bjbj-Schädigung

bjbj: In pEbers 1,6 (Eb 1) mit dem Mann mit der Hand am Mund klassifiziert, im pHearst (H 78; pHearst 6,9) mit dem sogenannten „schlechten Paket“ und Pluralstrichen. Ein sonst unbekanntes Wort. Im pEbers steht es in syntaktischer Parallele zu ẖnn m jwf=j pn und ist damit substantivisch; im pHearst steht es unmittelbar hinter ẖnn und könnte dort also sowohl substantivisch (in Koordination, als Apposition oder als Nomen rectum) als auch adjektivisch (als Attribut) gebraucht worden sein. Übersetzungen dieses Spruches basieren in der Regel auf pEbers.
Es gibt folgende Übersetzungsvorschläge:

(1) „feebleness (?)“ (B. Ebbell, The Papyrus Ebers. The Greatest Egyptian Medical Document (Copenhagen, London 1937), 29).

(2) „Dumpfheit“ (H. von Deines – H. Grapow – W. Westendorf, Übersetzung der medizinischen Texte, Grundriß der Medizin der alten Ägypter IV.1 (Berlin 1958), 308).

(3) „Hineinplatzen (?)“ (H.-W. Fischer-Elfert, Pap. Ebers Nr. 1-3. Reflexion eines altägyptischen Heilers über seine Initiation? in: H.-W. Fischer-Elfert (Hrsg.), Papyrus Ebers und die antike Heilkunde. Akten der Tagung vom 15.-16.3.2002 in der Albertina/UB der Universität Leipzig, Philippika 7 (Wiesbaden 2005), 133–147, hier 137).

(4) „gnawing“ (J.F. Borghouts, Ancient Egyptian Magical Texts. Translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 45); „s’enfoncer, mordre (dans les chairs)“ (D. Meeks, Année lexicographique. Égypte ancienne. Tome 2. 1978 (Paris 1981), 78.1285); „en rongeant“ (T. Bardinet, Les papyrus médicaux de l’Égypte pharaonique, Penser le médecine (Paris 1995), 40); „Beißen“ (W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I.36 (Leiden 1999), 547).

(5) B. Lalanne – G. Métra, Le texte médical du Papyrus Ebers. Transcription hiéroglyphique, translittération, traduction, glossaire et index, Langues et cultures anciennes 28 (Bruxelles 2017), 11 verzichten auf eine Übersetzung und schreiben nur „le (mal-)bibi“.

Bedeutung (1) scheint nur geraten.

Bedeutung (2) basiert auf K. Sethe, Erläuterungen zu den ägyptischen Lesestücken. Texte des Mittleren Reiches (Leipzig 1927), zu 47,9, der bjbj mit koptisch ⲃⲁⲁⲃⲉ: „dumm sein; verachten“ vergleicht – eine Vermutung, die letztlich schon auf L. Stern, Glossarium, in: G. Ebers (Hrsg.), Papyros Ebers. Das hermetische Buch über die Arzeneimittel der alten Ägypter in hieratischer Schrift. Vol. 2 (Leipzig 1875), 1–63, hier 11 zurückgeht: „cf. ⲃⲁⲃⲉ, vanus, loquax, insipidus“; vermutlich über loquax kommt Stern für bjbj auf den Vorschlag „incantare“. H. von Deines – W. Westendorf, Wörterbuch der medizinischen Texte. Erste Hälfte (r), Grundriß der Medizin der alten Ägypter VII.1 (Berlin 1961), 243–244 erwähnt Sethes Vorschlag, distanziert sich jedoch davon, indem es das Lemma nur als „[Krankheit]“ bezeichnet. Zwar verweist MedWb auch auf das koptische ⲃⲁⲁⲃⲉ, aber mit der Bemerkung, dass dieses bei W. Spiegelberg, Koptisches Handwörterbuch (Heidelberg 1921), 15 auf ꜥbꜥb zurückgeführt wird. Tatsächlich erwähnt Spiegelberg bjbj nicht. Dessen ungeachtet findet sich bei W. Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte (Leuven 1983), 25 und bei W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 20, jeweils s.v. ⲃⲁⲁⲃⲉ, neben ꜥbꜥb noch ein Verweis auf bjbj.

