Papyrus Deir el-Medineh 36

Metadaten

Wissensbereiche
Alternative Namen
pDeM 36
Aufbewahrungsort
Afrika » Ägypten » Kairo » Institut Français d'Archéologie Orientale
Erwerbsgeschichte

Der Papyrus wurde am 14. Dezember 1950 während der durch das Institut Franҫais d’Archéologie Orientale in Deir el-Medineh durchgeführten Grabungen entdeckt (Sauneron 1970, 7) und sicherlich später nach Kairo gebracht.

Herkunft
Niltal südlich von Assiut bis zum 1. Katarakt » Theben » westliches Ufer » Deir el-Medineh

Der Papyrus wurde am 14. Dezember 1950 als Oberflächenfund in einem der modernen Schutthügel an der Ostseite des großen Brunnens (genannt "Grand Puits") nördlich des Dorfes von Deir el-Medineh gefunden (Sauneron 1970, 7; vgl. Bruyère 1953, 71 und 73).

Datierung
(Epochen und Dynastien) » Pharaonische Zeit » Neues Reich » 20. Dynastie

Der im Papyrus genannte Anynacht, Sohn der (Frau) Ubechet, ist nicht eindeutig identifizierbar unter den Arbeitern von Deir el-Medina, auch wenn der Name Anynacht in mindestens 95 Dokumenten von Deir el-Medina belegt ist. Ein Träger des Namens war ein Idenu-Stellvertreter der Arbeiter, der unter Ramses III. bis V. oder VI. lebte, in vielen Texten erwähnt wird und vielleicht auch Wab-Priester war (Davies 1999, 74–75), ein zweiter war Atju-Inspektor unter Ramses III. und ein dritter Atju-Inspektor unter Ramses XI. (Gabler 2018, 432, Anm. 1683). Es gibt acht Frauen mit dem Namen Ubechet in Deir el-Medina, die unter Sethos I./Ramses II bis Siptah lebten (Davies 1999, 75 und 307). Bruyère nimmt an, dass hier Ubechet, Tochter von Baki und Ehefrau eines Neferhotep, der zur Zeit Ramses II. lebte, gemeint ist (Bruyère 1953, 73; ebenso Sauneron 1970, 11), aber Davies zieht auch weitere Ubechets in Betracht (Davies 1999, 75). Man ist sich uneinig, ob die Atju-Inspektoren Bewohner von Deir el-Medina waren oder nicht (Gabler 2018, 432). Sofern Anynacht, Sohn der Ubechet, ein Bewohner von Deir el-Medina war, wie es der Fundort des Amuletts vermuten lässt, wird er möglicherweise mit dem Stellvertreter Anynacht identisch sein (so Sauneron 1970, 9, 11), d.h. unter Ramses III. bis V./VI. gelebt haben. Der Stellvertreter Anynacht wird zum ersten Mal in einem Text von Jahr 10 Ramses‘ III. genannt (Davies 1999, 74). Sauneron vermutet, dass die Abwesenheit eines Titels und die geringe (?!) Länge des als Halskette dienenden Stofffadens (50 cm) des Amuletts auf ein jugendliches Alter für Anynacht hinweisen könnten, was die Datierung des Amuletts auf die frühe Regierungszeit Ramses III. eingrenzen würde (Sauneron 1970, 11). Die Paläographie ist für die chronologische Eingrenzung innerhalb der Ramessidenzeit nicht ergiebig. Sauneron erkennt eine Ligatur von U30 und G1, die laut der Paläographie von Möller erst in der 20. Dynastie belegt ist (Sauneron 1970, 11). Sie ist allerdings zu beschädigt, um eindeutig zu sein (Wimmer 1995, 365, Nr. X.1/U.30 hat ebenfalls nur Belege für die 19. Dynastie ohne die Ligatur).

