Dja

1 (NR-)Dja = 300 ccm.

Für die Lesung des hieratischen Zeichens Dja-Mass.png (in der Literatur aus pragmatischen Gründen manchmal vereinfachend mithilfe des +-Zeichens wiedergegeben) als Abkürzung für die Einheit 1 Dja, und für das Dja als Standardmaßeinheit vordemotischer medizinischer Texte, s. etwa T. Pommerening, Neues zu den Hohlmassen und zum Medizinalmasssystem, in: S. Bickel – A. Loprieno (Hrsg.), Basel Egyptology Prize 1. Junior Research in Egyptian History, Archaeology, and Philology (Basel 2003), 201–219; Dies., Altägyptische Rezepturen metrologisch neu interpretiert, in: Berichte zur Wissenschaftsgeschichte 26 (1), 2003, 1–16; oder Dies., Healing Measures. Dja and Oipe in Ancient Egyptian Pharmacy and Medicine, in: R. David – J. Cockitt (Hrsg.), Pharmacy and Medicine in Ancient Egypt. Proceedings of the Conferences Held in Cairo (2007) and Manchester (2008), BAR International Series 2141 (Oxford 2010), 132–137.
Das Dja-Maß bezieht sich auf das Scheffelmaß Hekat, d.h. im Mittleren Reich auf das einfache oder das doppelte Hekat, in den medizinischen Texten vermutlich auf das einfache Hekat. Das Dja des Neuen Reiches und damit auch der „großen“ medizinischen Handschriften, wie dem Papyrus Ebers, Papyrus Hearst oder Papyrus Berlin P. 3038, bezieht sich auf das Vierfach-Heqat = die Oipe (19,2 Liter). Daher ist 1 NR-Dja = 1/64 Oipe = 300 ccm, s. T. Pommerening, Die altägyptischen Hohlmaße, Studien zur Altägyptischen Kultur, Beihefte 10 (Hamburg 2005), 267-268 und die oben genannte Literatur.
Das Maßsystem der medizinischen Texte des Neuen Reiches stellt sich damit wie in der folgenden Tabelle dar:

Bruchreihen.png 
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Das Zeichenset der Reihe (a) ist dasselbe, mit dem auch der Scheffel bemessen wurde, und wird daher in hieroglyphischen Transliterationen der hieratischen medizinischen Texte traditionell mit den Bestandteilen des Horusauges wiedergegeben. Während in der Literatur regelmäßig ein linkes Auge abgebildet wird, wird es hier gespiegelt, um den Abgleich mit transkribierten hieratischen Texten zu erleichtern, die der Schriftrichtung des Hieratischen gemäß in neueren Edition von rechts nach links geschrieben sind:

Udjatauge.png                         Udjatauge_hieratisch.png

Hieroglyphisch sind die Teile des Horusauges allerdings erst im Neuen Reich belegt, und die Gleichsetzung mit den älteren hieratischen Zeichen ist wohl nur sekundär (für eine Zusammenfassung der Diskussion s. J. Ritter, Closing the Eye of Horus. The Rise and Fall of „Horus-eye Fractions“, in: A. Imhausen – J. M. Steele (Hrsg.), Under One Sky. Astronomy and Mathematics in the Ancient Near East, AOAT 297 (Münster 2002), 297–323). Besonders die Brüche für 1/2 und 1/16 zeigen keine Ähnlichkeit mit dem Hieroglyphischen, sondern wirken sogar so, als wäre die Position der Augenwinkel miteinander vertauscht.

Das Zeichenset der Reihe (b) besteht aus ganz normalen Bruchzahlen.