Bedeutung (3) ist an einen Vorschlag von J. Osing, Rez. zu: J. Černý, Coptic Etymological Dictionary, Cambridge 1976, in: Journal of Egyptian Archaeology 64, 1978, 186–189, hier 187 angelehnt. Dort schlägt Osing für das Verb bjbj der Sargtexte (R. van der Molen, A Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, Probleme der Ägyptologie 15 (Leiden 2000), 118; mit unvollständiger Schreibung, denn das Wort ist beide Male mit dem Messer klassifiziert) eine Bedeutung „burst in or sim.“ vor. Ferner vermutet er, vergleichbar zum Wb 1, 44.10, im bjbj der medizinischen Texte eine Ableitung davon. Osings Vorschlag zur Bedeutung des bjbj der Sargtexte wiederum basiert vielleicht nur auf seinem Vergleich mit dem Verb bb (A. de Buck, The Egyptian Coffin Texts III. Texts of Spells 164-267, Oriental Institute Publications 64 (Chicago 1947), 98g; R. van der Molen, A Hieroglyphic Dictionary of Egyptian Coffin Texts, Probleme der Ägyptologie 15 (Leiden 2000), 120). Für Letzteres steht einmal die Variante ḫnd: „treten, gehen“, weshalb bb trotz seiner Klassifizierung wohl ein Bewegungsverb ist.

Worauf Bedeutung (4) zurückgeht, ist unbekannt. Als Hypothese könnte geäußert werden, dass sie letzten Endes ebenfalls auf dem bjbj der Sargtexte beruht, das einmal mit dem Wort ḫꜣb.w mit Zahnklassifikator wechselt. Dessen genaue Bedeutung ist aber unklar: R.O. Faulkner, The Ancient Egyptian Coffin Texts. Vol. II. Spells 355-787 (Warminster 1977), 180 übersetzt es mit „the toothless one“, womit nach 181, Anm. 14 der Verstorbene als Neugeborenes zu sehen wäre. Das bjbj der Variante dagegen „cannot be explained“. D. Meeks, Année lexicographique. Égypte ancienne. Tome 2. 1978 (Paris 1981), 78.2932 schreibt zu ḫꜣb.w: „le mot paraît bien signifier ‚nouveau-né‘“, greift also Faulkners Idee auf. Auf dieser Parallele basiert dann auch Meeks’ Bemerkung zum Lemma bjbj, AL 78.1286: „subst pour désigner l’enfant dans le sein de sa mère“.

Denkbare weitere Kognaten oder Derivate von bjbj sind folgende:

- In Tb 133, Kol. 3 in der Version pTurin 1791 gibt es ein Wort bjb, mit einem kleinen Kreis klassifiziert, das als Attribut oder Apposition der Organbezeichnung bsk genannt wird (s. R. Lepsius, Das Todtenbuch der Ägypter. Nach dem hieroglyphischen Papyrus in Turin (Leipzig 1842), Taf. 54). Ob der Kontext eine Verbindung dieses bjb mit dem bjbj des pEbers erlaubt, ist unbekannt.

- An möglichen neuägyptischen Ableitungen des bjbj der Sargtexte Ableitungen erwähnt Osing, a.a.O. das bꜣbꜣ.y des pGeneva MAH 15274, Rto. V. 2, das in Verbindung mit dem Herzen erscheint. Für dieses bꜣbꜣ.y schlägt A. Massart, The Egyptian Geneva papyrus MAH 15274, in: Mitteilungen des Deutschen Archäologischen Instituts, Abteilung Kairo 15, 1957, 172–185, hier 178, Anm. 7 einen Zusammenhang mit koptisch ⲃⲉⲉⲃⲉ („hervorsprudeln; aufwallen“) vor und erwägt Übersetzungen wie „his heart welling up“, „his heart being poured forth“ und in der Hauptübersetzung dann „his heart melted (?)“. Die Verbindung von bꜣbꜣ.y mit ⲃⲉⲉⲃⲉ findet sich dann, Massart folgend, auch bei J. Černý, Coptic Etymological Dictionary (Cambridge 1976), 20 (Černý folgend wiederum bei W. Vycichl, Dictionnaire étymologique de la langue copte (Leuven 1983), 25) und W. Westendorf, Koptisches Handwörterbuch, 2. Auflage (Heidelberg 2008), 492. C. Leitz, Auseinandersetzung zwischen Baba und Thoth, in: H. Behlmer (Hrsg.), … Quaerentes scientiam. Festgabe für Wolfhart Westendorf zu seinem 70. Geburtstag überreicht von seinen Schülern (Göttingen 1994), 103–117, hier 112 mit Anm. 57 erwähnt ebenfalls Massarts Vorschlag und übersetzt bꜣbꜣ.y mit „(sein Herz) war in Aufwallung“. Auch W.A. Ward, The Four Egyptian Homographic Roots B-ꜣ. Etymological and Egypto-Semitic Studies, Studia Pohl. Series Maior 6 (Rome 1978), 96–98 hält einen Zusammenhang von bꜣbꜣ.y mit ⲃⲉⲉⲃⲉ für möglich, zumindest mit der transitiven Bedeutung von ⲃⲉⲉⲃⲉ: „pour forth“;er sieht in ersterem ein Kognat der Wurzel bꜣ IV und verbindet es mit der semitischen Wurzel blbl: „confuse, agitate“: „(his heart) agitated“. Mögliche Zusammenhänge mit den Wörtern der Sargtexte oder dem Krankheitsphänomen des Ebers diskutiert Ward nicht. Osing, a.a.O. scheint einen Zusammenhang mit ⲃⲉⲉⲃⲉ eher abzulehnen. Explizit abgelehnt wird eine Abhängigkeit von bjbj und bꜣbꜣ.y dann von H.-W. Fischer-Elfert, Pap. Ebers Nr. 1-3. Reflexion eines altägyptischen Heilers über seine Initiation? in: H.-W. Fischer-Elfert (Hrsg.), Papyrus Ebers und die antike Heilkunde. Akten der Tagung vom 15.-16.3.2002 in der Albertina/UB der Universität Leipzig, Philippika 7 (Wiesbaden 2005), 133–147, hier 137, Anm.19, allerdings ohne Begründung.