Textsorte
Amulettpapyrus
Inhalt

Der Text präsentiert sich selbst als Königsdekret (wḏ-nswt), dass von (Gott)könig Osiris stammt und an den Wesir und Regenten Geb gerichtet ist; es wird also in der frühesten mythologischen Zeit angesetzt, in der nach altägyptischer Vorstellung die Götter auf Erden regierten. Geb wird darin aufgefordert, verschiedene für einen Krankheitsausbruch verantwortliche Dämonen und zwei damit verbundene Krankheitserscheinungen (nach Sauneron 1970, 11 „Fieber“ und „Schnupfen“, nach Quack 2011 zwei Formen von Hautkrankheiten), die vor drei Tagen aufgetreten sind, mit sich auf seinem Schiff zum Binsengefilde zu nehmen und somit für eine Heilung des Patienten Anynacht, Sohn der Ubechet, zu sorgen. Danach folgt die Anweisung, dass diese Worte über die auf dem Papyrus abgebildeten Figuren gesprochen werden sollen und das ganze Amulett schlussendlich um den Hals des Erkrankten gelegt werden soll (Sauneron 1970, 11–12).

Ursprünglicher Verwendungskontext

Der Papyrus diente in seiner zusammengefalteten Form als Amulett zur Heilung der darin genannten Krankheiten, die Aninacht, Sohn der (Frau) Ubechet, drei Tage zuvor befallen haben.

Material
Organisch » Faser, Pflanzliche und Tierische » Papyrus
Objekttyp
Artefakt » Schriftmedien » Schreibblatt
Technische Daten

Der Papyrus wurde im zusammengefalteten Zustand gefunden, in dem er eine Länge von 2 cm und eine Dicke von 1 cm hatte und von einem Faden umschlossen war. In dieser Form wurde er in der Mitte eines 50 cm langen und 3 cm breiten, zu einem Kordel gedrehten Leinenstreifen befestigt „comme dans un petit sac que le fil fermait de part et d’autre“. Der Stoffstreifen war mit insgesamt sieben Knoten und im Inneren mit in schwarzer Tinte ausgeführten Bildern über einer Länge von 15 cm versehen: Von rechts nach links sitzen die Götter Re, Osiris, Horus (?), Seth, Isis und Nephthys (jeweils nach rechts blickend), dahinter ist eine mumienhafte Gestalt oder ein Stab (?) mit Feder auf dem Kopf abgebildet, vor und hinter der jeweils ein Mann mit erhobenen Armen steht, der von einem Krokodil angegriffen wird (Bruyère 1953, 73, mit Abb. Fig. 1.1 auf S. 72; Sauneron 1970, 7; Eschweiler 1994, 34 und Taf. 2, Abb. 3).
Ausgerollt hat der Papyrus die Maße 21 × 11,8 cm (Breite × Höhe) und ist einseitig auf dem Recto mit sechs Zeilen schwarzer Tinte beschriftet. In der fünften Zeile ist im Satz eine Vignette eingebaut, die aus zwei Barken besteht, in denen sich je ein Gott befindet, zwei dahinter befindlichen Udjat-Augen und, nach dem Zeilenumbruch fortgesetzt, zwei Skarabäen. Angefangen an der Außenseite des zusammengefalteten Amuletts sind drei kleinere Löcher im Papyrus entstanden, sonst ist er gut erhalten (Sauneron 1970, 7–8).

Schrift
Hieratisch

Das Hieratische ist ziemlich kursiv und schnell sowie mit unregelmäßiger Strichdicke geschrieben. Laut Sauneron spürt man, dass es sich um einen sehr schnell und wenig sorgfältig verfassten Text handelt, der zwar die Hand eines geübten Schreibers erkennen lässt, dem eine kalligraphische Arbeit aber nicht wichtig war (Sauneron 1970, 7–8).

Sprache
Ägyptisch-Koptisch » Ägyptisch » Mittelägyptisch

Der Text weist keine eindeutigen Spuren von neuägyptischen Konstruktionen auf. In Zeile 1 könnte eine Präsens-I-Konstruktion mit ausgelassener Präposition vorliegen, aber der Satz ließe sich auch mittelägyptisch deuten. Orthographischer Einfluss des Neuägyptischen ist nur im Namen Anynacht und in der Krankheitsbezeichnung rmn.t spürbar.

Bearbeitungsgeschichte

Die Erstedition des Textes erfolgte durch Sauneron 1970, nachdem die Wicklungen und die Dekoration des Amuletts zuvor von Bruyère 1953, 73 ausführlich beschrieben wurden. Eine deutsche Übersetzung gemäß der französischen Übersetzung von Sauneron findet sich bei Eschweiler 1994. Eine Neulesung und Umdeutung der thematisierten Krankheiten stammt von Quack 2011, 415.

