Ostrakon Deir el-Medineh 1213

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
Inventarnummer IFAO: 2203 oIFAO Sequestre 1002
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Kairo » Institut Français d'Archéologie Orientale

Inventarnummer: oIFAO 2203

Digitaler Katalog
Erwerbsgeschichte

Das Ostrakon stammt aus den Grabungen des Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO) in Deir el-Medineh durch B. Bruyère aus den Jahren 1949 und 1950 (Posener 1952, 28). Seitdem lagert es im IFAO, wo es inventarisiert wurde und infolge der Suezkrise von 1956 zusätzlich eine Sequestre-Nummer bekam.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Die einzelnen Scherben des Ostrakons tragen teilweise Markierungen, die sowohl den Fundort als auch das jeweilige Funddatum angeben: 27.2.49 (GP), 15.4.49 (GP), 10.3.50 (GP), 12.3.50 (GP). Die Zahlen stehen für das Datum, d.h. die vier markierten Scherben wurden in einem Zeitraum vom 27.02.1949 bis zum 12.03.1950 (2 Grabungskampagnen) entdeckt. GP steht für den „Grand Puits“ in Deir el-Medineh. Dieser wurde neben anderem in den Jahren 1949–1951 von B. Bruyère im Auftrage des Institut Français d’Archéologie Orientale (IFAO) untersucht (Posener 1952, 28 und Gasse 1990, ix). Da alle sieben Scherben von Posener im Jahr 1952 bereits als zusammengehörig identifiziert und publiziert wurden, müssen auch die unmarkierten spätestens zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sein. Zweifellos stammen sie ebenfalls aus dem „Grand Puits“.

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

G. Posener datiert alle von ihm im ersten Band publizierten Ostraka in die Zeit von der Mitte der 19. bis zur Mitte der 20. Dynastie (Posener 1938, VI), was vielleicht zu eng gesehen ist. Aus der Identifizierung der erwähnten Personen auf den nicht-literarischen Ostraka aus Deir el-Medineh geht hervor, dass sie vom Ende der 18. (nur wenige) bis zum Ende der 20. Dynastie stammen. Vielleicht erlaubt eine eingehendere Untersuchung der Paläographie eine Eingrenzung innerhalb der Ramessidenzeit. Der „Grand Puits“ wurde möglicherweise erst unter Ramses III. gegraben (Driaux 2011, 130–133 und 137) und in der Nachfolgezeit wieder verschüttet, aber das hilft nicht, um die dort später hineingeworfenen Ostraka genauer zu datieren (vgl. Gasse 2000, 7–8). Laut Bruyère stammt die Mehrheit der Ostraka aus dem großen Brunnen von Deir el-Medineh aus inhaltlichen und paläographischen Gründen aus dem Ende der 19. und der 20. Dynastie (Bruyère 1953, 61). Die Schreibung des Futur-III mit Auslassung der Präposition r könnte für die fortgeschrittene 20. Dynastie sprechen.

Textsorte
magischer Spruch
Inhalt

Der Text des Ostrakons ist überschrieben als Spruch, der zum Fangen eines Skorpions, zum Packen seines Mauls und zum Verhindern seines Stechens dient. Ein Magier spricht in der 1. Person. Der Text fängt mit einer Aufforderung des Magiers an den Skorpion, stehen zu bleiben, an und geht dann weiter mit einer Götterbedrohung. Falls der Skorpion nicht stehen bleibt, wird der Magier seine Götterbedrohung in die Realität umsetzen. Daraufhin wird der Skorpion erneut aufgefordert, stehen zu bleiben, ähnlich wie ein anderer Gott (ein Göttervergleich: der Skorpion soll stehen bleiben, wie es Seth vor Ptah tat). Der Text ist einem Spruch gegen einen Skorpionstich auf Papyrus Genève MAH 15274, Verso, Kol. 5, sehr ähnlich, mit demselben Titel, denselben Formulierungen und demselben Aufbau, aber auf dem Genfer Papyrus stehen mehr Götterbedrohungen und fehlt die finale Aufforderung, stehen zu bleiben.