- Als weiteres möglicherweise mit dem bjbj und/oder bb der Sargtexte verwandtes oder davon abgeleitetes Wort sollte das Verb bbw mit Messer und schlagendem Arm genannt werden, das in der Erzählung von Herischef und Merire, pDeM 39 Rto. 1 in leider zerstörtem Kontext erscheint. S. Sauneron – Y. Koenig, Deux pages d’un texte littéraire inédit. Papyrus Deir el-Médineh 39, in: J. Vercoutter (Hrsg.), Livre du centenaire. 1880-1980, Mémoires publiés par les membres de la Mission Archéologique Française au Caire 104 (Le Caire 1980), 135–141, hier 137, Anm. a verglichen das Verb mit dem demotischen bbꜣ: „Jagd o.ä.“ (W. Erichsen, Demotisches Glossar (Kopenhagen 1954), 115) oder brbr: „jagen“ (ebd., 119).

- Das demotische bbꜣ ist nicht nur von Sauneron/Koenig, a.a.O. mit dem bbꜣ des pDeM 39 verknüpft worden, sondern von J. Černý, Coptic Etymological Dictionary (Cambridge 1976), 20 auch mit dem bꜣbꜣ.y des pGeneva MH 15274 bzw. dem koptischen ⲃⲉⲉⲃⲉ. Černý gibt als Übersetzungsvorschlag für bbꜣ: „well up“. Ward, a.a.O. 98–101 macht die Bedeutung „overflow“ wahrscheinlich: bbꜣ und brbr sind Varianten desselben Textes; und in älteren Bearbeitungen sei brbr als die richtige Lesung und dessen Bedeutung, basierend auf Koptisch ⲃⲉⲣⲃⲓⲣ: „Wurfspeer“, als „jagen; Jagd“ geraten worden. Ward nimmt dagegen die Variante bbꜣ als möglicherweise korrekt an und sieht dieses, wie schon Černý, als Derivat oder Kognat von bꜣbꜣ.y. H.J. Thissen, Die Lehre des P. Insinger, in: Anon. (Hrsg.), Weisheitstexte, Mythen und Epen. Weisheitstexte II (Gütersloh 1991), 280–319, hier 287 und Vittmann im TLA bleiben dagegen bei „jagen“, F. Hoffmann – J.F. Quack, Anthologie der demotischen Literatur, Einführungen und Quellentexte zur Ägyptologie 4 (Berlin, Münster 2007), 246 denken an „aufwühlen“. Für das bjbj des pEbers ergibt sich nichts. Osing, a.a.O. möchte das demotische Wort dagegen bei der Diskussion außen vor lassen, weil der Kontext zerstört ist.

- Das koptische ⲃⲉⲉⲃⲉ käme nach der skizzierten Diskussion nur dann als Derivat infrage, wenn die von Osing vorgeschlagene und von Fischer-Elfert abgelehnte Abhängigkeit von bjbj und bꜣbꜣ.y, und/oder wenn (vielleicht über das neuägyptische bbw) ein Zusammenhang von bjbj und (entgegen Osing) dem demotischen bbꜣ bestünde.

Dr. Lutz Popko