als Abkürzung für das generische Wort ꜣpd: „Vogel“ zu interpretieren – hauptsächlich deswegen, weil die koptische Medizin die Drogenbezeichnung ⲱⲧ ⲛ̄ ⲱⲃⲧ̄ < ꜥḏ n ꜣpd kennt. (NB: Darauf verweist bereits L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1-63, hier 11, der trotzdem als Lesung ꜥḏ s.tvorschlägt, die einzige Kollokation, die bislang nicht belegt ist. Für Vogel-mrḥ.t schlägt er ebd., 24, die Lesungen mrḥ.t s.t oder mrḥ.t rʾ vor; G. Ebers, Papyrus Ebers. Die Maasse und das Kapitel über die Augenkrankheiten. I. Die Gewichte und Hohlmaasse des Papyrus Ebers; II. Das Kapitel über die Augenkrankheiten im Papyrus Ebers. T. LV,2 - LXIV,13. Umschrift, Übersetzung und Commentar, Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 11 (Leipzig 1889), 205 (und passim) entscheidet sich für mrḥ.t s.t.) Für den Vorschlag vom DrogWb spricht wohl auch der Wechsel der Schreibung (G38 > G41) vom Mittel- zum Neuhieratischen, die dem normalen Formenwechsel des generischen Vogelklassifikators entspricht (s. A.H. Gardiner, The Transcription of New Kingdom Hieratic, in: Journal of Egyptian Archaeology 15, 1929, 48-55, hier 52) und zeigen könnte, dass das Zeichen tatsächlich eine Abkürzung für das generische Wort für „Vogel“ ist.
Neben der Lesung ist auch die Bedeutung zu klären. Die gängige Eingrenzung auf Gänsefett (H. Joachim, Papyros Ebers. Das älteste Buch über Heilkunde (Berlin 1890); B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937); G. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne de l’époque pharaonique (Paris 1956); H. von Deines – H. Grapow – W. Westendorf, Übersetzung der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter IV.1 (Berlin 1958); T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique, Penser le médecine (Paris 1995); W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999)) dürfte jedenfalls in erster Linie reine Konvention sein und geht vielleicht auf Georg Ebers selbst zurück, der in G. Ebers, Papyrus Ebers. Die Maasse und das Kapitel über die Augenkrankheiten. I. Die Gewichte und Hohlmaasse des Papyrus Ebers; II. Das Kapitel über die Augenkrankheiten im Papyrus Ebers. T. LV,2 - LXIV,13. Umschrift, Übersetzung und Commentar, Abhandlungen der Philologisch-Historischen Klasse der Königlich-Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften 11 (Leipzig 1889), 205 (und passim) mit „Gänseschmalz“ übersetzt (obwohl gerade für die Vogelart s.t, die er als Lesung ansetzt, bereits zu seiner Zeit auch eine Identifikation als Ente diskutiert wurde, s. hier [letzter Zugriff: 26.01.2017]). Wenn man den logographischen Vogel ꜣpd liest, sollte dann unspezifisches Vogelfett gemeint sein, d.h. Fett eines beliebigen Vogels? Oder ist doch das Fett eines spezifischeren Vogels gemeint? Ursprünglich scheint das Wort ꜣpd wohl eine Ente bezeichnet zu haben (R.O. Faulkner, ꜣpd = „duck“, in: Journal of Egyptian Archaeology 38, 1952, 128, hier 128) und wurde (ob als prototypischer Vogel schlechthin?) durch Bedeutungserweiterung zum Terminus für „Vogel“. Ökonomisch betrachtet scheinen jedoch in Ägypten eher Gänse als prototypische Vögel gegolten zu haben. Zumindest scheint eher die Gans als die Ente der generische Klassifikator für Vögel zu sein (s. Gardiner Sign-list G38 und G39). Das ins Mittlere Reich zu datierende Ramesseumsonomastikon beginnt außerdem die Sektion zu den Vögeln mit Gänsenamen, konkret mit der -Gans (A.H. Gardiner, Ancient Egyptian Onomastica. Vol. III (Oxford 1947), Taf. 1A). Im Demotischen und Koptischen konnte das Wort ꜣpd: „Vogel“ schließlich über eine Bedeutungseinengung konkret auch die Gans bezeichnen, W. Erichsen, Demotisches Glossar (Kopenhagen 1954), 29, W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 289. Das koptische ⲱⲧ ⲛ̄ ⲱⲃⲧ̄ kann also konkret „Gänsefett“ sein; und unter Berücksichtigung des Ramesseumsonomastikons könnte man vielleicht für die medizinischen Texte des Neuen Reiches ähnliches annehmen, zumal unter den Fetten, als deren Herkunft spezifischere Vögel genannt werden (s. oben), Fette von Gänsearten dominieren. Das heißt, die Droge ist zwar als „Vogelfett“ zu lesen, aber es ist vielleicht „Gänsefett“ als das „Vogelfett“ par excellence gemeint.