Editionen

- Sauneron 1971: S. Sauneron, Le rhume d’Anynakhté (Pap. Deir el-Médinéh 36), in: Kêmi. Revue de philologie et d’archéologie égyptiennes et coptes 20, 1970, 7–18, Taf. 1.

Literatur zu den Metadaten

- Bruyère 1953: B. Bruyère, Rapport sur les fouilles de Deir el Médineh (années 1948 à 1951), Fouilles de l’Institut français d’archéologie orientale 26 (Le Caire 1953), 72–73.

- Davies 1999: B. G. Davies, Who’s Who at Deir el-Medina. A Prosopographic Study of the Royal Workmen’s Community, Egyptologische Uitgaven 13 (Leiden 1999), 75.

- Eschweiler 1994: P. Eschweiler, Bildzauber im alten Ägypten. Die Verwendung von Bildern und Gegenständen in magischen Handlungen nach den Texten des Mittleren und Neuen Reiches, Orbis Biblicus et Orientalis 137 (Freiburg/Göttingen 1994), 34–35 und Taf. 2 (Abb. 3–4).

- Gabler 2018: K. Gabler, Who’s who around Deir el-Medina. Untersuchungen zur Organisation, Prosopographie und Entwicklung des Versorgungspersonals für die Arbeitersiedlung und das Tal der Könige, Egyptologische Uitgaven 31 (Leiden 2018).

- Quack 2011: J. Quack, Beiträge zu einigen religiösen und magischen Texte, in: M. Collier – S. Snape (Hrsg.), Ramesside Studies in Honour of K. A. Kitchen (Bolton 2011), 413–416, hier: 415.

- Wimmer 1995: S. Wimmer, Hieratische Paläographie der nicht-literarischen Ostraka der 19. und 20. Dynastie, Ägypten und Altes Testament 28 (Wiesbaden 1995).

Eine vollständige Bibliographie finden Sie hier.

Autoren
Dr. Katharina Stegbauer

Übersetzung und Kommentar

Amulett zum Schutz gegen Hautkrankheiten

[1] Königsbefehl ⟨des⟩ Königs von Ober- und Unterägypten, Osiris, der zum Wesir und Regenten Geb gesagt hat (oder: Königsbefehl. Der König von Ober- und Unterägypten Osiris sagt zum Wesir und Regenten Geb):
Stell deinen Mast auf und [2] hisse deine Segel, [fahre (?) zum]1 Binsengefilde! Nimm den nsy-Dämon, [3] die nsy.t-Dämonin, den Widersacher, die Widersacherin, den Untoten, die Untote, mit, die im (An)gesicht von Anynachte, den Ubechet geboren hat, sind, [4] zusammen mit der srf-Hautkrankheit2 und der rmn.t-Hautkrankheit2 und [allem] Schlechten und Üblen, nachdem sie über ihn gekommen sind am Anfang [5] eines Zeitraums von 3 Tagen (= vor drei Tagen). Diese Gottesworte sollen gesprochen werden über (die Zeichnungen von zwei Götterbarken, zwei Udjataugen und zwei Skarabäen), die auf ein frisches Papyrusblatt3 gezeichnet sind.
Werde an seinen Hals gegeben.
Es (d.h. das Papyrusblatt) wird ihn (d.h. die Krankheit) schnell entfernen.

1 Sauneron 1971, 11 füllt die Lücke von ca. 5 Quadraten mit "[pars (?) pour les] champs d’Ialou!". Unmittelbar vor sḫ.t ist nur Platz für ein niedriges Zeichen, weshalb hier die Präposition r vorgeschlagen wird. Ob die Spitze des vorangehenden senkrechten Zeichens zum Schiff P1 gehört, ist unsicher.
2 pꜣ srf tꜣ r-ḫnt/rmn.t: Sauneron 1971, 11 hat hier "la fièvre et le rhume", d.h. Fieber und Schnupfen/Katarrh übersetzt, aber laut Quack 2011, 415 ist rmn.t statt r-ḫnt zu lesen und sind es beide Hautkrankheiten.
3 ḏmꜥ n mꜣw.t: Weitere Belege für die Verwendung eines neuen Papyrusblattes für magische Zwecke bei C. Theis, Magie und Raum. Der magische Schutz ausgewählter Räume im alten Ägypten nebst einem Vergleich zu angrenzenden Kulturbereichen, Orientalische Religionen in der Antike / Oriental religions in Antiquity 13 (Tübingen 2014), 246 und Anm. 684.