Ursprünglicher Verwendungskontext

Auf dem Ostrakon befindet sich ein Text zum Bannen von Skorpionen. Als solches könnte es an einer Stelle in einem Haus aufgestellt oder -gehängt worden sein, um das Eindringen von Skorpionen magisch zu verhindern. Die roten Gliederungspunkte erwecken den Eindruck, dass der Text zum Rezitieren gedacht war. Deshalb wäre auch ein ganz anderer Verwendungskontext denkbar, z.B. ein Magier hat den Text für einen konkreten Fall als Gedächtnisstütze aus einem Handbuch abgeschrieben.

Material
Künstliche Materialien » Keramik
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Ostrakon
Technische Daten

Die gräulich-rötliche Keramikscherbe wurde aus sieben Fragmenten wieder zusammengesetzt und hat eine Höhe von 23 cm und eine Breite von 14,5 cm. Der Text selbst beginnt ca. 6 cm unterhalb des oberen Randes. In dieser Freifläche befinden sich die Reste eines Henkels vom ursprünglichen Gefäß (eine ägyptische Amphore des Neuen Reiches).
Auf der äußeren/konvexen Seite des Ostrakons (Recto) stehen elf Zeilen, auf der Innenseite (Verso) befindet sich ein einziges Wort, das den Text des Rectos beendet und zeigt, dass die heutige Form der Scherbe ungefähr der ursprünglich beschrifteten entsprechen muss. Der Text auf der Außenseite und das einzige Wort auf der Innenseite sind parallel zur Achse des Gefäßes geschrieben (Posener 1952, 28 und Taf. 48a). Die Scherbe wurde so gedreht, dass die Oberkante der Außenseite ebenso die Oberkante der Innenseite ist. Der Text ist in der Breite vollständig erhalten, wie die Parallelen zu Zeile 1–2 im Papyrus Chester Beatty V, Vso. 3, 1–2 und im Papyrus Genève MAH 15274, Vso. 5.1 bezeugen. Nur ungefähr im unteren Drittel befinden sich am rechten Rand wenige Zerstörungen, wodurch einige Zeichen verloren sind. Bei den letzten beiden Zeilen trifft dies auch auf den linken Rand zu

Schrift
Hieratisch

Die Schrift ist durchgängig schwarz. Zudem wurden Gliederungspunkte in rot gesetzt (Posener 1952, 28). Die Handschrift ist eine Buchschrift, die kaum Ligaturen aufweist.

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Neuägyptisch

Die Grammatik ist Neuägyptisch (Futur III jw=f (r) sḏm; Konjunktiv mtw; Relativkonstruktion mit n.tj + Verbform statt Partizip). Auch die Orthographie (siehe bspw. die phonetische Schreibung von ḏꜣr.t „Skorpion“ in Zeile 1) hat neuägyptische Merkmale.

Bearbeitungsgeschichte

Das Ostrakon ist bei G. Posener im „Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh“ mit Faksimile sowie hieroglyphischer Transliteration aufgeführt (Posener 1952, 28, Taf. 48–48a). Eine englische Übersetzung stammt von Borghouts 1978, 76–77. Eine deutsche Übersetzung hat Katharina Stegbauer im Rahmen des Projekts DigitalHeka (2006–2008) angefertigt, welche in den Thesaurus Linguae Aegyptiae integriert wurde. Colledge (2015) hat den Text ebenfalls ins Englische übersetzt und kommentiert.

Editionen

- Posener 1952: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh. II,2. Nos 1168 à 1213, Documents de Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 18 (Le Caire 1952), 28, Taf. 48–48a.

Literatur zu den Metadaten

- Borghouts 1978: J. F. Borghouts, Ancient Egyptian magical texts: translated, Nisaba 9 (Leiden 1978), 76–77 (Nr. 105).

- Bruyère 1953: B. Bruyère, Rapport sur les fouilles de Deir el Médineh (Années 1948 à 1951), Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 26 (Le Caire 1953).

- Colledge 2015: S. L. Colledge, The Process of Cursing in Ancient Egypt (Liverpool 2015), 102–105, 292 (Fig. 16).