Von Bedeutung für die Identifikation dieser Droge könnte das Rezept Eb 209 sein. Dort hatte der Schreiber den Vogel zunächst logographisch mit der Gans und einem Logogrammstrich geschrieben worden. Später sind die Phonogramme z und tin Rot nachgetragen worden. Damit liegt in Eb 209 eine von nur zwei Stellen vor, in denen mrḥ.t der Spießente genannt wird (die andere ist Eb 368), und nur eine von drei Stellen, in denen überhaupt dieser Vogel genannt wird (Eb 684 nennt noch einen sḫt-Teil der Spießente). Angesichts der Tatsache, dass die phonetische Schreibung in Eb 209 eine spätere Korrektur darstellt, fragt sich, ob diese Stelle zur Identifizierung desjenigen Fettlieferanten beiträgt, der allein mit dem logographischen Vogel geschrieben wurde. Die Korrektur in Eb 209 ließe sich auf drei verschiedene Weisen interpretieren:

  1. Der logographisch geschriebene Vogel ist tatsächlich unspezifisch als Gattungsbezeichnung zu verstehen; es kann in diesen Fällen Fett eines beliebigen Vogels genommen werden, auch der Spießente. So hält es schon DrogWb, 419 für denkbar, dass „wenigstens in einem Teil der Stellen“, wo der Vogel nur logographisch geschrieben ist, wirklich „mrḥ.t s.t zu lesen sein könnte“. In Eb 209 und 368 erschien es dem Schreiber dann allerdings notwendig, andere Vogelfette auszuschließen und spezifisch Spießentenfett zu verschreiben, die Auswahl also einzuschränken. Dazu hat er in Eb 209 die Phonogramme nachgetragen und in Eb 368 den Vogelnamen von Anfang an phonetisch geschrieben.
  2. Der logographisch geschriebene Vogel meint dezidiert nicht die Spießente, sondern einen anderen, noch zu spezifizierenden Vogel. Das Spießentenfett von Eb 368 ist demnach klar etwas anderes als das Fett des logographisch geschriebenen Vogels, und Eb 209 ist als Korrektur einer Drogenbezeichnung in eine andere Drogenbezeichnung zu werten.
  3. Das Gegenteil von Interpretation (2): Der sonst nur logographisch geschriebene Vogel ist immer s.t zu lesen, und aus irgendeinem unbekannten Grund fühlte sich der Korrektor ausgerechnet in Eb 209 veranlasst, die logographische Schreibung zu glossieren. Ein zweites Mal wäre ihm dann eine Pleneschreibung in Eb 368 aus der Feder geflossen. Diese Möglichkeit (3) soll nur der Vollständigkeit halber genannt werden und ist zugegebenermaßen die unwahrscheinlichste.

Eine letzte Sache betrifft die genaue Lesung des Hieratischen in Eb 209. Mit Wreszinski und DrogWb wurde der Vogel s.t transkribiert. Die hieratische Zeichenform ließe jedoch auch ein r anstelle eines t für möglich erscheinen. Dann läge bei diesen Stellen eigentlich eine Schreibung der sr-Gans vor; das zuvor Diskutierte wäre entsprechend auf den sr-Vogel zu übertragen.

Dr. Lutz Popko