Diese unterschiedliche Notation der Brüche, und das unklare Bezugssystem v.a. der Reihe (b) hat lange Zeit die Analyse der Rezeptmengen erschwert. Ältere Umrechungen sind im Grunde seit der Analyse von Pommerening obsolet. Das betrifft zunächst das Scheffelmaß selbst: Schon sehr früh wurde erkannt, dass die hieratischen Zeichen der Reihe (a) Äquivalente eben der Bestandteile des Horusauges waren und damit grundsätzlich dem Scheffelmaß „Hekat“ entsprachen. Allerdings wurden die so geschriebenen Brüche der medizinischen Texte bislang stets auf das einfache Hekat bezogen, während Pommerening herausarbeitete, dass dies nur für die medizinischen Texte des Mittleren Reiches zutrifft (s. dazu auch den Eintrag zum MR-Dja), während sich das Dja des Neuen Reiches auf das vierfache Hekat und damit die vierfache Menge bezieht.
Das Bezugssystem der Reihe (b) und damit das Verhältnis zwischen den Reihen (a) und (b) stellte lange Zeit ein Problem dar. Aus den Aufgaben 66 und 88 des mathematischen Papyrus Rhind ergibt sich die Gleichung 1 Hekat = 10 Hin = 320 Ro; daraus folgt: 1/64 Hekat = 5 Ro (kurioserweise auch in deutschen Übersetzungen meist klein geschrieben: „ro“, wohingegen das Hin-Maß, deutschen Rechtschreibregeln entsprechend, groß geschrieben wird: „Hin“). Die Verhältnisse der Maße zueinander wurden dagegen lange kontrovers diskutiert:

  • In der grundlegenden Arbeit zum Maßsystem speziell des Papyrus Ebers und generell der medizinischen Texte (F.L. Griffith, The Metrology of the Medical Papyrus Ebers, in: Proceedings of the Society of Biblical Archaeology 13, 1891, 392–406 und 526–538) schlug Griffith (S. 396-397) vor, die Reihe (a) auf das Hekat und die Reihe (b) auf das Hin zu beziehen. Über den mathematischen Papyrus Rhind, Nr. 80-81, ergibt sich zudem die Gleichung 1 Hekat = 10 Hin = 320 Ro, so dass man die Reihen (a) und (b) letztlich miteinander korrelieren könne; und laut Griffith ergänzen sie sich dergestalt, dass die Reihe (a) Teile und Vielfache von 5 Ro liefert (2,5, 5, 10, 15 usw.) und Reihe (b) eine dyadische Folge des Ro (2, 4, 8, 16 usw.).
    Dem Bezug auf das Hin folgt B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 16; und noch W. Westendorf, Grammatik der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter VIII (Berlin 1962), § 161 favorisiert diesen Ansatz, wenn er auch den Ansatz von Grundriß der Medizin IX schon nennt.
  • Im Jahr 1958 waren die Mitarbeiter des Berliner Wörterbuches noch unsicher, wie sich die Reihen (a) und (b) zueinander verhalten (vgl. H. von Deines – H. Grapow – W. Westendorf, Übersetzung der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter IV.1 (Berlin 1958), vi). Während die Reihe (a) im Grundriß der Medizin IV/1 in „ro“ umgerechnet wird, wird die Reihe (b) als reine Stammbrüche ohne Einheit wiedergegeben. Im Jahr 1973 schlagen dann H. von Deines – H. Grapow – W. Westendorf, Ergänzungen. Drogenquanten, Sachgruppen, Nachträge, Bibliographie, Generalregister, Grundriß der Medizin der alten Ägypter IX (Berlin 1973), 4-5 vor, in den 1/64 Hekat = 5 Ro das Standardmaß der medizinischen Texte zu sehen. Grundlage dafür bildet, dass schon K. Sethe, Von Zahlen und Zahlworten bei den alten Ägyptern und was für andere Völker und Sprachen daraus zu lernen ist. Ein Beitrag zur Geschichte von Rechenkunst und Sprache, Schriften der Wissenschaftlichen Gesellschaft in Straßburg 25 (Straßburg 1916), 81 und A.H. Gardiner, Egyptian Grammar Being an Introduction to the Study of Hieroglyphs 3(Oxford 1957 (Repr. 2001)), § 266, S. 198 schreiben, dass das Ro mithilfe der normalen Stammbrüche unterteilt würde, also genau so, wie die Brüche der Reihe (b) aussehen. Hauptargument des Grundrisses war jedoch, dass bei einem Bezug auf Hekat oder Hin in Mitteln, die getrunken werden sollen, das Verhältnis von festen zu flüssigen Bestandteilen nicht stimmen würde. Die denkbare, noch kleinere Einheit von 1 Ro als Bezugsmaß schließt der Grundriß wiederum aus, weil dann „der kleinste Bruch von 1/64 ro praktisch wohl kaum meßbar gewesen ist.“ Außerdem würde sich so die Bruchreihe der Scheffelmaße logisch fortsetzen.
  • W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999) will schließlich die Reihe (b) nicht auf 5 Ro, sondern auf das kleinere 1 Ro beziehen; in dem oft vorkommenden „Einerstrich“ sieht er zum einen eine Verkürzung von Dja-Mass.png zu einem senkrechten Strich, alias „5 Ro“, daneben aber auch eine Schreibung für „1 Ro“, was im mathematischen Papyrus Rhind Ro1_hierat_1.png und Ro1_hierat_2.png geschrieben ist (G. Möller, Hieratische Paläographie. Die ägyptische Buchschrift in ihrer Entwicklung von der fünften Dynastie bis zur römischen Kaiserzeit. Bd. 1. Bis zum Beginn der achtzehnten Dynastie (Osnabrück 1965 (= 1927)), Nr. 714). (NB: Diese Belegung des Striches mit doppelter Bedeutung veranlasst ihn, im Rezept Eb 119 zwei verschiedene Maße als Alternative anzugeben.) Die Fälle, in denen 2, 3 oder 4 Einerstriche geschrieben sind, interpretiert er als Abkürzung für die entsprechenden Maße „2 ro“, „3 ro“ und „4 ro“. Unterstützung sieht er durch ein Set von Messbechern, das sich mit diesen Maßen deckt (vgl. dagegen Pommerening, in: Beiträge zur Wissenschaftsgeschichte 26/1, 5).
  • Die französischsprachigen Editionen tendierten meist dazu, die Reihe (b) auf das Hekat zu beziehen, also in der Reihe (a) und (b) nur unterschiedliche Notationen desselben Maßsystems zu postulieren: So zuerst F. Jonckheere, Le papyrus médical Chester Beatty, La médecine égyptienne 2 (Bruxelles 1947), 60, später G. Lefebvre, Essai sur la médecine égyptienne de l’époque pharaonique (Paris 1956), 61 (vgl. auch seine Grammaire de l’égyptien classique, Bibliothèque d’étude 12 (Le Caire, 2. Auflage, 1955), § 213bis [noch nicht in der 1. Auflage von 1940]); beide schreiben indifferent 1/x. Jonckheere setzt zusätzlich die Umrechnung in Ro dahinter. S. Sauneron, Un traité égyptien d’ophiologie. Papyrus du Brooklyn Museum No. 47.218.48 et .85, Bibliothèque générale 11 (Le Caire 1989), 196-197 bezieht ebenfalls beide Reihen auf das Hekat und vermutet in Reihe (a) das Notationssystem für Flüssigmaße und in Reihe (b) das Äquivalent für Raummaße. Auch T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique, Penser le médecine (Paris 1995) bezieht beide Reihen auf das Hekat. Seine Fließübersetzung scheint zwar noch eine ähnliche Unsicherheit wie im Grundriß der Medizin IV/1 widerzuspiegeln und rechnet nur die Reihe (a) in die Maßeinheit Ro um, während die Reihe (b) ebenfalls ohne Einheit bleibt. Doch zeigt seine Einleitung, S. 29, dass er die so geschriebenen Brüche auf das Hekat umrechnet.
    Erst B. Lalanne – G. Métra, Le texte médical du Papyrus Ebers. Transcription hiéroglyphique, translittération, traduction, glossaire et index, Langues et cultures anciennes 28 (Bruxelles 2017), 264 brechen mit der französischsprachigen Tradition und beziehen Reihe (b), wohl implizit Westendorf folgend, auf 1 Ro.

Zusammenfassend stellt sich damit das favorisierte Bezugssystem der Reihe (b) so dar*:
Grundriss_Medizin__9__Ergaenzungen-7.png [zum Vergrößern hier klicken]

[*nach Grundriß der Medizin IX, 5. NB: Die zum Dja gegebenen Umrechnungswerte sind durch die von Pommerening gegebenen zu ersetzen; s. dazu die obere Tabelle.]

Dr. Lutz Popko