- Driaux 2011: D. Driaux, Le Grand Puits de Deir al-Medîna et la question de l’eau: nouvelles perspectives, in: Bulletin de l’Institut Français d’Archéologie Orientale 111, 2011, 129–141.

- Gasse 1990: A. Gasse, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh. IV,1. Nos 1676–1774, Documents de Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 25 (Le Caire 1990).

- Gasse 2000: A. Gasse, L’inventaire des ostraca littéraires de Deir el-Médina conservés à l’IFAO. Premiers résultats, in: Göttinger Miszellen 174, 2000, 5–14.

- Posener 1938: G. Posener, Catalogue des ostraca hiératiques littéraires de Deir el-Médineh. I,32. Nos 1001 à 1108, Documents de Fouilles de l’Institut Franҫais d’Archéologie Orientale du Caire 1 (Le Caire 1938), V–VI.

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Katharina Stegbauer
Mitwirkende
Dr. Peter Dils
Autoren (Metadaten)
Dr. Peter Dils

Übersetzung und Kommentar

Ostrakon Deir el-Medineh 1213

[rt. 1] Ein anderer Spruch 〈zum〉1 Fangen des Skorpions, zum Stopfen/Packen seines Mauls, und zum Verhindern, dass 〈er〉 sticht:
Halt (doch?) an, Skorpion!
Ich werde 〈dein〉 Maul verschließen und versiegeln!
Wenn du nicht stehenbleibst, 〈um〉 zu hören meine Rede, werde ich die {78} 〈77〉 Köpfe abschneiden, [rt. 5] die auf diesem großen Gott sind,2 der liegt/schläft [in] [...], und ich werde die Hand des Horus abtrennen, und ich werde das Auge des Seth blenden,3 und ich werde das Maul der zweimal (?) großen Neunheit stopfen/packen, und ich werde Feuer an Busiris legen, und ich werde Osiris verbrennen, und ich werde [veranlassen?], dass das Grab [...] wird, von dem gilt, dass (es) ruht [rt. 10] in [...] des großen Horizonts.
Bleib stehen [...]! Du sollst stehen bleiben, wie Seth stehen blieb [für/vor]4 [vs. 1] Ptah!

1 mḥ 〈m〉 rꜥ=s: Die Präposition m ist auf pChester Beatty V, Vso 3.1 und pGenf MAH 15274 Vso 5.1 vorhanden. Dort ist also mḥ: „packen“ und nicht mḥ: „füllen“ zu lesen: das Maul wird gepackt und verschlossen, damit der Skorpion (sic!) nicht beißen bzw. stechen kann. W. Westendorf, Handbuch der altägyptischen Medizin, Handbuch der Orientalistik I 36,1 (Leiden/Boston/Köln 1999), 69 fragt sich, ob mit : „Mund“ das Stachelende gemeint sein könnte (die „Giftmündung“ des Skorpions).
2 n.tj tp {n} pꜣ nṯr ꜥꜣ: Emendiere vielleicht zu n.tj 〈ḥr/m〉 tp n.j pꜣ nṯr ꜥꜣ: „die 〈auf〉 dem Kopf des/dieses großen Gottes sind“ oder „die den Kopf des/dieses großen Gottes bilden“.
3 Gleiche Drohung in pChester Beatty V, Vso 6.2–3, wobei ḏr.t Ḥrw dort zerstört ist und von Gardiner als "Hoden des Horus" rekonstruiert wurde. Vgl. J. F. Borghouts, The Evil Eye of Apopis, in: Journal of Egyptian Archaeology 59, 1973, 114–150, hier: 144 für die Zerstörung des Auges des Seth.
4 ꜥḥꜥ [___] [ꜥḥꜥ]=t: Borghouts 1978, 77 übersetzt: "Stand still [for me], stand still, like Seth stood still [for] Ptah!" Eine Ergänzung ꜥḥꜥ [n=j] am Ende von Z. 10 ist möglich (vgl. Borghouts Lesung in Z. 2 als ꜥḥꜥ n=j, wo die übrigen Handschriften ꜥḥꜥ tꜣ ḏꜣr.t haben).